Wir segeln und wandern durch die Welt

CDT – Yellowstone National Park

Ein kleiner Auszug vom 16.-17.09.2017

„Unser Weg ist total matschig nach drei Tagen und Nächten mit Regen. Tiefe Pfützen und der rutschige Pfad lassen uns nur langsam vorwärts kommen. Schneller als 3 Kilometer in der Stunde können wir so nicht laufen, das heißt, wir werden unser Tagesziel erst ganz knapp vor Anbruch der Dunkelheit erreichen. Je höher wir kommen, umso schlimmer wird es. Eine regelrechte Schlamm-Schlacht, wie wir sie vom Te Araroa kennen. Nach nur einer Stunde sind Schuhe, Socken, Hose, Regenzeug und Handschuhe nass und total dreckig. Dann beginnt es zu schneien. Der Himmel sieht gritzegrau aus, ungefähr so, wie auf Norderney im Dezember. Alle warten auf weiße Weihnachten, und dann kommt nur so ein nasser Matsch herunter. Heh – das war jetzt aber nicht geplant ! Der Wetterbericht hatte die Spitze der Kaltfront für Freitag ( also gestern ) vorausgesagt. Ist nicht gemütlich, trotzdem möchten wir unbedingt unsere 20 Kilometer schaffen, damit unsere Taktung für die reservierten Zeltplätze nicht durcheinander kommt. Wir laufen jetzt in der North Absaroka Wilderness, wie wir auf einem hölzernen Schild erfahren. Als Nächstes müssen wir den Shoshone River überqueren, und das an einer Stelle, wo sich der Fluss in mehrere Ströme verästelt hat. Inzwischen fallen dicke Schneeflocken zu Boden. Wir haben keine Lust, mit Schuhen durchzuwaten und suchen nach einer besseren Stelle am Ufer. Auf der anderen Seite ist in einiger Entfernung ein kleines Zeltlager aufgebaut. Zwei Reiter nähern sich von dort und durchqueren auf ihren Pferden ganz einfach den Fluss. Im Schlepptau haben sie einige Last-Tiere, alle mit leeren Packtaschen. “ Gutes Wetter zum Wandern.“ ruft uns der vordere Reiter zu. Höre ich da etwa Spott ? Wir stellen ein paar Fragen bezüglich des Geländes und der Schneehöhe voraus. Die Antwort ist nicht besonders ermutigend, denn ein kleines Stück weiter sollen 50 Zentimeter Neuschnee liegen. So kommen wir heute nicht über den Pass, vermutlich morgen auch noch nicht. Der Mann bietet uns an, dass wir im Zeltlager übernachten dürfen, denn die Gäste werden erst morgen erwartet. Wir bedanken uns für das freundliche Angebot und sind unschlüssig, was wir tun sollen. Zunächst liegt das Fjorden des Shoshone Rivers vor uns. Mindestens knietief, wie wir bei den Pferden gesehen haben, mit einer starken Strömung aufgrund der Regenfälle. Wir ziehen Schuhe, Socken und lange Hosen aus und sichern uns gegenseitig. Eingehakt im Kiwi-Stil, wie wir es in Neuseeland gelernt haben, stapfen wir in Unterhosen durch das eiskalte Wasser und am anderen Ufer bis zu der kleinen Zelt-Stadt. Wir finden das Gemeinschafts-Zelt mit Tischen und Stühlen, wo wir uns einen Pott Tee zum Aufwärmen kochen und in die Karten gucken. Wenn wir weiter unserem geplanten Trail folgen, dann müssen wir über diverse Pässe und hohe Berge. Ganz schlecht bei diesen Wetter-Verhältnissen, denn nach zwei halbwegs trockenen Tagen soll gleich die nächste Kaltfront einsetzen. Es macht wenig Sinn, bei diesem winterlichen Wetter noch weiter in die Höhe zu steigen. Zähneknirschend müssen wir uns eingestehen, dass es gerade kein guter Zeitpunkt für entspanntes Wandern im Yellowstone Nationalpark ist. Wir entschließen uns dazu, morgen UMZUKEHREN und dann unseren Weg im flacheren Gelände über Straßen zu suchen. Damit ist natürlich unsere gesamte Planung hinfällig. Durch die wetterbedingte Verzögerung und die neue Route können wir auch die Reservierungen für die Campsites nicht einhalten. Aber das werden wir nach und nach aufdröseln …. erst einmal zurück zum Trailhead, dann einen anderen Weg ausdenken und eventuell nochmal wegen neuer Reservierungen telefonieren, falls wir mit dem Handy überhaupt Empfang haben. Ist blöd, aber leider gerade nicht zu ändern, weil uns der dritte Tag mit Schnee einen Strich durch unsere Pläne gemacht hat. Aber man muss auf dem CDT flexibel bleiben, auch wenn uns Umkehren gar nicht gefällt. Draußen gibt es verschließbare Metallkästen, um unser Essen sicher zu verstauen. Zum Schlafen beziehen wir eines der kleineren Zelte. Da drin stehen zwei Feldbetten mit Kartoffelsäcken als Matratze. Wir richten uns darauf mit Luftmatratzen und Schlafsäcken etwas persönlicher ein. Ein Gasofen und eine Petroleum-Lampe vervollständigen die Einrichtung und machen unser „Zimmer“ richtig komfortabel. Es riecht etwas streng. Das können noch nicht wir sein nach drei Tagen im Motel mit Dusche und nur 2,5 Stunden Laufzeit heute. Wahrscheinlich stammt der Geruch von den Kartoffelsäcken oder von den Jägern, die dieses Lager nutzen. Es gibt Schlimmeres. In Anbetracht der kalten Temperaturen und Mangel an Fernseher, Internet, Bier liegen wir schon um 19.00 Uhr mit voller Montur im Schlafsack. Beste Vorsätze für morgen – um 6.00 Uhr klingelt der Wecker.

