Wir segeln und wandern durch die Welt

Helena bis Augusta

Unser Fahrer steht pünktlich um 11.00 Uhr vor dem Motel, um uns zum MacDonald Pass zu bringen. Douglas ist ein origineller Typ etwa in unserem Alter, ein Harley Davidson-Fan mit passendem T-Shirt und Tattoo. Er hat seine monatlichen Ausgaben so weit reduziert, dass er nicht mehr arbeiten muss. Ein sehr gutes Konzept, das kommt uns bekannt vor. 😉 Wir geben ihm 20,- Dollar für seine Fahrdienste, die er auch gerne annimmt. So war es ein gutes Geschäft für beide Seiten – wir kommen ohne Zeitverlust und Nerverei zurück zum Trail, Douglas hat einen kleinen Nebenverdienst eingesackt. Er erzählt uns zum Abschied noch die Geschichte eines Grizzly-Bären, der hier in der Nähe sein Unwesen treibt. Es soll ein altes Tier sein, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Zur Bekräftigung zeigt Douglas uns ein Foto auf seinem Handy, welches sein Nachbar aus dem Fenster gemacht hat. Der Grizzly sieht nicht freundlich aus und ist eindeutig zu nah.
Zunächst müssen wir ein Stück entlang der Straße laufen. Das geht schnell, viel zu schnell …. Wir kommen an zwei unbeschilderten Seitenwegen vorbei, während wir uns angeregt unterhalten. Kann eigentlich noch gar nicht sein, dass wir bereits am Abzweiger sind, das dauert sicherlich noch eine Weile. Von wegen …. Als es uns zu komisch wird, da holen wir das Handy hervor und schauen auf die CDT-App. Stellen fest, dass wir bereits zu weit sind. Umdrehen und zurück, das ist ja inzwischen nichts Neues mehr. Diesmal sind es nur 3 Extra-Kilometer, natürlich bergauf.
Die Wetterprognose für die kommende Woche ist knackig. An fünf Tagen sind 32° Höchsttemperatur angesagt, an zwei Tagen sollen es nur 31° werden. Dazu Gewitter-Neigung und nur 10 % Regen-Wahrscheinlichkeit. Es ist Sommer in Montana. Das Gute für uns ist, dass es wieder in die Höhe geht. Oben ist es auf jeden Fall kühler, dazu weht ein leichter Wind.
Zwei Gabelungen ohne jeden Hinweis, erst an der dritten Kreuzung finden wir ein Zeichen. Endlich sind wir wieder auf dem CDT, immer noch im Helena National Forest. Anfangs ist der Weg sehr holperig. Die Gegend ist voll mit umgestürzten Bäumen, die oft quer über unserem Pfad liegen. Also ist Klettern, Springen oder Umgehen angesagt, das geht natürlich nicht besonders schnell. Richtig wild ist es hier, unberührte Natur, die noch nicht aufgeräumt wurde. Die gesunden Bäume sind mit hellgrünem Moos bewachsen. Wir suchen und finden eine ganz tolle Wasserquelle. Thomas hat es ein bisschen unbequem, weil er sich durch dichtes Gebüsch bis an das Rinnsal herantasten muss und dann mit der Tasse sehr vorsichtig immer nur kleine Mengen schöpfen kann. Dafür ist das kühle Nass herrlich sauber und erfrischend.

