Wir segeln und wandern durch die Welt

Big Cypress bis Clewiston

Unser Fahrer Clint kommt früher als erwartet. Plötzlich muss alles ganz schnell gehen. Auto leerräumen und abstellen, einmal zum Geld-Automaten und los. Genau den Weg von gestern fahren wir nun bei Tageslicht zurück und erkennen bereits entlang der Straße, dass der Wasserstand recht hoch ist. Das konnten wir im Dunkeln gar nicht sehen. Nasse Füße sind also vorprogrammiert. Entlang des Tamiami Trails lebt ein Indianer-Stamm, der „Miccosukee Tribe“. Von Clint erfahren wir, dass es denen finanziell relativ gut geht. Jeder Indianer in diesem Reservat bekommt 1400,- US€ monatlich vom Staat, zusätzlich machen sie fleißig Geschäfte mit den Touristen. Wir finden es eher traurig, wie wenig und was für schlechtes Gebiet man den Indianern überlassen hat. Das Land ist unbrauchbar für Ackerbau und Viehzucht, noch nicht einmal zum Jagen geeignet. Plan-Änderung, weil der Campingplatz ausgebucht ist. Wir registrieren uns selber am Kiosk, werfen unseren Abschnitt in den dafür vorgesehenen Kasten und befestigen das Permit am Rucksack. Eine Voraussetzung für das Durchqueren des Indianer-Gebietes ist die Mitgliedschaft in der Florida Trail Association. Ja, ich bin schon seit Juni letzten Jahres Mitglied und habe meinen Jahresbeitrag entrichtet. Meinen liebsten Hiking-Partner habe ich natürlich mit angemeldet. Denke also, dass es mit unserer Selbst-Registrierung so okay ist. Einen einzigen Tag im Jahr hat das Visitor Center geschlossen, und wir Experten kommen genau am 1. Weihnachtstag an. 😉

Zunächst können wir Alligatoren bestaunen, die direkt neben der Straße im Kanal ihre Mittagsruhe halten. Zum Anfassen nah, nur durch einen Bretterzaun vom Publikum getrennt. Südlich vom Visitor Center liegen die Everglades.

Unsere Wanderung verläuft nach Norden durch den Big Cypress National Park. Um 13.00 Uhr machen wir die ersten Schritte auf dem Florida Trail, noch etwas unorganisiert und mit zu schwerem Gepäck. Kurze Zeit später stapfen wir bereits durch knietiefes Wasser. Die ersten 50 Meilen oder so wird das Gelände sumpfig bleiben. Feucht und matschig, von fauligen Baumstümpfen und Pflanzenteilen durchzogen. Das Wasser ist warm, schätzungsweise 30°.

Bereits vor der Markierung „Mile 2“ stolpert Thomas beinahe über eine Schlange. Das heißt, er kann rechtzeitig stoppen, und ich pralle von hinten fast auf ihn. Die Schlange liegt in der Mitte des Pfades zwischen den Steinen und sonnt sich. Braun mit dunkelbraunem Muster. Wenn sie ihr Mäulchen öffnet, dann sieht das Innere weiß aus. Es handelt sich um eine „Cottonmouth“, eine Wasser-Mokassinotter, und die ist giftig. Die Schlange hebt den Kopf in unsere Richtung und züngelt. Okay, wir haben die Warnung verstanden. Es gibt sie hier !

Als nächstes sehen wir vor uns ganz deutliche Abdrücke von ziemlich großen Katzen-Pfoten, die deutlich im Matsch zu erkennen sind. Panther-Spuren auf dem Trail. Auch diese Raubkatzen sind also in der Nähe. Manchmal schwingen sich Reiher oder andere große schwarze Vögel aus den Bäumen in den Himmel, wahrscheinlich weil sie sich von uns gestört fühlen. Was noch ? Viele Schneckenhäuser liegen am Rand des sumpfigen Pfades. Alle weiß, fast durchscheinend, wie von der Sonne gebleicht, Durchmesser 5-6 Zentimeter. Wir sehen einige Scheren von Fluss-Krebsen und ein Schlangen-Skelett. Da schwimmt ein Wurm, der aussieht wie ein Stück Holz und so tut, als ob er tot ist. Bunte Libellen schwirren umher. Wir treffen nur einen einzigen Menschen, einen jungen Mann, der eine 3-Tages-Tour macht. Um 18.00 Uhr erreichen wir das 10-Mile-Camp. Nur die Silhouetten der hohen Bäume heben sich vor einem schönen Sonnenuntergang ab, sonst ist die Landschaft flach. Gerade mit dem letzten Tageslicht steht das Zelt inmitten von Fächerpalmen . 🙂

Eine Regel hat Clint uns mit auf den Weg gegeben : Je höher die Cypressen, umso tiefer ist das Wasser. Stimmt, das können wir bereits nach einem Tag bestätigen. Auch mit den Moskitos hat er Recht gehabt : Mossis sind morgens und abends aktiv. Kaum haben wir unser Lager errichtet, da geht es los. Doppelte Lage Kleidung sowie Insektenspray halten die Plagegeister nicht ab. Sie surren und schwirren uns um den Kopf, so dass wir ganz schnell im Zelt verschwinden. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass wir viel Schlaf bekommen werden in der nächsten Zeit. 😉 Tolle Abendstimmung : Grillen zirpen, Frösche quaken, Glühwürmchen fliegen um uns herum.

11 Stunden Nachtruhe. Wir werden wach von lautem Vogelgezwitscher. Zelten im Sumpf. Zwar auf einem eigens dafür vorgesehenen Plätzchen, etwas erhöht, aber trotzdem ist am nächsten Morgen alles nass. Es tropft innen von den Zeltwänden. Aber die Sonne steigt schnell höher, der Picknick-Tisch ist trocken. In unserem Kaffee-Wasser ist Leben, trotzdem lassen wir uns nicht abhalten. Eine Stunde Kaffeetrinken, erst danach starten wir mit steifen Knochen. Graue Greifvögel und weiße Reiher sitzen in den Bäumen. Sie machen ein Heiden-Spektakel und warnen die anderen Vögel, dass da zwei Menschen kommen. Besonders elegant sieht es aus, wenn die Seidenreiher ihre Flügel ausbreiten und sich mit einer Spannweite von 1,50 bis 2 Metern in die Lüfte schwingen. Mitten auf dem Trail sehen wir eine riesige Heuschrecke. Orange-braun mit schwarzen Linien, ein kräftiges Tierchen, sicherlich 10 Zentimeter groß. Sieht hübsch aus, es leuchtet richtig bunt in der Sonne. Kurz darauf sitzt noch so ein Insekt auf dem Weg, dieselbe Größe, dasselbe Muster. Und eine dritte Heuschrecke derselben Art, jedoch etwas kleiner. Wir fragen uns, ob diese Insekten wohl in den Erdlöchern wohnen, die uns seit gestern am Wegesrand begleiten.

