Wir segeln und wandern durch die Welt

Grönland Westküste – Nuuk bis Sisimiut

Samstag, 22.07.2023
Mittags gegen 13.00 Uhr legt die „Ugly Betty“ bei viel Wind und Regen ab. Ohne den Schutz und die Höhe des großen Motorbootes können wir nicht an der Mauer liegen. Wir verholen die Walkabout für ein paar Stunden an die einzige Mooring-Boje im Hafen, um auf besseres Wetter zu warten. Die „Seabelle“ fährt am Nachmittag los, die „Thindra“ ist schon gestern gestartet. Wir machen Mittagsschlaf, anschließend gemütliche Teestunde und essen noch einmal ganz zivilisiert am Tisch. Um 19.00 Uhr sind wir soweit. Der Wind ist nicht mehr so bissig, es nieselt nur noch. Nichtsdestotrotz können wir fast nichts sehen ringsherum, so dicht ist der Nebel. Wir verlassen uns einmal mehr auf unsere Instrumente. Zunächst müssen wir 15 Seemeilen Richtung Westen, um aus dem Fjord-System um Nuuk herauszukommen. Erst danach können wir Kurs nach Norden anlegen, um auf die richtige Spur zu kommen. Gegen-Strömung. Dumm, dass wir daran nicht gedacht haben. Erstaunlicherweise kein Eis. Es wird jetzt gar nicht mehr richtig dunkel. Zwischen Mitternacht und 2.00 Uhr früh ist es leicht dämmerig, danach wird es schon wieder hell. So klar wie an diesem Morgen war der Himmel über Nuuk die ganze Woche nicht. Man kann sogar erahnen, dass hinter den Wolken die Sonne scheint. Sehr schön, das Wetter ist auf dem Wege der Besserung.

Thomas hat am Vormittag Tier-Kino vom Feinsten. Gleich 5-6-7 Wale tummeln sich zu beiden Seiten des Bootes, mal in weiter Entfernung, aber auch bis auf 50 Meter nah. Der Blas ist weithin zu hören. Ansonsten ist das Verhalten ganz anders als bei den vorher gesehenen. Eine neue Sorte, die wir bisher noch nicht kannten. Wahrscheinlich sind das Grönland-Wale, denn die leben nur in arktischen Gewässern. Mittags habe ich auch Glück. Zwei Finnwale auf Gegenkurs an backbord. Im Sommer wandern sie in die kälteren Gewässer der Arktis bzw. Antarktis. In einer Distanz von etwa 100 Metern zum Boot schwimmen sie gemächlich dicht unter der Wasseroberfläche und blasen in kurzen Abständen ihre Fontänen heraus. Ich habe lange Zeit, um die Tiere zu beobachten. Am Nachmittag bekommen wir noch ein weiteres Mal Besuch von einem Wal. Ergiebiger Tag …. vielleicht mögen die auch lieber schönes Wetter ? Klare Sicht. Das Radar kann endlich ausgestellt werden. Die Sonne kommt tatsächlich durch und zaubert uns angenehme 15° ins Deckshaus.

Uns zieht es weiter nach Norden, aber leider ist für die nächsten Tage strammer Gegenwind angesagt. Die Insel Maniitsoq liegt auf dem Wege und bietet sich an für einen Zwischenstopp. Der gleichnamige Ort wurde im 17. und 18. Jahrhundert von Walfängern besiedelt und ist auch heute noch ein geschäftiger Fischerhafen. Schon bei der Annäherung bietet sich uns ein toller Anblick. In einer Entfernung von 20 Seemeilen tauchen die weißen Gipfel aus dem Dunst auf und leuchten im Sonnenschein. Maniitsoq hieß früher  „Sukkertoppen“. Der alte Name hat seinen Ursprung in der ganzjährig schneebedeckten Bergkette, deren Gipfel wie mit Puderzucker bestäubt aussehen. Einmalige Aussicht auf die weißen Gipfel – einfach fantastisch. Das ist wohl Grönland von seiner schönsten Seite. 🙂

2500 Einwohner, bunte Häuser und angenehmes Klima. Wir sind begeistert von diesem Wechsel und froh, daß wir das graue Schlechtwetter-Nuuk gegen so einen hübschen Ort eingetauscht haben. Wir legen uns in die dritte Reihe neben zwei Fischerboote und hoffen, dass die Männer nicht um 4.00 Uhr in der Frühe zur Arbeit rausfahren.

