Wir segeln und wandern durch die Welt

Die letzten Seemeilen bis Homer

Die letzten Seemeilen liegen vor uns. Es ist nicht mehr weit bis Homer, aber das Wetter stellt sich gegen uns. Victor schreibt, dass der stramme Nordwind noch etwa 7-10 Tage anhalten soll. Gar nicht gut, immer von vorne. Der Vorschlag, dass wir zunächst bis Kodiak fahren sollen, um die Zeit zu verbummeln, ist für uns indiskutabel. Wir werden uns irgendwie durchschlagen, nicht bequem, aber am Ende lockt das Winterlager.
Früher Start. Unter Motor tuckern wir durch den Fjord. Nach 2 Stunden sind wir am Kap und können Segel setzen, so kämpfen wir eine Weile mit knapp 2 Knoten gegen den Wind. Die Fock kommt wieder runter. Funktioniert irgendwie alles nicht. Die Kurslinie können wir vergessen, wir müssen viel weiter nach Westen vorhalten, um diese blöde Wasserstraße zu überqueren. Im Moment ist das naheliegende Ziel, auf die andere Seite der Shelikof Strait zu kommen. Wir haben noch Hoffnung, dass es im Laufe des Tages besser wird.
Gegen den Wind macht die Walkabout kaum Fahrt. Ein Schlepper funkt uns an. Der wundert sich, was ein so kleines Segelboot hier macht. Es entwickelt sich ein längeres Gespräch, anscheinend hat der Mann Langeweile und ist froh über Unterhaltung. Nach 10 Stunden haben wir es endlich geschafft, sind allerdings erst knapp 30 Seemeilen vom Ankerplatz entfernt. Aber damit nicht genug der Schikanen. Cape Douglas mit seinem vorgelagerten Riff raubt uns den letzten Nerv. Unsere Logge zeigt 0,8 bis 1,5 Knoten an „Geschwindigkeit“, manchmal bewegen wir uns sogar rückwärts. Für diese 10 Seemeilen rund um Cape Douglas brauchen wir tatsächlich 12 Stunden. Um 6.00 Uhr früh sind wir endlich frei vom Kap und seinen Untiefen. Das Etmal von 50 Seemeilen in 24 Stunden ist nicht berauschend, aber auch langsam kommt man voran.

Der Wind nimmt zu, das Boot stampft in die Wellen ein. Nicht zu sehen, was da genau passiert. Es ist noch stockdunkle Nacht. Als Thomas um 7.30 Uhr aufsteht, da wird es gerade etwas hell. Böses Erwachen. 🙁 Viel mehr Wind als angesagt, sicherlich 8 Beaufort. Der Käpt’n muss sofort nach vorne auf’s bockende Vorschiff. Thomas bindet zwei weitere Reffs, insgesamt nun 3 Reffs im Großsegel. Mit der kleinen Fock dazu können wir beinahe Kurs auf Homer anlegen, auf jeden Fall in einem normalen Tempo segeln. Mit guten 5 Knoten gegen einen strammen Nord-Nord-West. Leider dauert dieser Zustand nicht lange, dann wird reiner Nord-Wind daraus. Wir kreuzen im Cook Inlet. Kurs hart am Wind, blöde Wellen, elende Stampferei. Rock’n’Roll auf der Walkabout. Macht keinen Spaß, aber das Ziel ist schon ganz nah. Mit kleinster Besegelung geht es voran. Wir kommen vorbei an der Insel St. Augustine, deren weißer Vulkankegel weithin leuchtet. Homer liegt in der Kachemak Bay, in deren Schutz hatten wir eigentlich auf bessere Bedingungen gehofft. Bei der Einfahrt kommen neben Wind und Wellen jedoch wieder undurchschaubare Strömungen dazu, die uns behindern. Es bleibt nervig bis zum Schluss. Vorsichtig umfahren wir den Homer Spit, eine sandige Landzunge, hinter der die Marina versteckt liegt. Schneller geht es sowieso nicht. 😉 Seerobben, wohin man sieht.
Aus der Strecke von 130 Seemeilen seit Malina Bay sind anstrengende 200 Seemeilen geworden, 3 Tage und 2 Nächte unterwegs. Aber geschafft – wir sind da ! 🙂

