Wir segeln und wandern durch die Welt

Hagemeister Insel bis Amak Insel

Morgens um 8.00 Uhr fällt unser Anker auf 7 Meter Wassertiefe im Nord-Westen der Hagemeister Insel. Schneeregen. Grau, kalt und ungemütlich ist es. Sofort wird der Ofen angeheizt, aber der wird ein paar Stunden brauchen, bis er das ausgekühlte Schiff auf Temperatur gebracht hat. Trinken einen Tee zum Aufwärmen, legen uns dann ein Stündchen hin. Beide sind wir zu unruhig zum Schlafen. Der neue Wetterbericht ist nicht erbaulich, danach gibt es eine ganze Woche kein Entkommen vor dem Sturm. Thomas backt einen Schokoladen-Kuchen als Stimmungsaufheller. Den Rest des Tages kramen wir hier und kramen da, bereiten uns für den kommenden Sturm vor. Was für eine blöde Warterei ! Ungewiss, wann wir hier wegkommen. Ich habe Angst, dass es noch lange dauert, bis unsere Lücke von 2,5 Tagen Wetter-Beruhigung kommt. Möchte mir gar nicht vorstellen, dass wir noch im November in Alaska durch die Bering See segeln. Horror – das ist wieder der Stoff, aus dem schlechte Träume gemacht sind. 🙁 Die Situation hat sich eigentlich eher verschlechtert, seit wir bei der Hagemeister Insel Schutz gesucht haben. Roland vom Transportunternehmen ist voriges Jahr mit seinem Boot eine ganze Woche um die Insel Nunivak gekreist. Er kam dort nicht weg und musste ständig seinen Ankerplatz wechseln, je nach Windrichtung. Der Hafenmeister von Nome hat von Leuten erzählt, die dort 2 Wochen lang nicht starten konnten, weil ein Tief nach dem anderen durchgezogen ist. Das ist ja noch schlimmer, weil noch richtig weit weg, und es kostet 60,- $ pro Tag.

13 Stunden Schlaf. Das haben wir wohl nötig gehabt. Nur zwei kurze Störungen, weil der Anker-Alarm gepiept hat, aber es war keine weitere Aktion erforderlich. Steiniger Grund. Die Ankerkette ist immer in Bewegung, das Klappern und Schaben die ganze Nacht als nerviges Geräusch im Hintergrund. Gemütliches Kaffeetrinken am Morgen mit neuestem Wetterbericht. Danach verholen wir an einen anderen Platz, weil der richtige Sturm aus Nord und Ost zu erwarten ist. Wir fahren 7 Seemeilen quer durch die Hagemeister Passage und staunen erneut über die starken Strömungen, die wir nicht verstehen. Ganz in der Nähe mündet ein Fluss in die Bristol Bay, der bringt zusätzlich noch seinen Teil an querlaufendem Strom mit. Um 13.30 Uhr erreichen wir Tongue Point. Nach Norden hin bietet die Peninsula Alaska Schutz, nach Osten hin ragt eine schmale Sandzunge weit ins Fahrwasser, und im Süden ist die Hagemeister Insel. Ankern auf 5 Meter Wassertiefe mit 80 Metern Kette. Eigentlich alles paletti, man könnte fast nicht besser liegen. Nachmittags gibt es eine Freiluft-Dusche im Cockpit mit angewärmtem Wasser. Im Salon ist die Temperatur inzwischen auch wieder angenehm. Trinken heißen Kakao und warten auf den Sturm. Es weht schon am Nachmittag ganz ordentlich um uns herum, und die Spitze wird erst in der Nacht erwartet. Es ist gerade nicht so entspannt. Vielleicht sollten wir abwechselnd Ankerwache machen ? Wie gut, dass wir ausgeschlafen haben. Diese Bucht ist riesig, aber ein besserer Platz ist im weiten Umkreis nicht zu finden. Näher ans Ufer können wir nicht, weil es bald zu flach wird. So erreicht uns eine Menge Fetsch. Die Walkabout zerrt an der Ankerkette und schaukelt in der aufgewühlten See. Abendessen fällt aus. Beide sind wir kurz vor seekrank. Vollmond.