Erneut Panther-Spuren vor uns, aber diese Raubkatzen sind so scheu, das wir wohl keine zu sehen bekommen werden. Heute ist der Wasserstand auf unserem Pfad durchweg tiefer als gestern. Man muss die Beine ordentlich anheben. Die Füße versinken im Schlamm. Herausziehen ist schwieriger als das Versinken, weil die Schuhe zäh festgehalten werden. Und die Schuhe werden immer schwerer vom Modder, der daran klebt. Meine Güte, was ist das anstrengend ! Aber das war klar, wir haben es vorher gewusst. Diese erste Etappe soll die schwierigste auf dem gesamten Florida-Trail sein. So eine Einschätzung ist natürlich immer sehr subjektiv. Wir werden sehen ….

Unsere Wanderung dauert noch keine 24 Stunden, aber ich sehe schon aus, als ob ich seit 3 Monaten im Sumpf leben würde. Könnte natürlich an meinen hellen Sachen liegen. Ich nenne es „Sonnenschutz-Kleidung“, Thomas sagt zu meinem Oberteil „Konfirmandenbluse“. Mein Mann sieht noch gut aus. Schlamm-farbene Hose und dunkelblaues T-Shirt werden unauffällig schmutzig. 😉 Kleiner Schwächeanfall am Nachmittag. Im Morast sind Baumstümpfe, Steine und Löcher verborgen. Aus irgendeinem nicht ersichtlichen Grund stolpere ich, strauchle ein paar Meter und kann mich dann doch nicht auf den Beinen halten. Das Gewicht des Rucksacks reißt mich herum, ich falle hin und schlage mir den Kopf an. Eine Beule, eine blutige Schramme an der Stirn, mehr ist nicht passiert bei dem Sturz. Thomas hilft mir auf – immerhin bin ich inzwischen schon mehrfache Oma. Und weiter geht’s. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. 😉

Die Vegetation ändert sich. Statt der kahlen Cypressen gibt es zunächst dünne Kiefern, später kommen Palmen hinzu. Der Pfad ist am Boden kaum erkennbar, total zugewachsen, aber an den Bäumen sehr gut orange markiert. Das Dickicht wird immer wilder, wir kommen uns vor wie im Dschungel.

Pause am 13-Mile-Camp. Hier gibt es ebenfalls einen Picknick-Tisch, sehr luxuriös. Leider aber auch viele nervige Fliegetiere und Poison Ivy, eine Giftpflanze, die starke Haut-Reizungen verursacht. Noch etwa 3 Stunden Laufen haben wir uns vorgenommen. Dummerweise nehmen wir viel zu früh Wasser auf und schleppen das dann weitere 5 Kilometer über den Trail. Wir brauchen 4 Liter zum Trinken, Kochen und für den Kaffee morgens früh. Da waren wir wohl zu voreilig, denn es kommen noch mehr und bessere Gelegenheiten. Das Wasser wird aus dem Big Cypress Dom entnommen, das ist der schmale Pfad, auf dem wir laufen. Je tiefer und ruhiger, umso klarer ist es, wird natürlich trotzdem noch gefiltert.

Den ganzen Tag über sind wir wieder alleine geblieben. Allerdings haben wir mehrfach Spuren von großen Schuhen im Matsch gesehen, demnach haben wir einen männlichen Wanderer voraus. Ich finde eine nagelneue Sitz-Matte auf einem trockenen Stück, die sieht aus, wie gerade erst verloren. Ich nehme sie mit, vielleicht holen wir den Besitzer in den nächsten Tagen noch ein und können ihm damit eine Freude machen. Genau solche Thermo-Unterlagen haben wir auch, zwei Stück an der Zahl. Unerlässlich, damit man sich in diesem Gelände wenigstens einmal kurz hinsetzen kann. Unser Nachtlager bauen wir auf Pine Island auf. Laut Handbuch soll es der letzte einigermaßen trockene Platz sein vor Oak Hill Camp. Dazwischen liegt eine sehr schwierige Strecke, das schaffen wir nicht mehr vor dem Dunkelwerden. Außerdem können wir am Ende des zweiten Tages unsere Beine kaum noch heben. Kräfte-zehrend ist das hier. Ein bisschen wie Aqua-Gymnastik für Senioren, jede Bewegung im Wasser ist viel anstrengender als man denkt. Laufen im Sumpf dauert doppelt so lange wie Wandern auf trockenem Terrain. Wahrscheinlich verbrauchen wir auch doppelt so viele Kalorien, denn wir haben Hunger !

