Wir segeln und wandern durch die Welt

False Pass, King Cove , Sand Point

Der nächste Tag ist wieder zum Abgewöhnen. Müde sind wir. Die Fahrt seit Hagemeister war anstrengend, immer mit dem Sturm im Nacken. Letzte Nacht dann so gut wie kein Schlaf, und jetzt können wir nicht weiter, weil wir auf Hochwasser warten müssen. Alles, aber auch wirklich alles, scheint gegen uns zu spielen. Zunächst die Strömung, die während der Nacht so gut mitgearbeitet hat. Das kostet uns 2 Knoten an Geschwindigkeit. Laut Wetterbericht sollte der Wind etwas zunehmen. Tatsächlich macht er das deutlich mehr als angesagt und natürlich von vorne. Die Ansteuerungstonne will uns nicht vorbeilassen. Wie magnetisch angezogen bleibt die Walkabout eine gefühlte Ewigkeit viel zu nahe dran. Für Thomas ist es ab jetzt  „die meistgehasste Tonne der Welt“. 😉

Der False Pass ( Isanotski Strait ) selbst erweist sich als einfache Nummer, wenn man zur richtigen Zeit an der Ansteuerung ist. Dieser Weg von der Bering See in den Golf von Alaska ist zwar stellenweise schmal, aber sehr gut gekennzeichnet. Man muss sich einfach nur zwischen den roten und grünen Tonnen halten, dabei auf gar keinen Fall schnippeln oder eine Tonne übersehen. Es scheint uns ein bisschen so wie Segeln im Watt-Fahrwasser zu sein. Wir sehen ungewöhnlich viele Seeotter, die sich mit der Strömung treiben lassen. Sie schlafen sogar im Wasser und umwickeln sich vorher mit Seetang, um nicht abgetrieben zu werden. Eine stattliche Länge von bis zu 150 Zentimetern und bis zu 40 Kilo Gewicht bei den Männchen kann in der Wildnis erreicht werden.

Das Ankommen in der Mitte der Aleuten ist richtig schön. False City überrascht uns angenehm. Im Hafen liegen 4 große Fischer, keine Segler, keine kleinen Motorboote. Wassersport als Freizeitbeschäftigung gibt es nicht, die Menschen arbeiten und verdienen ihren Lebensunterhalt auf dem Wasser. Wir fahren in ein rundum geschütztes Becken, von dem wir vor einer Woche noch nicht wussten, dass es diesen Ort gibt. Um 19.00 Uhr machen wir die Leinen an einem von zwei Schwimmstegen fest. Wann hatten wir denn diesen Luxus zum letzten Mal ? Und wie wunderbar einfach ist das !
False ist winzig, es hat ungefähr 400 Einwohner. Der Name der Ortschaft hat seinen Ursprung in der geringen Tiefe des Beringmeers am nördlichen Ende der Isanotski Strait. Größeren Schiffen ist es nicht möglich, dort zu fahren, für diese ist die Passage somit „falsch“. Heute ist Tag 13 seit Nome. Uns ist danach, noch ein bisschen die Beine zu vertreten, obwohl wir beide ziemlich groggy sind. Die letzte Nacht hat es viel geregnet, der Geruch nach Erde und Vegetation liegt in der Luft. Die Hügel ringsum sind dicht mit Büschen bewachsen, dazwischen stehen hohe Bäume. Es ist grün. Auf unserem Spaziergang sehen wir ein paar verstreute Häuser, etwas Fisch-Industrie, einen grüßenden Bagger-Fahrer und einen bellenden Wachhund. Sonst nichts. Keine weiteren Menschen unterwegs, in einem einzigen Haus brennt Licht. In False City findet man alles, was ein Dorf für die Einwohner attraktiv macht. Post, Bücherei, einen kleinen Lebensmittel-Laden, und es gibt sogar einen Liquor Shop. Einkauf von Alkohol an 4 Tagen in der Woche für jeweils eine halbe Stunde. Da muss man gut planen und einteilen. 😉

Abends bekommen wir eine e-mail von Victor, der sonst eher sparsam ist mit Lob. Jetzt, nachdem wir die Bering See hinter uns gebracht und sogar letzte Nacht noch einen Sturm abgewettert haben, ohne in Not zu geraten, erreicht uns ein kurzer Text : „You are doing well.“ – „Das habt ihr gut gemacht.“ 🙂 Wir freuen uns sehr über das Kompliment von diesem wortkargen Mann. 🙂 Im Mai von den Azoren aus hatten wir ihn angeschrieben und bekamen ganz stark den Eindruck, dass er uns dieses Unternehmen ausreden will. Zitate von Victor aus der Anfangszeit : „You are candidats for no crossing“. Und “ We don’t want another catastrophe.“ Vorangegangen sind etliche Fehlversuche und einige Schiffsunglücke in seinem Revier. Erst 2018 ist eine argentinische Yacht vom Eis zerdrückt worden und gesunken. 🙁

