Wir segeln und wandern durch die Welt

Nome – Alaska

Ankunft um 15.00 Uhr am 21. September 2023. Das Anlegen gestaltet sich etwas schwierig, weil unsere Schaltung nicht funktioniert. Es bleibt aufregend bis zum Schluss. Oben an der Kaimauer steht schon der Officer vom Zoll bereit, um uns zu empfangen. Er wartet anständig, bis wir die Leinen festgemacht haben und kommt dann zu uns an Bord geturnt. Was für ein Sonnenschein ! Port Director Andrew Petta ist total entspannt. Er sitzt bei uns im Salon am Tisch und amüsiert sich darüber, dass wir in der heutigen Zeit ohne Internet reisen. Wahrscheinlich sind wir das einzige Boot in der Nord-West-Passage ohne Starlink. Die Formalitäten sind schnell erledigt. Zum Abschluss erklärt Officer Petta sich sogar damit einverstanden, dass wir ein gemeinsames Foto machen. „Aber nicht für Facebook.“

Auch Hafenmeister Lucas ist ein sehr sympathischer Typ. Jung und dynamisch, der macht einen prima Job. Herzliche Begrüßung, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Der von uns ausgewählte Platz ist eigentlich für die Fischerboote, aber wir dürfen zunächst hier liegen bleiben, da wir ein Handykap beim Manövrieren haben. Einklariert in den USA, zum 6. Mal ohne Probleme. Alles sehr unkompliziert. 🙂 Die gelbe Quarantäne-Flagge kann abgenommen werden.
Wir müssen schon wieder die Uhren umstellen. Wenn wir unterwegs sind, dann ist es völlig egal, ob unsere Bordzeit stimmt. Jetzt erfahren wir, dass hier die „Alaska Standard Time“ gilt ( UTC − 9 Stunden ). 

Am Steg liegt die „Que Sera“, die kennen wir aus der Nord-West-Gruppe. An Bord sind zwei hübsche Franzosen um die 30, der Rest der Crew wechselt ständig. Die sind ungefähr zwei Wochen vor allen anderen Booten über die Baffin Bay gesegelt. Eines der ersten Segelboote, die den Weg durch die Bellot Strait gemacht haben. Wie sie dies geschafft haben, das bleibt ihr Geheimnis. Nützt aber alles nichts. Jetzt liegt die Que Sera schon seit längerer Zeit wegen eines Motorschadens in Nome. Die jungen Leute hängen fest, es geht nicht vor und nicht zurück. Den ganzen Tag lang sieht man sie telefonieren, um ihr Problem zu lösen. 🙁 Die Ruderer von der „Hermione“ sind raus. Sie wollten es eigentlich bis nach Tuktoyaktuk schaffen, haben aber bei Cape Alexander aufgegeben, das sind etwa 30 Seemeilen hinter Cambridge Bay. Schade, aber nicht ganz unerwartet. Wer will es ihnen verdenken ? Die jungen Leute haben sich einfach zu viel zugemutet in diesen rauen Gewässern. Das ist wirklich kein Spaß hier. Update von der Ugly Betty : Die Besitzer Nora und Bruce haben ihr Boot verlassen und sind nach Hause geflogen. Denen war der Weg durch die Bering See im September zu ungemütlich. Nicky und Kapitän Jon werden die Ugly Betty alleine nach Hause bringen, denn dafür werden sie bezahlt.