Man sollte früh ins Zelt, bevor die Moskitos aktiv werden und erst so spät aufstehen, dass die Quälgeister sich schon wieder zur Ruhe begeben haben. Das führt zu vollen 12 Stunden in der Waagerechten plus eine Stunde Kaffeetrinken im Zelt. Ausgeruht sind wir, unsere Körper haben sich gut erholt. Ich habe trotzdem einige dicke Stiche zu vermelden. Entweder haben mich die Mossis gestern beim Zähneputzen erwischt, oder wir hatten während der Nacht einen ungebetenen Gast im Zelt. Sonnencreme und Hut sind ein Muss, noch bevor wir das Zelt verlassen. Dann steigen wir in die klitschnassen Klamotten von gestern. Alles Andere macht gar keinen Sinn. Das tiefste Wasser im Big Cypress National Park erwartet uns bald nach dem Aufstehen. Eine Meile pro Stunde soll man hier nur schaffen. Langsames Vorankommen auf dieser Etappe. Wir haben Zeit. Einzig und allein der Wunsch nach Nahrung, Restaurant, Café, Einkaufsladen treibt uns an, schneller in die Zivilisation zu kommen. Schon 50 Meter nach unserem Lagerplatz geht es los. Vor uns liegt die größte zusammenhängende Wasserfläche des Big Cypress. Ohne Unterbrechung stapfen wir ungefähr 3 Meilen bzw. 5 Kilometer durch sumpfiges Wasser, welches mehr als Knie-Höhe erreicht. Quer über den Trail sind Spinnennetze zwischen den hohen Cypressen gewoben. Das macht unsere Wanderung auch nicht angenehmer, weil der Vordermann die Dinger ständig im Gesicht hängen hat. Ein Dutzend Seidenreiher sitzen dicht an dicht in den wenigen Bäumen links von uns. Anscheinend ist das deren Schlafplatz, und es herrscht noch Morgenruhe. Erstaunlicherweise gibt es vereinzelte Blumen, die vorwitzig ihre Köpfchen in Richtung Sonne strecken. Rot, gelb, blau, lila oder weiß, ein bisschen Farbe mitten im Sumpf. Faszinierend ! 🙂 Fotos können wir leider nicht machen, denn natürlich haben wir unsere elektronischen Geräte doppelt wasserdicht verpackt im Rucksack verstaut.

Nach etwa 2 Stunden erreichen wir einen Abzweiger, der tatsächlich nach einigen Schritten zu einem mehr oder weniger trockenen Platz führt.  Das „Oak Hill Camp“ wollten wir uns unbedingt ansehen, denn in den Kommentaren unserer Handy-App hat ein Wanderer geschrieben, dass dort verlassene Crocs stehen sollen. Thomas hat keine Camp-Schuhe, der läuft in den Pausen und abends mit seinen nassen Wanderschuhen herum. Also wenn die Dinger noch da stehen und passen würden, das wäre optimal. Bingo ! Zunächst sehen wir nur einen, bald darauf finden wir den zweiten Schuh. Keine echten Crocs, sondern Billig-Marke, und viel zu groß, aber erstmal helfen sie weiter. Sehr schön ! 🙂 Ein Spruch auf den Longtrails besagt : „The trail takes and the trail provides.“ Der Trail nimmt, und der Trail gibt. Das stimmt wirklich. Man verliert so viel Zeug, wenn man monatelang nur mit dem Rucksack unterwegs ist. Genauso oft freut man sich aber auch über nützliche Dinge, die man gerade im richtigen Moment findet, als ob Jemand sie extra hingelegt hat. Das Oak Hill Camp ist dunkel, es riecht nicht gut. Viele Moskitos nerven schon, bevor wir uns richtig hingesetzt haben. Schlechtes Karma ! Wir haben keine Lust, uns hier für eine längere Pause niederzulassen. Es geht weiter, noch einmal liegt so eine ewig lange Strecke durch tiefes Wasser vor uns. Wir erreichen einen Teich mit hohen Grünpflanzen, die winken anscheinend zu uns herüber. Das ist der „Alligator Flag“. Unsere Planungs-Unterlagen sagen, dass Alligatoren dieses Wasser bewachen. Vorsicht ! Wir haben noch einen ganzen Liter Gefiltertes, da kommen wir gut mit zurecht. Uns reicht das Wasser stellenweise bis zum Oberschenkel, jedoch sind die Rucksäcke nie in Gefahr, solange man nicht ausrutscht. Mühsam, mühsam. Schon merken wir, dass die Kräfte schwinden, dabei sind wir erst 4 Stunden auf den Beinen. Es soll genauso weitergehen, mindestens noch weitere 3 Stunden. Wir brauchen eine Erholungs-Pause und setzen uns an den Rand einer überfluteten Forststraße, die unseren Pfad kreuzt. Mit Iso-Matte unter dem Po wäre das ein halbwegs guter Platz, aber andere Lebewesen finden das wohl auch. Thomas setzt sich hin, während ich neues Wasser schöpfe. Schon bald höre ich ihn fluchen. Ameisen ! Die haben sich genau dieses trockene Fleckchen ausgesucht und wollen über uns herfallen. Also packen wir schleunigst unser Zeug wieder zusammen und versuchen es am anderen Ufer. Nicht gemütlich, aber für eine kurze dringend notwendige Pause reicht es. Am frühen Nachmittag passieren wir den „30-Mile-Marker“. Kurz danach falle ich tatsächlich in den Bach. Thomas watet voraus und wühlt dadurch die Sedimente auf. Ich kann den Boden nicht sehen, trete unglücklich in ein blödes Loch. Schwupps – schon sitze ich im Wasser, welches hier zum Glück nur bis zum Knie reicht. Ich bin komplett nass bis zur Hüfte. Den Rucksack konnte ich retten, das ist das Wichtigste. Ein Foto gibt es leider wieder nicht von diesem kleinen Zwischenfall.


Danach wird das Wasser leider noch einmal tiefer. Irgendwo auf diesem Stück gibt es das „Alligator Hole“. Keiner zu Hause, auf jeden Fall laufen wir einfach vorbei, ohne etwas zu bemerken. Durch die „Panther Lagoon“ müssen wir auch noch, das hört sich ebenfalls nett an. Das Wasser reicht bis zum Oberschenkel hoch. Unser Tempo wird immer langsamer. Wir können beide die Füße kaum noch anheben und stolpern nur noch verbissen vorwärts. Nützt ja nichts, da müssen wir jetzt durch. Ich habe inzwischen nur noch Pudding in den Beinen. Völlig unverhofft zweigt ein schmaler Pfad ab, grüne Bäume versprechen trockenes Land. Und richtig, die Spur führt zu einer Erhebung mit Sträuchern und Bäumen, in der Mitte ein Platz für unser Zelt. „Thank God Island“ – was für ein passender Name ! Ein kleines Inselchen inmitten dieser Wüste aus Wasser und Cypressen. Es ist eigentlich noch viel zu früh für Feierabend. Erst halb vier, aber wir sind gar. Die Waden zucken. Nur 10 Kilometer geschafft, vom frühen Morgen an sind wir ausschließlich durch’s Wasser gestapft. Dieser Platz ist wunderschön und kommt wie gerufen. 🙂 Dann liegen wir heute eben schon um 18.00 Uhr im Zelt, auch das ist völlig egal. Wir haben keine Lust mehr und müssen uns ausruhen. Morgen ist ein neuer Tag, da geht es mit neuer Energie sicher besser weiter. Keine Menschenseele getroffen, das wundert uns jetzt nicht mehr. Kleine Echsen klettern an den Bäumen hoch und tummeln sich in der Abendsonne. Wahrscheinlich sind die auch froh, dass sie noch nicht abgesoffen sind. 😉