Der Hafenbereich von False wird dominiert von mehreren Fisch-Fabriken, die aber zur Zeit wohl den Winterschlaf eingeläutet haben. Die Wohn-Baracken der Arbeiter stehen offensichtlich leer. Die Saison ist zu Ende. Überall sitzen und hüpfen Elstern herum. Wir fragen uns, was die hierhin treibt, und warum die Elstern sich in False dermaßen ausgebreitet haben. Am Rande der Ansiedlung gibt es eine Art Müll-Deponie. Es sieht so aus, als ob die ihre Abfälle hier verbrennen, was ja Sinn macht in so einer abgeschiedenen Lage. Zufällig stolpern wir über einen ungepflegten Friedhof. Die Gräber sind völlig verwildert und zugewachsen, so dass man vermuten kann, die Menschen werden heutzutage woanders bestattet.
Auf einem der Fischerboote arbeitet Justin. Er ist Chef auf seinem eigenen Boot mit dem Namen „Just in Case“. Klasse – wir lieben solche Wortspiele ! 🙂 Justin stammt aus King Cove, einem kleinen Dorf auf der Pazifik-Seite der Aleuten. Er meint, dass wir in seinem Heimatort ganz bestimmt einen Platz bekommen, weil es dort einen großen Fischerhafen gibt und auch das Außengelände sehr geräumig ist. Das macht Hoffnung. Wir freuen uns schon. Vielleicht liegen nur noch 50 Seemeilen zwischen False und dem Ende unserer Nord-West-Passage.

Der Hafenmeister kommt an Bord, ein zahnloser Opa mit schlecht verständlichem Akzent. Wir müssen ein Formular ausfüllen, die Rechnung über 28,- Dollar soll dann per E-Mail zugestellt werden.
Es gibt ein kleines Geschäft, in dem man etwas einkaufen könnte …. wenn denn geöffnet wäre. Der Laden hat geschlossen, obwohl das Schild mit den Öffnungszeiten etwas anderes sagt. Der Hafenmeister kennt den Grund. Alle sind weg, die meisten der Bewohner sind zu einer Hochzeit nach Anchorage geflogen. Er ist so ziemlich der Einzige, der noch hier in False City die Stellung hält. Und er muss die Hunde und Katzen des Dorfes versorgen.
Ach ja, der Baggerfahrer ist noch da, der war wohl auch nicht eingeladen. 😉

Herrlich ruhig während der Nacht. Walkabout mit 4 Leinen sicher am Steg festgemacht, kein Gedanke mehr an Sturm oder Strömung, das führt zu 13 Stunden Tiefschlaf. Fühlte ich mich gestern noch wie vom Lastwagen überfahren, so geht’s uns heute richtig gut. Wir sind zum ersten Mal seit langer Zeit völlig entspannt. Jetzt liegt der Pazifik vor uns, eine ganz andere Welt. Das Wellenbild ist anders. Nur ein leichtes Gekräusel ist an der Wasseroberfläche zu sehen. Darunter spürt man die langgezogene Pazifik-Dünung. Vorbei sind die steilen Wellen und Kreuzseen. Auch die Unruhe der vergangenen Wochen ist vorbei. Die anspruchsvolle Nord-West-Passage liegt hinter uns. Zum Ende hin, also seit Nome, hat uns die Bering See richtig gestresst. Scheinbar über Nacht ist eine große Last von uns abgefallen. Die gefährlichsten Gebiete liegen hinter uns. Ab jetzt müssen wir nicht mehr bei schlechter Prognose unterwegs sein. Ankerplätze gibt es reichlich und in guten Abständen, so dass wir unsere Reise auch mit Tages- und Halbtages-Touren fortsetzen können. Nicht mehr diese ewig langen Etappen ohne die Möglichkeit, irgendwie Schutz vor dem plötzlich umschlagenden Wetter zu finden.
Kein Strom, kein Wasser, keine Toiletten, keine Dusche, kein Einkauf, kein Internet. Wenigstens können wir unseren Müll der letzten 14 Tage entsorgen. Nur 20 Stunden Aufenthalt in False City. Es zieht uns weiter. Wir möchten fertig werden und die Saison an einem sicheren Winterplatz beenden.
Höchstgeschwindigkeit von 8 Knoten an einer Engstelle, aber auch sonst durchweg mehr als 6 Knoten. Das macht Spaß. 🙂
Wir sehen mehrere Buckelwale, einer schwimmt ganz nahe beim Boot.

