Wir segeln und wandern durch die Welt

Ghost Ranch bis Cumbres Pass 01.06. – 07.06.2017

Auf einem Campingplatz schlafen wir beide viel schlechter als einsam im Wald. Eine Gruppe junger Geologie-Studenten hat sich ganz in unserer Nähe niedergelassen und möchte nicht so früh Ruhe geben, wie wir es gewohnt sind. Zum Glück haben wir Ohropax. Ein grün schimmernder Kolibri scheint in der Nähe von unserem Zelt zu wohnen und kündigt sich durch lautes Summen an. Dieses charakteristische Geräusch wird durch die schnellen Flügelschläge verursacht. Also hören wir unseren Breitschwanz-Kolibri schon, bevor wir ihn sehen. Er sitzt im Baum entweder nebenan oder gegenüber, dreht manchmal eine Runde um unser Zelt und lässt sich dann wieder im Baum nieder. Am frühen Nachmittag kommt der Bote von UPS mit unserem Paket. Die Schuhe von Thomas passen gut. Zelt-Heringe, Socken sowie der neue Wasserfilter sind auch okay. Meine Schuhe sind leider zu eng. Mist ! Wir haben schon früh das Zelt abgebaut und die Rucksäcke stehen seit Stunden fertig gepackt auf der Terrasse. Teuer ist es auch hier. Sollen wir nochmal bestellen und dann darauf warten ? Oder mit dem Bus nach Santa Fe fahren, um in der größeren Stadt in einem Geschäft zu kaufen ? Keine Lust mehr, untätig herumzusitzen, wir möchten gerne weiter ! In der Hiker-Box ( = Tausch-Börse ) finde ich eine elastische Binde, die stramm um den Knöchel gewickelt bereits spürbare Erleichterung bringt. Ich habe die Idee, es mit den ausgelatschten Schuhen von Thomas zu versuchen. Auf jeden Fall sind die bequem und drücken nirgends. Also werden neue Salomon bestellt, diesmal zum Postamt nach Chama. Bis dahin muss es irgendwie gehen, wenn wir nicht noch mehr Zeit vertüdeln wollen. Das zu kleine Paar wird wieder eingepackt, die Retoure wird morgen hoffentlich anstandslos von UPS mitgenommen. Um 16.00 Uhr haben wir endlich alles geregelt. Der Himmel ist dicht bewölkt, das übliche Gewitter-Grollen ist in der Ferne zu hören. Wir starten trotzdem. Nach einiger Zeit kontrollieren wir auf dem GPS und stellen fest, dass wir wohl verkehrt gelaufen sind. Ghost Ranch ist ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer, deswegen gehen von dort aus mehrere Trails los. Also umkehren und neuen Weg suchen, ein Stück querfeldein durch die Büsche, dann durch eine Schlucht, wieder hinauf, steil am Abhang entlang, nochmal kontrollieren …. Das war’s dann wohl auch nicht. Das GPS spinnt ! Auf jeden Fall sind wir hier ebenfalls falsch. Es gab wohl mal einen Weg, aber der ist inzwischen verschüttet. Vor uns wird es immer abenteuerlicher, also drehen wir um und gehen zurück bis dahin, wo wir schon einmal unsere Zweifel hatten. War wohl doch der richtige Weg – blödes GPS. Diese Aktion hat uns eine Stunde Zeit gekostet. Inzwischen hat uns das Gewitter doch erreicht. Es kracht und blitzt und donnert über uns. Wir befinden uns gerade in einem tiefen Canyon, als der Regen mit dicken fetten Tropfen losgeht. Bevor wir noch unsere Regenponchos überziehen können, sind wir schon nass. Dazu weht ein kräftiger Wind, während wir auf einer schmalen Kante um den Felsen laufen. Wir finden es einfach herrlich, wieder unterwegs zu sein. Diese Naturgewalt ist wirklich grandios. Etwa eine Stunde steigen wir auf und immer höher. Dann ist das Gewitter vorbei, der Regen lässt nach. Morgen wird die Sonne