Gegen 21.00 Uhr Motorengeräusch und Wellenschlag neben unserem Boot. Die „Seabelle“ macht längsseits an der Walkabout fest. So ein schnelles Wiedersehen hatten wir nicht erwartet. Calin erzählt, dass er im Laufe des Tages bereits dreimal den Dieselfilter wechseln musste. Anscheinend hat er in Nuuk schlechten Diesel getankt. Sehr ärgerlich. 🙁 

Glück gehabt – lange Nachtruhe, 9 Stunden Schlaf. Erst gegen 9.30 Uhr wird beim Fischerboot nebenan die Maschine angeworfen. Wir sind schnell auf den Beinen, die Crew der Seabelle ebenfalls, damit die Fischer ablegen können. Direkt nebenan ist die Tankstelle, wo wir ganz bequem Diesel und Wasser auffüllen können. Alle sind hier sehr nett und hilfsbereit. Vielleicht mögen die uns, weil die Walkabout so aussieht wie sie aussieht. 😉 Auch beim Hinausfahren wird von allen Seiten gegrüßt, Motorboot-Fahrer flitzen vorbei und winken uns lächelnd zu. Das ist eine viel schönere Erfahrung als in der Anonymität der Hauptstadt. Auf jeden Fall ein sympathischer Ort, den sich noch einmal zu besuchen lohnt. Bilderbuch-Wetter. 🙂

Maniitsoq ist von Hunderten kleinerer Inseln und Schären umgeben. Wir wählen eine innere Route zwischen den Inselchen, um dem Gegenwind auszuweichen. Das klappt nur bedingt. Zunächst tuckern wir langsam in den Fjord und genießen die malerische Kulisse der Puderzucker-Gipfel. Wunderbare Aussicht nach allen Seiten, mal mehr und mal weniger Schnee auf den Bergen, manchmal ein größeres Eisfeld dazwischen. Der Weg durch’s Wasser ist frei, kein Eis blockiert die engen Kanäle. Aber Wind von vorne, und das nicht zu knapp. Wir dachten, wir würden im Schutz der Inseln nichts davon merken, aber weit gefehlt. An einigen Engstellen wird der Wind kanalisiert und dreht mit uns von Nord-Ost über Nord nach Nord-West. Wir müssen einer Kurve von 90° in den Hamborgersund folgen. Sollte dann eigentlich besser werden, aber der Wind geht mit uns. Immer noch Vierkant von vorne, die Wellen natürlich ebenfalls. Eine besonders fiese Biegung lässt uns fast am Sinn des Weiterfahrens zweifeln. Wir schaffen mit Mühe und Not 1,5 Knoten, und es ist echt schwierig, mit dem Steuerrad den Kurs halbwegs zu halten. Funktioniert nur, weil wir etwas davon abweichen. Wir müssen einen günstigeren Winkel zu den Wellen fahren, sonst stehen wir fast auf der Stelle. Dann plötzlich Alarm, eine rote Kontroll-Leuchte blinkt. Eine von drei Lampen …. Was bedeutet diese ? Motor aus. Wir lassen uns zurücktreiben, während Thomas auf Fehlersuche geht. Er kontrolliert Ölstand, Wasser und Strom. Dabei kommt er drauf, dass unsere Lichtmaschine nicht mehr lädt. Irgendwas ist immer. Die Lampe leuchtet, wenn die Lichtmaschine keinen Strom mehr produziert. Das Problem kann man unterwegs beheben, wir haben Ersatz an Bord. Oder ist es vielleicht der Keilriemen, der keinen Antrieb mehr erzeugt ? Erst einmal können wir so weiterfahren, denn bei Sonne bringen die Solarpaneele genügend Strom. Nachmittags lässt der Wind nach, auch das kabbelige Wasser beruhigt sich. Für die Nacht suchen wir uns einen geschützten Ankerplatz in der Nähe aus. Unsere Wahl fällt auf Appamiut, wo es ein verlassenes Fischerdorf gibt. Kurz vor der Ankunft wirft Thomas die Angel aus und fängt innerhalb kürzester Zeit 4 Kabeljau. Die beißen hier wie blöd. Das Abendessen ist gesichert. Wir haben noch Reste von gestern, dazu gibt es ganz viel superfrischen Fisch. 🙂 Früher Feierabend. Um 19.30 Uhr fällt unser Anker hinter einem kleinen Inselchen auf knapp 4 Meter Wassertiefe. Hier liegen wir so ruhig wie in Abrahams Schoß. Das hat sich wohl auch die Crew der „Seabelle“ gedacht, denn die kommen kurze Zeit später an. Platz genug für zwei Boote, wir teilen uns die Ankerbucht.