Die Nacht war lang und bitterkalt. Zwei Kapuzenpullover, darüber Daunenjacke und Regenjacke, zwei lange Hosen, zwei Paar Socken, Mütze, Schal und Handschuhe reichen nicht. Wir haben tatsächlich gegen 3.00 Uhr den kleinen Gasofen angestellt. Trotzdem wurden die Füße nicht warm. Morgens ist der Boden knüppelhart gefroren und glatt. Und wir müssen als allererstes wieder durch den Fluss, wenn wir zurück zur Straße möchten. Brrr – eisig ! Wir hassen es umzukehren. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals absichtlich umgekehrt sind ( außer wenn wir uns verlaufen haben ). Aber bei diesen Wetterbedingungen weiterzulaufen, das würde an Dummheit grenzen. Und diesmal werden wir für unsere weise Entscheidung belohnt. Wir sehen unseren ersten Bison in freier Wildbahn. Ein mächtiges Exemplar sitzt ganz ruhig am Wegesrand. Wir haben mächtig Respekt und weichen vom Trail ab, um mehr Abstand zu bekommen. Das riesige Zotteltier steht auf und kommt nicht etwa drohend auf uns zu, sondern beginnt entspannt zu grasen. Wir wagen uns in etwa 20 Meter Entfernung vorbei und schießen dabei ein paar Fotos.“

Neuer Start auf den CDT am 06.07.2019

Der erste Teil unseres Plans „Sommer 2019“ hat funktioniert. Der Appalachian Trail ist mit der Besteigung des Mount Katahdin erfolgreich beendet. Nun folgt der zweite Teil, die Vollendung des 2017 begonnenen Continental Divide Trails an der Kanadischen Grenze. Start ist im Yellowstone National Park, wo wir nicht die übliche Route, sondern eine ausgedehnte Variante gehen. Vom Bundesstaat Wyoming aus führt der Weg nach Montana, dort haben wir im September 2017 wegen zu frühen Wintereinbruchs abgebrochen. Unsere diesjährige Wanderung auf dem CDT wird etwa 740 Meilen oder 1200 Kilometer lang sein.
Viel später als geplant geht es los. Auf der linken Seite entdecken wir eine große Herde von Wapiti-Hirschen, nur Weibchen und deren Nachwuchs. Bemerkenswert ist, dass es deutlich mehr Jungtiere gibt als Mütter. Ob die überwiegend Zwillinge zur Welt bringen ? Unser Weg verläuft durch die Absaroka Wilderness im Shoshone National Park. Wunderschöne Landschaft, Berge und Täler im Wechsel. Besonders reizvoll ist der Kontrast zwischen tiefblauem Himmel und sattgrünen Wiesen. Sommerblumen blühen in lila, gelb, orange, blau und weiß.

Thomas entdeckt ein Murmeltier, ein klares Anzeichen dafür, dass wir bereits wieder eine gewisse Höhe erreicht haben. Heute gibt es nur Aufstieg. Der Weg führt angenehm in Serpentinen bergauf, das macht mehr Strecke, ist aber viel weniger steil. Es gibt keine „White Blaze“ mehr. Die Big Sky-Variante  des CDT ist nicht markiert, wir müssen den Pfad selber finden. Sehr schmal und zugewachsen, weil ihn noch kaum Jemand dieses Jahr gelaufen ist. Und es gibt keine Moskitos mehr. Zum ersten Mal seit 6 Wochen laufe ich ohne Handschuhe und doppelte Schicht Kleidung. Herrje – was ist das schön ! Die Rufe der Picas begleiten uns. Übersetzt heißen diese possierlichen Tierchen „Pfeif-Hasen“ , weil sie hohe Pfeiftöne von sich geben, um ihre Artgenossen zu warnen. Im Winter graben sie Höhlen und Tunnelsysteme, jetzt nach der Schneeschmelze sind noch die harten Erdwälle als Überreste zu sehen.

Links von uns fließt die ganze Zeit der aufgewühlte Shoshone River, da müssen wir nach etwa 10 Kilometern durch, um dem Pfad auf der anderen Seite weiter zu folgen. Diese Strecke entlang des Shoshone River bis zum ersten Fjord haben wir bereits 2017 zurückgelegt. Allerdings lag dort damals so viel Schnee, dass wir uns nicht weiter in die Höhe getraut haben und umgedreht sind.
Ein Bison liegt in etwa 100 Meter Entfernung auf einer Wiese unterhalb des schmalen Pfades, auf dem wir laufen. Es handelt sich um einen mächtigen Bullen, der aber offensichtlich im Ruhemodus ist. Fast an derselben Stelle haben wir 2017 unseren ersten Bison in freier Wildbahn gesehen. Ob das derselbe ist ? Vielleicht wohnt der da ? Auf jeden Fall sind wir schwer beeindruckt, so schnell über ein großes Wildtier zu stolpern. Schon bald folgt eine Wapiti-Hirschkuh, die etwas oberhalb an einem Hang grast. Auf dem Weg sehen wir riesige Bärenhaufen, manchmal älter, aber gelegentlich auch ganz frisch. Bisher keine Grizzlys zu sehen.