Homer ist ein relativ großer Ort in Alaska mit 5500 Einwohnern. Bekannt für Heilbutt und Austern, Anziehungspunkt für Künstler. Es gibt mehrere Galerien und ein ziemlich touristisch aussehendes Dorf mit bunten Häuschen, ähnlich den Hummerbuden auf Helgoland. Aber davon sehen wir erstmal nichts aus der Nähe, nur bei der Anfahrt vom Wasser aus.
Der uns zugewiesene Liegeplatz ist ganz hinten in der letzten Ecke, schwierig einzuparken für einen Langkieler ohne Bugstrahlruder. Um uns herum lümmeln sich mehrere Seerobben im Wasser. Auch auf dem äußeren Steg liegen sie faul in der Sonne und stören sich nicht am Schiffsverkehr. Ein Segler, der in der Nähe an seinem Boot werkelt, nimmt die Leinen an. Das ist Jack, den sehen wir ab jetzt noch öfter. Er bietet uns beim Kennenlernen sofort seinen Truck an. Falls wir mal einen Wagen brauchen, dann können wir den gerne ausleihen. Super ! Dieses großartige Angebot nehmen wir doch gleich heute Nachmittag an, denn der halbe Tag ist bereits um. Bis in die Stadt sind es etwa 6 Meilen zu Fuß, also ungefähr 10 Kilometer für einen Weg. Wir laufen ja gerne, aber heute passt uns das nicht so gut. Wir möchten duschen und einkaufen. Viel wichtiger aber ist der Besuch bei Northern Enterprise, um einen Termin für den Kran zu bekommen. Der Manager Aaron macht einen sehr kompetenten Eindruck. Er trägt uns gleich für Mittwoch im Kalender ein. Wir sind froh, dass es so schnell geht.

Hier herrscht ein eisiger Wind, die Kälte beißt richtig im Gesicht. Der kleine See im Ort friert bereits zu. Im Waschsalon soll man duschen können. Dank Auto von Jack sind wir schnell da. Kostet 9,- Dollar pro Person. Autsch ! Es ist die teuerste Dusche meines Lebens, aber wir genießen sie sehr. Super sauber, eigene Kabine zum Abschließen, Handtücher dabei, heißes Wasser für eine halbe Stunde.
Zurück beim Boot können wir den Seeottern beim Spielen zuschauen. Einer hat sich einen Krebs gefangen und knabbert in Rückenlage genüsslich daran herum. Eine Möwe setzt sich daneben auf’s Wasser und versucht, den leckeren Happen zu ergattern. Als auch noch eine zweite Möwe erscheint, da reicht es dem Seeotter. Er taucht samt dem Krebs ab und ward nicht mehr gesehen. 😉

Mittwoch um 12.00 Uhr haben wir den Termin zum Kranen. Abmelden, Bezahlen, Tanken. Es sind nur 6 Seemeilen von der Marina bis zum Northern Enterprise Boat Yard. Auf dem Wasser bildet sich bereits eine dünne Eisschicht. Wird Zeit, dass wir hier wegkommen. Wir sollen bis zum Gletscher fahren und dann scharf nach links abbiegen. Tolle Beschreibung. 😉 Klappt wunderbar trotz zahlreicher Steine im Weg und zum Ende nur noch 1,70 Meter Wasser unter dem Kiel. Nette Jungs, sehr professionelle Arbeit. Um 14.00 Uhr steht die Walkabout an ihrem Platz. Eine halbe Stunde später wird der bestellte Hochdruck-Reiniger gebracht. Thomas spritzt das Boot gründlich ab und stellt leider fest, dass auch das Unterwasser-Schiff ordentlich an Farbe abgegeben hat und neu gestrichen werden muss. Außerdem entdeckt er 1-2 kleine Löcher, die geschweißt werden müssen, aber das hat Zeit bis zum Frühjahr.