Werde schon um 6.30 Uhr wach, denn irgendwas ist anders. Ich liege alleine in der Koje. Thomas steckt bereits mit dem Kopf über dem Motor. Schnelle Fehler-Diagnose : Keilriemen gerissen. Wir haben 3 Stück als Ersatz an Bord, aber keiner passt ohne größeren Umbau. Anker auf um 8.00 Uhr. Da hängt ein riesiges Bündel Seegras dran. Beim Verlassen der Ankerbucht stehe ich vorne am Bug und sehe einen dichten Teppich von Kelp und Seegras unter uns. Wassertiefe stellenweise nur 2,80 Meter.

Kaum draußen, da spürt man den Wind, natürlich von vorne. Im engen Kanal laufen uns die Wellen entgegen. Dazu hüllt uns dichter Nebel ein, so dass wir leider nichts von der Umgebung sehen können.
Gegen Mittag klart es auf. Was für eine wilde Gegend um uns herum ! Unser Weg führt durch schmale Gassen, in die wir uns ohne unsere elektronischen Geräte nicht wagen würden. Die Seekarte auf dem Plotter ist erstaunlich gut kartographiert. So tuckern wir langsam durch die Inselwelt, umgeben von schroffen Felsen. Ab und zu liegen ein paar dicke Steine im Weg, die aber bei genauem Hinsehen in kleiner Auflösung auch auf dem Bildschirm zu erkennen sind. Spannend ist es hier. Irgendwann wird der Gegenwind zu stark, die Wellen in den engen Passagen bremsen uns auf 2 Knoten ab.

Vor uns tauchen bunte Häuser zwischen den Bergen auf. Ein kleines Dorf auf einer Insel, es liegt direkt am Rande unserer Route. Das gucken wir uns mal an, fahren vorsichtig in den kleinen Hafen ein und machen die Leinen an der hölzernen Spundwand fest. Die farbigen Häuschen sind überwiegend am Hang gebaut und stehen auf Stelzen wegen des Permafrost-Bodens. Mittagspause in Kangaamiut. 300 Menschen leben hier total abgeschieden. Es dauert nicht lange, da pfeift es draußen. Wir bekommen Besuch von drei Kindern aus dem Dorf. Neugierig, aber etwas schüchtern sind sie. Eine Tüte Bonbons wird freudig angenommen. Es folgt ein höfliches „thank you“, dann sind sie weg.

Das Echolot zeigt 3,80 Meter an. Ablaufendes Wasser. Wir brauchen mindestens 1,80 Meter unter dem Kiel. Von einem Einheimischen erfahren wir per Zeichensprache, dass wir nicht an dieser Stelle liegen bleiben können, weil es zu flach wird bei Niedrigwasser. Trotzdem wagen wir einen kurzen Landgang und entern den Einkaufsladen. Wir sind mal wieder auf der Suche nach Internet, um eine weitere Touristen-SIM-Karte zu aktivieren. Eine nette Dame nimmt uns mit zu sich nach Hause, damit wir ihr WLAN nutzen können. Es geht über Holztreppen und Bretterstege weit nach oben.

Viele Häuschen auf den Hügeln sind nur so zu erreichen. Die Aussicht bei schönem Wetter ist beneidenswert. An einer Leine hängen Streifen von dunklen Fleisch zum Trocknen. Seerobbe, Rentier ( Karibu ) oder Walfisch ? Alles wird regelmäßig erlegt, gegessen und restlos verwertet. Die Jagd hat Tradition und ist ganz normal in Grönland. Nicht für den Export, sondern nur für den Eigenbedarf.

Die Frau erzählt uns, dass es in Kangaamiut 3, 50 Meter Tidenhub gibt. Da sollten wir uns besser nicht zu lange aufhalten. Schade, es wäre ein toller Platz für die Nacht, aber wir müssen weg. Nur noch einmal schnell auf den höchsten Berg, um von dort oben den Rundum-Blick zu genießen. Auf jedem der umliegenden Gipfel steht ein Picknick-Tisch mit Bänken. Die sind ja witzig. 😉 Wir sind dick vermummt mit Handschuhen und Mütze, aber für die Inuit ist gerade Hochsommer.