Am Shoshone River ziehen wir Schuhe, Strümpfe und lange Hosen aus, weil wir sowieso am anderen Ufer eine Pause machen möchten. Die Stelle, an der wir den Fluss kreuzen, ist etwa 20 Meter breit und hat eine starke Strömung in der Mitte. Wir durchqueren im Kiwi-Stil, wie wir es in Neuseeland gelernt haben. Das bedeutet, wir gehen zusammen, haken uns zwischen Rücken und Rucksack des Partners ein. Der Stärkere läuft auf der Strömungs-Seite und macht immer einen kleinen Schritt voraus, der Schwächere ist so etwas weniger angreifbar. Das Wasser reicht bis zum Oberschenkel, die Strömung ist wirklich heftig. Stück für Stück tasten wir uns vorwärts, klappt sehr gut. Zusammen sind wir stark. Es dauert gar nicht lange, da liegt der nächste Fjord vor uns. Der Bear Creeke hat sich in zwei Seitenarme geteilt. Durch den ersten Strom kommen wir trockenen Fußes auf Steinen hinüber. Ein kleines Stück weiter jedoch stehen wir vor dem breiteren Teil des Flusses. Da ist richtig was los, sehr viel Wasser ergießt sich durch eine schmale Rinne in die Tiefe. Dazwischen liegen etliche Baumstämme verschiedener Größe, auf denen man mit etwas Geschick bis ans andere Ufer balancieren kann. Ist nicht so ganz einfach, weil unsere voll beladenen Rucksäcke das Manövrieren behindern, aber wir schaffen es.
Nun liegt noch der Red Creek vor uns, einmal im Aufstieg und dann noch einmal später, wenn wir auf den nächsten Hang wechseln müssen. Wir sind sehr überrascht, als wir vor dem Fluss stehen. Der Red Creek ist nicht besonders breit, aber ein wilder Strom, der ordentlich Kraft hat. Es gibt umgestürzte Bäume und dicke Äste, die man als Brücke nützen könnte, aber die sind durch das spritzende Wasser nass und glatt. Wir trauen uns nicht auf das glitschige Holz. Einen Absturz möchten wir nicht riskieren. Mit nassen Füßen haben wir kein Problem, deswegen laufen wir in voller Montur durch den Fluss. Das ist schneller und sicherer als alle Experimente.
Brian hat uns erzählt, dass es in dieser Gegend vor 30 Jahren fürchterlich gebrannt hat. Die kahlen Baumstämme ohne Äste stehen immer noch und geben ein gespenstischen Bild ab. Auch auf dem Boden liegen Hunderte toter Bäume, zum Glück nur ein Bruchteil davon quer über dem Trail.

Ich finde ein rostiges Hufeisen. Das ist bestimmt ein gutes Zeichen für unsere Wanderung auf dem CDT. Dann entdecken wir ein ganzes Rudel Wapiti-Hirsche an einem Berghang. Es sind sicherlich 20 Tiere, die aber sofort losrennen, sobald wir uns annähern. Später sehen wir noch einen einzelnen Wapiti-Hirsch, der vor uns davonspringt. Das ist ein majestätischen Tier mit einem stolzen Geweih auf dem Kopf. Und wir freuen uns über ein ganz besonderes Tier, einen Baumstachler. Ich sehe schon von Weitem, dass sich voraus ein Tier bewegt, halte es aber zunächst für ein wildes Schaf. Beim Näherkommen gehen unsere Vermutungen eher in Richtung Stachelschwein oder Stinktier …. Aber es ist tatsächlich ein Baumstachler, den wir erstmalig 2017 in Utah entdeckt haben. Die sind nicht sehr häufig, und wir sehen gleich am ersten Tag unserer Wanderung ein Exemplar. Wir sind total begeistert von der Vielfalt an Tieren, die wir heute bereits beobachten durften.
Wir kommen gut voran und haben den Ehrgeiz, dass wir es heute noch bis kurz vor die Grenze zum Nationalpark schaffen. Es sollte eigentlich ein entspannter Tag werden, aber da wir erst spät am Trail waren, dürfen wir jetzt nicht bummeln. Deswegen sind wir um 20.00 Uhr immer noch fleißig unterwegs. Der letzte Fjord steht bevor, wir müssen noch einmal durch den Red Creek. Es bietet sich ein ähnliches Bild wie bei der Durchquerung am Nachmittag. Vor uns liegt ein aufgewühlter Fluss, der an dieser Stelle auch noch ziemlich breit ist. Von oben aus den Bergen läuft immer mehr Wasser zusammen und stürzt sich in den Red Creek. Die Schneeschmelze ist noch lange nicht vorbei. Normalerweise würden wir jetzt mit Schuhen hindurchlaufen, aber die Strömung scheint enorm zu sein. Die Kraft des Wassers ist nicht zu unterschätzen, das lassen wir lieber bleiben. Wir laufen etwas ratlos am Ufer entlang auf der Suche nach einer geeigneten Stelle. Weiter stromaufwärts gibt es Baumstamm-Brücken, aber nicht gut, kein Baum reicht von einer Seite zur anderen. Man muss sich von einem Stamm auf den nächsten tasten. Nass, glatt und wackelig. Mir gefällt es gar nicht, aber durch das rauschende Wasser zu waten scheint auch nicht besser zu sein. Thomas macht vor, ich mache nach. Passt – wir sind beide heile drüben. Herzklopfen und etwas weiche Knie bei mir. Das war echt schwierig. Ich hätte mich das nie gewagt, wenn wir nicht schon 6 Wochen lang auf dem AT unseren Gleichgewichtssinn trainiert hätten.

Auf den hohen Bergen um uns herum liegt noch Schnee, unser Pass ist zum Glück völlig frei davon. Zum Ende des Tages befinden wir uns auf 3200 Meter Höhe. Thomas geht Wasser holen, während ich das Zelt auf einer Lichtung aufbaue. Als er zurückkommt, da höre ich lautes Knacken hinter mir und schwere Tritte, die davonrennen. Da war ein Bär. Thomas hat ihn gesehen, wie er über die Kuppe des kleinen Hügels nebenan gekommen und dann abgehauen ist. Finde ich gar nicht lustig. Etwas später sehe ich einen Bären, der in etwa 100 Meter Entfernung auf der anderen Seite des Weges über die Wiese spaziert. Das ist eindeutig ein Grizzly, der uns noch nicht gerochen hat. Wir machen Lärm, um auf uns aufmerksam zu machen. Der Bär hebt kurz den Kopf, bemerkt uns Menschen und trabt in der anderen Richtung davon. Ich werde hier keinen Meter ohne mein Bär-Spray gehen. Auf’s warme Essen könnte ich heute auch verzichten, aber Thomas möchte noch kochen. Er sitzt alleine weit abseits vom Zelt und singt dabei laut : „What shall we do with the drunken sailor ?“ Gute Idee – das schreckt die Bären ab, und mir gefällt es. 🙂
Hinter jedem dunklen Schatten vermute ich einen Grizzly, auch wenn es sich nur um einen Baumstumpf oder einen Felsen handelt. Viele unheimliche Geräusche begleiten unser Abendessen. Wir können die Schreie der Tiere im Wald nicht alle deuten. Da werden wir uns wohl dran gewöhnen müssen. Die meisten Rufe sind vermutlich von Wapiti-Hirschen oder Elchen. Wölfe soll es hier auch viele geben. Hoffe mal, dass ich trotz Grizzly-Bären in der Nähe ruhig schlafen kann. Tagesziel erreicht, obwohl wir erst um 13.00 Uhr gestartet sind. Morgen geht es über die Grenze in den Yellowstone Park. Wir freuen uns riesig darauf, ein paar Tage in diesem knapp 9000 km² großen Naturreservat zu verbringen.