von New Mexico alles wieder trocknen. Wir verlassen den Trail erneut, als wir an einem Baum ein Hinweisschild sehen, dass Wasser in der Nähe vermuten lässt. Also nehmen wir diesen Abzweiger und laufen und laufen …. immer weiter, aber da kommt kein Teich, kein Bach. Die Spur ist eindeutig, aber wir weit soll denn das Wasser weg sein ? Ich bin jetzt richtig genervt ! So weit in die falsche Richtung gegangen und trotzdem kein Wasser gefunden. Ich finde es echt ärgerlich. Thomas sagt nur “ Ist doch eine wunderschöne Landschaft hier. “ 🙂 Recht hat er ….aber trotzdem. Ich will nicht weiter auf diesem Weg ins Ungewisse laufen. Ich mag aber auch nicht umkehren. Schließlich​ entscheiden wir uns dazu, einfach quer durch’s Gelände in die vermutete Richtung zu stapfen, um den CDT wieder zu finden. Ich muss mich deswegen “ Sturkopf “ nennen lassen. 😉 Stimmt ja auch, macht aber nichts. 😉 Also ab durch die Büsche, einen steilen Hang hinauf, schmalen Tierpfaden folgen und Stück für Stück wieder dem Original-Trail nähern. Es klappt, dauert allerdings ein bisschen …. Vielleicht wäre Umkehren doch die bessere Alternative gewesen ? Um 20.00 Uhr haben wir den CDT gefunden und einen Platz für unser Zelt dazu. Die Bilanz des heutigen Tages ist nicht so berauschend : 4 Stunden ohne Pause unterwegs und nur 8 Kilometer vorwärts gekommen. Riesige Ameisen gibt es hier, fast 2 Zentimeter lang. Eine davon hat den Weg ins Zelt-Innere gefunden, wird aber rechtzeitig entdeckt und vorsichtig nach draußen befördert. Unsere Füße haben sich wohl gefühlt in den neuen bzw. alten Wanderschuhen. Knie sind auch in Ordnung.

In der Nacht hat es heftig geregnet. Wir konnten dem Prasseln auf’s Dach jedoch ganz entspannt zuhören, weil wir so ein tolles neues Zelt haben. Auf dem Te Araroa mit unserem alten Flodderzelt hat uns jede Art von Niederschlag in Angst und Schrecken versetzt. Am nächsten Morgen werden wir vom Vogel-Konzert geweckt. Die sind auch immer früher dran. Da wir ja gestern kein Wasser mehr gefunden haben, starten wir mit nur einem Snickers im Bauch. Schon nach 10 Minuten finden wir einen Teich am Wegesrand, der weder im GPS noch auf unserer Papierkarte ersichtlich ist. Das Wasser sieht gar nicht so schlecht aus, der neue Wasserfilter funktioniert einwandfrei. Absatteln, Kocher und Proviantbeutel sind schnell aus dem Rucksack gezaubert. Nun gibt es erstmal ein ordentliches Frühstück. Danach steigen wir frisch gestärkt immer weiter auf. Die Schneekappen der Gipfel vor uns reichen noch tief hinunter, und das auf der Südseite. Da kann man sich sehr gut ausmalen, dass wir auf der Nordseite, wo die Sonne nie hinkommt, noch viel Schnee zu erwarten haben. Während unserer Mittagspause wird es kühl und dunkel, das tägliche Gewitter naht. Wieder fallen nur ein paar wenige Regentropfen auf uns …. und fertig. Ein Streifenhörnchen ( Chipmunk ) leistet uns Gesellschaft. Es hat gar keine Angst, sondern klettert und springt die ganze Zeit um uns herum. Wir legen dem putzigen Tierchen ein paar Mandeln hin, als wir gehen. Die wird es sich sicherlich schnell geholt haben. Unser Trail verläuft wieder mehrere Kilometer auf einer bewaldeten Ebene in 3200 Meter Höhe. Sehr schön ! Ungewöhnlich viele Bärenspuren sind hier zu sehen. Im Birkenwald gibt es kaum einen Stamm, der nicht durch die tiefen Kratzer von Bären-Pfoten gezeichnet ist. Wir lernen einen jungen Mann aus Israel kennen, der ebenfalls von Mexico nach Canada unterwegs ist. Ein sehr netter Mensch, gebildet und mit interessanten Ansichten zu allen möglichen Themen. Eine ganze Etappe laufen wir gemeinsam und unterhalten uns pausenlos. Die neuere Generation der Israelis reist gern. Wir sind ihnen schon in einem winzigen Dorf in Chile begegnet sowie auf dem AT. Für uns ist allerdings besonders spannend, dass es in Israel einen 1000 Kilometer langen Trail gibt. 😉