Bereits um 8.30 Uhr sind wir unterwegs. Wir stehen sofort wieder im Wasser, sobald wir unser kleines Inselchen verlassen. Seidenreiher sind wohl keine Früh-Aufsteher. Überall sitzen sie in den hohen Bäumen ringsum – 20, 30 oder mehr, wohin man schaut. Nach ungefähr 1,5 Kilometern erreichen wir den nächsten trockenen Flecken. Dieses kleine Stück hätten wir gestern auch noch geschafft, es hätte aber keinen Vorteil gebracht. Das Ivy Camp bietet Platz für mehrere Zelte, ist aber nicht so sauber und kuschelig wie unser Platz der vergangenen Nacht. Mitten im Sumpf, zwischen Wasser und kahlen Cypressen-Stämmen, entdecken wir eine echte Schönheit. Eine hübsche Blume, die sich weit herauswagt, ähnlich einer pink-farbenen Margerite. 🙂

Ansonsten präsentiert sich dasselbe Bild wie gestern. Eine trostlose Wasser-Landschaft, unser Pfad führt zwischen dünnen Cypressen-Stämmen hindurch. Erst nach 4 Stunden sind wir heraus aus diesem Schlamassel. Deutliche Pfoten-Abdrücke von Raubkatzen vor uns auf dem Trail. Wunderbar, das erste Mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ist doch gleich ein besseres Vorankommen. Zwar stapfen wir nach wie vor durch Matsch, in den Senken immer wieder unterbrochen von tiefen Pfützen. Aber es ist schon eine wesentliche Verbesserung zu gestern. Es tut gut, einfach nur zu laufen, ohne ständig auszurutschen. Wir nähern uns dem Highway, können schon den dichten Verkehr hören. An der Feuerwehr-Station von Greater Naples setzen wir uns auf deren Kies-Umrandung und empfinden diesen Pausen-Platz als herrlich sauber. Wir müssen eine Registrierung für die kommende Etappe ausfüllen und eine Erlaubnis für die Durchquerung des nächsten Indianer-Reservates haben. Nach unseren halbschlauen Informationen sollte es ganz einfach am Handy möglich sein. Wir sind unangenehm überrascht, als wir herausfinden, dass man dieses zwei Wochen im voraus machen sollte, ausdrucken, unterschreiben, hinschicken etc. 🙁 So funktionieren wir nicht. Wir wussten vor zwei Wochen noch gar nicht, dass wir jetzt hier stehen. Vor 14 Tagen hatten wir gerade erst in Morehead City eingecheckt und haben unsere mehrtägige Fahrt zur Lamb’s Marina auf dem ICW begonnen. Schwierig, schwierig. Unser Leben ist manchmal kompliziert. 😉 Eine Stunde lang sitzen wir etwas ratlos vor der Feuerwache herum und versuchen, den weiteren Weg zu planen.

Thomas hat Internet und schaut nach einer Möglichkeit, den Trail heute fortzusetzen. Keine Chance, denn ohne ausdrückliche Erlaubnis wollen wir dieses Indianer-Gebiet nicht betreten. Die nächste Option wäre, vom Süd-Tor auf der Straße bis zum Nord-Tor zu marschieren und so das Reservat zu umgehen. Aber das ist eine Interstate – Autobahn – und deswegen natürlich streng verboten. Wir entschließen uns zum Trampen, nicht gerade einfach in Corona-Zeiten. Etwa eine weitere Stunde stehen wir an der Straße und halten den rechten Daumen hoch. Dann hält ein cooler Typ, ein Türke, der schon seit einigen Jahren als Architekt in den USA arbeitet. Ein toller Mensch, wir lieben solche Bekanntschaften. Nach einer Viertelstunde Autofahrt setzt Rasim uns an einer Tankstelle der Miccosukee-Indianer ab.

Eine nagelneue Tesla-Station für ein Dutzend Elektro-Autos fällt sofort ins Auge. Aber auch sonst ist die Anlage unfassbar modern und super sauber. Toiletten, Mülleimer und Picknick-Tische gibt es. Die Tische sind in den Farben des Miccosukee-Tribes gehalten. Genau wie die deutsche Flagge : schwarz-rot-gold. Nur dass die Flagge der Miccosukee-Indianer oben noch einen weiteren weißen Streifen hat. Kleiner Einkauf zu Apotheken-Preisen : Sandwich, Banane, Cola und Hot Dog verzehren wir sofort an einem der Picknick-Tische. Von hier aus können wir das Seminole-Gebiet auf einer Nebenstraße östlich umlaufen und morgen am Nord-Tor wieder auf den Florida-Trail treffen. Links der Straße ein Kanal, rechts ein Kanal, beide total zugewachsen mit den großblättrigen Alligator-Pflanzen. Ein Wagen der Polizei kommt uns entgegen, die Beamten winken uns freundlich zu. Sehr nett. 🙂 In Rambo-Filmen wird man vom Sheriff wegen Landstreicherei der Straße verwiesen, wenn man so aussieht wie wir. Immerhin  habe ich eine saubere Bluse angezogen, die weiße ist zerrissen und wurde an der Tankstelle entsorgt. Eine kleine schwarze Schlange windet sich am Straßenrand und verschwindet im Gras. Rinder weiden auf der rechten Seite. Plötzlich werden die Kühe ganz aufgeregt und muhen laut. Etwa ein halbes Dutzend Kälber fängt an, gleichzeitig zu rennen. Vom Kanal, der auf dieser Seite breiter und tiefer ist, hören wir seltsame Geräusche, ähnlich dem Grunzen von Schweinen. Wir wissen nicht, was für Geräusche Alligatoren machen, aber vermutlich solche wie diese …. Ich werde in dieser Nacht ganz bestimmt nicht alleine aus dem Zelt gehen. Bis zum Sonnenuntergang laufen wir entlang der Straße, weichen aus an die Seite in Gras und Müll, wenn ein Auto von vorne kommt.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit stehen wir vor einem riesigen Schild, dass uns willkommen heißt im Seminole-Reservat. Da drin möchten wir nicht zelten, ist ja nur auf Bezahl-Plätzen mit Anmeldung erlaubt. Wir schlagen uns kurz vor dem Schild in die Büsche und finden einen akzeptablen Platz für die Nacht. Leider verseucht mit Moskitos, deswegen bauen wir schleunigst das Zelt auf und schmeißen unsere Rucksäcke hinein. Gekocht wird nicht mehr, zum Glück haben wir an der Tankstelle ordentlich gegessen. Im Zelt liegend, während ich noch schreibe, höre ich dieses tiefe Grunzen in der Nähe. Nein – ich gehe nicht raus, bevor es hell wird.