Sehr kalt war es in der Nacht. Mit langer Hose, Daunenjacke und Mütze konnte man es aber gut im Schlafsack aushalten. Der erste Blick morgens nach draußen zeigt 4 Wapiti-Hirsche, die auf der Wiese hinter unserem Zelt grasen. Wegen der Schneeschmelze ist aus der Ebene ein Sumpf geworden, durch den wir zurück zum Trail stapfen. Schuhe sind sofort wieder nass. Dann folgen ein paar Schneefelder, aber der ist so weich, dass er bald der Vergangenheit angehört. Ganz deutlich können wir Bärenspuren erkennen. Im Schnee sind alle vier Pfoten abgedrückt, die in Richtung unseres Lagerplatzes gegangen sind. Vielleicht war das der Grizzly, den wir gestern Abend noch spät gesehen haben. Es folgt ein Hügel voller umgestürzter Bäume, da müssen wir hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Unser Weg ist plötzlich weg. Breit war der Pfad sowieso nicht, aber nun ist gar keine Spur mehr zu finden. Wir klettern über die toten Bäume und fragen uns, ob die wirklich schon 30 Jahre hier liegen. Links von uns taucht ein See auf. Das muss der Frost Lake sein. Eine etwa 2 Meter hohe Schneewächte liegt noch über dem Nord-Ufer. Der Frost Lake macht seinem Namen alle Ehre. Es sieht nicht so aus, als ob diese kompakte Schneemauer im Sommer wegschmelzen wird.

Aber eigentlich wollten wir gar nicht zum Frost Lake. Wir müssen einen Abzweiger verpasst haben und einen falschen Trail gelaufen sein. Das ist ärgerlich, weil wir heute sowieso schon einen langen Tag mit 30 Kilometern vorhaben. Im Yellowstone National Park muss man die Campingplätze im Voraus reservieren, deswegen stehen unsere nächsten Tagesdistanzen bereits fest. Ich fühle mich heute schlapp und etwas kurzatmig. Seit Cody plagt mich der Heuschnupfen, unser Lager auf einer grünen Wiese hat die Beschwerden noch verschlimmert. Außerdem kommt es mir so vor, als ob mir die Höhe etwas zu schaffen macht. Bin also nicht besonders scharf darauf, noch mehr Kilometer zu laufen. Wir drehen um, suchen den Weg zur Yellowstone-Grenze in verschiedenen Richtungen. Nichts, trotz aufmerksamen Karten-Studierens keine Spur zu erkennen. Vielleicht wurde der Pfad vom Sumpf verschluckt oder unter Bäumen begraben oder liegt unter Schnee versteckt. Mehrere Versuche scheitern. Nach 1,5 Stunden stehen wir wieder an der Wiese, wo wir letzte Nacht verbracht haben. Mist – da sind wir glatt im Kreis gelaufen. Eine weitere Stunde später kreuzen wir unsere eigenen Spuren im Schnee, allerdings anders herum. Tja, da waren wir wohl schon einmal heute. Wir haben eine große topografische Karte vom Yellowstone, zusätzlich die ganze Route ausgedruckt in kleinem Maßstab mit Anmerkungen, immer 2-3 Blätter pro Tag zum Durchwandern. Natürlich kennen wir die Himmelsrichtungen und die Höhenlinien. Extra für den CDT haben wir uns 2017 ein GPS gekauft, was wir jetzt anstellen. Wir schaffen es trotzdem nicht, all diese Informationen miteinander in Einklang zu bringen. Es passt einfach nicht. Die Spur bleibt verschwunden. Inzwischen zweifeln wir sogar daran, dass es diesen Weg noch gibt. Irgendwann stoßen wir eher zufällig auf ein Schild, welches die Grenze zum Yellowstone National Park bezeichnet. Es ist an einem Baum festgetackert, der umgestürzt am Boden liegt. Anscheinend wird in diesem wenig begangenen Teil des Yellowstone nicht aufgeräumt. Tausende von toten Bäumen liegen über- und untereinander. Ein Riesengebiet mit abgebrannten Stämmen, die nie Jemand weggeräumt hat. Mittags kracht es vernehmlich, Donnergrollen ganz in der Nähe. Ein paar Tropfen Regen fallen. Das Gewitter entlädt sich über dem Nachbarberg. Wir müssen klettern, springen, balancieren …. Stunde um Stunde geht das so. Wir haben den Weg verloren und geraten immer tiefer hinein in den verwilderten Teil vom Park.

Viele kleine Ströme fließen bergab ins Tal und vereinigen sich dort schließlich zu einem großen Fluss. Unsere Idee ist, einem der Bäche nach unten zu folgen und so aus dem Urwald herauszufinden. Beide Ufer sind jedoch völlig zugewachsen mit Büschen und Unkraut, dazwischen liegen massenweise kaputte Baumstämme. Eine Weile laufen wir direkt im Fluss nach unten, aber auch dort liegen ständig Hindernisse im Weg. Mühsam, mühsam.