Danach wandern wir über saftige Wiesen. Dort stehen Kühe mit ihren Kälbern, Löwenzahn und Gänseblümchen – wir kommen uns vor wie auf einer Alm. Im weiteren Verlauf wird der Weg immer feuchter und matschiger. Die Schneeschmelze scheint in vollem Gange zu sein. Auf unserer Strecke heute nur wenig Schnee, also alles im grünen Bereich.

Letzte Nacht hörten wir lange Zeit Wolfs- oder Kojotengeheul in der Nähe. Null Grad sind es, als wir morgens aufwachen. Aber das hört sich schlimmer an, als es sich anfühlt. Die Sonne steigt schon hinter den Bäumen hoch und wärmt unseren Platz auf. Unser Weg, sofern es überhaupt einen gibt, ist heute schwierig zu finden. Keine Spuren, sehr sparsame Markierungen, nur ab und zu mal ein verwitterter blauer Farbklecks an einem Baum oder Stein. Das GPS ist im Dauereinsatz. Wir verlaufen uns nur einmal kurz, können das aber sofort wieder korrigieren. Wir haben im Aufstieg mehrere Fluss-Querungen auf unserer Route. Reissende Strömung, bedingt durch die Schneeschmelze. Der erste Fluss ist zu breit und zu tief für Trittsteine. Mehrere dünne Baumstämme reichen von einem Ufer zum anderen, darauf balancieren wir trocken hinüber. Alle weiteren Ströme können wir mit einigem Geschick durch Hüpfen von Stein zu Stein sicher überqueren. Wir kommen dem Schnee immer näher. Mitten auf unserem Pfad sonnt sich eine Schlange, braun mit Maserung, wie ein Ast liegt sie da. Ich wäre beinahe drauf getreten, einen halben Meter davor kann ich gerade noch stoppen. Das mag die Schlange gar nicht, sie verschwindet schleunigst im Gebüsch. Es folgt eine Sektion mit unzähligen umgefallen Bäumen. Wieder heisst es Dutzende von Malen “ Hoch das Bein „. Senioren-Sport vom Feinsten …. Aber wo ist der Trail ? Plötzlich stehen wir vor einem Schild des CDT-Verbandes. Wir erfahren, dass der Original-Trail ab hier wegen gefährlicher Bedingungen voraus umgeleitet wird. Man soll den rosa Bändern folgen, bis die Umleitung wieder auf den CDT führt. Leichter gesagt als getan …. diese Flatterbändchen sind in großen Abständen in Sträucher auf etwa 10 Zentimeter Höhe verknotet, also nicht besonders gut auszumachen. Danach haben wir den Gipfel erreicht. Abwechselnd stapfen wir dort oben durch Sumpfgebiet mit quakenden Fröschen und Nadelwald mit geschlossener Schneedecke. Der Schnee ist schön griffig und knirscht unter unseren Füßen. Die Bedingungen sind okay, absolut machbar, selbst ohne Winter-Ausrüstung. Im Abstieg laufen wir ständig durch fließendes Wasser. Es taut und taut …. von oben, von rechts und von links rinnt es hinunter. Da bleibt kein Schuh mehr trocken. Es scheint eine neue Variante des CDT zu geben. Wir biegen von einer Forststraße auf einen schmalen Wanderweg ein, weil dort ein Pfeiler mit ganz deutlichem CDT-Zeichen steht. Schon nach einer Viertelstunde kommt uns Bow-Leg entgegen, mit dem wir kurz vorher