Wir segeln und wandern durch die Welt

DeFuniak Springs bis Ende

DeFuniak Springs ist ein Ort mit 5200 Einwohnern. Für uns eigentlich egal, da wir am „off-day“ sowieso nichts unternehmen möchten. Wichtig ist die Kombination von Hotel und Essen. Das haben wir diesmal gefunden mit dem Holiday Inn und Walmart in der Nähe. Wichtig sind die Heringe für’s Zelt, außerdem kauft Thomas einen neuen Sawyer Wasser-Filter, da unsere Tropfen zur chemischen Behandlung fast aufgebraucht sind. Ich entdecke eine Zecke am Oberschenkel, die sich schon ordentlich in die Haut eingearbeitet hat. Kaum zu glauben, dass die ihren Weg dorthin gefunden hat, weil ich immer lange Hosen trage. Thomas kann den Parasiten mit einer Pinzette zum Glück rückstandslos entfernen. Wir haben noch 210 Kilometer bis zum Ende, rechnen dafür mit einer Woche. Für den 9. März haben wir unseren Rückflug von Pensacola gebucht, d. h. eigentlich sind es drei Flüge bis nach Norfolk in Virginia. Für Dienstag können wir doch noch ein Treffen mit Steps und seiner Frau Nancy organisieren. Wir werden um Viertel nach 11 abgeholt und sind zum Lunch eingeladen. Vom ausgiebigen Frühstück im Hotel quasi direkt zum Mittagessen. Pappsatt. 😉 Danach gibt es eine kleine Rundfahrt durch den Ort, bevor wir zurück zum Trail gebracht werden. Um 13.30 Uhr starten wir mit vollem Bauch und schwerem Rucksack. Zunächst geht es eine Stunde am vierspurigen Highway entlang, dann weitere drei Stunden durch idyllischen Wald. Das Verhältnis könnte schlechter sein. 🙂 Die nächsten zwei Tage laufen wir in eingezäuntem Militärgebiet. Die Eglin Air Force Base ist mit 1876 km² der flächenmäßig größte Stützpunkt der United States Air Force und dient als Waffen-Testgelände. Im östlichen Bereich befindet sich außerdem eine Radar-Station zur Weltraumüberwachung. Für das Eglin braucht man eine besondere Erlaubnis. Thomas musste sich auf deren Portal registrieren, zwei lehrreiche Demo-Videos anschauen, danach im Internet einige Fragen beantworten. Zum Beispiel : Wie verhalte ich mich, wenn ich eine Bombe finde ? Schön ist es hier,  sehr gepflegter Trail, kein Müll zu sehen. Selbst der Verkehrslärm wird immer leiser, man kann ihn fast ausblenden. Der Weg verläuft stetig auf und ab zwischen Laubbäumen. In den Senken plätschern kleine Bäche mit klarem Wasser. Boardwalks, schmale Brücken und Holztreppen sorgen für Abwechslung. Den ersten Campsite erreichen wir viel zu früh, der nächste ist wiederum zu weit weg, das schaffen wir nicht. Eigentlich muss man sich festlegen und reservieren, haben wir aber nicht gemacht. Wir nehmen an einer passenden Stelle Wasser mit und schlagen uns in die Büsche. Das wird wieder eine lange Nacht. Im Hotel hält uns das Entertainment-Programm ( Fernseher und Internet ) stets vom Früh-Schlafen ab, das können wir jetzt im Zelt nachholen. Um 18.00 Uhr wird es dunkel – nein, um 18.00 Uhr IST es bereits stockdunkel.

Mitten in der Nacht müssen wir unsere Daunenjacken aus dem Rucksack kramen. Es ist immer noch oder schon wieder kalt. Handschuhe, Kapuze, Halstuch. Morgens werden wir davon wach, dass ein Hubschrauber über uns seine Kreise zieht. Dann ist Artillerie-Geschütz zu hören. Komisches Gefühl. Wir wissen natürlich, dass wir uns auf Militär-Übungsgelände befinden. Dies ist kein Ernstfall, obwohl es gerade ernst genug zugeht in der Welt. 🙁 Uns ist gar nicht wohl damit, wenn man andauernd Schüsse hört. Heute wird im Eglin Forest „Helikopter Abschießen“ gespielt. Lange geht das so, immer wieder dreht der Hubschrauber seine Runden, dann folgen Salven von Schüssen. Der Wald ist naturbelassen, ein toller Trail, aber die Geräuschkulisse passt nicht so gut. Es ist nett, dass wir in diesem Gebiet wandern dürfen, aber wir sind hier nur die geduldeten Besucher. Wir kommen uns ein bisschen vor wie im falschen Film. Der Eglin Forest ist und bleibt das Beste seit langer Zeit. Sanfte Hügel, weicher Waldboden mit einem Belag aus Blättern und Kiefernnadeln. Zu beiden Seiten liegt braunes Laub, dazwischen wächst hellgrünes Moos. Genau wie gestern steigen wir über etliche Bäche. Besonders gut gefällt mir der „Jump Across Creek“. Der Name täuscht, eine schmale Brücke führt ans andere Ufer. Es gibt einige wenige Sumpfstellen, die man auf Brettern trocken überqueren kann. Erstaunlich, dass der Weg in diesem Wald so gut gepflegt ist. Es sieht nicht so aus, als ob hier Spaziergänger laufen würden. Niemand ist uns begegnet, seit wir gestern nach dem Mittagessen das Militärgebiet betreten haben. Wir steigen ein bisschen bergauf und stehen plötzlich auf dem höchsten Punkt des Florida-Trails. Dann kann es ja jetzt nur noch bergab gehen. 😉

