Wir suchen uns die kürzeste Route aus der Stadt Oberviechtach heraus und folgen erneut einem Kreuzweg. Eine dicke Blindschleiche, deren glatte Haut wie Kupfer in der Sonne glänzt, flüchtet ins Gebüsch. Kurz darauf kreuzt eine Ringelnatter unseren Pfad und schlängelt sich seitwärts in Richtung Wiese. Die Kirschen am Wegesrand sind reif. Es gibt schwarze und rote Früchte satt, süß und wohlschmeckend. Auch Äpfel und Birnen wachsen am Straßenrand, sind jedoch noch nicht essbereit. Eine niedliche braune Haselmaus sitzt mitten auf dem Weg und putzt sich. Keine Angst vor uns großen Menschen, wirklich erstaunlich. 🙂
Etwa in der Mitte des Tages erreichen wir einen Wegweiser mit allerlei wichtigen Informationen. Hier teilt sich der Goldsteig in die verschiedenen Richtungen. Alle drei Goldsteig-Varianten enden in der Dreiflüssestadt Passau. Wir erfahren, dass die schwierigere nördliche Route insgesamt 45 Kilometer länger ist als die Süd-Variante. Da haben wir bei unserer Wahl gar nicht drüber nachgedacht. Grundsätzlich bevorzugen wir immer die höheren Routen über die Berge, weil sie einsamer sind und schönere Aussichten bieten. Tatsächlich spürt man schon heute in den Beinen, dass es mehr und immer steiler aufwärts geht. Zwischen Thanstein und Rötz liegt die sogenannte Steinerne Wand. Das ist eine schöne Abwechslung, eine Aneinanderreihung von vielen großen Granitfelsen im Wald. Auf ca. 300 Metern zieht sich dieser Grat durch den Wald. Die verwitterte Wand fällt an manchen Stellen bis zu 20 Meter steil ab. Wir steigen auf den Hausberg mit seiner Schwarzenburg – natürlich klettern wir über die zahlreichen Stufen bis ganz nach oben und werden mit einer tollen Aussicht belohnt. Das „Grüne Dach Europas“ liegt unter uns. Wir befinden uns jetzt im Bayerisch-böhmischen Grenzland, das ist die größte zusammenhängende Waldlandschaft zwischen Atlantik und Ural. In den nächsten Tagen geht es hinauf auf die Tausender: Hohenbogen, Kaitersberg, Großer Arber, Falkenstein und Dreisessel. Einige der schönsten Geotope Bayerns wie das Blockmeer am Lusen oder die bizarren Granitfelsen vom Dreisessel liegen auf der kommenden Strecke. Am Fuße des Turms befindet sich ein Biergarten der Genossenschaftsbrauerei Rötz. Eigentlich haben wir für heute schon genug Kilometer unter den Füßen – das passt also wunderbar für einen lange Pause. 😉 Abwärts folgen wir dem Fluss Schwarzach, nur noch knapp 2 Stunden bis zum Feierabend.
Nieselregen beim Aufstehen, deswegen packen wir schnell zusammen und sind schon früh unterwegs. Ein junger Hirsch springt vor uns davon. Kaffee-Trinken ist etwas ungemütlich im Regen mit Poncho. Wir sitzen auf einer Bank am Rande eines Waldes mit Blick auf die Felder und beobachten zwei Füchse. Die Tiere können uns nicht sehen und laufen minutenlang direkt voraus ganz entspannt durch das hohe Getreide. Eine halbe Stunde später erscheint ein weiterer Fuchs, der offenbar auf der Jagd ist. Und wieder kreuzt ein kleines braunes Fellbündel unseren Weg. Haselmäuse sind wohl weit verbreitet in dieser Gegend.
11.00 Uhr : Regen ist durch, die Sonne scheint, der Wald dampft.
Unser nächstes Ziel ist das Wanderheim in Rhan, aber das hat leider geschlossen. Wir machen es uns trotzdem auf der Veranda bequem, hängen alle Sachen incl. Zelt zum Trocknen auf und machen lange Pause. Es scheint in Ordnung zu sein, denn ein Nachbar grüßt freundlich und winkt zu uns hinüber. Kurz vor Waldmünchen trennen sich Goldsteig und Burgenweg. Macht nichts – wir haben wirklich genug davon, jede kleine Kirche oder Kapelle anlaufen zu müssen. Ständig geht es in großem Bogen über die Felder außerhalb der Orte, man sieht die Kirchen schon von Weitem, in der Regel stehen sie immer auf dem höchsten Hügel. Dann wissen wir : Da müssen wir hin, egal, wie viele Umwege der Goldsteig vorher noch macht.