unsere Pause verbracht haben. Er erzählt uns, dass wir umkehren müssen, weil dieser Weg auf seinem Handy nicht existiert. Wir kontrollieren unser GPS und stellen fest, dass auch bei uns nur die Forststraße als CDT erscheint. Dann werden die Papierkarten studiert. Auch dort finden wir den neuen Trail nicht. Vorsichtshalber kehren wir gemeinsam um und marschieren auf dem sicheren Forstweg weiter. So kurz vor dem Abend möchte sich Niemand mehr verlaufen. Noch einmal gibt es Zweifel über den richtigen Weg. Da steht wieder ein Abzweiger mit deutlicher CDT-Markierung, obwohl unser GPS und die Papierkarten sagen, wir sollen dem Forstweg folgen. Diesmal entscheiden wir uns für den schmalen Pfad, der landschaftlich viel schöner in den Wald hinein führt. Nur blöd, dass wir dadurch unser Wasser für den Feierabend verpassen. Unsere Variante bietet etliche tolle Zeltplätze, aber leider keinen Tropfen Wasser. Wir laufen deswegen viel länger, als wir eigentlich vorhatten bis zu einem Sumpfgebiet. Thomas schöpft von der Oberfläche zwischen den grünen Halmen unsere 3 Liter Minimum und behandelt es dann mit unserem neuen Wasserfilter. Wir haben schon schlimmeres Wasser getrunken. Füße schmerzen, die Schultern tun mir weh, und dann bin ich auch noch so unachtsam, dass ich mir im Lager einen ordentlichen Ratscher an einem trockenen Ast hole. Beim Auspacken nicht gut genug aufgepasst, da steht ein Baum im Weg ….. ja, im Wald gibt es viele Bäume. 😉 Dieser ist nackt und braun und hat nach allen Seiten vorstehende vertrocknete Spitzen. Eine davon ziehe ich mir durch’s Gesicht, was einen 6 Zentimeter langen Kratzer an der Schläfe zur Folge hat. Blut …. aber bis ich Großmutter bin, ist das wieder verheilt. Und Glück gehabt, dass es nicht ins Auge gegangen ist. 🙂

Morgens können wir unsere Atemwolken im Zelt sehen. Wir stehen aber erst auf, als das Thermometer auf 4 Grad plus angestiegen ist. Komisch, es kommt uns gar nicht mehr so kalt vor. Anscheinend haben wir uns an die klimatischen Gegebenheiten in der Höhe gewöhnt. Unser aktuelles Revier ist der Carson National Forest. Leichte Quell-Bewölkung am Himmel, die sich am späten Vormittag schon wieder zusammen ballt. Wir müssen einen breiten Fluss mit kräftiger Strömung überqueren. Dafür gibt es eine Baum-Brücke von einer Seite auf die andere. Es sieht einfacher aus, als es ist. Der Baumstamm ist zwar recht dick, aber in der Mitte überkommt mich ein mulmiges Gefühl, als ich in die rauschenden Fluten nach unten schaue. Anhalten und langsam durchatmen, dann vorsichtig und konzentriert weitertasten. Es macht richtig Spaß ! Unser Trail gefällt uns immer besser. Der Continental Divide Trail ist eine Mischung aus AT und Te Araroa. Wir lieben ihn mit jedem Tag mehr ! Wir staunen über dicke weiße Pilze, die durch die vertrocknete Erdkruste ans Tageslicht brechen. Riesen-Champignons ? In der Mittagspause entdecken wir Schnittlauch am Wegesrand. Lecker, der riecht und schmeckt tatsächlich wie unser heimischer Schnittlauch. Und Blaubeer-Sträucher gibt es, allerdings leider noch kahl und ohne Früchte. Dunkel wird es, schwarze Wolken voraus. Den ganzen Nachmittag grummelt und grollt es am Himmel. Aber Gewitter ? Heute wieder nicht für uns. 