Am Nachmittag erreichen wir eine deutliche Markierung im Sand, da wurde ein breiter Strich quer über den Trail gemalt. Wir schalten das Handy an und bekommen unsere Vermutung bestätigt. Unsere App zeigt : 1000.0 Miles. Eine magische Zahl. Das sind 1600 Kilometer, wir sind bald fertig mit dem Florida-Trail. Na, wenn das kein Grund zum Freuen ist ! 🙂 Wir gehen ein kleines Stückchen weiter um die Kurve herum und staunen über eine grüne Bank am Wegesrand. Eine tolle Inschrift zum Erreichen der 1000-Meilen-Grenze ist in der Rückenlehne eingeritzt. 🙂 Daneben, etwas bescheidener, steht noch ein Holzschild, ebenfalls mit derselben Botschaft. Das wäre heute so ein besonderer Platz für den Feierabend …. aber es ist noch zu früh. Daneben wäre ein superschöner Platz, um ein Zelt aufzustellen …. aber das ist nicht erlaubt. Dann könnten wir heute Abend auf dieser grünen Bank sitzen und mit einem Bier auf unsere 1000 Meilen anstoßen …. aber wir haben leider kein Bier dabei. 😉 Nützt also nichts, wir marschieren weiter.

Lange Zeit ist es still hinter mir. Mein Mann ist sehr nachdenklich. Ich nenne es „Keen-ologie“. Thomas überlegt, wie viele Paar Wanderschuhe von „Keen“ er seit 2012 durchgebracht hat. Er kommt auf insgesamt 8 Paar. Damit ist er vier komplette Long-Trails gelaufen, außerdem die Reste von meinem zweiten AT in 2019. Pandemie-bedingte Wanderung durch Deutschland 2020, mehrtägige Touren auf den Kanaren und den Azoren 2021, die Besteigung des höchsten Berges Portugals sowie einige Monate in der Schweiz. Gestartet ist Thomas auf dem Florida-Trail mit einem schon gut benutzten Paar, an dem sich nach einer Woche die ersten Ermüdungserscheinungen zeigten. Jetzt, 1000 Meilen später, trägt er sie immer noch. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kommen wir am Red Deer Campsite an und sind dort alleine. Fein. 🙂 Die Geräusche der nahen Straße dringen herüber, aber ansonsten ist es ein netter Platz. Thomas baut das Zelt auf, ich laufe nochmal ein Stück zurück, um vier Liter Wasser zu holen. Gegessen wird im Dunkeln, um 19.30 Uhr beginnt unsere Nachtruhe.

Die Landschaft ist gleichbleibend schön, und das nun schon den dritten Tag in Folge. Man kann nicht meckern, wir fühlen uns sehr wohl hier im Eglin. Vor uns liegt eine Senke, mit dicken Baumwurzeln und Cypressen-Stümpfen durchsetzt. Alles trocken, aber bei Hochwasser ist das hier Überflutungs-Gebiet. Boardwalk extra lang, bis zu einer Brücke über den Gun Creek. Danach geht es noch weiter …. gerne mehr. Die Bretterstege sind mit rutschfester Dachpappe überzogen, also super zum Laufen. Das macht Spaß. 🙂 Heute treffen wir die ersten Menschen im Eglin-Gebiet, sie nennen sich „Tigger“ und „Graybeard“. Sofort fällt uns auf : Keen-Schuhe. Beide sind Vollblut-Hiker durch und durch. Tigger und Graybeard kennen den AT, den PCT und noch einige andere. Sehr beeindruckend ! Er ist stolze 77 Jahre alt und war Organisator bei der ALDHA, in der auch wir schon lange Mitglied sind. Lange bleiben wir stehen und quatschen mit den Beiden. Schade, dass wir in verschiedenen Richtungen unterwegs sind. Eine Stunde später kommen wir an die Eglin Bridge. Darunter fließt klares Wasser, an einigen Stellen tief genug für ein Bad. Der Grund ist gut zu erkennen, kein Müll, keine Pflanzenteile, einfach nur weißer Sand. Wir steigen eine kleine Böschung hinunter und gehen schwimmen. Das Wasser ist eiskalt, es kommt aus dem Norden. Uns bleibt fast die Luft weg, aber es ist herrlich erfrischend. In der Mittags-Sonne werden wir blitzschnell wieder trocken ( Handtücher tragen wir natürlich nicht ), so dass wir einfach wieder in die Klamotten steigen können.

Am Honey Creek füllen wir unsere Flaschen mit Trinkwasser und nutzen den Steg als Sitzgelegenheit während der Pause. Da kommt schon wieder ein Mensch, ein junger Mann mit Trail Namen „Squirvert“. Der war auch schon auf dem AT, also haben wir genügend Gesprächsstoff. Wir laufen eine Weile zusammen, bis sich unsere Wege am Pearl Campsite trennen. Wir machen früh Feierabend, damit wir morgen einen guten Start haben. Vor uns liegen erneut ungefähr 35 Kilometer auf Straßen, davon wollen wir den größten Teil an einem Tag hinter uns bringen. Am Ziel erwartet uns eine Überraschung. Mehrere Boxen mit Trail Magic von den Girl Scouts, den Pfadfinderinnen. In verschließbaren Tüten finden wir ein Sortiment von Mandeln, Keksen, Kaukummi, Pflastern, Feucht-Tüchern, Sanitizer …. lauter nützliche Dinge für Wanderer. Eigentlich brauchen wir nichts, aber man freut sich trotzdem über die nette Geste. 🙂