Eine Hirschkuh schrecken wir am Wasser auf, sonst sehen wir nichts. Wir machen solchen Lärm, dass alle Tiere reissaus nehmen. Wir sind vollauf damit beschäftigt, nicht mehr als nötig zu stolpern und zu fallen. Da haben wir sowieso keine Augen für unsere Umgebung, sondern sehen nur etwa 5 Meter weit voraus. Schrecklich – es will einfach kein Ende nehmen. Gegen 16.00 Uhr müssen wir uns eingestehen, dass es mit der 30-Kilometer-Distanz bis zu unserem gebuchten Platz wohl nichts mehr wird. Um 18.00 Uhr sind wir endlich raus aus dem Dickicht. Uns bietet sich ein lieblicher Anblick vom Lamar River, der ein grünes Tal durchzieht. Insgesamt waren wir 10 Stunden unterwegs, wovon wir uns etwa 7 Stunden ganz übel querfeldein geschlagen haben. Bilanz dieses furchtbar anstrengenden Tages : mehrere Kratzer und blaue Flecken, Knie aufgeschlagen, eine Prellung am Oberschenkel und Hose kaputt. Es könnte schlimmer sein. Eigentlich ist ja nichts weiter passiert, außer dass wir einen Tag umsonst gekämpft haben. Nur 8 Kilometer vorwärts in der richtigen Richtung auf dem Trail, dafür waren wir 10 Stunden unterwegs. Kaum dass wir heraus sind aus dem Schlamassel, da beziehen wir Quartier auf einem offiziellen, aber heute offensichtlich freien Platz. Wir möchten früh Feierabend machen, uns von den Strapazen erholen und die Blessuren verarzten. Das ist nicht ganz korrekt, weil wir hierfür keine Genehmigung haben, aber bis zu unserem reservierten Campingplatz schaffen wir es nicht mehr. Es gibt eine Hänge-Vorrichtung für unseren Proviant und das Koch-Geschirr, für Bären unerreichbar. Beim Zelt-Aufstellen sieht Thomas einen Bison in der Ferne.

Gestern waren es Wapiti-Hirsche, heute sehen wir aus dem Zelt heraus einen stattlichen Bison auf der Wiese grasen. Von unserem Platz aus gibt es tatsächlich eine schmale Spur, die durch Sumpfgebiet zu einem orangefarbenen Marker an einem Baum führt. Juchhu – wir sind auf dem richtigen Weg ! Vor uns quert ein Bach, der sich beim Überschreiten als Matschloch entpuppt. Der Modder reicht bis zu den Knien und steht in den Schuhen. Kurze Zeit später erreichen wir einen Abzweiger, wo wir auf den Miller Creek Trail abbiegen. Wir sehen eine neue Schlangenart, eher unscheinbar, braun mit dunkleren Brauntönen. Diese ist etwa einen Meter lang, dünn mit schmalem Kopf. Blitzschnell macht die Schlange sich davon. Etwas später scheuchen wir ein Auerhuhn auf, welches uns beleidigt den Rücken kehrt und im Gebüsch verschwindet. Ein Wapiti-Hirsch tritt ebenfalls den Rückzug an, als wir uns nähern. Riesige Bison-Fladen liegen auf dem Weg, dazu Huf-Abdücke von Bisons im Matsch, abgewetzte Bison-Wolle und mehrere große Bären-Haufen. Es scheint Einiges an großen Wildtieren im Yellowstone zu geben. Das Fluss-Delta des Lamare River liegt vor uns. Dort laufen dieselben flinken Vögel wie auch in Neuseeland oder zu Hause im Wattenmeer, die Knutts oder Strandläufer. An einer Stelle müssen wir auf die andere Seite queren. Der Lamare führt Hochwasser, weil sich alle kleinen Ströme, die mit Schneewasser aus den Bergen kommen, dort vereinen. Wir machen es wieder im Kiwi-Stil mit Unterhaken, die festen Schuhe bleiben an. Etwas über knietief, eine kräftige Strömung in der Mitte, die ordentlich zieht. Zusammen kommen wir gut ans andere Ufer und folgen einem deutlich ausgeprägten Weg auf der rechten Seite des Flusses. Eine Weile bleiben wir direkt am Ufer, wo wir eine lange Pause machen. Sonne und keine Moskitos, das Leben ist schön. Ein kleiner Dämpfer, als wir feststellen, dass unser GPS nicht mehr da ist. Das müssen wir irgendwo zwischen der letzten Standort-Bestimmung gestern und der Mittagspause verloren haben. Ein GPS ist schon etwas teurer als eine verlorene Lesebrille, aber schlimmer ist eigentlich der Verlust unserer elektronischen Karten vom CDT. Die haben wir damals beim Trail-Festival in Silver City unter der Hand bekommen, nun sind sie unwiederbringbar verloren. Etwa 10 Minuten Ärgern, dann ist das Thema erledigt. Wir sind nicht dafür gemacht, materiellen Dingen lange hinterher zu trauern. Wahrscheinlich haben wir immer noch zu viel Zeug, sonst würden wir ja nicht dauernd etwas verlieren. Weiter geht’s.
Thomas erschreckt sich ordentlich, als plötzlich etwa 5 Meter vor ihm ein Bison über den Weg läuft. Es ist ein Jung-Bulle, ein Heranwachsender im Rüpel-Alter. Die sollen besonders unberechenbar und agressiv sein. Unser Bison kreuzt einfach nur, um auf der Wiese sein Geschäft zu verrichten und trottet dann teilnahmslos weiter.

Noch einmal sehen wir so eine braune Schlange wie am Vormittag. Zur Mittagszeit donnert es wieder kräftig. Diesmal zieht das Gewitter nicht so einfach vorbei. Es kracht und blitzt in schneller Folge. Es beginnt zu regnen, Wind kommt auf. Ein deutlich spürbarer Temperatursturz lässt uns frösteln. Komischerweise regnet es abwechselnd aus zwei verschiedenen Richtungen, auch das Donnergrollen kommt mal von Norden und mal von Süden. Es sind gleich zwei Gewitterzellen, die schnell näherkommen und sich über uns austoben. Es wird richtig kalt. Aus Regen wird Hagel, dicke Körner fallen vom Himmel und sammeln sich zu einer dicken weißen Schicht. Danach ist der Weg glatt wie Schmierseife. In den Pfützen haben sich Lachen aus gelbem Blütenstaub gebildet. Nach zwei Stunden ist der Spuk vorbei.
Im weiteren Verlauf des Nachmittags kommen wir am Abzweiger zu einem Campingplatz vorbei, der gesperrt ist. Ein Schild verbietet den Zugang wegen Bären-Aktivitäten. Auch beim nächsten und übernächsten Abzweiger ist der Zutritt verboten. Vier Plätze in Folge sind von den Park Rangern als unbenutzbar erklärt worden. Das Datum steht jeweils mit auf dem Verbotsschild, einen Tag nach unserer telefonischen Reservierung wurde hier dicht gemacht. Unser für gestern reservierter Campingplatz ist ebenfalls schon seit Samstag gesperrt. Da hätten wir also gestern gar nicht bleiben können, auch wenn wir es bis dorthin geschafft hätten. Haben wir also gar nicht so falsch gehandelt, als wir ungefragt einen anderen Platz bezogen haben.