So langsam erhole ich mich von der Tristesse in Nuuk. Diese kleinen Dörfer bei Sonnenschein sind einfach bezaubernd. 🙂

Um 16.30 Uhr legen wir ab. Die nächsten eingezeichneten Ankerplätze sind uns zu tief. Also weiter durch die Fjorde. Könnte spät werden, ist aber eigentlich auch egal, da es während der Nacht inzwischen gar nicht mehr dunkel wird. Allgegenwärtig sind die Grönland-Mücken. Es ist nicht so ruhig, wie wir uns im Schutz der Berge erhofft hatten. Starke Strömung, Wind und hackige Rippel-Wellen bremsen uns ab. In manchen Passagen bolzen wir mit 2,5 Knoten gegenan. Die „Pangaea“ überholt uns locker mit einer Geschwindigkeit von 7,5 Knoten. Wundert uns jetzt nicht, die Pangaea ist ein moderner Segler mit 3 Salingen, mehr als 30 Meter lang. Unser Ziel ist Cruncher Island, wo wir die Nacht vor Anker verbringen möchten. Aber der Weg dorthin ist steinig, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Durchfahrten zwischen den Inseln werden immer schmaler, außerdem liegen kleinere Brocken Land, Steine und Untiefen im Weg. Volle Konzentration am Steuer ist erforderlich. Die Augen sind unablässig auf den Plotter gerichtet, während der „Beifahrer“ die Tiefenangaben auf dem Echolot beobachtet und ansagt. Wegen der besseren Sicht steuern wir außen mit der Pinne, wenn es allzu eng wird. Das ist sowieso viel schöner, allerdings rattenkalt und nicht lange auszuhalten. Die Fahrt im Schneckentempo dauert und dauert, mittlerweile ist es spät geworden. Wir erreichen die Gegend um Cruncher Island und müssen mit Schrecken feststellen, dass unser anvisierter Wegpunkt falsch ist. Die angegebene Koordinate aus dem Buch ist schlichtweg falsch, demnach ist der Ankerplatz an Land. So ein Mist – das können wir ja am Abend gar nicht gebrauchen ! 🙁  Wir sind durchgefroren und hungrig, sehnen uns nach Feierabend. Einen Versuch, in eine Bucht einzulaufen, die ungefähr zur angegebenen Position passt, brechen wir ab. Die Durchfahrt ist nur wenige Meter breit, ein Felsen in der Einfahrt ragt ein Stück aus dem Wasser. Was dahinter liegt, das ist nicht einsehbar. Vielleicht eine brauchbare Ankerbucht, aber es ist uns zu heikel. Mittlerweile ist die Strömung gekippt und treibt uns trotz weniger Gas mit 8 Knoten Geschwindigkeit vorwärts. Das wird gerade richtig unheimlich hier. Unsere elektronische Seekarte weist ganz in der Nähe ein Ankergebiet aus, allerdings beträgt die Wassertiefe dort laut Echolot 45 Meter. Also auch Käse. 🙁 Wir kehren um, jetzt wieder Strömung von vorne und nur noch 2 Knoten. Suchen und finden eine ziemlich offene Bucht, in die wir uns hineinwagen. Ein Felsen ist ganz deutlich über Wasser zu erkennen, ein anderes Unterwasser-Hindernis soll laut Seekarte dahinter liegen. Wir bleiben lieber vorne und lassen den Anker auf 6,5 Meter Tiefe ausrauschen. Zum Aufwärmen gibt’s einen Grog.

Der nächste Tag beginnt vielversprechend mit Sonnenschein. Allerdings spüren wir immer noch den Wind. Am Anker hängt wieder eine dicke Traube Kelp.

Auf der inneren Route hätten wir jetzt Gegenströmung, deswegen entscheiden wir uns, die offene Route draußen zu fahren. Also lassen wir das Panorama der schneebedeckten Gipfel hinter uns und richten den Bug in Richtung Davis Strait. Sofort hüllt uns dichter Seenebel ein. Das Radar läuft. Keine Eisberge in Sicht. Eine Weile geht das ganz gut, wir machen über 4 Knoten Fahrt. Am Nachmittag wird es zäh. Wir fahren über die Hellefiske Banke mit ihren Flachs, gleichzeitig laufen 2-3 Knoten Gegenstrom. Stundenlang kommen uns brechende Wellen entgegen. Walkabout wird immer langsamer. Bei diesem Gehacke möchten wir nicht kochen. Und es kann eine lange Nacht werden, wenn wir auf diesem Kurs bleiben. Sollten wir vielleicht doch lieber näher an die Küste steuern und zwischen den kleinen Inseln verschwinden ? Wie ist die Tide ? Wohin läuft die Strömung ? Das ist immer ein bisschen Glücksspiel in den Fjorden.