Das Unwetter kommt wirklich heftig. Der Wind nimmt am frühen Abend kontinuierlich zu und entwickelt sich zum Sturm. Grundwind von 8-9 Beaufort, dazu pfeifen giftige Böen über uns hinweg. Ja, Ankerwache. Thomas sitzt stundenlang im Deckshaus, um das Spektakel zu beobachten. In regelmäßigen Abständen kontrolliert er an Deck, ob alles in Ordnung ist. Achtung, das könnte nasse Füße geben, denn manchmal taucht der Bug vorne tief ein. Ich mache die Seekoje im Salon fertig, wo man einigermaßen gut liegen kann, aber trotzdem alles mitbekommt vom Geschehen. Vorne in unserer Schlafkoje ist es nicht auszuhalten. Walkabout stampft und bockt, die Ankerkette rasselt, die Wellen klatschen laut gegen den Bug. Eine Sicherungsleine, die die Last von der Winsch holt, ist schon nach der Hälfte der Nacht gebrochen. Sie wird durch zwei bessere Ruckdämpfer ersetzt. Walkabout dreht sich wie verrückt am Anker. 80 Meter Kette geben viel Spielraum, aber auch viel Gewicht am Grund. Unsere Aufzeichnungen zeigen so manche Runde um 360°. Gelegentlich liegt das Boot mit dem Hintern zum Wind. Das ist wirklich sonderbar, wir können es fast nicht glauben. Da muss eine Strömung am Werk sein, die noch mehr Kraft hat als der Wind. Um 3.00 Uhr erscheint das AIS-Signal eines Schleppers auf unserem Bildschirm. Der sucht ebenfalls den Schutz der Hagemeister Insel und geht in 4 Seemeilen Entfernung vor Anker. Morgens um 7.00 Uhr gesellt sich ein weiterer Frachter hinzu. Der ist 170 Meter lang und ankert mitten im Fahrwasser, welches hier um die 20 Meter Tiefe hat. Auch die großen Pötte gehen also in Deckung.

Fürchterliche Nacht. 🙁 Der Wind heult in der Takelage. Es wird gar nicht hell. Feuchte Salzluft umgibt uns. Die Gischt spritzt hoch. Pinne ist fixiert und schlägt trotzdem wild hin und her. Der Sturm scheint nicht nachlassen zu wollen. Auch am nächsten Mittag weht es noch mit unverminderter Stärke. Wir können unten nicht viel ausrichten, die Bewegungen im Schiff machen uns ziemlich handlungsunfähig. Also sitzen wir abwechselnd mal oben, mal unten, passen auf und hoffen, dass nichts passiert. Kopfschmerzen. Irgendwann am Nachmittag geht der Ofen aus. Einfach so, wahrscheinlich bläst der Wind aus einem ungünstigen Winkel hinein. Das macht die Situation auch nicht schöner. Unsere Wetterprognose geht bis nächsten Freitag, und bis dahin ist keine Lücke zu sehen, die ausreicht für den Weg zum False Pass. 🙁 Können wir nur hoffen, dass sich das Bild in den nächsten Tagen noch ändert, weil die Vorhersage zu weit in der Zukunft liegt. Ansonsten bemühen wir uns, nicht den Kopf hängen zu lassen und einigermaßen bei Laune zu bleiben. Wir müssen nur an Sonia und Calin von der Seabelle denken – wie gerne würden die mit uns tauschen !

Nur ein einziges Mal Anker-Alarm in der Nacht. Es war relativ ruhig, dementsprechend haben wir knapp 12 Stunden geschlafen. Der Wind kommt jetzt eindeutig aus Nord. Wir liegen genau richtig im Schutz des Festlandes. Die Walkabout benimmt sich gut bei 7-8 Beaufort. Schiffsbewegungen sind okay, wir können aktiv werden und beschäftigen uns den ganzen Tag mit Boots-Arbeiten. So kommt keine Langeweile auf. Irgendwie müssen wir die Zeit ja totschlagen. Heute ist schon Tag 4 – glaube ich wenigstens. Urlaub vor der Hagemeister Insel ! 😉 Wir haben uns mit der Situation abgefunden. Nützt ja auch nichts. Der Sonntag ist auf jeden Fall ein guter Tag. Die Sonne scheint und erwärmt das Deckshaus auf 18°, das ist T-Shirt-Wetter. Himmel blau, Wasser blau, aufgewühlte See um uns herum. Die Natur präsentiert sich wild und schön. Die Krönung des Tages ist ein Paar Weißkopf-Seeadler am Ufer. Lange Zeit können wir die riesigen Vögel auf den Klippen mit dem Fernglas beobachten. 🙂 Wermutstropfen : Der Ofen geht immer aus. Nicht nur, dass es dann sofort spürbar kälter wird, es rußt und stinkt ganz furchtbar. Muss der Wind sein, der durch den Kamin fegt und die Flamme auslöscht. Die neueste Windprognose zeigt uns ein 3-tägiges Wetterfenster ab Freitag. Heute ist allerdings erst Sonntag, also noch weit weg.