Thomas tritt beinahe auf einen jungen Vogel. Seine Federn sind noch ganz weich und plüschig. Er sieht wirklich süß aus, wie ein Vogelbaby, das bei den ersten Flugversuchen abgestürzt ist. Ein wenig benommen ist der Kleine, aber nachdem ich zwei Fotos aus der Nähe geschossen habe, flattert er weg von der Straße und auf sicheres Terrain. Eine mittelgroße Ringelnatter schlängelt über unseren Weg. Schon wieder …..
Empfindlich kalt war es in der Nacht, dafür ist unser Sommer-Schlafsack nicht gemacht. Wir sind bereits in der Höhe angekommen und steigen noch weiter an bis auf knapp 1000 Meter. Nur 15 Kilometer bis Furth im Wald, wo wir einkaufen müssen. Es gibt Kaffee auf dem Klammerfelsen mit Blick auf den Berg Cerchov und seinen markanten Radarturm. Nur 5 Kilometer Luftlinie entfernt und auf 1042 Metern Höhe gelegen, ragt er deutlich aus dem dichten Grün hervor. Von hier oben haben wir bei klarem Himmel eine wunderbare Weitsicht. Im weiteren Verlauf kommen wir an die tschechische Grenze mit dem Drei-Wappen-Stein und einer brauchbaren Schutzhütte.
Mittagspause auf dem Berg Gibacht ( 938 m.), wieder ein ganz toller Platz zum Bleiben. Schön und abwechslungsreich, der Goldsteig bietet heute so Einiges. Nächste Station ist der Kreuzfelsen mit 938 Meter Höhe. Auf seinem Gipfel befindet sich eine markante Felsformation und ein riesiges Holzkreuz, an dem eine Christusfigur angebracht ist.
Auf dem Berg am Reiseck beeindruckt uns „Das gläserne Gipfelkreuz“. Es leuchtet weithin sichtbar in der Sonne und bietet ein wunderbares Panoramabild mit der tiefgrünen Landschaft ringsum.
Während des weiteren Weges kommen wir über einen schroffen Felsrücken, den Tannenriegel. Da gibt es wieder etwas zu entdecken. Auf dem höchsten Punkt befindet sich der „Leuchtturm der Menschlichkeit“. Steine aus der ganzen Welt wurden in diesem 3,50 Meter hohen Turm vermauert. Unter dem Motto „Von Menschen für Menschen gemacht“ ist er der Versöhnung zwischen den Völkern und ihren unterschiedlichen Religionen gewidmet. Die Pyramide wurde aus verschieden großen farbigen Steinen sowie Glas-Ornamenten und bunten Verzierungen gebaut. Eine Tafel gibt Auskunft über die zahlreichen Herkunftsländer. Gute Idee, gemeinsam ein Denkmal für Toleranz und Völkerverständigung zu erschaffen. :).
Am Nachmittag erreichen wir Furth im Wald. Dort müssen wir eine Weile suchen und einen kleinen Umweg machen, um Gas zu kaufen. Damit sind wir bei zwei Mal täglich Kochen bis zum Ende unserer Wanderung versorgt.
Ein niedliches Reh, noch mit den typischen Bambi-Punkten im Fell, steht ganz entspannt auf einer Wiese. Die Mutter entdecken wir ein kleines Stückchen weiter abseits, sie passt aus der Ferne auf ihren Nachwuchs auf.
Es dauert lange, bis wir die letzten Häuser-Ansammlungen, Kleingärten und beackerte Felder hinter uns gelassen haben. Erst spät finden wir ein abgelegenes Waldstück mit einer seniorengerechten Bank in der Nähe.