Die innere Route bietet tatsächlich ein bisschen Schutz, ist aber dafür die längere Strecke. Wir sehen heute leider nicht viel, weil uns dichter Nebel einhüllt. Irgendwann haben wir genug und beschließen, doch nicht die Nacht bis Sisimiut durchzufahren. 12 Stunden unterwegs reicht. Unsere Wahl fällt auf eine unbenannte Bucht beim 90-Seelen-Dorf Itilleq. Es geht also immer noch einsamer. 😉 Ungefähr ein Dutzend Menschen, darunter viele Kinder, schauen vom Ufer aus zu, wie wir auf dem Ankerplatz kreisen und schließlich den Haken auf 4,50 Meter Wassertiefe fallen lassen. Die bekommen wohl nicht so oft Besuch. 😉
Eine Viertelstunde vor Ankunft hat Thomas noch kurz die Angel ins Wasser getaucht und zwei dicke Kabeljau gefangen. Kartoffeln mit Butter dazu, außerdem wird eine Flasche Rotwein geöffnet. Es gibt etwas zu feiern : Wir haben soeben den Polarkreis auf 66°34′ Nord überquert. Jetzt befinden wir uns tatsächlich in der Arktis. 🙂

Schönes Plätzchen für die Nacht. Guter Schlaf, es war total ruhig. Ein Polizei-Boot kommt mit schneller Fahrt direkt auf uns zugefahren, während wir gerade den Anker aufholen. Was wollen die denn von uns ? Sie erzählen uns, dass wir auf Kanal 16 von Aasiaat Radio gesucht werden. Wir hätten um 9.00 Uhr unsere Position durchgeben müssen, aber um diese Zeit haben wir noch geschlafen, und die Funke war aus. Jetzt ist es kurz nach 10, also sind wir eine Stunde überfällig mit unserer Meldung. Anscheinend hat die Küstenwache hier alles bestens unter Kontrolle. Gut für uns und all die anderen Boote, die in diesem anspruchsvollen Segelrevier unterwegs sind. Die Polizisten sind sehr freundlich. Positionsmeldung an Aasiaat Radio wird sofort nachgeholt, es gibt auch keinen Mecker.
Wir fahren weiter auf der inneren Route, diesmal mit Sicht. Super Wetter. Die wilde Küstenlinie Grönlands zeigt sich von ihrer schönsten Seite. 🙂 Heute sehen wir zum ersten Mal weiße Flecken auf unserer elektronischen Seekarte. Unvermessen, nicht kartographiert …. Besondere Vorsicht ist geboten, konzentriert Ausschau halten und gesunden Menschenverstand walten lassen. Sollte kein Problem sein, da wir nur langsam unterwegs sind. Inzwischen ist der Wind weg, spiegelglatte See um uns herum. 

Um 16.30 Uhr erreichen wir Sisimiut. Zwei Kreuzfahrt-Schiffe ankern vor der Einfahrt. Der Hafen ist gestopft voll mit Fischerbooten und kleinen Motorflitzern. Ich mag da eigentlich gar nicht reinfahren, weil es so eng aussieht. Wo sollen wir denn hin, und wie drehen wir überhaupt auf so wenig Raum ? Der Mast eines einzigen Segelbootes fällt auf. Das ist die „Seabelle“ mit Sonia und Calin, mittendrin und in der dritten Reihe. Wir gehen bei ihnen längsseits und liegen an vierter Stelle im Päckchen. Jetzt müssen wir über die „Seabelle“ und zwei Fischerboote klettern, um an Land zu kommen.