Der Ofen tut’s schon wieder nicht. Thomas plagt sich seit dem Aufstehen, aber das Ding geht einfach nicht an. Auseinandernehmen und Zusammenbauen, ungefähr ein Dutzend Mal. Reinigen, Aussaugen, Trockenputzen …. Bei jedem weiteren Versuch läuft der Diesel munter in die Wanne. 🙁 Drehen an irgendwelchen Schräubchen, um den Zufluss an Diesel zu verstellen, immer wieder mit einer Engelsgeduld. Um 15.00 Uhr bleibt die Flamme endlich an. Gewonnen !
Mittlerweile ist mir unten im Salon so kalt geworden, dass ich meinen Standort ins Deckshaus verlagert habe. Die Sonne scheint, und es erwärmt sich auf 15°, allerdings erst nachdem ich die Scheiben geputzt habe. Draußen hat es sich inzwischen richtig eingeweht. Das sieht nach viel mehr Wind aus als angesagt war. Ich stelle mich ein paar Minuten mit dem Anemometer nach draußen. Habe mich nicht getäuscht, es weht mit 40 Knoten. Böen bis 45. Hohe Wellen laufen durch die Bucht und legen uns auf die Seite, obwohl es nur ein kurzer Weg bis zum Strand ist. Hin und wieder spritzt sogar ein Brecher ins Cockpit. Das Schiff trudelt in alle Richtungen, und das am Anker. Komischerweise zeigt die Walkabout nicht mit dem Bug zum Wind. Wir schaffen es nicht, uns ordentlich auszurichten. Da muss eine gewaltige Strömung quer laufen, deswegen auch die unruhige See. Ein Windstoß fegt anscheinend ungünstig in das Abzugsrohr, plötzlich ist der Ofen wieder aus. Zwei Stunden Wärme hat es gegeben, nun geht das Ärgern von vorne los.

Montag flaut der Wind ab auf 6-7 Beaufort. Es gibt Hoffnung. Um 18.00 Uhr laden wir während des Abendessens die neuesten Wetterdaten herunter. Das sieht plötzlich ganz so aus, als würde sich für uns ein Wetterfenster auftun. Nicht wirklich toll, ein bisschen Wunschdenken ist dabei. Wir müssten so bald wie möglich mit relativ viel Wind starten, morgen soll es relativ ruhig werden, übermorgen gibt es dann etwas mehr Wind als bequem ist. Aber immerhin eine kleine Chance. Wir wollen hier weg. Zum Glück ticken wir bei solchen Entscheidungen gleich. Wir müssen gar nicht viel reden, ein kurzer Blickkontakt genügt, wir sind uns einig. Kaum ist der letzte Bissen unten, da kommt Bewegung in die Crew. Thomas arbeitet in Windeseile an Deck und erledigt die letzten Handgriffe, während ich unten im Schiff alles seeklar mache. Dann geht es los.
Um 20.00 Uhr sind wir fertig. Start bei einer Wassertiefe von 5,40 Meter. Wir vermuten, dass gerade Hochwasser ist. Richtig ! 🙂 Haben wir für den Weg zum Ankerplatz glatte 8 Stunden gebraucht, so sind wir jetzt mit der Strömung in 3 Stunden draußen. Die Walkabout wird förmlich aus der Hagemeister Straße gezogen. Sehr gut getroffen.