🙂 Wir sehen gleich mehrere Deers und zwei Elks, aber alle Tiere laufen vor uns davon. Dann entdeckt Thomas ein komisches Wesen unter einem Baum. Zunächst denken wir, es sei ein Stinktier. Die Größe würde passen. Es hat auch sowas wie Borsten am ganzen Körper, ist aber nicht schwarz-weiß wie ein Skunk, sondern eher grau-braun. Ob das ein Stachelschwein ist ? Zu unserer großen Verwunderung macht sich dieses noch nie gesehene Tier daran, in Windeseile den Baumstamm empor zu klettern. Immer höher und leider viel zu schnell, um ein aussagekräftiges Foto zu schießen. Können denn Stachelschweine auf Bäume klettern ? Der Himmel wird zum Abend wieder gefährlich dunkel. Wir scheinen direkt in die schwarze Wolkenwand hinein zu laufen. Aber wieder haben wir Glück. Das Zelt ist aufgebaut und eingeräumt, wir sind gerade bei der ersten Tasse Tee, als es anfängt zu regnen. In Windeseile sind alle Sachen sicher untergebracht, und wir sitzen gemütlich im Trockenen. Lautes Knacken im Gebüsch und schnelles Hufgetrappel sind zu hören. Da rennt ein Hirsch oder Elk in der Nähe von unserem Lager vorbei, aber aus dem Zelt heraus können wir nichts sehen.

Gewitter während der Nacht. Wir beginnen unseren Arbeitstag mit zwei Stunden Aufstieg. Das Schmelzwasser rinnt uns in Strömen entgegen. Insgesamt haben wir mehr Schnee-Strecken als in den vergangenen Tagen zu bewältigen. Alle Gipfel, die voraus liegen, sind noch weiß. Unser Weg führt durch ein Gatter über privates Land. Gleich daneben treffen wir auf einen Cowboy, der hier den Weidezaun repariert. Unsere Begrüßung und unseren small-talk auf Englisch beantwortet der Mann mit ein paar spanischen Brocken. Wir sind nun schon so weit weg von der mexikanischen Grenze, aber immer noch findet ein großer Teil des Lebens auf spanisch statt. Inzwischen haben wir erfahren, dass das Baumsterben hier in der Gegend durch eine Käferart verursacht wurde. Alles, was tot ist und noch nicht am Boden liegt, muss abgeholzt werden. Die herrliche Ruhe im Wald wird durch einen Hubschrauber empfindlich gestört, der über uns seine Kreise zieht. Unser erster Gedanke : Die suchen Jemanden. Erst zwei Stunden später erkennen wir den Grund für diese Aktion. Beim Aufstieg auf den nächsten Berg sehen wir im Rückblick dunkle Rauchschwaden. In einem Tal hinter uns brennt es mal wieder. Die Krönung des Tages ist ein ausgewachsener Braunbär, den wir auf einer Lichtung in voller Pracht bewundern können. Was für ein schönes Tier ! Kräftiger Körper, mittelbraunes glänzendes Fell und trotz seiner Masse sehr anmutige Bewegungen, während er sich von uns Störenfrieden entfernt. So unerwartet und so nah ist diese Begegnung in der freien Natur, dass wir noch ganz still vor Ehrfurcht dastehen, als der Bär schon längst weg ist. Am späten Nachmittag erreichen wir einen Campingplatz, der eigentlich nichts weiter bietet als Picknick-Tische, Kompost-Toilette mit Papier und den so wichtigen Abfall-Behältern. Genau das Richtige für eine lange Pause. Wasser gibt es auch, also wird heute früher gekocht. Das bedeutet, wir müssen nur 3 Liter Wasser bis zu unserem Schlafplatz tragen. Was für ein Luxus ! Ein schöner Pfad im Wald führt bis zu einem See, an dem einige Autos parken und Angler ihr Glück versuchen. Von da aus geht es wieder in die Höhe. Heute liegen nur vereinzelte Schneeflecken auf unserem Weg, dafür viel Sumpf und Matsch. Kein Problem, wir kommen gut voran. Wir zelten auf 3400 Meter Höhe an einem See bei Lagunitas – im Schnee.