Am Wegesrand schlängelt eine weitere kleine Schlange der unbekannten Art davon. Meine Güte, was sind die schnell ! Unser Weg windet sich hoch am Hang parallel zum Lamare River. In einer Kurve stoppt Thomas plötzlich abrupt ab. Direkt hinter einer Biegung liegt ein ausgewachsener Bison in seiner Schlaf-Mulde direkt neben dem Weg. Wie sollen wir denn bloß daran vorbeikommen ? Natürlich haben wir mächtigen Respekt vor diesem Bullen und schlagen uns erstmal abseits zwischen die Bäume. Da fühlt man sich doch gleich viel sicherer. Der Bison steht auf, schüttelt den Staub aus seinem Fell und pendelt mit dem Kopf hin und her. Insgesamt sieht er ganz friedlich aus, deswegen wagen wir es, aus dem Schutz der Bäume heraus ein paar Fotos zu schießen. Dann umgehen wir das Tier abseits vom Trail in etwa 5 Metern Entfernung zwischen den Bäumen. Es interessiert ihn nicht sonderlich, er legt sich einfach wieder hin.

Und noch eine Renn-Schlange, die so schnell verschwindet, dass wir gerade nur einen kurzen Blick erhaschen konnten. Eine weitere Fluss-Überquerung kommt ganz überraschend. Das muss der Miller Creek sein, der sich demnächst mit dem Lamare River vereinigt. Wir gehen zusammen durch und staunen über die starke Strömung. Nur mit ganz kleinen Schritten kommen wir sicher ans andere Ufer. Wir haben Zuschauer beim Durchschreiten des Flusses. Drüben stehen drei Mitarbeiter der Nationalpark-Behörde und schauen zu, wie wir das machen. Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln fragen sie uns, ob wir Bären gesehen haben. Die Drei sind bewaffnet bis an die Zähne, sogar an den Seitentaschen der Rucksäcke gucken Gewehre heraus. Die haben tatsächlich vor, den Bären zu erschießen, der hier Unruhe bei den Campern stiftet.
Zwei Bisons kommen uns frontal auf dem Trail entgegen. Wir weichen aus, indem wir einen Bogen abseits der Spur machen. Der eine bleibt 5 Meter von uns stehen, um an einer Wasserrinne zu trinken. Der andere Bison folgt ihm, ebenfalls nicht an uns interessiert. Die Beiden scheinen friedlich zu sein. 
Dutzende von Pikas tummeln sich auf der Wiese neben dem Fluss. Die kleinen Nager scheinen überall zu sein, total niedlich anzusehen. Wir entdecken eine große Bison-Herde zur linken Seite des Weges. Etwa 50 Tiere grasen am Ufer des Miller Creek, erfreulicherweise haben sie viel Nachwuchs dabei. Hübsch sind die kleinen hellbraunen Kälbchen. Wir müssen direkt dran vorbei, dabei ist uns gar nicht wohl. Ich halte vorsichtshalber mein entsichertes Bären-Spray in der Hand, während Thomas sogar die Nerven hat, ein kleines Video zu machen. Weiter unten am Ufer sehen wir eine weitere Herde mit ca. 20 Bisons. Und dann noch eine …. und noch eine. Insgesamt kommen wir sicherlich auf 200 Bisons an einem Tag. Wir freuen uns darüber, dass diese gewaltigen Tiere sich im Park offensichtlich wohl fühlen und gut vermehren. Ehemals vom Aussterben bedrohte Tiere haben hier einen einzigartigen Lebensraum. Wenn die obligatorischen Reservierungen und Kontrollen zur Erhaltung dieser bedrohten Tierart führen, dann machen die zahlreichen Regeln und Verbote durchaus Sinn. Der Yellowstone National Park wird auch „Nordamerikanische Serengeti“ genannt, was wirklich sehr passend ist. Unser nächster Campingplatz, um wieder in die richtige Taktung zu kommen, liegt in Tower Falls. Der ist zwar gebührenpflichtig, aber man muss nicht im Voraus reservieren. Auf dem Weg dorthin sehen wir einige Pronghorn-Antilopen. Um 19.30 Uhr sind wir endlich da, zahlen 5,- Dollar pro Person, Bären-sichere Metallkiste für Futterbeutel und Müll inklusive. Wir haben das Zelt gerade fertig aufgebaut, als es anfängt zu regnen.

Der Wecker klingelt um 6.00 Uhr. Wir müssen von Tower Falls 5 Kilometer entlang der Straße bis Tower Junction laufen, um wieder in die Route einzusteigen. Auf Asphalt laufen ist doof, aber diesmal lohnt es sich wegen der beeindruckenden Landschaft. Rechts liegt der Grande Canyon of Yellowstone. Das ist eine bizarre Fels-Landschaft in gelblichen Tönen mit sehr ausgefallener Struktur im Stein. Wir marschieren entlang des tiefen Canyons, wo unten der imposante Yellowstone River fließt.