Insgesamt haben wir seit Ende Mai 8090 Seemeilen zurückgelegt, das sind umgerechnet knapp 15.000 Kilometer. Unsere Nord-West-Passage beläuft sich auf 4555 Seemeilen oder 8435 Kilometer seit dem Start in Upernavik am 9. August. Aufgrund der kurzen Saison in den Hohen Breiten und der drohenden Herbststürme konnten wir nur sehr wenig Pausen machen. Bis zum Schluss war es eine große Herausforderung, die wir nicht sofort wiederholen möchten. 😉
Es war kein Spaß, sondern ein täglicher Kampf. Die mentalen Anforderungen sind nicht zu unterschätzen. Man muss ständig in Alarmbereitschaft sein. Jeden Tag auf’s Neue Wetter und Eiskarten richtig interpretieren, mit viel Wind, hohem Seegang und starken Strömungen rechnen. Dazu kommt die Angst, dass ein wichtiges Ausrüstungsteil versagt, der Motor streikt oder der Plotter aussteigt. Wird der Anker halten ? Haben wir genug Diesel, um notfalls durch schwierige Passagen zu motoren ? In dieser abgelegenen Gegend darf einfach nichts Schlimmes passieren, denn so schnell ist keine Hilfe zu erwarten. Die Nord-West-Passage ist nicht unbedingt nachahmenswert. Dazu gehört schon eine gehörige Portion Leidensbereitschaft. Mehrmals kamen mir Parallelen zum Florida Trail in den Sinn. Der war auch nicht die reine Freude, sondern erforderte täglich neue Überwindung. Immer wieder mussten wir uns gegenseitig motivieren, wenn der Anteil schlechter Stimmung größer war als die schönen Momente. Wie oft waren wir frustriert und haben trotzdem bis zum Ende durchgehalten. Heute bin ich froh, dass wir dieses Projekt erfolgreich hinter uns gebracht haben.

Die Nord-West-Passage ist gnädig mit uns gewesen. Wir hatten wenig Eis. Keine Schäden am Boot, nur der ganz normale Verschleiß. Keine Verletzungen, keine Erkältung, noch nicht einmal Zahnschmerzen. Unsere Schutzengel haben sehr gut aufgepasst, und das kleine Quentchen Glück war sicherlich auch dabei. Jetzt steht die Walkabout in Alaska sicher an Land, es schaukelt nicht mehr. Winterpause. 🙂
Warum wir die Nord-West-Passage gemacht haben ? Weil es für uns der logische Weg vom Atlantik in den Pazifik gewesen ist. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gibt es noch so viele Weit-Wanderungen, dass wir uns damit lebenslänglich beschäftigen können.
Wir segeln zum Trail. 🙂 „Sail to Hike“ !

Danke an meinen allerbesten, immer einsatzbereiten und geduldigen Mann, der mich sicher durch die Nord-West-Passage gebracht hat ! Als Kapitän, Navigator, Maschinist, Fenderbursche und Koch in einer Person hat er monatelang nicht nachlassen dürfen.
Danke an Henning für seine unermüdliche  Begleitung und Einschätzung des Wetters. Er begleitet unsere Reisen nun schon, seit wir mit dem „neuen“ Boot vom Heimathafen gestartet sind. Dazwischen liegen viele Gute-Nacht-Geschichten, und es sollen wohl noch nicht die letzten gewesen sein.
Danke an Marc für das immer zuverlässige Versenden der richtigen Eiskarten. Wichtiger Job, und er war genau der Richtige für diese Aufgabe. Nicht zuletzt haben wir uns sehr an seinen oft tiefsinnigen und manchmal unsinnigen Gedanken erfreut. 😉
Danke an unsere Seglerfreunde der ersten Stunde : Seabelle, Thindra und Ugly Betty. Seit Grönlands Hauptstadt Nuuk war jeder Kontakt und jede geteilte Information sehr wertvoll für uns. Ohne die SIM-Karte von Sigurd, die zahlreichen Tipps von Calin und die Motivation von Sonia hätten wir dieses Unternehmen vielleicht nicht durchgezogen.
Ein ganz besonderer Dank geht an Victor Wejer, der Segelyachten auf der Nord-West-Passage unterstützt. Auch wenn er nicht immer das gesagt hat, was wir hören wollten. 😉 Er hat die ganze Zeit seine wachsamen Augen auf der Walkabout gehabt und war sehr um unsere Sicherheit bemüht.
Viele tolle Leute mit im Boot, die alle ihren Teil zum Gelingen beigetragen haben. 🙂

Hermann von der Pacifico, ein guter Freund seit Französisch Polynesien Sommer 2015, hat uns eine ganz besondere Flasche geschenkt. Ein Porto Cálem von 1983, das ist das Baujahr unserer Walkabout. Den leckeren Porti haben wir Ende November 2018 kurz vor dem Start von Norderney in den Englischen Kanal sehr sorgfältig auf dem Boot verstaut. Lange haben wir auf den richtigen Augenblick gewartet, um diesen edlen Tropfen zu trinken. Nun sind wir 23000 Seemeilen weiter und haben einen guten Grund zu feiern. Danke, lieber Hermann ( auf dem Weg über den Indik nach Südafrika ). Wir denken an dich und wünschen „always fair winds“ ! 🙂

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