Die Illusion, dass es wärmer wird, ist Vergangenheit. Ganze zwei Nächte haben wir beim Schlafen auf den Daunensack verzichtet, dann haben wir ihn wieder herausgeholt. Also immer noch lange Unterwäsche, dicke Wollsocken, Mütze, Schlafsack, zwei zusammengenähte Bettdecken plus Wärmflasche im Bett. Inzwischen fahren wir wieder gen Norden. 50 Seemeilen weiter. Samstag um 3.00 Uhr in der Frühe erreichen wir den Fischerhafen von King Cove, einem Ort mit ca. 750 Einwohnern. Sieht sehr gut aus. Wir fühlen uns sofort wohl am Steg zwischen den Fischerbooten. Dort steht ein Travel-Lift, der die Walkabout aus dem Wasser holen könnte. Am nächsten Morgen laufen wir zum Büro des Hafenmeisters. Es gibt sogar Toiletten und Duschen im Gebäude. Mehrere Fischer sitzen in einem Aufenthaltsraum mit gemütlichen Sofas und Fernseher. Wir werden zu Kaffee und Donuts eingeladen und unterhalten uns eine Weile über Wetter, Tide, Strömungen. Wir erfahren, dass vorige Woche ein Segler mit demselben Anliegen abgewiesen wurde. Der Chef ist am Wochenende nicht da, aber einer der Männer schreibt ihm eine Nachricht. In King Cove hätten wir uns heimisch fühlen können, aber leider bekommen wir eine Absage.
Der kleine Laden, in dem man Lebensmittel und allen möglichen sonstigen Kram bekommt, ist sogar am Samstag geöffnet. Die junge Bedienung ist freundlich und für ein Schwätzchen aufgelegt. Wir kaufen Kartoffeln, Möhren, Eier – wie immer. 😉 Preise sind okay. Alles stimmt, nur das I-Tüpfelchen fehlt, in diesem Falle das Einverständnis des Hafenmeisters. Dem ist nicht wohl mit einem Segelboot an Land, welches viel mehr Angriffsfläche bietet als ein Motorboot. King Cove liegt in einem sehr stürmischen Gebiet. Dazu kommen die „Williwaws“, das sind heftige Fallwinde wegen der hohen Bergen ringsum. Im Winter sind Stürme von Orkanstärke hier keine Seltenheit. Die Gefahr, dass ein geparktes Boot umkippt und großen Schaden erleidet, ist nicht von der Hand zu weisen. 

Tanken und weg. Keine 12 Stunden Aufenthalt. Bezahlen müssen wir nichts. Zum Abschied bekommen wir Donuts und Muffins von den Fischern geschenkt. Alle wirklich nett, das hätte gut gepasst. Es ist ein bisschen enttäuschend, dass es nicht geklappt hat, ähnlich wie in Nome.
Nächste Idee, nächste Chance : Sand Point in ca. 80 Seemeilen Entfernung. Wir entscheiden uns für den Weg entlang der Küste, damit wir jederzeit Unterschlupf finden können, falls das Wetter plötzlich umschlägt. Die Route führt in unzähligen Kurven durch ein Labyrinth von Inselchen. Ohne Kartenplotter würden wir das nicht fahren, aber mit der neuesten elektronischen Seekarte ist es gar kein Problem. Zum Vergleich läuft Navionics auf dem Handy, und auch das Radargerät ist angestellt. 

Grandiose Landschaft ! Wie schön muss das erst im Sommer sein ! Nächstes Jahr kommen wir wieder, dann mit viel Zeit und neuem Spaß am Bootsleben.
Wale, Wale, Wale. Ich sehe gleich vier auf einmal von meinem Steuerplatz aus. Thomas schaut von draußen und entdeckt noch mehr. Alle sind in Reise-Geschwindigkeit unterwegs. Sie schwimmen zügig vorbei und verschwinden zwischen den Inseln.
Wir machen eine Stunde Angelpause an einer flachen Stelle. Zunächst ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend : Eine mittlere Scholle macht den Anfang und bleibt lange alleine. Es folgen nacheinander vier hässliche Seeskorpione, die gleich zurück ins Wasser geworfen werden. Danach folgen Schlag auf Schlag vier weitere Schollen von beachtlicher Größe. Davon werden wir ganz bestimmt satt. 🙂 Endlich einmal Abwechslung auf dem Speiseplan. Mit Kartoffeln und Butter ist das ein richtiges Festessen ! Angelglück hatten wir seit Grönland nicht mehr.