Eine mehr als halb verfallene Brücke liegt rechts von uns, vermutlich noch aus der Zeit der Gold- und Silberminen. Die Holzkonstruktion ist total morsch und anscheinend seit vielen Jahren nicht mehr zum Betreten geeignet. Wir laufen auf schmalem Pfad um einige Hügel herum, erst leicht bergauf, dann durch eine tiefe Schlucht. Weiter geht es auf einer einsamen Landstraße, durch Weideland mit grasenden Kühen. Schön einfach, allerdings sind die Rucksäcke direkt nach dem Start unverhältnismäßig schwer. Wir haben 200 Kilometer vor uns auf dieser Etappe. Geplant haben wir dafür eine Woche, Proviant für 6 Tage eingekauft. Riesige Grashüpfer tummeln sich heute in der Sonne. Sie sitzen im warmen Staub des Schotterweges und springen erst direkt vor unseren Füßen weg.
An einer Kreuzung, die mit einem Geländewagen zugänglich ist, steht ein Kanister mit Wasser. Das ist natürlich sehr willkommen in dieser trockenen Gegend. Leider ist der Behälter auf einem Stein deponiert, der gerade in der prallen Sonne steht. Das Wasser ist unangenehm warm, mehr als einen halben Liter bringen wir nicht hinunter.
Thomas hat Pech. Er tritt nur einmal ganz kurz abseits des Weges an die Seite und scheucht dabei einen Wespenschwarm auf. Drei Stiche innerhalb einer Minute sind die Quittung, anfangs sehr schmerzhaft, abends schon wieder fast vergessen.
Gegen 17.00 Uhr verdichten sich die Wolken am Himmel. Es donnert bereits in der Ferne und wird immer dunkler. Eine Stunde später hat das Gewitter uns beinahe erreicht. Wir haben gerade einen Bach überquert und flaches Gelände zu beiden Seiten, als die ersten Tropfen fallen. Schnell ist das Zelt aufgebaut, und die Rucksäcke sind in Sicherheit. Es ist eigentlich noch ein bisschen früh, gerade erst 19.00 Uhr. Aber heute werden wir auf jeden Fall nicht nass. Es dauert nicht lange mit dem Regen, nach einer halben Stunde ist es wieder hell. Diesmal haben wir falsch gepokert und zu überstürzt gehandelt. Man hätte noch gut eine Stunde weiter laufen können.  Früher Feierabend ist auch okay, wir starten gerne mit einem halben Tag. Ich habe ausnahmsweise eine Tafel Schokolade als zusätzliche Leckerei eingepackt. Die ist aber in der Hitze flüssig geworden und sollte zur Zeit besser nicht geöffnet werden. Noch bei Tageslicht zieht das nächste Gewitter durch, begleitet von heftigem Regen. Wir schlafen mit Blitz und Donner und dem beruhigenden Gurgeln des Baches sofort ein.

Gut durchgeschlafen bis 5.30 Uhr in der Frühe. Die ganze Welt präsentiert sich floddernass. Es muss wirklich viel geregnet haben. Die Zeltwände tropfen, wenn man drankommt. Alle unsere Klamotten sind klamm von der hohen Luftfeuchtigkeit. Irgendwo muss es eine undichte Stelle geben, denn wir haben eine Pfütze in einer Ecke des Zeltes. Mein Rucksack liegt im Wasser und hat sich komplett vollgesogen. Dadurch wird er noch schwerer, allerdings nur, bis die Sonne ihn wieder trocknet. Anziehen und Packen sind doof, denn auch die Wiese und die Bäume, einfach alles ist nass. Während ich mich draußen fertigmache, verarztet Thomas seine Blasen mit Moleskin. Dabei lässt er das Netz vom Eingang offen und hat ruckzuck einen Grashüpfer drinnen sitzen.  Sobald wir unterwegs sind, ist das nasse Zeug nur noch halb so schlimm. Um 8.00 Uhr essen wir die ganze Tafel Schokolade auf, weil sie über Nacht wieder schön fest geworden ist. Das macht 300 Extra-Kalorien für Jeden. Das Wetter hält, was es versprochen hat, so dass wir in der Frühstückspause das Zelt aufbauen und die gesamte Ausrüstung trocknen können.
Thomas ist noch nicht so glücklich mit seinem neuen Rucksack. Der ist irgendwie anders geschnitten, obwohl es dasselbe Modell sein soll. Es drückt hier und da, das Pack-System funktioniert nicht mehr so wie früher.
In einiger Entfernung hören wir Jaulen, Heulen, Bellen – das können eigentlich nur Kojoten oder Wölfe sein, die sich da unterhalten.
Thomas hat sich gestern noch neue Karten auf’s Handy geladen, die Ley-maps. Unsere Navigation findet auf mehreren Ebenen statt. Wir haben unsere farbig gedruckten Papierkarten, dazu verschiedene Apps auf dem Handy, die Guthook und die Ley-maps. Alleine für sich ist keins davon optimal. Das System funktioniert nur, wenn man die verschiedenen Quellen gleichzeitig benutzt und miteinander in Bezug setzt. Der CDT ist nach wie vor sehr sparsam markiert, so dass wir an jeder fragwürdigen Weg-Gabelung stehenbleiben und uns neu orientieren müssen. Ziemlich zeitaufwendig, aber nur so schützen wir uns vor weiterem Verlaufen. Erst nach drei Stunden unterwegs entdecken wir ein einsames CDT-Zeichen an einem Zaun. Wie einfach das auf dem AT ist, wenn man immer nur den „White Blaze“ folgen kann.
Es gibt heute wieder das Wasser-Problem. Lange Wege, viele Meilen von unserem Frühstücksplatz bis zum nächsten Bach, der allerdings abseits vom Trail liegt. Um 12.00 Uhr Gewitter voraus, Donnergrollen rollt über uns hinweg. Ich habe mich gerade mit Sonnencreme eingeschmiert und den Sonnenhut hervorgekramt, da fängt es an zu tröpfeln. Muss das denn jetzt sein ? Abwarten, ob es vielleicht gleich wieder aufhört. Anhalten. Absetzen. Auspacken. Wechsel gegen Regenjacke und Poncho. Der Regen dauert ungefähr eine Viertelstunde, dann das ganze Spiel noch einmal rückwärts. Ich bin genervt.
Der Trail führt stramm bergauf bis zum Black Mountain mit 3335 Metern Höhe. Das ist der höchste Gipfel in einer Bergkette, auf der wir uns den ganzen Nachmittag vergnügen werden. Es folgt ein langer Marsch auf dem Grat, immer hoch oben über den anderen Hügelketten. Wir haben eine fantastische Aussicht zu beiden Seiten. Da liegen wieder richtige Berge vor uns.