Schlecht geschlafen. Furchtbares Gejaule von Hunden während der Nacht. Von vielen Hunden, es muss ein ganzes Rudel gewesen sein. Wahrscheinlich war das Kojoten-Geheule, und es schien ganz in der Nähe zu sein. Meine Iso-Matte ist platt. Die Luft entweicht relativ schnell, ich musste während der Nacht mehrmals neu aufblasen.

Sind schon um Viertel vor 8 auf der Straße unterwegs. Wir laufen auf der Snake Road, und die scheint unendlich lang zu sein. Hohes Schilfgras säumt den Rand unseres Weges. Der rechte Kanal ist total zugewachsen von Seerosen mit gelben Blüten. Sieht hübsch aus, richtig idyllisch …. wenn doch bloß die Alligatoren nicht wären. Wir staunen über eine Halloween-Maske am Straßenrand. Haben keine Verwendung dafür, deswegen lassen wir die Fratze im Gras liegen. Wir entdecken allein auf unserer Seite 4 tote Schlangen. Es heißt ja hier auch „Snake Road“. 😉 Ein toter Alligator liegt auf der Straße. Der ist schon zum Teil skelettiert, Kopf abgetrennt daneben, und er stinkt. Im Graben liegt ein weiteres verwesendes Fellbündel, aber das schauen wir uns gar nicht genauer an.

Wasser müssen wir aus einem der Kanäle am Straßenrand holen. Ein kleiner Alligator schwimmt darin, etwa einen Meter lang und aktuell nicht an uns interessiert. Thomas sucht sich eine geeignete Stelle, legt sich bäuchlings hin und füllt 4 Liter ab, während ich daneben Schmiere stehe und das Wasser beobachte. Unheimlich.

Schwarz-gelbe Zebra-Schmetterlinge flattern um uns herum. Ein Abzweiger von der Hauptstraße verspricht etwas Schatten. Leider wächst überall Poison Ivy, die tückische Giftpflanze. Thomas ist erfinderisch und breitet seinen Regenponcho als Decke auf dem Boden aus. Noch eine Stunde weiter auf der Snake Road, dann treffen wir wieder auf den Florida Trail. Noch nicht ganz, denn dieser liegt links vom Kanal im Gebiet der Seminole-Indianer. Wir laufen parallel dazu auf der rechten Seite des Kanals. Eine öffentliche Straße, wir brauchen keine spezielle Erlaubnis. An einer wenig befahrenen Nebenstraße vereinigen sich beide Wege, nun sind wir wieder „on trail“  und können den orange-farbenen Markierungen folgen. Gestern um die Mittagszeit saßen wir ziemlich ratlos vor der Feuerwache, knapp 24 Stunden später ist das Problem gelöst. Ein Wagen kommt uns entgegen und hält an. Der Fahrer fragt, ob wir okay sind. Sehr nett. Ja, alles gut, obwohl das Wandern auf dem hellen Schotter in der Mittagshitze keinen Spaß macht. So kennen und lieben wir die Amis : Es gibt zwar auch viele Armleuchter im Land, aber auf abgelegenen Strecken treffen wir immer nur sehr hilfsbereite Menschen. Am Rande dieser vor Hitze glühenden Schotterstraße sitzen dicke schwarze Vögel in den Büschen. Wahrscheinlich Aasfresser, die auf ihr Frühstück warten. Ein Beton-Bollwerk verspricht etwas Schatten, dort machen wir lange Pause auf einer Mauer. Während wir uns niederlassen, gibt es einen lauten Platsch, und die Seerosen werden auseinander gewirbelt. Das muss wohl ein größerer Alligator sein. Wir haben einen guten Beobachtungsposten und können zwei Alligatoren beobachten, die ganz entspannt im Kanal ihre Bahnen ziehen. In Ruhestellung kann man nur ihre hervorstehenden Augen aus dem Wasser ragen sehen. Ist schon komisch, denen so nahe zu sein. Hoffentlich fällt nichts runter. Können Alligatoren überhaupt springen ? Und wie hoch würden die nach oben reichen, wenn sie einmal zuschnappen ? Haferflocken-Frühstück bzw. eher Mittagessen mit besonderem Nervenkitzel. Ein Adler zieht majestätisch seine Kreise über uns.