Links von der Straße am Hang entdecken wir einen kleinen Schwarzbären. Er macht Männchen, streckt seinen Hals und schaut neugierig nach allen Seiten. Sehr süß ! Das ist genau das richtige Vorbild für einen Kleinkind-Teddybären. Die Mutter ist nicht zu sehen, was uns etwas beunruhigt. Man darf auf keinen Fall zwischen Mama Bär und ihren Nachwuchs geraten, deswegen eilen wir schnell vorbei. Sehr zu unserer Freude gibt es bei Tower Junction eine Tankstelle, die sehr willkommen ist für eine Pause mit Eis und Kaffee. Im offenen Lagerraum sehen wir einen Karton Fiji-Wasser stehen. Es ist schon erstaunlich, wie gut das vermarktet wird. Eine sehr edel aussehende Flasche, die gerne in schicken Restaurants verkauft wird. Dabei ist da nur Wasser drin. Von Fiji in ein kleines Dorf im Norden der USA – weit gereist. Ganz in der Nähe liegt die Ranger Station, da gehen wir auch noch kurz hinein. Es ist immer interessant, mit den Rangern zu reden, gut für Informationen zum Trail, den aktuellen Wetterbericht und sonstige Fragen.
Um 10.30 Uhr beginnen wir endlich mit dem Garnet Hill Trail, der auf der Westseite um den Garnet Hill mit 7060′ Fuß Höhe herumführt. Wir starten im Regen. Gleich zu Beginn sehen wir zwei Murmeltiere. Ein Wiesel oder Iltis lugt hinter einem Baumstamm hervor. Der Streifenhörnchen-Nachwuchs tobt durch den Wald. Eine imposante Hängebrücke führt über den Yellowstone River, der eine Gesamtlänge von 1114 Kilometern hat. Tief unter uns sprudelt der wilde Fluss in seiner vollen Breite. Gewaltige Wassermassen donnern durch die Schlucht.

Eine Stunde später müssen wir einen anderen Fluss ohne Hilfsmittel durchqueren. Der Hellroaring Creek ist überraschend breit und tief. Das hatten wir so gar nicht erwartet. Dieses wird unser bisher schwierigster Fjord. Wir laufen eingehakt, mit festem Schuhwerk, sehr langsam und mit kleinen Schritten, die wir abwechselnd voreinander setzen. Immer drei Beine und zwei Stöcker fest am Grund, trotzdem bringt die starke Strömung uns beinahe ins Schwanken. Das Wasser reicht höher als bis zum Oberschenkel. Wir sind nass bis auf die Unterhose, auch die Unterseite der Rucksäcke hat etwas abgekriegt. Zeit für eine lange Pause am anderen Ufer. Inzwischen scheint die Sonne, wir stellen das nasse Zelt auf und breiten alle Klamotten zum Trocknen aus. Es ist schön warm, ein leichter Wind weht, keine Moskitos, so dass man barfuß sitzen kann. Solche tollen Pausenplätze verleiten zum länger Bleiben. Aber wir müssen weiter, viel haben wir noch nicht geschafft. Es ist bereits 13.00 Uhr, und wir haben noch 24 Kilometer zu tun bis zum reservierten Platz. Stundenlang bleibt unser Weg auf der rechten Seite des Yellowstone River. Mal geht es über bunte Blumenwiesen, dann wieder hoch am Hang durch Mischwald. Richtig nett, abwechslungsreich und ohne große Anstrengung. Heute ist wohl der Tag der Schmetterlinge. Da fliegen Monarchfalter in gelb-schwarz mit einer Flügelspannweite von 10 Zentimetern. Außerdem sehen wir ein sehr außergewöhnliches Exemplar, einen Falter mit einer Art Totenkopf-Muster. So einen Schmetterling haben wir noch nie gesehen, vielleicht ist es auch eine riesige Motte. Uns erinnert das Motiv an den Film „Schweigen der Lämmer“. Dort wo kleine Rinnsale den Pfad etwas sumpfig werden lassen, da sitzen Dutzende von kleinen Schmetterlingen mit zartblauen Flügeln.  Die sind so hell, dass sie fast durchscheinend wirken, und ganz leicht gemustert. Wenn man näherkommt, dann erheben sich die Schmetterlinge alle gleichzeitig in die Luft, was dann aussieht wie eine hellblaue Wolke.

Mehrmals überschreiten wir die Grenze der Bundesstaaten Wyoming und Montana. Wunderbares Laufen auf einem gut erkennbaren Pfad. Unberührte Natur, so weit es möglich ist. Man sieht nichts, was von Menschenhand geschaffen wurde und stören würde. Ab und zu ein klitzekleines Zeichen an einem Baum, ein unauffälliges Metallschild mit der Nummer des Campingplatzes, ansonsten keine Eingriffe auf unserer abgelegenen Strecke. Die Original-Route des CDT führt über die Hauptstrecke, also mitten durch die überlaufenden Touristen-Attraktionen. Die meisten Thru-Hiker laufen die kürzeste Distanz, das sind 25 Meilen, an nur einem Tag durch den Park. So spart man sich die Umstände mit der Reservierung und gibt kein Geld für’s Zelten aus. Wir haben ganz bewusst die Big-Sky-Alternate gewählt, weil wir auf dieser abgelegenen Route mehrere Tage im Nationalpark verbringen können.
Lange Zeit folgen wir dem Yellowstone River Trail. Eine springlebendige Antilope flüchtet vor uns. Eine andere Antilope liegt mausetot neben dem Weg, sogar noch mit Fell dran. Überhaupt finden wir jede Menge Knochen aller Arten und Größe und einige abgestoßene Geweihe. Es scheint fast so, als würden die großen Wildtiere eher auf der anderen Seite des Flusses wohnen. 

Ein weiteres Mal müssen wir den Yellowstone River über eine stabile Hängebrücke überqueren. Auf einem der hohen Metall-Pfeiler entdecken wir ein ungewöhnlich großes Nest. Was für ein toller Platz, total sicher vor Feinden, denn an dem glatten Metall kommt Niemand hoch. Wir rätseln noch, was da wohl für ein Vogel wohnt, laufen über die Brücke, wo wir uns noch einmal umdrehen. Tatsächlich sehen wir nun, wer in dem Bauwerk aus Stöckern und kleinen Ästen zu Hause ist. Das kunstvolle Gebilde auf dem Brückenpfeiler ist ein Adlerhorst. Wir gehen nochmal zurück, um uns die Sache aus der Nähe zu betrachten. Ein großer Weißkopfseeadler sitzt am Nestrand, wir sehen und hören aber auch mindestens ein Jungtier im Nest.