Sisimiut ist die zweitgrößte Stadt in Grönland mit ca. 5500 Einwohnern ( ungefähr so viele wie Norderney ohne Zweitwohnungs-Besitzer und Gäste ). Ausnahmslos bunte Häuser, wie bisher in jedem Ort. Hier wirken sie jedoch gepflegter, so als ob mehr Wohlstand herrschen würde als weiter im Süden. Schlittenhunde liegen vor den Häusern, das ist neu. Deren Haltung ist nur in Ostgrönland und im nördlichen Teil von Westgrönland erlaubt. Der Grund dafür ist, dass es südlich vom Polarkreis nicht genug Schnee gibt. Sisimiut liegt knapp über dem Arktischen Polarkreis und ist damit die südlichste Siedlung mit der Genehmigung zur Haltung. Der grönländische Schlittenhund ist eine der reinsten und isoliertesten Hunderassen in der Welt. Es ist verboten, ihn mit anderen Rassen zu mischen.

Unser erster Rundgang ist bereits erfolgreich : Wir kaufen zwei Dieselfilter als Ersatz. Keilriemen sollen wir angeblich morgen früh abholen können.

Gestern Abend mussten wir noch einmal ablegen, eine Runde im Hafen drehen und neu festmachen, weil die „Seabelle“ losgefahren ist. Früh am Morgen werden wir wach, weil etwas bei uns an Deck rumort. Springen ganz schnell in die Klamotten und stürzen nach oben, wo wir unseren Augen nicht trauen : Ein dickes Fischerboot schiebt sich gerade mit dem Bug zwischen uns und das Boot, an dem wir liegen. Die haben unsere vordere Leine gelöst, drücken die Walkabout zur Seite und drängen sich in die entstehende Lücke. Hinten steht ein junger Mann, um die Achterleine zu fieren, damit das Schiff dazwischen passt. Die sind ja witzig hier ! 😉 Haben sich nicht bemerkbar gemacht, noch nicht einmal geklopft, sondern binden uns ab und legen sich mitten hinein ins Päckchen. Reling schrappt an Reling, natürlich stimmt die Länge der Fender jetzt nicht mehr. Da darf man nicht zimperlich sein. Mit einem schicken und frisch gemalten Boot müsste man jetzt Angst haben. Wir klappen lediglich die äußere Solarpaneele etwas nach innen, ansonsten haben wir nicht viel zu befürchten. Uns ist die ganze Sache sehr sympathisch, weil die Grönländer nicht so viel Gewese machen, sondern einfach eine praktische Lösung finden. Lustiger Start in den Tag !
Wir müssen jetzt von der Walkabout über drei Boote steigen und noch eine rostige Leiter erklimmen, um an Land zu kommen.

Auf dem Schiff nebenan liegen die Barten von Walen. In einer Ecke hängen kleine Motorboote in dichtem Bündel aneinander. Daran vorbei geht es in die hinterletzte Ecke an die Kaimauer. Hätte nie gedacht, dass dort noch Platz ist. Aber ein anderer Fischer drängelt sich nur wenige Zentimeter hinter unserem Heck hindurch und steuert genau darauf zu. Wenige Zentimeter trennen seine Bordwand von unserer Windsteueranlage. Spannender Augenblick, als er sich vorbeischiebt, aber die Grönländer verstehen ihr Handwerk. Unfassbar, wie eng das alles ist hier im Hafen. Was für ein Chaos !

Die versprochenen Keilriemen passen nicht. Zu kurze haben wir selber. Auch der nächste Versuch bringt nicht das gewünschte Ergebnis, wieder sind sie zu klein. Im dritten Anlauf bekommen wir endlich die richtige Größe. Gestern hat uns ein Hafenarbeiter beim Anlegen geholfen. Heute steht er wieder da und nimmt Thomas gleich mit, um ihm seinen Arbeitsplatz zu zeigen. Gerd Hans heißt er – komischer Name für einen Inuk. 😉 ! Ein sehr zutraulicher Mann,  der unheimlich viel erzählt, aber er redet in einem Kauderwelsch von verschiedenen Sprachen. Letztlich werden wir nicht richtig schlau aus seinem Gequatsche und haben leider nicht verstanden, warum Gerd Hans diesen Vornamen trägt. Aber er zeigt uns sogar seinen Ausweis, damit wir es glauben. Draußen ist es deutlich wärmer als auf dem Boot. Herrlicher Sonnenschein lädt zum Spaziergang ein. Eine der kleinen roten Maschinen von Air Greenland fliegt dicht über unseren Köpfen hinweg.

Auf einem Hügel thront die Kirche. Von dort oben sieht man das verzwickte Labyrinth der Steine und Inseln in der Einfahrt. Meine Güte, wie haben wir es bloß bis in den Hafen geschafft, ohne auf Grund zu laufen ! Die Angaben auf unserer elektronischen Seekarte stimmen zum Glück haargenau.