Nome ist eine richtig nette Kleinstadt im Süd-Westen Alaskas. Es gibt hier asphaltierte Straßen, die haben wir schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Und Bäume, ziemlich kleinwüchsig, aber viele verschiedene Arten. Auch das ist neu. Anscheinend lässt das etwas wärmere Klima ein wenig Vegetation zu. Am Ufer finden wir Sandstrand mit Unmengen von Treibholz, dicke Stämme, die der Yukon River anspült. Rostige Boote, verfallene Baracken, schmutzige Autos, Arbeitshosen und Gummistiefel prägen das Bild. Man kommt sich vor wie in einem alten Wild-West-Film. Typisch amerikanisch, aber im positiven Sinne. Skurrile Typen, Cowboys und Alt-Hippies laufen auf der Straße herum. Kleiderordnung gibt es nicht. Jeder trägt, was ihm gefällt. Wir lieben das Ami-Land mit all seinen Verrücktheiten und Verrückten. 🙂

1898 begann der Goldrausch. In der Folge entstand eine Siedlung, die zu ihren besten Zeiten 10.000 Einwohner hatte. Heute leben hier nur noch um die 3700 Menschen. Der Charakter einer alten Goldgräber-Stadt ist erhalten geblieben, und tatsächlich wird auch heute noch nach Gold geschürft. Dutzende von Barkassen mit Saugrüsseln, die sogenannten „Dradgers“, ziehen ihre Kreise im flachen Wasser. Das sind die Glücksritter, die auf einen dicken Fund hoffen. Zum Überleben scheint die Ausbeute zu reichen, nachdem der Sand gründlich gereinigt wurde.

Unzählige Bars und Kneipen sowie urige Läden machen die Flaniermeile in Downtown attraktiv für uns von der Zivilisation entwöhnte Segler. Altmodischer Stil, Goldgräber-Hotels und bemerkenswerte Häuser-Fassaden, an denen wir uns nicht sattsehen können.  Einfach nur cool. Und dann die Leute …. Wir mögen es. 🙂

Mit Handtuch, Seife und Shampoo bewaffnet machen wir uns auf den Weg zum Recreation Center. Das ist eine Sporthalle mit Sauna, und natürlich gibt es dort auch Duschen. Nur dumm, dass draußen an der Tür ein großes Schild hängt mit dem Hinweis : „No hot water !“ Na prima. 🙁 Die erste richtige Dusche seit Cambridge Bay, und wir hatten uns so sehr auf fließendes warmes Wasser gefreut. Wir wagen es trotzdem und zahlen pro Person 7,- USDollar. Teure Reinigung, wahrscheinlich ist dies der Preis, um den ganzen Tag das Fitness-Studio zu nutzen. Egal, sauber fühlt man sich gleich viel besser.

Kleiner Einkauf im Supermarkt. Auch in Nome muss man bei den Preisen noch schlucken. 10,- USDollar für einen Beutel Möhren sind nicht billig, aber das gönnen wir uns jetzt. Außerdem kaufen wir Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Eier und Käse. Mehr nicht, nur das Nötigste. Wir müssen erst nach Gold suchen, um uns Fleisch und andere Luxusartikel leisten zu können. 😉

Der nächste Gang führt zum Visitor Center, wo wir einen Stadtplan, eine Info-Broschüre und freies WLAN bekommen. Dort arbeitet Leon, ein redseliger Mann im Rentenalter. Er nennt sich selber  „Chillylee Nome“ und betreibt eine interessante Facebook-Seite. In der Tourist-Info gibt es eine saubere Toilette und gratis Kaffee. Sehr gute Adresse. 🙂 Nettes Geplauder, anscheinend freut sich der ältere Herr über Besuch. Wir sollen ihn jederzeit anrufen, wenn wir Hilfe brauchen. Auch Obdachlose und Handwerker gehen ein und aus, um sich einen Kaffee abzuholen oder in Gesellschaft von ChillyLee ihr Mittagessen zu verzehren. 

Mittlerweile ist es schon 14.00 Uhr, und wir haben noch nicht einmal gefrühstückt. An der Front Street gibt es ein „Subway“, es ist übrigens das einzige Lokal einer Fast-Food-Kette. Kein McDonald’s, kein Burger King, kein Wendy’s, kein KFC im Ort. Wir bestellen ein Baguette und ärgern uns danach ein bisschen. Wir sind satt, aber das muss man nicht öfter machen. Teuer, dafür hätte man auch „etwas Richtiges“ essen können. Und früher war das Subway besser. Oder meinen wir das bloß, weil wir bisher in den USA immer auf einem Long-Trail unterwegs gewesen sind und dementsprechend Hiker-Hunger hatten ?