Nebel zieht auf, dann folgt Nieselregen. Ein hell erleuchtetes Fischerboot von 30 Metern Länge kommt genau auf unserer Spur entgegen. 200 Meter Schleppnetz hinten dran, wie mir das AIS anzeigt. Schwer bei der Arbeit, dem mache ich besser Platz und ändere unseren Kurs. Es entsteht eine längere Plauderei über Funk. Zum Abschluss des Gesprächs wünscht der Fischer uns viel Glück und sagt, dass es unbedingt Zeit für ein kleines Boot ist, aus dem Wasser zu kommen. Ja, das würden wir sehr gerne. Aber die Suche nach einem Winterlager  gestaltet sich ziemlich zäh. Wir hoffen auf einen Platz an Land für die Walkabout in Sand Point.

Ein Frachter von vorne an einer Engstelle. Sein Ziel laut AIS : „Bristol Bay“. Nein, danke. Da möchten wir nicht hin, da kommen wir gerade erst her. War nicht so toll. 😉
Morgen-Angeln in der Durchfahrt zwischen Unga Island und Popof Island. Innerhalb kürzester Zeit holt Thomas einen Lachs, drei große Schollen und drei unbekannte Fische ( Ähnlichkeit mit Kabeljau ) aus dem Wasser. Essen für 3 Tage. Der Jagdinstinkt ist erwacht. Anscheinend möchte der Käpt’n gar nicht ankommen, denn wir stehen nur noch 2 Seemeilen vor Sand Point, und er angelt weiter.

Ein Seeotter meckert kräftig, als sich die Walkabout  an ihren Liegeplatz schiebt. Am Kopf der Box sind Holzbalken und Fender angebracht, unter denen sich der Seeotter anscheinend eingerichtet hat. Nun kommen wir Störenfriede und legen unser Boot ausgerechnet an diesen Platz. Empört taucht er ab und guckt auf der anderen Seite der Steganlage wieder aus dem Wasser.
Sand Point liegt auf Popof Island im Süden der Halbinsel Alaskas und ist die Heimatbasis der größten Fischerei-Flotte der Aleuten. Etwa 900 Menschen leben hier. Es wird immer städtischer. 😉 Toilette und Dusche beim Hafenmeister, Strom und Wasser könnte man am Steg bekommen. Außerdem bietet Sand Point eine Pizzeria, ein China-Restaurant, eine Hafenkneipe, ein Motel und zwei Einkaufsläden. Das ist schon etwas mehr, als wir gewohnt sind. Sehr gut.

Thomas kommt bereits am ersten Tag mit Brady ins Gespräch. Der junge Mann ist Fischer auf seinem eigenen Boot, der „Tiffy“. Brady verschwindet und kommt kurz darauf mit einer Hälfte gefrorenem Lachs als Geschenk wieder. Wenn der wüsste, dass wir gerade für 3 Tage genug frischen Fisch haben. 😉 Brady hat extra das Starlink auf seinem Boot für uns angemacht, damit wir sein Internet nutzen können. Auch sonst ist er unheimlich hilfsbereit. Er würde uns seinen Truck leihen, falls wir einen Wagen brauchen. Außerdem bietet Brady an, dass wir bei ihm zu Hause waschen dürfen. Eine Einladung zum Abendessen gibt es auch noch dazu. Wir sind total begeistert von diesem netten Typen. 🙂
Sofort freunden wir uns mit dem Gedanken an, die Walkabout über den Winter hier zu lassen.
Ganz in der Nähe sind laute Vogel-Geräusche zu hören. Die Verursacher sind schnell gefunden. Zwei Weißkopf-Seeadler unterhalten sich von Boot zu Boot. Einer sitzt zwei Boxen weiter auf der Saling, die Partnerin auf dem Kran eines anderen Fischerbootes gegenüber. Im Hafenbecken schwimmt ein Walross herum und versucht, in das Beiboot der Tiffy zu klettern. Lustiges Tierleben haben wir im Hafen von Sand Point. 🙂

Wir kommen an einem Wochenende an. Sonntag fegt ein eisiger Nordwind über die Insel. Macht nichts. Der Ofen lässt sich überreden, und wir machen es uns gemütlich
Montag ist „Columbus Day“, also Feiertag. Den Hafenmeister Allen sehen wir überhaupt nicht, aber Thomas erwischt ihn am Telefon. Leider bekommen wir wieder eine Absage. Vor 2 Jahren ist denen tatsächlich ein Segelboot umgekippt. Blöder Wind hier. Im Wasser könnten wir über Winter bleiben, da würden wir einen Platz bekommen. Das möchten wir aber nicht. Dann beginnt eine aufwändige Recherche, viel Telefonieren, E-Mails usw.
Duschen, Ausschlafen, Einkaufen. Das war unser Kurz-Aufenthalt in Sand Point. Und weiter geht’s. Die Insel Kodiak scheidet aus, Seward hat freie Kapazitäten, auf eine Antwort aus Homer warten wir noch. Wir müssen bis ans Festland, ungefähr 450 Seemeilen weiter.