Und schon wieder ein heftiges Gewitter in der Nacht, diesmal direkt über uns. Es donnert und kracht laut, das Zelt wird von den Blitzen manchmal taghell erleuchtet. Dann prasselt ein heftiger Regen hernieder, stört uns aber nicht im Geringsten. Morgens geht es in der Regel bergauf, diesmal ganz gnädig in Serpentinen. So viel Schnee haben wir noch nicht gehabt. Wir klettern über Baumstämme und stapfen über Schnee-Wächten. Zwischen den hohen Tannen sind diese Verwehungen noch bis zu 3 Meter hoch. Anstrengend ! Der Schnee ist am Morgen schön fest und trägt uns gut. Setze mich nur einmal auf den Hintern, ohne mir weh zu tun, aber kalt ist es. 😉 Oben in Gipfelnähe gibt es keinen Trail mehr, noch nicht einmal eine schmale Spur ist erkennbar. Alles zugeweht und unter Schnee bedeckt. Was nützen da schon Steinmännchen von 20 Zentimeter Größe ? An den Bäumen sind keine Zeichen. Alle paar Minuten müssen wir anhalten und stehen ratlos zwischen Tannen und Schneefeldern. Das GPS bringt uns dann wieder zurück in Richtung CDT. Natürlich kostet das Zeit, wir kommen nur langsam vorwärts. Am Nachmittag folgen wir viele Stunden einem ganz tollen Weg. Nach einem sehr steilen Aufstieg durch Geröll folgen wir einem Pfad in der Höhe immer entlang der Bergflanken. Es ist nur ein schmaler Grat, links von uns der Abgrund und eine phantastische Aussicht. Nach Westen und nach Norden hin haben wir atemberaubenden Weitblick. Wir können in der Ferne gleich vier Hügelketten hintereinander sehen. Und eine schneebedeckte Mesa liegt voraus. Ob wir da wohl morgen laufen werden ? Weit unter uns fließt ein Bach und folgt allen Windungen des Gebirgszuges. Der kleine Fluss wird in unserer Karte großspurig als Rio San Antonio bezeichnet. Auf jeden Fall ist es ein malerischer Anblick, wie sich dieser Strom in der Sonne glitzernd um jede Kurve windet. Dann nähern sich die dunklen Wolken, Donnergrollen am Himmel, eine halbe Stunde Regen ….. man gewöhnt sich dran. Heute ist der letzte Tag, bevor wir in die Zivilisation kommen ( Dusche, Einkauf, Essen, Bett ). Deswegen sind wir auch sehr motiviert, etwas länger zu laufen und noch ein paar Meilen zu schaffen. Aber daraus wird nichts, denn die letzten drei Stunden verbringen wir suchend und fluchend im Tiefschnee. Um uns herum nur Nadelwald und ungleichmäßig hoher Schnee. Noch dazu geht es bergauf und immer höher. Kein Ende abzusehen und keine Spur vom CDT. Thomas läuft die ganze Zeit mit dem GPS vor der Nase und ist davon ganz schön genervt. Ich bin am Ende meiner Kräfte und will nur noch heraus aus dem Wald und Schnee, bevor es dunkel wird. Hochkonzentriert und vorsichtig, damit wir nicht ausrutschen, irren wir zwischen den Bäumen umher. Wir stapfen mal nach links, mal nach rechts, aber eigentlich schlagen wir uns nur irgendwie da durch. Gegen 19.30 Uhr sind wir raus und bauen gleich bei der nächsten Gelegenheit unser Lager auf. Mir reicht es, ich kann nicht mehr. Habe das Gefühl, ich bekomme meine Beine nicht mehr hoch …. und Hunger. Neun Stunden reine Laufzeit, Pausen bereits abgezogen, haben uns nicht so weit gebracht, wie wir geplant hatten. Ich befürchte fast, morgen wird es genauso weitergehen. Wir haben noch etwa 12 Kilometer vor uns bis zum Cumbres Pass. Und wir sind uns beide einig, dass dieses die bisher anspruchsvollste Etappe seit dem Start an der mexikanischen Grenze war. Besondere Herausforderungen der letzten 150 Kilometer seit Ghost Ranch waren die schwierige Wegführung, äußerst sparsame Markierungen, etliche Fluss-Überquerungen bei erhöhtem Wasserstand, Matsch und Schnee in allen Varianten.