Ein Lagerplatz für den Winter hier in Nome, darauf hatten wir gehofft. Das Abstellen wäre sogar erstaunlich günstig. Leider ist das Drumherum viel zu teuer, denn für das Unternehmen „Boot an Land“ ist der Hafen nicht eingerichtet. Es scheint sehr kompliziert zu sein mit dem einzigen Transport-Unternehmen. Zunächst einmal ist der Mann den ganzen Tag telefonisch nicht zu erreichen. Thomas macht sich schließlich zu Fuß auf den Weg und erwischt Roland bei der Arbeit. Der würde den Auftrag mit seiner Firma übernehmen, aber es kostet ein kleines Vermögen. Roland ist bestimmt kein Halsabschneider und gibt sich alle Mühe, uns das Vorgehen und die Preis-Kalkulation zu erklären. Er macht uns sogar eine Zeichnung, damit wir verstehen, wie es funktioniert. Es gibt weder Kran noch Travel-Lift. Ein Trailer fährt über die Rampe ins Wasser. Dann Drücken, Schieben, Zerren und Ziehen. Die Walkabout muss auf dem Anhänger ausbalanciert und mit Gurten sicher festgeschnallt werden. Danach folgt die Fahrt zum Gelände. Der Anhänger wird über den Winter anderweitig gebraucht, deswegen müsste unser Boot abgelassen und an Land aufgebockt werden. Nächstes Frühjahr dann dasselbe Spiel rückwärts. Das bedeutet stundenlange Arbeit für mehrere Männer. Jede Bewegung des Schiffes soll 4000 Dollar kosten. Raus. Runter. Rauf. Rein. Unser Boot muss nach dieser Rechnung 4 mal angefasst und bewegt werden, was pro Vorgang mit 4000 Dollar zu Buche schlägt. Das Herausheben des Bootes und im Frühjahr zurück ins Wasser würde so insgesamt 16000 Dollar kosten. Unerschwinglich für uns, da müssen wir gar nicht lange drüber nachdenken. Die Sache können wir abhaken. Beide sind wir enttäuscht, denn wir hatten uns schon auf Ruhe und Camping-Zustand gefreut. Nützt aber nichts, der Preis ist einfach indiskutabel.

Thomas macht sich auf die Suche nach dem dringend benötigten Schaltkabel für unser Getriebe. Bereits in der zweiten Werkstatt wird er fündig. Das Ding ist viel zu lang, aber es gibt keine Auswahl. Das erfordert nun aufwändige Umbau-Arbeiten, die damit beginnen und enden, dass die gesamte Backskiste ausgeräumt werden muss. Warum gibt es auf einem Boot bloß so viele Ecken, an die man nicht drankommt ? Die Bastelei ist kein leichter Job für meinen Kapitän, wie man an seinen Schimpftiraden hört. Dauert ein paar Stunden, aber letztendlich ist das Ergebnis gut. Die Schaltung funktioniert wieder, und zwar leichter als vorher. 🙂

Wasser ist aufgefüllt, das bekommen wir umsonst an der Pier. Thomas fährt mit einem Handkarren zur Tankstelle und tankt 6 Kanister voll. Hoffentlich ist das bald vorbei mit der Diesel-Verbrennerei. Wir haben doch ein Segelboot ! Ungefähr die Hälfte der leeren Kanister werden gleich vor Ort entsorgt, dadurch sieht unser Deck schon viel besser aus.