Unsere für den Morgenkaffee auserwählte Bank ist leider besetzt, wir müssen eine Extra-Runde drehen. Gleich zu Beginn erwartet uns der Hohenbogen, das ist der längste und steilste Aufstieg des Goldsteiges, wahrscheinlich sogar unserer gesamten 800-Kilometer-Wanderung. So kommen wir schon vor dem Frühstück gut in Wallung, der Schweiß tropft vom Kopf. Der Hohenbogen ist ein 16 Kilometer langer Höhenzug, dessen Bergkamm uns bis auf 1079 Meter hoch führt. Auf dem westlichen Gipfel, dem Burgstall, erwartet uns ein Gipfelkreuz, eine herrliche Aussicht bis weit hinein nach Böhmen und eine Bank für die wohlverdiente Pause. Zwischen den Holzbalken des Kreuzes wohnt eine Echse.
Kirschen und rote Johannisbeeren säumen unseren weiteren Weg. Am Nachmittag setzt leichter Regen ein. Und ein weiteres Mal am heutigen Tag geraten wir tüchtig ins Schwitzen. Die selbstgewählte hohe Route geht ordentlich in die Beine.
Die Kötzinger Hütte lockt mit Radler und warmem Abendessen. Bis dahin sind es noch knapp 6 Kilometer durch wildes Gelände im Aufstieg. Wir beeilen uns und geben Alles. Inzwischen hat leichter Regen eingesetzt. Eine halbe Stunde vor Feierabend erreichen wir das Ziel. Es gibt Leberkäse mit Spiegelei und leckere Erbsensuppe mit Bockwurst. Wir bestellen gleich zweimal nacheinander. Nach dieser Stärkung geht es dann in beinahe alpines Gelände. Dort wachsen nur noch niedrige Bäumchen und ein paar Sträucher. Felsen in jeder Größe, schmale Pfade bergauf und wieder hinunter, schon etwas anspruchsvoller bei Nässe. Gleich hinter der Hütte kommen wir durch eine Schutzzone für Luchse. Ein Schild besagt : Zelten verboten. Da müssen wir wohl noch ein paar Kilometer weiter. Kalt, Regen ! Auf dem Grat vom Kaitersberg laufen wir auf 1192 Meter Höhe. Vor uns liegen die sog. Rauchröhren. Verschiedene Wegweiser zeigen die Richtung zu einer leichten und einer schwierigen Route. Wir wählen die letztere, schließlich wollen wir nichts verpassen. Ein paar kleine Kletterstellen, rutschige Steine, der schmale Pfade führt steil auf und nieder. Dann stehen wir vor imposanten Felsen, zwischen denen wir durch eine enge Schlucht rückwärts nach unten klettern müssen. Das ist der schwierigste Teil. Auf der anderen Seite finden wir einen unheimlich schönen geraden Platz und bauen unser Lager direkt unter der Kletterroute auf. Lange Unterwäsche und doppelte Lage Kleidung, denn wir zelten auf 1030 Meter Höhe. Das Wetter ist schlecht, da werden wohl so früh keine anderen Wanderer auftauchen.
Nebel, viel Regen, sehr viel Wind auf dem Top. Das Wetter tobt sich aus, während wir gemütlich 12 Stunden im Schlafsack liegen. Aufstehen und Zusammenpacken kostet etwas Überwindung, aber schon bald klart es auf. 600 Höhenmeter Aufstieg bis zum Großen Arber, aber sehr schön zu laufen. Unsere heutige Strecke führt über mehrere Tausender Gipfel, immer fein über den Grat, rechts und links geht es steil abwärts. Die einzelnen Stationen sind : Riedelstein 1162, Mühlriegel 1080, Ödriegel 1156, Schwarzeck 1238, Reischflecksattel 1126, Heugstatt 1262, Enzian 1287, Kleiner Arber 1384 und Großer Arber mit 1456 Höhenmetern. Der Große Arber ist der höchste Berg des Böhmerwaldes / Bayerischen Waldes und von ganz Niederbayern. Etliche Gipfel sind zu besteigen, jeder ist mit einem großen Kreuz verziert.
Die Kaitersberg-Arber-Hochtour über 12 Tausender ist anstrengend. Von morgens bis abends haben wir ununterbrochen Anstieg, Abstieg und Gegenanstieg zu bewältigen. Das Wetter bleibt den ganzen Tag durchwachsen, genau richtig für diese Etappe.
Tafeln machen darauf aufmerksam, dass wir uns in Auerwild-Schutzgebiet befinden. Außerdem sind Luchs und Wolf in dieser Region zu Hause, aber wir bekommen sie nicht zu Gesicht.