Es wird und bleibt anstrengend für den Rest des Tages. Immer wieder führt der CDT hinauf und hinunter, insgesamt über sieben Gipfel. Immer schön zwei Ebenen hinunter und dann eine Ebene hoch auf den nächsten Berg. Es erinnert mich stark an unseren letzten Tag im Yellowstone, wo wir zunächst über den Big Horn Mountain und dann noch über ein Dutzend weiterer Hügel klettern mussten. Insgesamt 4 schwarze Haufen sehen wir im Laufe des Tages auf dem Trail, alle schon etwas älter. Der Größe nach sind die eindeutig von Grizzly-Bären. Es gibt sie also wieder hier, mehr als auf der vergangenen Etappe. Wir werden ab sofort noch vorsichtiger sein, was das Kochen, Essen, Abspülen und Proviant-Hängen in der Nähe des Zeltes betrifft.
Unser Arbeitstag ist beinahe um, bis wir an die nächste Möglichkeit kommen, Wasser zu finden. Wir haben nicht so viel geschafft, wie wir uns vorgenommen hatten. Allerdings ist es schon 18.30 Uhr, bis wir die Kreuzung erreichen, wo es über einen Umweg auf einer anderen Straße Wasser vom Nevada Creek geben soll. Wir brauchen einige Liter zum Kochen, Trinken und für den Kaffee morgen früh. Der nächste Bach wäre erst in 2-3 Stunden erreicht, das wird uns zu spät. Thomas macht sich auf die Suche nach Wasser, während ich mich um unser Nachtlager kümmere. Er bleibt lange weg, erst nach einer Dreiviertel-Stunde kommt mein Sammler und Jäger zurück. Überaus erfolgreich mit 8 Litern Wasser, da müssen wir nicht sparen. Es gibt zur Abwechslung eine neue Sorte Nudeln. Wir essen jeden Tag Nudeln. 😉 Das Beste daran ist die Erdnussbutter. Zwei Teelöffel haben 200 Kalorien. Ich rühre mindestens sechs Löffel in meine Nudel-Schale. Gutes Fett, wichtige Proteine und einfach nur lecker. 🙂
Am Abend finde ich eine Zecke bei mir am Bein, obwohl ich den ganzen Tag in langer Hose gelaufen bin. Die muss ich mir eingefangen haben, als wir zum Essen auf dem Boden im Kraut gesessen haben. Das bedeutet, wir müssen die Socken kontrollieren oder – noch besser – draußen lassen.