Nach unseren Informationen kann man im Senior Center für ein geringes Entgelt waschen, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Okay, das checken wir aus, und es klappt. Nach US-Maßstäben sind wir Senioren, während wir in Deutschland noch 6 Jahre für die Rente arbeiten müssten. 😉 Schon auf dem Weg dorthin hält ein Kleinbus, und der Fahrer bietet an, mich zum Altenheim zu bringen. Anscheinend kennen die das schon, dass Segler mit IKEA-Taschen voller Schmutzwäsche vom Hafen in die Stadt laufen. Von der Heimleiterin über Pfleger bis zur Reinigungskraft sind alle unheimlich freundlich. Das ein oder andere Schwätzchen gehört dazu. Dann sind die nötigsten Sachen wieder sauber für die Weiterreise, die Bordfrau ist sehr zufrieden. Anschließend schaue ich noch kurz im Visitor Center vorbei, um mich zu verabschieden. Dort sitzt ein Arbeiter und verbringt gerade seine Mittagspause mit ChillyLee. Ein Blick auf meine große Tasche, dann fragt er, ob er mich zum Hafen bringen soll. Der Weg ist nicht besonders weit, aber die Wäsche wiegt schwer. Ich nehme das Angebot gerne an und schwinge mich auf den Vordersitz seines Trucks. Mein neuer Fahrer nennt sich „Master Dan“ und erzählt Geschichten aus seinem Leben, während wir unterwegs sind. Seine Frau ist letztes Jahr auf tragische Weise ums Leben gekommen. Sie war auf dem Weg in den Nachbarort Teller und ist auf der Eis-Straße mit dem Snow Scooter verunglückt. Zur Zeit arbeitet Dan in verschiedenen Häusern daran, die Tornado-Schäden aus dem Winter 2022 zu reparieren. Es war uns nicht bewusst aufgefallen, aber wenn ich jetzt drüber nachdenke….. Ja, es gibt einige Lücken in der Front Street von Häusern, die der Tornado weggerissen hat. Die zeitweilig Obdachlosen Menschen wurden damals in der Turnhalle des Recreation Centers untergebracht.

Die Amis haben ein komisches Verhältnis zum Laufen. Zum Beispiel habe ich ChillyLee gefragt, wie weit es zum Flughafen ist. ( Da dachte ich noch, dass wir das Boot hier lassen können. ) Seine Antwort war : 5 Meilen. Ein älterer Herr, der mitgehört hat, korrigiert ihn : 3 Meilen. Am Nachmittag mache ich einen kleinen Marsch zum Flughafen, den ich schon nach einer halben Stunde erreiche. Na, das waren jetzt aber allerhöchstens 2 Meilen zu Fuß. Air Alaska unterhält regelmäßige Flug-Verbindungen zu allen größeren Städten der USA. Die kleinen Maschinen scheinen halbstündlich dicht über den Dächern der Häuser zu fliegen.

Auf dem Rückweg komme ich am Friedhof vorbei. Der ist recht groß, hat ein weitverzweigtes Wegenetz mit kleinen Anpflanzungen von Bäumen. Ganz nett gemacht, so schön, wie ein Friedhof nur sein kann. Bei meinem Spaziergang entdecke ich einige originelle Grabstätten, die darauf hindeuten, dass Nome ein Schmelztiegel von interessanten Menschen ist. Sehr individuell, gar nicht langweilig.

Das war’s. Wir hatten leider nur 2 Tage Zeit in einer wirklich sehenswerten Stadt, eigentlich viel zu kurz. Wir würden gerne mehr Zeit in Nome verbringen, aber wir können nicht länger bleiben. Die Herbststürme drohen, das Wetter wird täglich schlechter. Der Hafen von Nome friert bereits im Oktober zu. Dann sind wir weg. Wir werden morgen ablegen und uns erneut durch die Bering See kämpfen. Es zieht uns weiter Richtung Süden. Wir brauchen für den weiteren Weg keine Eiskarten mehr. Das Thema ist Schnee von gestern. Auf der anderen Seite der Aleuten soll das Klima besser sein. Dort im Golf von Alaska werden wir einen guten Winterplatz  für die Walkabout suchen.