Die Stadt ist hübsch, eine ansprechende Mischung aus Einheimischen und Touristen. Nach zwei Wochen habe ich mich mit Grönland angefreundet. Es ist alles total anders hier, wirklich eine fremde Welt. Aber inzwischen kann ich sagen : Es gefällt mir. 🙂

Nachmittags machen wir uns auf den Weg ins „Industriegebiet“, das liegt etwas außerhalb der Stadt. Überhaupt sind die Häuser im Ort ziemlich ausgedehnt und in alle Richtungen verteilt. Das ganze Bild wirkt ein bisschen wie Lego-Land.

Wir finden eine Art Baumarkt, wo wir Leinen und Brenn-Spiritus kaufen. Außerdem sind wir auf der Suche nach einem Stück Ofenrohr. Dafür laufen wir noch ein Stück weiter raus bis zu einem riesigen Grundstück mit Werkstatt und Verkaufsraum. Im Geschäft haben die nicht, was wir brauchen, aber einer der Mitarbeiter geht mit Thomas draußen gucken. Da steht eine lange Reihe von Containern, und darin ist ein großer Teil der Waren untergebracht. Alles von außen ordentlich beschriftet, es hat System. Innen kein Platz, aber gewusst wie …. Wie praktisch. Zwei Container werden aufgeschlossen und durchsucht, aber alle Ofenrohre sind vom Durchmesser her nicht richtig. Daraufhin schickt der Mann uns um die Ecke und zeigt auf eine brachliegende Wiese. Wir sollen dort schauen, da wäre vielleicht etwas für uns. Gelangweilte Schlittenhunde teilen sich das Feld mit allerlei Gerümpel. Thomas erblickt sofort zwei Ofenrohre auf einem Haufen, der aussieht wie Sperrmüll. Passt – genau das, was wir gesucht haben. Schon wird das Portemonnaie gezückt, aber von Bezahlung wollen die netten Leute gar nichts wissen. Geschenkt. Qujanaq. 🙂 Der Kamin auf unserem Boot wird damit um mehr als einen Meter verlängert. Das erledigt mein allerbester Handwerker sofort. Und plötzlich macht der Ofen keine Mucken mehr, sondern brennt beim allerersten Anzünden und bleibt auch tatsächlich an. Wieder ein Erfolg.

Die Einkaufsliste ist abgearbeitet. Duschen können wir im Seemanns-Heim. Es ist genauso teuer wie in Nuuk, aber dafür gibt es Handtücher, Shampoo und Duschzeug. Ein wunderschönes Badezimmer mit extra Toilette und Ankleideraum wartet hier auf uns. Theoretisch könnten wir sogar die Leih-Bademäntel und Pantoffeln benutzen, die für Gäste zur Verfügung stehen. Da wird das Duschen zum Fest. Am letzten Tag schaue ich mir noch ein bisschen das Städtchen an und bestaune das Außengelände vom Museum.

Thomas arbeitet derweil – wie meistens. Neuer Keilriemen wird montiert, Ölwechsel beim Motor, die Bilge wird leer gepumpt. Als ich auf dem Weg nach Hause bin, da winkt und ruft Gerd Hans freundlich zu mir rüber. Er hat noch irgendwo vier leere Diesel-Kanister für uns aufgetrieben. Eins der drei Fischerboote hat inzwischen abgelegt, diese Aktion habe ich verpasst. Der Weg ist dadurch nicht leichter geworden. Vorne kann ich nicht mehr auf die Walkabout übersteigen, weil die Boote jetzt anders liegen. Es erfordert eine halsbrecherische Turnerei, bis ich es achtern an Bord schaffe. Am Nachmittag kommen die Fischer noch einmal wieder und fahren uns direkt ans Heck, weil sie auf dem Nachbarboot etwas abladen müssen. Nichts für schwache Nerven. Das ist Millimeter-Arbeit.

Am Wochenende gibt es Brunch im Seemanns-Heim. Das kennen wir schon aus Nuuk, dort war es sehr gut. Wir gönnen uns dieses opulente kalt-warme Frühstück, bevor wir wieder in See stechen. Nun nur noch das Satelliten-Telefon scharf machen und das E-Mail-Programm über Iridium in Gang bringen, dann geht es weiter.

Ein Kommentar zu “Grönland Westküste – Nuuk bis Sisimiut