Wir können es kaum fassen, was wir in den letzten Tagen alles an Tieren gesehen haben. Das ist viel besser als die Moskitos in Maine zu zählen. 😉 Auf jeden Fall ist es nicht langweilig hier im Yellowstone National Park. Die Zeit vergeht schnell. Irgendwann merken wir, dass der Tag bald um ist, weil die Füße weh tun. Den Abzweiger zu unserem gebuchten Platz finden wir nicht. Laut unseren Unterlagen war der Pfad bereits vor 10 Jahren fast verschwunden, nun ist die Spur ganz weg. Wir können aber dorthin gelangen, indem wir 3 Kilometer über eine der Haupt-Verkehrsadern gehen. Hunderte von Autos fahren im Park, das hat uns schon 2017 agressiv gemacht. Auf der Straße herrscht Stau. Wir laufen eng an den Straßenrand gedrückt, denn es gibt keinen Randstreifen für Fußgänger, überholen die Autos, die nur sehr langsam weiterrollen. Ein entgegenkommendes Fahrzeug hält an und erklärt uns den Grund für die stehenden Autos. Ein Grizzly-Bär tummelt sich auf der Wiese und kommt immer näher zur Straße. Das klingt schon ein bisschen beunruhigend, weil wir die einzigen Wanderer sind, die sich draußen aufhalten und in Richtung Grizzly bewegen. Alle anderen Gaffer sitzen sicher in ihren Fahrzeugen und brauchen nur das Seitenfenster herunterzukurbeln, um tolle Aufnahmen zu machen. Trotzdem müssen wir da lang, dort hinten liegt unser reservierter Platz. Zügig marschieren wir weiter, beobachten den Grizzly aus etwa 100 Metern Entfernung sehr genau. Der ist anscheinend auf Nahrungssuche, aber nicht auf Menschenjagd. Er wühlt mit der Nase im Boden und zwischen Sträuchern. Schon mehrfach haben wir dicke Steinbrocken gesehen, die von Bären umgedreht werden, weil sie darunter Kleingetier wie Insekten suchen. Ich habe mein Bären-Abwehrspray aus dem Holster genommen und sogar schon entsichert in der Hand, während wir vorbeilaufen. Das ist Nervenkitzel, obwohl der Grizzly nicht an uns interessiert zu sein scheint. Trotzdem atme ich auf, als er sich von der Straße abwendet und gemütlich in die andere Richtung schnüffelt. Kurze Zeit später erreichen wir einen Picknick-Platz am Lava Creek, wo wir unser Abendessen kochen und abspülen. Es ist bereits nach 20.00 Uhr, als wir die letzten 2 Kilometer in Angriff nehmen. Selbst in der letzten halben Stunde des Tages hat der CDT noch Überraschungen zu bieten. So stehen wir plötzlich ganz unerwartet neben einem Wasserfall. Der Lava Creek stürzt sich über hohe Felsstufen in die Tiefe, das Natur-Schauspiel nennt sich Undine Falls.

Eine Antilope steht am Waldrand und beobachtet uns, wir wir schnell zu unserem Endziel hasten. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit finden wir unseren Campingplatz und bauen unser Zelt auf einem abgelegenen Platz auf. Perfekt, das ist wie für uns gemacht. 🙂 Ein gerader Waldboden mit dicken Bäumen ringsum, der Fluss rauscht direkt neben uns, Hängevorrichtung für den Proviant gibt es auch. Es sieht nicht so aus, als ob in diesem Jahr bereits Menschen hier gewesen sind. Wir sind müde nach 36 Kilometern, das wird eine gute Nachtruhe geben. Was für ein unglaublicher Tag, der morgens früh mit einem Schwarzbär-Jungen begonnen hat und abends mit einem Grizzly geendet ist ! 🙂

Wir können endlich einmal ausschlafen. Kleiner Schreck am Morgen, als etwas zappelnd auf unserem Zeltdach landet. Ein Eichhörnchen hat uns wohl für einen Baum gehalten und ist gesprungen, konnte sich aber auf den glatten Wänden nicht halten. Wir haben erstmal nur schnelle 6 Kilometer bis in den kleinen Ort Mammoth vor uns. Der Weg besteht aus getrocknetem Lehm und ist bretthart. Durchgepflügt von unzähligen Hufen haben sich unangenehme Spurrillen gebildet, das tut gar nicht gut an den Füßen. Wir sehen Pfoten-Abdrücke von Wölfen oder Koyoten, die sich tief eingegraben haben. Am Himmel über uns kreist ein Adler. Eine Strumpfbandnatter liegt auf dem Trail, ca. einen Meter lang und dick, als ob sie gerade gefressen hat. Ein kleines Stück weiter sehen wir noch eine dieser harmlosen Schlangen, die aber sofort flüchtet. Baby-Streifenhörnchen flitzen umher, so possierlich, dass wir gerne stehenbleiben und sie beobachten. Schon von Weitem sehen wir eine weiße Felswand mit aufsteigenden Dämpfen. Das ist der kleine Ort Mammoth, ein Thermalbad mit Geysiren und heißen Quellen, ca. 260 Einwohner, sehr touristisch. Ein Besuch im Visitor Center lohnt sich auf jeden Fall, um in den Büchern der Tier- und Pflanzenarten zu stöbern. Im Ranger Office werden die Karten neu gemischt. Wir müssen die weiteren Nächte im Yellowstone reservieren und sind gespannt, welche Plätze wir zugewiesen bekommen bzw. welche Tagesetappen wir laufen müssen. Die Ranger fragen uns nach Schnee-Verhältnissen und Bär-Begegnungen. So erfahren wir auch, dass wir die ersten Wanderer in diesem Jahr sind, die die Route vom Frost Trail hinunter gekommen sind. Da muss man sich ja nicht länger wundern, dass wir keine Spur gesehen haben.