Etwas voraus sehen wir ein merkwürdiges Fahrzeug auf dem Wasser, sehr wenig Tiefgang, ein riesiger Propeller hinten dran. Thomas quatscht mit dem dazu gehörigen Mann – natürlich. 😉 Der nennt dieses Ding „airboat“. Es ist ein propellerbetriebenes Sumpfboot, mit dem man sich durch Gleiten in flachen Gewässern vorwärts bewegen kann. Der Seminole-Indianer fährt damit tatsächlich über die Kanäle. Er arbeitet für die Wasser-Aufbereitungs-Gesellschaft und besprüht eine eingeschleppte Art von Wasserpflanzen mit Chemikalien. Diese Wasser-Pest verdrängt die endemischen Pflanzen und breitet sich ungewollt immer mehr aus. Interessant, da kommt man ja im Vorbeilaufen nicht selber drauf. Mir behagt der Gedanke gar nicht, dass wir die nächsten zwei Nächte am Deich zwischen den Kanälen unser Lager aufbauen müssen. Thomas fragt den Mann noch ein bisschen über die Gewohnheiten der Alligatoren aus. Nein, die tun uns nichts. Die kommen nicht bis zum Zelt. Und überhaupt haben die mehr Angst vor uns als wir vor denen …. Na, dann ist es ja gut. 😉 Unser Pfad führt wieder zwischen zwei Kanälen hindurch über einen Mitteldeich. Überall zu beiden Seiten sehen wir nun Alligatoren. Die schwimmen im Wasser oder ruhen am Uferrand. So langsam gewöhnen wir uns an die Tierchen. 😉 Nächste Überraschung : Wir kommen an einen Trupp mit Bauarbeitern, der aus drei gutaussehenden Männern indianischen Ursprungs besteht. Sehr ästhetisch, der Jüngste mit seinen langen schwarzen Locken unter einem Tuch ist wirklich bildhübsch. Zwei reparieren einen Rasenmäher, der dritte kürzt mit einer Elektro-Sense das Gras am Deich. Fleißig, fleißig sind die Seminolen. Der Älteste fragt, ob wir Wasser möchten. Klar, gerne. Schon bekommen wir beide eine Flasche eiskaltes Wasser in die Hand gedrückt. Oh, das tut so gut nach einem schweißtreibenden Marsch in der Sonne. Der nächste bietet jedem von uns eine Flasche Gatorate Orange an. Wir nehmen auch diesen kalten Energiespender gerne an. Dann darf ich noch einmal in die Kühlbox greifen und nehme mir eine Dose Cola. Thomas bleibt bescheiden. Nettes Geplauder mit netten Indianern. 🙂 Als wir uns gerade verabschieden wollen, da bekommen wir noch zwei Tüten Chips in die Hand gedrückt für den weiteren Weg. Wir kommen an eine Umleitung. Wegen Bauarbeiten wird der Original-Trail über die nächsten 10 Kilometer auf einer anderen Strecke verlaufen. Auf einem Schild wird die neue Route genau beschrieben, alles ist gut markiert, also kein Problem. An einem Seitenarm des Kanals steht ein Reh bis zum Bauch im Wasser. Wir wundern uns doch sehr. Es trinkt nicht, sondern steht nur da und schaut uns an. Will sich das abkühlen ? Und noch einmal treffen wir die netten Männer vom Seminole-Stamm. Sie haben inzwischen Feierabend und sind auf dem Nachhause-Weg. Laut grüßend und jubelnd halten sie ihren Wagen an und bedeuten uns, dass wir die Kühlbox leer räumen sollen. Sie brauchen die kalten Getränke nicht mehr, weil es morgen eine neue Füllung gibt. Seit Tagen trinken wir nur brackiges Wasser aus dem Sumpf oder aus dem Kanal, immer lauwarm. Wahnsinn, das ist ja wie Weihnachten ! 🙂 Wir können noch einmal aus dem Vollen schöpfen. Mehrere Flaschen Wasser und zwei weitere Dosen Cola wandern in unsere Rucksäcke. Beim nächsten Schattenplatz halten wir an, um zu trinken. Essen dazu die Chips-Tüten leer, denn wir können unmöglich so viel tragen. Der Rest wird auf unsere großen Flaschen verteilt, darüber freuen wir uns später noch. Der Flüssigkeitspegel ist gut aufgefüllt, das gibt neue Energie.

Wir laufen noch ein paar Meilen und machen dann einen Kilometer Umweg zu einem Picknick-Platz mit Tischen, Bänken, Toilette und Wasserpumpe. Der Platz ist einsam und verlassen. Eine Grund-Reinigung bietet sich an. Wir ziehen uns aus, füllen unseren Topf ein ums andere Mal und begießen uns damit. Das Wasser aus der Pumpe riecht unangenehm nach Schwefel, aber es tut so gut, sich von oben bis unten zu waschen. Herrliche Erfrischung, wir können gar nicht aufhören mit dem Abduschen. Leider fehlt uns die Zeit später. Das Gas ist leer, wir müssen die Ersatz-Kartusche aus dem Rucksack kramen. Die Mossis werden wach, gerade als unser warmes Essen auf dem Tisch steht. Von jetzt auf gleich fallen die über uns her, landen im Essen und sind außer Rand und Band. Wir nehmen unsere Schüsseln, gehen ein Stück weg vom Picknick-Platz, möchten an einen Zaun gelehnt essen. Die Moskitos verfolgen uns. Wir versuchen sogar, im Laufen zu essen, aber die Biester sind überall und machen uns wahnsinnig. Die Schüsseln werden wieder weggestellt, es geht so einfach nicht. Thomas baut fix das Zelt auf. Wir lassen unseren ganzen Kram auf den Tischen liegen, nehmen nur unsere Schüsseln mit und hechten ins Zelt. Aber da sind wir nicht alleine. Unfassbar, aber im Inneren summt und schwirrt es genauso wie draußen. Ein riesiger Schwarm hat mit uns den Weg durch den Eingang gefunden und muss erst noch abgeklatscht werden. Guten Appetit ! 🙁 Auf dem Picknick-Gelände ist das Zelten verboten. Deswegen müssen wir nach dem Essen abbauen, den Abwasch machen, Zähneputzen und Zusammenpacken. Wir mögen nicht mehr viel weiter, denn es ist inzwischen 20.00 Uhr und stockfinster. Nur ein kleines Stück noch, quasi einmal um die Ecke und außer Sichtweite, stellen wir unser Zelt auf. Rucksäcke komplett rein, wir hinterher ….. wieder sind etwa 50 Moskitos mit uns hinein geschlüpft. Es dauert lange, bis wir die meisten erledigt haben und endlich zur Ruhe kommen. Was für ein Horror ! Blöder Abschluss des Tages. 🙁 Ich habe eine Blase am kleinen Zeh und Haut-Abschürfungen an zwei weiteren Zehen. Aber immerhin sind wir 30 Kilometer weiter gekommen.