Um 17.00 Uhr haben wir den höchsten der Gipfel erreicht. Um den Großen Arber herum führt ein breiter Rundweg, dort steht ein Observatorium und das Arber-Schutzhaus. Danach geht es nur noch zügig bergab bis zu einer weiteren Schutzhütte kurz hinter dem Arber See.
Entspanntes Laufen auf einem netten Pfad unter dichten Laubbäumen bis Bayerisch Eisenstein, links ein Bach und auf der anderen Seite ein Fluss. Wir sehen deutliche Spuren von Bibern am Ufer. Wilde Erdbeeren wachsen am Wegesrand, klein, aber unglaublich aromatisch. Mit dem Bus fahren wir von Bayerisch Eisenstein bis nach Zelezna Ruda ( Markt Eisenstein ) auf der tschechischen Seite. Super leckeres und günstiges Essen gibt es im vietnamesischen Restaurant Viet Sen. Vor dem Rathaus sitzen wir lange auf der Rentnerbank und beobachten das geschäftige Treiben um uns herum. Der Parkplatz vor dem CoOp bietet interessantes Menschen-Kino. Nach wenigen Stunden haben wir jedoch genug von Tschechien und steigen in einen Zug der Bayerischen Waldbahn, der uns bis nach Zwiesel bringt. Das ist ein Luftkurort mit knapp 10000 Einwohnern, hier gefällt es uns ganz gut. Wir haben ab morgen eine Unterkunft gebucht, weil wir uns am Sonntag schon um 6.00 Uhr auf die Reise nach Marburg machen werden. Nachdem wir die Lage sondiert und den richtigen Abzweiger vom Goldsteig ausfindig gemacht haben, bleiben immer noch einige Stunden zum Verbummeln. 17.00 Uhr ist einfach noch viel zu früh, um ungesehen ein Zelt aufzubauen. Was liegt da näher, als die überschüssige Zeit in einer Pizzeria zu vertreiben ? Nach dem Abendessen suchen wir die Richtung für unsere weitere Route. Quer durch die Stadt und eine knappe Stunde weiter finden wir ein kleines Waldstück, wo wir heute und auch am Dienstag die Nacht verbringen werden. Sinn der Geschichte ist, dass wir uns bereits jetzt einen geeigneten Platz ausgucken, weil unser Zug zurück erst nach 21.00 Uhr in Zwiesel ankommen wird.
20.00 Uhr Gewittergrollen und Regen. Das Zelt steht. Passt.
Ein krauser Tag ! Nur 10 Kilometer am Vormittag gelaufen, aber dafür zweimal warm gegessen und mehrere Radler getrunken. Irgendwie sind wir nicht ausgelastet und damit unzufrieden. Wenn wir uns von morgens bis abends anstrengen und ordentlich Strecke machen, dann geht es uns viel besser.
In der Nacht zu Samstag gibt es Regen, Regen, ergiebigen Regen ….. und am Vormittag immer noch. Wir bleiben bis 11.00 Uhr im Zelt, trinken unseren Kaffee im Schlafsack.
Auf dem Weg zurück in den Ort beobachten wir eine Reh-Mutter mit zwei Kitzen. Über dem Feld schwebt ein Bussard auf der Lauer nach Beute. Mitten in der Stadt entdecken wir die höchste Kristallglas-Pyramide der Welt. Auf 65 Etagen wurden Gläser übereinander gestapelt. Der Turm ist 8,06 Meter hoch und 4,60 Meter breit, insgesamt haben die Gläser ein Gewicht von 11,6 Tonnen. Wirklich sehr beeindruckend. Wir befinden uns hier in der Heimat der Glasbläserei. Etwas Zeit bleibt noch, und so stöbern wir durch die Kristallglas AG und kaufen ein kleines Geschenk.
Unsere Unterkunft im Aparthotel Chrysantihof ist perfekt. Dort haben wir eine komplett eingerichtete Ferienwohnung für 47,- € die Nacht. Die Ausrüstung muss gereinigt und getrocknet werden, Waschen, Duschen, Planung der nächsten Etappe.
Bis jetzt haben wir ungefähr 630 Kilometer zurückgelegt, davon etwa 250 auf dem Goldsteig. Bis nach Passau liegen noch 170 Kilometer vor uns.