Die Florida-Symphonie ist besonders laut auf diesem Platz. Die Autobahn ist nicht weit, und der Verkehr reißt die ganze Nacht nicht ab. Unser Wecker klingelt schon um 5.30 Uhr. Wir wollen früh los, denn es wird ein langer Tag auf Asphalt. Frostige Temperaturen. Nach einer halben Stunde verlassen wir den Eglin Forest ( leider ) und stehen an einer vierspurigen Straße, der SR 85. Unsere App sagt dazu „High Speed Traffic“. Stimmt, es wird gleich wieder gefährlich. Der Florida-Trail verläuft neben der rechten Fahrbahn, also haben wir den Verkehr im Rücken. Zwei Stellen mit verengter Fahrbahn, wir müssen als Fußgänger zwei Brücken überqueren, die nur für Autofahrer gemacht wurden. Wir sind es inzwischen gewohnt. Dauert nicht lange, dann erblicken wir die ersten Hotels und Tankstellen von Crestview. Temperatur 4° Celsius, immer noch ganz schön frisch. Erste Pause beim Walmart, der liegt fast auf dem Weg. Dort kaufen wir eine neue Gas-Kartusche ( die letzte auf diesem Trail ). Außerdem gibt es das obligatorische Brat-Hähnchen und literweise Orangensaft. Gut gestärkt geht es zurück auf die Straße. Ein Problem ist, dass es auf dieser Strecke wieder keine Möglichkeit zum Zelten gibt. In Crestview kann man in einer Art Hostel kostenlos übernachten. Sehr nett, tolle Aktion für die jungen Leute. Aber in dieser Art von Unterkunft fühlen wir uns nicht so richtig wohl. Mir stellen sich schon bei dem Namen „Hiker’s Heaven“ die Nackenhaare hoch, wenn ich mir vorstelle, was für ein Trubel dort in den Gemeinschaftsräumen herrscht. Muss wohl am Alter liegen …. 😉 Zweite Pause an einer Tankstelle, weil ich zur Toilette muss. Wir brauchen einen stabilen schwarzen Müllsack, damit wir für den Flug aus zwei Rucksäcken ein Gepäckstück machen können. Im Laden liegen die herum, weil gerade gereinigt wird. Wir fragen die Putzfrau und bekommen einen schwarzen Sack geschenkt. Draußen werden wir von einer netten Dame angesprochen, während wir unsere Cola trinken. Dann schenkt sie uns ein paar Dollar „für einen Kaffee“. Sehen wir aus wie Bettler oder wie Obdachlose ? 😉 Die Lady sagt, dass es ihr eine Freude ist, uns auf unserem Trail zu unterstützen. Zum Abschied gibt sie uns ein „God bless you“ mit auf den Weg. Eine Stunde lang folgen wir den Markierungen quer durch die Stadt. Es ist gar nicht langweilig, auf der Main Street zu flanieren, denn es gibt viel zu sehen. Schaufenster-Bummel. Die Stadt Crestview gefällt uns. Nach Verlassen des Ortskerns wird es wieder hässlich. Zu viel Verkehr, kein Rand für Fußgänger, eine ellenlange Brücke voraus, wo es dann noch enger wird. 🙁 Trail Angel Sparkles hält an, während wir verdrossen am Highway stehen. Sie ist eine Freundin von FlatTop, der uns aus der Trail-Gemeinschaft und von Facebook gut bekannt ist. 🙂

Nächster Stopp ist in Holt, wo wir vor einem Dollar General abhängen und die letzten Tage planen. Es wird schwierig mit der Taktung, denn es gibt nur noch fünf offizielle Plätze zum Zelten bis zum Schluss. Weitere 7 Kilometer ab Holt, die Fahrbahn nur noch zweispurig, der Verkehr wird weniger. Irgendwann endet der Asphalt und geht über in eine Schotterstraße. Dort finden wir den „Canoe Cemetery“ und besichtigen den alten Friedhof. Zum Abschluss des Tages führt der Trail nochmal in ein Waldstück, zwar direkt neben der Straße, aber okay. Wir enden auf dem Guest Lake Park am gleichnamigen See. Hier stehen etliche Geländewagen mit angehängtem Trailer, denn es gibt eine Rampe, um Boote ins Wasser zu lassen. Die Angaben zum Zelten sind widersprüchlich. Zweimal finden wir die Aussage, dass Campen im Park nicht mehr erlaubt ist. Auf der Info-Tafel steht jedoch geschrieben, dass dieser Platz zum Übernachten für Florida-Trail-Hiker frei ist. Wir wählen die letztere Variante und bauen unser Zelt etwas abseits auf.