Rauschende Fahrt durch die Nacht. Tagsüber sollte es eigentlich entspannt laufen, aber der Wind macht, was er will. Es ist bei Weitem nicht so ruhig, wie angesagt war. Lesen oder Musikhören während der Wachen ist kein Thema, dieses verrückte Wetter fordert unsere vollste Aufmerksamkeit. Bei 5-6 Beaufort haben wir das ungereffte Großsegel und die volle Genua stehen. So viel Tuch treibt uns zügig voran. Zu schnell ? Der Käpt’n läuft noch einmal zur Kontrolle über’s Vordeck. Alles im grünen Bereich. Die Backskisten werden mit Schlössern verriegelt, Seeventile sind dicht. Die Leinen sind ordentlich aufgeschossen, damit sie nicht über Bord gespült werden. Auf einmal fängt die Windsteuerung an zu spinnen. Beide Segel stehen back. Das Schiff mag nicht mehr auf Kurs laufen. Es ist unheimlich still. Nach dieser kurzen Flaute dreht der Wind komplett auf die andere Seite und legt blitzschnell zu. Das Großsegel bekommt gleich 3 Reffs eingebunden, die Genua auf Steuerbord wird ebenfalls halb eingerollt. Wir sind bereit.

Es weht den ganzen Mittwoch kräftig mit 7 Beaufort. Einige stärkere Böen legen das Boot kurzfristig auf die Seite, aber insgesamt ist der Wind tagsüber mit der richtigen Beseglung gut zu nehmen. Dreifach gerefftes Groß und die stark verkleinerte Genua, damit kann die Walkabout eine Menge Wind vertragen. Was schlimm ist, das ist der konfuse Seegang in der Bering See. Während meiner Nachmittags-Wache kämpfe ich mit zwei gegeneinander laufenden Strömungen und hohen Wellen, auf denen die Walkabout ins Surfen gerät. Unsere Windpilot ist längst ausgestiegen, die kommt mit diesen hohen Wellen nicht klar. Also selber steuern, aber es ist schwierig, den Kurs einigermaßen zu halten. Anspannung pur. Wir beeilen uns. Die Wetterprognosen haben sich jedes Mal verschlechtert, seit wir von der Hagemeister Insel gestartet sind. Inzwischen wird bei PredictWind die ganze Bristol Bay in dunkelrot bis schwarz dargestellt. In der Mitte der Bucht, also da, wo wir gestern noch gewesen sind, toben Böen bis 52 Knoten, das entspricht Windstärke 10. Nicht mehr lustig. 🙁 Wenn wir schnell genug sind, dann bleiben wir im äußeren Randbereich, also treiben wir das Boot kräftig an. Unsere Idee ist, bei der Amak Insel in den Windschutz zu kommen, denn dort ist der Sturm etwas schwächer ausgeprägt.

Um 18.00 Uhr erreichen wir die Insel. 230 Seemeilen in 46 Stunden. Das war sportlich, aber anstrengend. Unsere Hoffnung, im Windschatten der Insel einen Ankerplatz zu finden, zerschlägt sich bald. Wir versuchen es an mehreren Stellen, aber bereits in weiter Entfernung vor dem Strand ist das Wasser dicht mit Kelp bedeckt. Eindeutig zu viel, keine Chance. Inzwischen hat sich der Starkwind auch hier zum Sturm entwickelt. Die Amak Insel bietet keinen geschützten Platz für die kommende Nacht. Wir gehen etwas auf Abstand und drehen bei. Werden abwechselnd unsere Wachen im Deckshaus absitzen und aufpassen, damit der Partner gut schlafen kann. Einfach treiben lassen, in diesem Niemandsland sind wir sowieso alleine. Im Moment geht die Strömung sogar in Richtung False Pass. Etwas über 20 Seemeilen sind es bis zur Ansteuerungs-Tonne. Wer weiß, vielleicht kommen wir ja auf diese Weise auch ohne eigenes Zutun zur richtigen Zeit ( gegen Mittag ) dort an. 😉
Der False Pass sollte nur bei Tageslicht und guter Sicht befahren werden. Unbedingt nur bei Hochwasser hinein, wenn das Wasser nach Süden abläuft. Uns wurde gesagt, andernfalls würden wir rückwärts fahren. Wir haben deswegen noch viele Stunden vor der Einfahrt, die wir mit Bummeln verbringen müssen.