Kalt ! Bei Thomas im Schlafsack liegt nachts neuerdings unser Wasserfilter, damit der nicht kaputt friert. Unsere Schüsseln, die wir gestern nicht abgetrocknet hatten, sind mit einer Eisschicht überzogen. Ich frage meinen Mann, wie es seinen Knien nach den gestrigen Strapazen geht und bekomme zur Antwort : “ Sehr gut. “ 🙂 Zunächst liegt ein kleines Stück auf einer Forststraße vor uns. Pfützen und Schnee-Verwehungen wechseln in kurzen Abständen. Um 7.00 Uhr in der Frühe ist der Schnee allerdings hart gefroren und glatt. Schon bald zweigt der Weg ab in einen dichten Tannenwald und steigt auf. Was sonst ? Als ob wir nicht schon hoch genug wären ! Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es mir keinen Spaß macht, im Tiefschnee zwischen unzähligen umgefallen und noch mehr aufrechten Bäumen einen Trail zu suchen, der komplett zugeschneit ist. Weder in den letzten zwei Stunden eines langen Lauftages noch in den ersten beiden Stunden nach dem Aufstehen. Thomas geht es ganz ähnlich mit dem unvermeidlichen GPS in der Hand. Es ist zum Verzweifeln ! Eben noch stehen wir auf dem CDT, einmal umgedreht und nur Minuten später sind wir schon wieder weit weg vom Trail. Mal steigen wir bergauf, dann versuchen wir es weiter unten. Dazwischen liegen jedes Mal steile Schneehänge, die uns höchste Konzentration abfordern. Das ist echt zäh. Sehr mühsam erarbeiten wir uns die ersten 5 Kilometer. Nach mehr als 3 Stunden erreichen wir endlich unsere erste Staatsgrenze. Wir genehmigen uns den letzten Müsli-Riegel, um die Beendigung dieses Abschnittes gebührend zu feiern. Das Wasser ist leider noch zu kalt zum Trinken. New Mexico ist geschafft – Colorado wartet auf uns. Von unserem Pausenplatz aus bekommen wir einen ersten Eindruck : Grüne Wiesen liegen unter uns, Flüsse durchziehen das ganze Tal, vor uns schneebedeckte Berge, Lavagestein. Es sieht alles sehr idyllisch und fruchtbar aus. Ab hier verlassen wir den Carson National Forest und wandern im Rio Grande National Forest. Aber sonst ändert sich nichts​, auch unsere ersten Kilometer in Colorado bleiben nervig und anstrengend. Gegen Mittag sind wir endlich am Cumbres Pass und hoffen auf eine Mitfahrgelegenheit. Nichts los hier, wenig Verkehr. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Wir stehen uns die Beine in den Bauch und warten. Nach einer gefühlten Ewigkeit hält endlich ein Auto, und die nette Fahrerin bringt uns bis zum Visitor Center nach Chama.

Look

Ein Kommentar zu “Ghost Ranch bis Cumbres Pass 01.06. – 07.06.2017