Schüsse während der Nacht, anscheinend nicht weit entfernt. Da haben wir es wieder, die Sache mit dem „falschen Film“. Es dauert zum Glück nicht lange, dann herrscht wieder Ruhe. Wir drehen uns um und schlafen noch ein paar Stunden weiter. Vogel-Spektakel sehr früh am Morgen. Viele verschiedene Stimmen, alle zwitschern durcheinander. Wir stehen wohl etwas im Weg, denn mehrere Sportler im Fußball-Dress stapfen um unser Zelt herum. Aufstehen und los. Der Weg führt zunächst wieder durch abgebrannten Wald. Schwarz vom Ruß, es stinkt nach erkaltetem Feuer. In der Ferne wird geballert. Das hört sich nach schwerem Geschütz an, es wird wahrscheinlich aus dem Eglin-Militärgebiet zu uns herüber hallen. Nicht schön. Keine Tiere zu sehen. Langweilig ist es. Jeder hängt seinen Gedanken nach, wir laufen einfach nur stumpf den Markierungen nach. Und dann kommt uns ein Sonnenschein entgegen : „Siesta“ sieht sauber und adrett aus, ist richtig schick gekleidet und hat eine modische Sonnenkappe auf dem Kopf. Eine tolle junge Frau, etwas kräftiger, hübsches Gesicht und eine wahnsinnig positive Ausstrahlung. Das Besondere an ihr sind zahlreiche Schmuckstücke, bunte Armbänder und Gold-glitzernde Ketten um den Hals. So etwas fällt echt auf im Wald. Siesta hat vor drei Tagen ihr Ziel erreicht und wandert jetzt zurück bis Crestview, von wo sie die Rückfahrt nach Hause arrangiert hat. 🙂 Das Bild des Waldes ändert sich, der Pfad wird schmal und richtig fein. Boardwalk über ein sumpfiges Gebiet, dann geht es hinunter an einen See. Unser Trail ist kaum noch zu erkennen, der Weg ist mit dicken Wurzeln durchsetzt und zugewachsen. Balancieren über Baumstämme, Klettern auf die andere Seite eines Baches, so gefällt uns der Florida-Trail schon besser. Weiter laufen wir durch einen grünen Tunnel. Inzwischen ist der Frühling angekommen, die Bäume tragen Knospen. Pause an der Wild Azalea Campsite mit sauberem Wasser und Picknick-Tisch. 🙂 Ungefähr zwei Stunden bleibt es schön. An einem Abzweiger steht ein Wegweiser. Der Florida-Trail geht nach links weiter, rechts verläuft der Side Trail nach Alabama. Unser Endziel ist Fort Pickens, noch 57 Meilen bzw. etwas mehr als 90 Kilometer. 

Wir genießen die entspannte Atmosphäre im Wald, denn bald geht es erneut auf die Straße. Dort stören wir uns an einer hässlichen Müll-Ecke. Zu beiden Seiten liegen kaputte Säcke, der Hausmüll verteilt sich daneben. Armselige Wohngegend, die Leute haben anscheinend kein Geld, um die ordnungsgemäße Entsorgung zu bezahlen. Die Luft ist dick und grau, südlich von uns wird ein Gebiet abgefackelt. Es riecht stark nach Rauch. Wir grüßen einen älteren Mann, der mit Bierflasche in der Hand am Zaun steht ( und das am frühen Nachmittag ). Er trägt eine Kappe mit der Aufschrift „FREAK“. Zerrissene Kleidung, ungepflegter Vollbart, wieder so eine verlorene Seele. Wir kommen ins Gespräch und erfahren, dass er erst 66 Jahre alt ist und sein Leben während der Hippie-Zeit voll genossen hat. In jungen Jahren ist er kreuz und quer durch die USA getrampt und hat dabei 48 Bundesstaaten besucht. Er wohnt jetzt bei einem Freund im Mobil-Home, nichts Eigenes, also eher geduldeter Gast. Heute sieht er gar nicht gesund aus, hustet ganz übel, wahrscheinlich COPD vom Rauchen. Er schimpft über die Politik, klagt darüber, dass alles teurer wird. Viele Jahrzehnte hat der „Freak“ mit Vollgas gelebt, aber jetzt kommt das große Jammern. Eigentlich viel zu früh, denn mit 66 muss man sich noch nicht aufgeben. Gleich nach dieser Begegnung biegen wir ab in die  Nicholas Creek Road. Hier gleicht ein Haus dem anderen. Die Bauweise, die Grundstücks-Größe, drei Garagentore pro Gebäude, offene Veranda, Eingang mit Säulen …. Das sind Lego-Häuser, alle gleich bis auf den Farb-Anstrich. Einzelne Module kann man anscheinend nach dem Baukasten-System aussuchen. Es dauert eine ganze Weile, bis wir verstehen, dass wir durch eine Militär-Siedlung laufen. Ungefähr 200 Familien wohnen hier friedlich und langweilig nebeneinander, aktive und Ex-Militär-Angestellte. Einzig und allein ein Briefkasten im Hundertwasser-Stil fällt auf. Der ist wirklich einzigartig mit seinen bunten Mosaiken.