Um 5.30 Uhr kocht schon das Wasser für den Kaffee. Wir wollen sehr früh los, um der Hitze ein Schnippchen zu schlagen. Vor dem Start müssen drei Zehen verarztet werden. Zelten auf Wiese am Deich ist doof, wieder alles floddernass. Es ist neblig draußen und angenehm kühl. Wunderschöne Morgenstimmung. 🙂 Es lohnt sich auf jeden Fall, früh aufzustehen. Die Tierwelt wird auch gerade wach. Graue, braune und schwarze Reiher sind in diesem Gebiet zahlreicher vertreten als die weißen Silberreiher. Ein Graureiher fliegt mit einem Fisch im Schnabel über uns hinweg. Wir freuen uns sehr über ein Wasser-Depot von einem Freund und Unterstützer des Florida-Trails. Etwa 20 große Kanister gekauftes Wasser stehen bereit. Trail Magic – eine tolle Hilfe ! 🙂 Thomas sieht eine große Schildkröte, die sich auf einer Mauer sonnt und blitzschnell ins Wasser abtaucht, als wir uns nähern. Spuren von Raubkatzen, daneben die Abdrücke von irgendwelchen Nagetieren. Ovale Felltiere huschen von einem Kanal über den Schotterweg zum nächsten Wasserlauf. Biber oder Bisamratten oder …. Wir wissen es nicht, die Fellbündel sind flink. Immer öfter liegt Bären-Kacke auf dem Trail. Ja, die gibt es hier auch, aber es sollen nur ganz kleine Bären sein. Kein Grizzly-Gebiet. Kaninchen-Köttel auf dem Trail, aber bisher haben wir erst ein einziges gesehen. Wir wundern uns über dünne Schlangenlinien im Sand, bis wir dahinter kommen, dass diese von Schnecken produziert werden, die hier ihre Bahnen ziehen. Die ersten 2,5 Stunden kommen wir sehr gut vorwärts. Dann wird es immer beschwerlicher, denn die Hitze ist brutal. Einheimische haben uns erzählt, dass es normalerweise nicht so heiß ist um diese Jahreszeit. Wir schleppen uns vorwärts und schwitzen, haben Durst, brauchen immer öfter Pause. Der Kreislauf geht in den Keller, leichter Schwindel abwechselnd bei Thomas oder bei mir. Schließlich machen wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine kurze Rast. Ein freistehender Baum reicht schon, da sitzen wir gleich wieder mitten in Unkraut und Dreck. Meine Füße schmerzen, die Haut an den Fersen ist rissig und aufgesprungen, sie schreien nach Pflege. Alle 2-3 Meilen halten wir an, also etwa alle 3-5 Kilometer für ein paar Minuten Ausruhen im Schatten, wenn es ihn denn gibt. So kann man doch keinen Long-Trail laufen ! Aber es muss wirklich die Hitze und die hohe Luft-Feuchtigkeit sein, die uns so zu schaffen macht. Diese Etappe ist echt hart. Die würden wir Niemandem empfehlen, der nicht vorhat, das ganze Ding zu laufen. Am Nachmittag gibt es noch einmal eine angenehme Überraschung, ein Wasser-Depot von Ari kurz vor einem Picknick-Platz. Wir finden etwa 30 Kanister leckeres, sauberes, keimfreies Wasser im Schatten einer Ufer-Böschung. Wieder können wir trinken, bis wir fast platzen, und danach noch alle unsere Flaschen auffüllen. Klasse !

Bei den Picknick-Tischen räumen wir beide Rucksäcke leer, breiten alle Klamotten aus und spannen Leinen zum Trocknen. Inzwischen ist jedes einzelne Teil feucht und schmutzig, auch wenn wir es noch nicht benutzt haben. Eine lange, lange Pause ist geplant. Diese wird noch angenehmer, weil wir auf dem Deich die Bekanntschaft mit zwei athletischen Ladies gemacht haben. Sie stehen mit ihrem Camping-Bus genau an diesem Rastplatz und beschenken uns mit Schoko-Brownies, Granola, zwei Äpfeln und einer Banane. Schon wieder Trail Magic ! 🙂 Als wir uns gerade zum Gehen aufrüsten, da fährt ein Wagen auf den Platz. Der Fahrer fragt, ob er uns irgendwohin bringen kann. Ist ja nett, aber wir möchten den ganzen Florida-Trail zu Fuß machen. Von nun an liegt ein langer Marsch entlang der Straße vor uns. Kaum eine Stunde unterwegs, da hält wieder ein Auto, und wir werden gefragt, ob wir mitfahren möchten. Das Laufen so ausgesetzt in der Hitze ist zum Abbeißen, die Füße tun weh. Wir lehnen trotzdem dankend ab und bleiben tapfer bei unserem Vorsatz.

Hier in der Gegend wird viel Landwirtschaft betrieben und emsig auf den Feldern gearbeitet. Zuckerrohr und Getreide müssen geerntet werden. Eine schwarze Schlange liegt tot auf der Straße, außerdem zwei langbeinige Frösche, platt wie Briefmarken. Wir schaffen es, so früh Feierabend zu machen, dass die Stechtiere uns nicht fertig machen können. Wieder 30 Kilometer geschafft. Die ganze Nacht hindurch haben wir lautes Alligator-Grunzen als Geräusch-Kulisse. Hört sich nach einem großen Resonanzkörper an. Ziemlich nah. Plötzlich steigt uns beiden ein komischer Geruch in die Nase. Riechen Alligatoren etwa so ? Aber die sollen ja angeblich nicht bis zum Zelt kommen. 😉