Ansonsten sind alle Häuser und Details gleich, grau – braun – beige Tristesse. Eine Frau im mittleren Alter kommt barfuß aus ihrem Haus gerannt. Sie pfeift uns hinterher, und das in dieser spießigen, konservativen Wohngegend. Die Dame erzählt, dass sie oft Hiker vorbeilaufen sieht und versucht, ihnen etwas mit auf den Weg zu geben. Sie bedauert es immer, wenn sie Jemanden verpasst. Strahlend blaue Augen, übersprudelnd vor Lebensfreude. Was für ein Temperament ! Beide Arme hat sie voll mit Lebensmitteln, die sie uns schenken möchte. 4 Müsli-Riegel, 2 Tüten Chips, 2 große Dosen Energy-Drink, 2 Flaschen Wasser. Wir können es mal wieder nicht fassen. Die Nicholas Creek Road ist 3 Kilometer lang, sehr kurzweilig, denn wir schauen uns jedes Haus genau an und versuchen, die Unterschiede zu finden. 😉 Schon bald nach Verlassen der Militär-Siedlung fällt uns ein buntes Haus mit phantasievollem Garten auf. Die Außenwände sind in leuchtendem Blau gestrichen, ein paar Accessoires ebenfalls Ton in Ton. Ein passendes Dunkelgrün für die Fensterrahmen, grüne Jalousien als Sichtschutz für die untere Hälfte der Fenster. Hier wohnt ein Mensch, der Farben mag. Auffallend gut gepflegte Pflanzen, eine liebevoll eingerichtete Veranda und bunte Sonnenschirme runden das Bild ab. Es strahlt totale Harmonie und gute Laune aus. Wahrscheinlich fällt dieses sehr individuell gestaltete Haus doppelt auf nach den tristen Einheitshäusern, die wir in der letzten Stunde passiert haben. Im Garten werkelt ein älterer Mann und ruft zu uns herüber. Wir wechseln die Straßenseite und unterhalten uns über den Zaun hinweg. Er ist pensionierter Geologe. Seine Frau stammt aus Bayern, und sein Sohn ist bereits den AT gelaufen. Ein schwarzer Hund kläfft, eine Katze schleicht ums Haus, Hühner und zwei Schildkröten laufen auf der Wiese herum. Ein intelligenter und sehr freundlicher Mensch, der seine Tiere und seinen Garten mag. Wir werden gefragt, ob wir in letzter Zeit Schlangen gesehen haben. Nein, haben wir nicht. Die Erklärung folgt sofort : Im Eglin-Militärgebiet werden die Schlangen aufgegessen von den Soldaten, die ihr mehrtägiges Überlebenstraining absolvieren müssen. Wir machen Pause an einer Tankstelle, wo wir uns zwei Hot Dogs einverleiben. Ich möchte keine Cola mehr kaufen, weil ich fürchte, nach diesem Koffein-Kick nachher nicht einschlafen zu können. Also trinken wir diesen Monster-Energy-Drink. Null Alkohol, kein Zucker, aber da ist irgendein Teufelszeug drin. Ich komme mir vor wie auf Drogen, noch nie war ein Marsch am Highway so lustig. 😉 Vor uns liegen 5 Kilometer entlang einer vierspurigen Straße. Davon laufen wir einen Großteil auf einer Brücke über den Yellow River. So breit kann doch dieser Fluss gar nicht sein. Wir bleiben ungefähr auf der Mitte stehen, um nach unten zu schauen. Sumpfgebiet und umgestürzte Bäume, ein kleiner Bach fließt unterhalb der Brücke. Dort unten entdecken wir einen quicklebendigen Waschbären. Er sucht anscheinend nach Futter, angelt mit den Pfoten im Wasser. Es ist ohrenbetäubend laut, wir können uns nicht unterhalten, denn der Feierabend-Verkehr ist in vollem Gange. Die Entfernung beträgt etwa 30 Meter, und zunächst bemerkt der Waschbär uns nicht. Dann plötzlich schaut er hoch. Gleich nach diesem Augenkontakt dreht er ab und verschwindet im Wald. Nach Überqueren der vierspurigen Fahrbahn stehen wir etwas ratlos vor einem hohen Zaun. Da scheint es irgendwie nicht weiter zu gehen. Aber es gibt deutliche Markierungen, dazu Flatterbänder in orange, die Zeichen vom Florida-Trail. Das schauen wir uns genauer an und finden ein Loch im Zaun. Eigentlich ist es ein bewegliches Zaun-Element. Man kann einen Schäkel öffnen, den Draht aufbiegen, gebückt durchschlüpfen und wieder verschließen. Unsichtbar für Alle, die es nicht wissen. Es geht wieder in Eglin-Gebiet, und anscheinend wurde dieser Eingang extra für die Hiker des Florida-Trails gemacht. Super, wir freuen uns, das wir dieses geheime Tor gefunden haben. 🙂 Laut unseren Unterlagen soll es hier keine Möglichkeit zum Zelten geben, aber wir haben ein geschultes Auge und finden innerhalb weniger Minuten ein schönes Fleckchen. Die Temperaturen sind angestiegen. Es gibt wieder Moskitos, ich kassiere gleich ein paar Stiche. Viertel nach sechs ist es dunkel, nur eine schmale Mondsichel steht am Himmel. Eigentlich hatten wir gehofft, dass wir in der zweiten Hälfte unserer Wanderung etwas länger Tageslicht haben. Die Zeit-Umstellung seit Blountstown hat eher das Gegenteil bewirkt. Es bleibt also weiterhin bei frühem Feierabend und langer Nachtruhe.

Lange Nacht, ja, aber ohne Ruhe …. Der Highway ist viel zu nah. Wir sind total übersättigt von Straßen, Autos, Verkehrslärm. Schon morgens um 6.00 Uhr läuft ein Wanderer an unserem Zelt vorbei, gefolgt von einem Hund. Den kennen wir vom Wilton Hilton bei der Baptisten-Kirche. Erstmal brauchen wir unseren Kaffee, dann folgen wir seinen Spuren. Es geht zwei Stunden lang durch schwarze Baum-Gerippe, nicht das erste Mal, aber immer noch deprimierend. An einem Bach treffen wir Herrchen und Hund wieder. Er raucht gerade sein Pfeifchen und erzählt vom 6-er-Pack Bier, das er sich gestern gegönnt hat. In der gemeinsamen Pause erfahren wir noch mehr aus seinem Leben. Der Mann hat schätzungsweise unser Alter, ist aber ein ganz armer Schlucker und hat praktisch kein Geld. Heimatlos und ziellos. Er wird noch nicht einmal bis zum Ende laufen, sondern 10 Meilen vorher abbiegen auf irgendeinen anderen Trail. Thomas schenkt ihm ein paar Snacks, denn wir haben gerade zu viel davon, außerdem können wir am späten Nachmittag unterwegs einkaufen. Wir sind privilegiert. Wir haben die Wahl zwischen Zuhause, Boot, Zelt und Rucksack. Und wir sind zu Zweit. 🙂 Uns zieht es weiter, Hund und Herrchen bleiben länger sitzen und denken über Mittagsschlaf nach. Nach dem verkohlten Gebiet wandern wir eine halbe Stunde durch’s Grüne, danach ist schon wieder vorbei mit schönem Weg. Gerodete Flächen, abgeholzter Wald, Kraut und Rüben, Furchen und Holzsplitter überall. Hässlich. Eine Straße kreuzt, dort stehen zwei Wagen. Ein sportlich gekleideter Herr steigt aus und fragt, ob wir Thru-Hiker sind. Seine Frau möchte eine kleine Sektion laufen, aber sie finden den Trailhead nicht. Thomas kann ihm den Weg erklären und auf dem Handy zeigen, welche Straße dorthin führt. Zum Abschied drückt der Mann ihm einen Schein in die Hand „für Essen“. Schon wieder 20,- Dollar geschenkt bekommen. Warum ? Das erschließt sich uns nicht so ganz. Anscheinend finden die Leute es toll, dass wir über 1000 Meilen zu Fuß durch Florida gelaufen sind. Wenn die wüssten, dass wir das ganz bestimmt nicht noch einmal machen würden. 😉 Wir müssen einmal den Highway überqueren, relativ wenig Verkehr, also nur halb so gefährlich. An der nächsten Kreuzung liegt ein verrottetes Motorboot. Es steht einfach so mitten auf dem Weg, anscheinend schon etwas länger, denn es wachsen kleine Bäumchen drin. Das ist ja verrückt. Wie kommt dieses Boot denn dorthin ? Die einzige Erklärung, die uns einfällt, ist Hochwasser. Dafür kommen der Yellow River oder der Buck Pond in Frage. 50-60 Zentimeter Tiefgang, da muss schon sehr viel Wasser über die Ufer treten und viele Meter steigen, bis es ein Motorboot ins Binnenland versetzt. Den ganzen Nachmittag laufen wir entlang des Highway. SR  87 zum dritten oder vierten Mal. Dichter Feierabend-Verkehr. Eine Tankstelle zur Auflockerung, danach ein kleiner Einkauf im Dollar General. Zeltplatz gibt es nicht, wir schlagen uns neben dem Highway in die Büsche. Nicht schön, aber damit haben wir die gestrige Distanz von 45 Meilen gedrittelt. Morgen gibt es für uns nur die Campsite Big Sabine Point in 15 Meilen. Keine Alternativen, weil Zelten am Strand strengstens verboten ist.

Laute Straße gleich nebenan, aber mit Ohrstöpseln war es auszuhalten. Das Zelt ist nass. Es ist Regen angesagt für unsere letzten beiden Tage auf dem Florida-Trail. Um 6.00 Uhr sind wir wach, früher Start entlang der Hauptstraße. Das Meer ist nicht mehr weit. Nur drei Kilometer, dann sind wir in Navarre. Das Orts-Eingangsschild wirbt damit, dass dieses der entspannteste Ort Floridas ist. Naja, darüber kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Wer denkt, dass hier weniger Verkehr ist, der hat sich getäuscht. Die Fahrbahn ist zu, wahrscheinlich müssen viele Menschen zur Arbeit. Die Autos stehen im Stau. Gut für uns, so können wir relativ leicht auf die andere Seite huschen. Wir kommen am Visitor Center vorbei, da gibt es saubere Toiletten und Waschbecken. Drumherum ein netter Park mit Bänken, aber brauchen wir gerade nicht. Am Eingang hängt ein interessantes Schild : Menschen, die wegen Sexual-Delikten oder Raub auffällig geworden sind, die dürfen den Park nicht betreten. Macht Sinn. Bleibt die Frage offen, von wem und wie das kontrolliert wird. Schon um 8.00 Uhr laufen wir über eine lange Brücke hinüber zur Landzunge Santa Rosa Island.

Wirklich beeindruckend, dieser Spaziergang. Immer wieder stellen wir fest, wie toll die Stimmung beim Wandern ganz früh am Morgen ist. Kurz darauf erste Pause am Strand. Wir wollten es nicht glauben, haben die Begeisterung für übertrieben gehalten. Aber der ist wirklich so schön, wie uns gesagt wurde. Weißer Sandstrand, das kennen wir von zu Hause, aber dieser Sand ist unheimlich fein. Weiß und weich wie Samt. Dazu lockt das Meer mit einer tollen Brandung. Zu dieser frühen Stunde sind  kaum Menschen am Strand. 🙂 Schuhe und Strümpfe aus, wir tauchen ein in den Golf von Mexiko. Laufen eine ganze Weile barfuß und genießen das Meer. Es tut so gut, die geschundenen Füße und die Waden im kalten Wasser zu baden.

Weiter geht es auf einem Fahrradweg neben der Straße, zu beiden Seiten niedrige Dünenlandschaft. Hübsche Häuser, Hotels, Appartements und private Villen stehen entlang dieser ganz besonderen Kulisse. Einige originelle Briefkästen und Vorgärten mit geschmackvoller Deko fallen ins Auge. Wir möchten uns die Preise gar nicht vorstellen, das Wohnen hier muss unsagbar teuer sein. Nach vier Stunden erreichen wir den Opal Beach. Das ist eine gepflegte Anlage mit überdachten Picknick-Plätzen, Toiletten und Außendusche. Normalerweise muss man 15,- US$ Eintritt pro Person bezahlen, aber das Kassenhäuschen ist nicht besetzt. Opal Beach ist im Jahr 1995 entstanden, als ein Hurricane über’s Land gefegt ist und die Dünen geglättet hat. Nichts los hier. Keine Strand-Gäste, die Ferien beginnen erst nächstes Wochenende, und der Wetterbericht ist schlecht. Uns soll es Recht sein. Eiskalte Dusche, frühes Mittagessen zivilisiert am Tisch und 3 Liter Wasser zum Mitnehmen. Die nächsten 10 Kilometer bis zum Zeltplatz wird es kein Wasser geben.