Beide wach um 4.45 Uhr – eine Tasse Kaffee und los. Die Moskitos lauern schon draußen vor dem Netz. Das nasse Zeug wird irgendwie in die Rucksäcke gestopft, dann das Zelt schnellstmöglich abgebaut. Morgen-Toilette sparen wir uns, wir rennen gleich los. Mit Taschenlampe durch’s feuchte Gras auf dem Deich, gleich daneben der Kanal. Dann geht es über eine Brücke auf einen einsamen Schotterweg. Dichter Nebel. Links und rechts sind Maisfelder. Ich komme mir vor wie in einem Film von Stephen King. Das Handy von Thomas ist gestorben. Vorher spricht es noch mit uns und sagt : „Feuchtigkeitsalarm“. Beide Power-Bänke sind leer. Es wird wirklich höchste Zeit, dass wir endlich in die Nähe einer Steckdose kommen. So früh am Morgen ist das Wandern noch angenehm. Viele Kilometer laufen wir entlang der Eisenbahn-Linie der Sugar Company. Auf der anderen Seite liegen weite Felder mit Zuckerrohr. Sehr geschäftiges Treiben hier. Wir hören trotz der frühen Stunde lautes Stimmengewirr von den Feldern. Hier wird anscheinend auch nachts gearbeitet, bis die Ernte eingefahren ist. Ein junger Fischadler mit weißen Flügelspitzen sitzt auf den Schienen. Nach zwei Stunden möchten wir Pause machen, aber es gibt keinen Platz zum Hinsetzen weit und breit. Einigermaßen sauber ist es nur auf den Bahngleisen, weil ringsherum weiße Kieselsteine zu einer kleinen Böschung aufgeschüttet sind. Okay, besser als nichts. Schon nach ein paar Minuten hören wir in der Ferne einen Zug tuten. Die kündigen sich zum Glück lautstark an, so dass wir das Feld rechtzeitig räumen können. Der Zug-Führer hupt noch einmal und grüßt freundlich, während er an uns vorbei rattert. Weiter geht’s. Wir finden ein teures Handy in Schutzhülle mitten auf der sandigen Piste. Wir gucken es uns etwas genauer an, aber da ist anscheinend schon mehr als ein Auto drüber gefahren. Nicht mehr zu retten. Dann entdecken wir ein Alligator-Bein, platt und vertrocknet. Ein Stückchen weiter liegt ein weiteres Alligator-Teil im Staub, ebenfalls gut von der Sonne konserviert. Um 8.30 Uhr sehen wir erfreut Anzeichen von Zivilisation voraus, die ersten Wohnhäuser seit 6 Tagen. Das ist Clewiston, wo wir uns ein Zimmer für zwei Nächte reserviert haben. Teurer Spaß – eine Buchung über Silvester und Neujahr. Aber das war für uns einfach nicht günstiger zu takten, außer wenn wir freiwillig zwei weitere Nächte im Sumpf verbracht hätten. Den schicken Hotel-Aufenthalt schenken wir uns zu Weihnachten ! 🙂 Dafür haben wir auch Heiligabend und den ersten Feiertag auf einem Parkplatz im Auto geschlafen. Wir freuen uns sehr auf ein sauberes Zimmer, Dusche, Waschmaschine, ein weiches Bett. Dazu gibt es dann sogar noch WLAN, Fernseher, Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants in der Nähe. Tolle Sache ! 🙂 Müssen vom Gelände der Eisenbahn-Gesellschaft einmal durch einen Zaun kriechen, kurz bevor wir den Ort erreichen. Anscheinend sind wir auf unerlaubtem Gelände unterwegs gewesen, aber wir haben kein Verbots-Schild gesehen, und im Zaun war schon ein riesiges Loch drin. Wir nähern uns dem Ort von der nicht so schönen Südseite, eindeutig Arme-Leute-Gegend. Ein indianisch aussehender Junge, vielleicht 10 Jahre alt, hat einen ausgewachsenen Iguana an der Angel. Auf deutsch „Grüner Leguan“, farbenprächtig und über einen Meter lang. Das war eigentlich gar nicht seine Absicht, der Junge wollte nur Fische fangen, aber die Echse ist an den Köder gesprungen. Ist ja der Knaller – die kennt man sonst nur aus dem Zoo. Das Tier soll getötet und an die Alligatoren verfüttert werden. Thomas hilft dem Jungen mit seinem Schweizer Taschenmesser aus.

Kurz darauf fährt ein Sheriff-Auto vorbei, freundlich winkend. Ein fremd aussehender Laden liegt an der Straße, daran können wir nicht einfach vorbei. Es handelt sich um einen bescheidenen Supermarkt für die weniger reichen Bewohner dieses Viertels. Mexikaner oder Kubaner wohnen hier in einfachen Hütten oder Wohnwagen. Wir genehmigen uns eine eiskalte Cola, setzen uns direkt neben dem Eingang damit auf den Boden. Schmeckt einfach himmlisch. Um 10.00 Uhr nehmen wir die letzten 3-4 Kilometer in Angriff. Die Sonne knallt schon wieder erbarmungslos. Um 11.00 Uhr erreichen wir den Walmart. Frühstück ! Es gibt knuspriges Hähnchen, dazu noch einmal kalte Getränke. Jeder darf einmal durch den überfüllten Laden gehen, während die andere Hälfte auf’s Gepäck aufpasst. Check-Inn ist erst um 14.00 Uhr. Auf der Bank im klimatisierten Eingangsbereich vom Walmart können wir es gut aushalten mit Essen und Trinken, Steckdosen und freiem WLAN. Beinahe jeder Zweite, der den Laden betritt, grüßt uns nett. Wir fühlen uns willkommen. Unser Hotel liegt genau gegenüber auf der anderen Seite des Highway. Nicht mehr weit laufen. Wir können die dicken Wanderschuhe ausziehen und unser „Frei“ genießen. 🙂 Das Zimmer ist riesig und blitzsauber. Das „Best Western“ in Clewiston ist sein Geld wert. Wir sind bereits frisch geduscht und haben unsere Wäsche zweimal gewaschen, als die ersten Neujahrs-Wünsche von unseren Freunden aus aller Welt eintreffen. Bei uns ist es erst 19.00 Uhr. Prost Neujahr ! 🙂

2 Kommentare zu “Big Cypress bis Clewiston

  1. Steinfisch

    Liebe Frauke, lieber Thomas,
    ich wünsche euch ein gesundes, gutes neues Jahr!
    Viel Kraft und Zuversicht für diese beschwerliche Wanderung.
    Ich bewundere euch sehr!!! – Mich bekämen „keine 10 Pferde“ auf diesen Weg! 😀

    Herzliche Grüße! Ingrid

    1. 871385 Autor des Beitrags

      Danke. Dir auch das Allerbeste für 2022 !
      Wir haben uns gut ausgeruht. Gleich geht es wieder los.

      Liebe Grüße, Frauke