Der Florida-Trail verläuft weiter auf der anderen Seite durch die Dünen, doch dieser Weg ist mit Flatterband abgesperrt. Eine knappe Notiz erläutert, dass dahinter jetzt Vogelschutz-Zone ist wegen Brutzeit. Macht ja alles Sinn, durchaus verständlich, aber es gibt leider keine Alternativen. Zelten am Strand ist strengstens verboten, also geht es nur weitere 25 Kilometer bis zum Endpunkt oder denselben Weg zurück. Für Autofahrer mag das okay sein, aber nicht, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Spuren von Hiker-Schuhen gibt es genug, also ab in die Dünen und den Markierungen folgen. Ein plötzlicher Regenguss erwischt uns, bevor das Zelt steht. Kurz und knapp, aber heftig genug, damit alles nass wird. Das musste ja nun nicht sein ! Ärgerlich. 🙁 Dafür zeigt sich im nächsten Moment ein wunderschöner Regenbogen am Himmel. Wir schauen uns die Bayview Campsite an. Direkt am Santa Rosa Sound, und der gehört zum ICW, wäre also mit der Walkabout befahrbar. Ein idyllischer Platz, richtig romantisch. Für uns allerdings nicht so geeignet, weil die Heringe im Sand nicht halten würden. Außerdem wäre das Zelt dort Regen und Wind völlig ungeschützt ausgeliefert. Wir gehen ein Stück zurück und bauen auf Kiefernnadeln unter einem Baum auf. Viel besser. Ich habe tatsächlich trotz mehrmaligem Eincremen mit Schutzfaktor 30 einen Sonnenbrand im Gesicht. Bin wohl den Strand nicht mehr gewöhnt. Wir sind sehr früh im Zelt verschwunden, denn draußen plagen uns klitzekleine Insekten, ganz ähnlich den Sandflies in Neuseeland. Wir genießen es, die laute Brandung zu hören. Dummerweise kommt später noch eine Gruppe von Hikern. Es ist schon dunkel, eigentlich sind wir gerade kurz vor dem Einschlafen. Es wird laut um uns herum. Einer der Jungs ist ein Ire, der auf seine Visa-Verlängerung hofft. Er hat keine Lust auf Stress und wegen der Absperrung bei der Florida Trail Association angerufen. Ihm wurde gesagt, dass er das Flatterband einfach ignorieren soll. Acht Leute sind nach uns durch die Absperrung geklettert und den Markierungen gefolgt. Na denn ….

Um 4.30 Uhr werden wir wach, weil nebenan bereits Aufbruch-Stimmung herrscht. Wir kochen unseren Kaffee und rödeln ebenfalls früh auf. Leichter Regen während der Nacht, morgens beim Start ist es nieselig. Aber es nützt nichts, wir müssen heute das Ziel erreichen, weil morgen um 7.00 Uhr unser erster Flieger startet. Interessante Wanderung durch schickes Wohngebiet.

Einige Anwohner führen ihre Hunde aus, mehrere Jogger und Radfahrer sind unterwegs. Alle Menschen sind freundlich und grüßen, obwohl wir nicht mehr besonders adrett aussehen. Manche fragen, wie weit wir gelaufen sind, andere gratulieren uns, weil wir fast am Ziel sind. Die kennen anscheinend den Florida-Trail. Nett. 🙂 In Pensacola Beach kehren wir zum Frühstück im Subway ein. Viertel vor acht, schon zehn Kilometer geschafft. Läuft gut. 🙂 Jetzt wissen wir auch, woher „Siesta“ ihre vielen glitzernden Perlenketten hatte. Anscheinend schmücken die Bewohner dieser exklusiven Ferien-Siedlung ihre Palmen damit.

Wir wechseln die Spur und wandern weiter an der Wasserkante. Kanada-Reiher stehen am Flutsaum. Strandläufer hüpfen in Scharen umher, picken im nassen Sand und rennen davon, wenn eine Welle anrollt. Diese putzigen Vögel kennen wir von Norderney. Sie überwintern im Süden Nord-Amerikas. Stundenlanges Laufen im weichen Pudersand ist anstrengend. Wir verlassen den Strand, um auf einem Fahrrad-Fußweg schneller vorwärts zu kommen. Die Landzunge ist inzwischen so schmal, dass wir zu beiden Seiten das Wasser sehen können. Wenige Kilometer vor dem Ende gibt es einen teuren Campingplatz. Nichts für uns, ein riesiges Gelände mit Appartements auf Rädern. Auf einem der Kamine sehen wir schon von Weitem ein großes Nest. Sehr gut ausgewählt, denn das Haupthaus vom Campingplatz ist weit und breit das einzige Gebäude im Westen der Halbinsel. Zunächst denken wir dabei an Störche. Darin sitzen zwei junge Adler – Zwillinge – und schreien nach Fütterung. Faszinierend. 🙂 Unser Weg führt vorbei an einem schwarzen Bollwerk. Das ist „Battery Langdon“, ein Vorbote des Fort Pickens. Diese Verteidigungsanlage war bis 1947 in Betrieb. Wir steigen hoch, blicken einmal in die Runde und sind schnell fertig. Da hatten wir sogar auf unserer Deutschland-Wanderung beeindruckendere Burgen und Ruinen. Letzte Pause drei Kilometer vor dem Ende. Meine Füße tun weh. Und Zeit spielt jetzt keine Rolle mehr. Roter Kardinal im Busch gegenüber, gleich zwei davon. Wir sitzen auf einem Baumstamm und können das Paar in Ruhe beobachten. Die haben anscheinend Frühlingsgefühle. 🙂 Am 8. März 2022 gegen 13.30 stehen wir am Northern Terminus. Ungefähr 1800 Kilometer in 10 Wochen zu Fuß durch Florida. Ziel erreicht. Das Monument, auf dass wir seit dem 25.12.2021 unseren Fokus gerichtet hatten, übersehen wir fast. Es steht ziemlich unscheinbar hinter einer Brücke. Auf den Fotos bei Facebook wirkte es viel größer. Ehrlich gesagt ist das Erreichen des Monuments nicht besonders emotional. Unser „Siegerfoto“ können wir nicht sofort schießen, denn just in diesem Moment fängt es an zu regnen. Wir kauern uns auf den Boden und verkriechen uns in den Poncho. Typisch Florida-Trail, war irgendwie klar, dieser Abgang. 😉

Die weitere Besichtigung von Fort Pickens sparen wir uns. Wir sind nicht besonders interessiert und wollen eigentlich nur weg. Der Himmel sieht nach mehr Regen aus. Schon das zweite Auto stoppt. Leider fährt die Lady nur bis zum Campingplatz, aber immerhin sind wir ein kleines Stückchen weiter. Es dauert keine 5 Minuten, dann hält der nächste Wagen an. Darin sitzt ein Paar mit hartem Akzent, im ersten Moment kaum zu verstehen. Sie sind etwas zurückhaltend. Bald erfahren wir, dass sie Russen sind. Aus der Sowjetunion sagen sie, genauer gesagt aus Moskau, und sie leben seit 32 Jahren in den USA. Die können uns ja nur leid tun. Sie entschuldigen sich für Putin, obwohl sie rein gar nichts damit zu tun haben. Familie und Freunde haben sie seit vielen Jahren nicht gesehen, aber natürlich machen sie sich Sorgen. 🙁 Unser russisches Paar steuert ein Restaurant in Pensacola Beach an. Unsere Fahrt ist hier erst einmal zu Ende.

Eine Stunde lang stehen wir an der Straße und halten den Daumen raus. Niemand hält. Dann laufen wir eben zurück. Ich kann nur noch humpeln. Wenig später überholt uns ein Wagen und fährt rechts ran. Die Russen haben fertig gegessen und lassen uns wieder einsteigen. Sie bringen uns bis zum Flughafen von Pensacola, wo wir zunächst ein paar Fragen klären wollen. Am Schalter wird uns gesagt, dass wir spätestens um 5.00 Uhr in der Frühe da sein sollen, um unser Gepäck aufzugeben. Der Flughafen schließt leider seine Türen zwischen 22.00 Uhr und 3.30 Uhr. Dort können wir die Nacht also nicht verbringen. Schade. Wildes Zelten in der näheren Umgebung sieht auch ganz schlecht aus. Was machen wir jetzt bis morgen früh ? Thomas ist immer sehr praktisch veranlagt, während ich noch stundenlang nach einer preiswerten Lösung suchen würde. Wir buchen für 80,- US$  ein ( ziemlich schlechtes ) Motel, zahlen 20,- US$ für ein Taxi und haben große Mühe, einen Wagen für 4.30 Uhr am nächsten Morgen zu organisieren. Aber dann ist es okay, wir genießen die Dusche, feiern mit Bier und Salzbrezeln.

Um 4.15 Uhr klingelt der Wecker. Thomas wird schon früher von lautem Donner wach. Gewitter und heftiger Regen. Wir wären total abgesoffen mit unserem zerschlissenen Zelt. Also alles richtig gemacht. Teure Nacht, kein Luxus, wenig Schlaf. Aber es war wohl das Beste, was wir aus dieser Situation machen konnten. Die Sicherheits-Kontrollen am Flughafen sind mehr als gründlich. Die ganze Welt ist in Unruhe. 🙁 Unsere Flugstrecke : Pensacola – Charlotte – Washington – Norfolk. Von dort geht es mit einem Mietwagen weiter zur Lamb’s Marina. Alles klappt nach Plan. Wir haben eine Stunde Zeit-Verschiebung. Der Zustand der Walkabout ist erfreulich. Ein bisschen feucht, denn das Boot hat einige Schneestürme abbekommen. Auch jetzt ist in North Carolina noch Winter angesagt. Wir schmeißen den Ofen an und lassen ihn ausnahmsweise die ganze Nacht hindurch laufen. Draußen gießt es in Strömen, wir haben es innen richtig gemütlich. 🙂 Die erste Nacht in der vertrauten Koje schlafen wir so gut wie lange nicht mehr. Eine Störung gibt es allerdings doch. Ich werde davon wach, dass mich etwas unter der Achsel zwickt. Bei näherer Untersuchung finde ich eine Zecke, die wir anscheinend aus Florida mitgebracht haben, entweder in der Kleidung oder in den Schlafsäcken versteckt. Nachts in der Wärme unseres Bettes ist sie aktiv geworden. Ich wecke Thomas, der den Parasiten schnell und sauber entfernt. Das hat er schließlich 17 Jahre lang bei unserem Hund geübt. 😉

3 Kommentare zu “DeFuniak Springs bis Ende

  1. Rainer

    Klasse, Glueckwunsch zum Abschluss des Trails. Jetzt Wunden lecken und nach vorne schauen. Frauke, trotz – oder gerade wegen – der Laengen Superberichte und Bilder. Mit Unterstuetzung vom “ Lastesel“ Thomas. -;)
    Liebe Gruesse aus NZ

    Anne und Rainer

    1. 871385 Autor des Beitrags

      Danke. 🙂
      Von wegen „Lastesel“ …. Jeder trägt sein eigenes Zeug. Der Proviant wird aufgeteilt. Einziger Unterschied : Thomas trägt das Zelt – ultralight. Ich habe dafür den Kocher, eine Gas-Kartusche, zwei Schüsseln und Besteck im Rucksack.
      Schön, dass es geklappt hat mit dem Telefonieren. Wir vermissen euch !

      Fühlt euch gedrückt,
      Frauke