Irgendwelches Wild ist während der Nacht ums Zelt geschlichen. Sicherlich kein Bär, dafür waren die Tritte zu leicht.
Unser Trail geht genauso schön weiter, wie er gestern angefangen hat. Immer weiter bergauf, dann bleiben wir viele Stunden auf der Höhe und laufen auf dem Bergkamm. Rechts von uns liegt der Granite Butte Mountain. Hier haben wir die Wahl zwischen einer oberen und einer unteren Route. Ausnahmsweise nehmen wir den unteren Weg, der westlich vom Berg um den Hang herumführt. Dort können wir auf etwas Schatten von Bäumen hoffen, oben auf dem Grat würden wir in der Sonne braten. Es knackt über uns im Gebüsch. Gerade eben noch kann man einen ausgewachsenen Elch mit gewaltiger Schaufel sehen. Der bleibt allerdings nicht stehen, um sich fotografieren zu lassen. Außerhalb der Nationalparks sind die Wildtiere sehr scheu. Wer stehenbleibt, der läuft Gefahr, abgeknallt zu werden.
Stündlich fliegen Hubschrauber über uns hinweg. Wahrscheinlich sind das die Beobachtungsposten wegen der Waldbrände. Nördlich von uns liegt die Bob Marshall Wilderness. Es ist zum Glück kein Feuer zu sehen, dafür gibt es einige Schneeflecken in den oberen Lagen.
Trail Magic Wasser am Stemple Pass. Hier haben nette Menschen ein Wasser-Depot für die durstigen Wanderer eingerichtet. Das ist eine riesengroße Hilfe auf diesen trockenen Passagen. Drei Schotterstraßen und der CDT kreuzen am Stemple Pass. Im Winter ist es ein beliebtes Ski-Gebiet, jetzt nutzen nur die CDT-Hiker diesen tollen Pausenplatz. Es gibt eine Kompost-Toilette, mehrere Picknick-Tische, Grill-Möglichkeiten und sogar eine Mülltonne. Wenn man zur richtigen Tageszeit ankommen würde, dann wäre das eine ideale Stelle zum Übernachten.

Gerade eine Dreiviertel-Stunde unterwegs, wir schauen auf’s Handy und stellen fest : Falsch. Wir haben schon wieder einen Abzweiger verpasst, der jetzt 2 Kilometer hinter uns liegt. Einmal mehr über’s Ziel hinaus geschossen, weil wir viel schneller sind als wir denken. Wie war das noch mit dem GPS ? So ein Ding nützt natürlich nur, wenn man es dauernd in der Hand hält und alle paar Minuten draufguckt. Das ist aber so gar nicht unsere Art von Müller-Reisen. 😉 Dafür improvisieren wir gerne ein bisschen. Umdrehen wollen wir natürlich nicht. Lieber versuchen wir, querfeldein durch den Wald wieder auf den CDT zu finden. Ein kleines Stückchen weiter auf der Straße ( die ja verkehrt ist ), sehen wir ein Steinmännchen. Das gucken wir uns genauer an. Dort wird eine Ski-Loipe markiert, die anscheinend in der richtigen Richtung nach rechts verläuft. Eine gute Idee, die tatsächlich funktioniert. Die Ski-Loipe ist zwar zugewachsen, aber immer noch besser begehbar als durch Unterholz und wild wachsendes Kraut. Sie führt in einem großen Bogen zu einer steinigen Piste, wo wir bald den Anschluss zum richtigen Trail haben. An der Stelle, wo Beides aufeinandertrifft, da gibt es sogar ein CDT-Zeichen am Baum. Anscheinend sind wir eine alte Route gelaufen, die inzwischen umgeleitet wurde.
Die Entfernung zum nächsten Wasser laut Guthook-App sind über 40 Kilometer, das ist mehr, als wir an einem Tag laufen mögen. Wir befragen unsere anderen Quellen. Die Ley-maps berichten von einem Wasser-Depot am Flesher Pass in knapp 20 Kilometern. Wir hoffen, dass dort wirklich etwas steht. Es geht stundenlang hinauf und hinunter, was bei dieser Nachmittags-Hitze recht beschwerlich ist. Der Trail ist wunderschön, aber die Montana-Sonne brennt gnadenlos. Wo bleibt denn unser tägliches Gewitter ? Angenehm wird es erst, als der Pfad auf der Ostflanke der Berge weitergeht, während die Sonne im Westen langsam tiefer steht. Die Bäume auf dieser Seite tragen schwarzes Moos. Sehr ungewöhnlich, so etwas haben wir noch nie gesehen. Um 17.30 Uhr erreichen wir den Flesher Pass und registrieren schon von Weitem, dass dort etwa 10 Kanister mit Wasser stehen. Was für eine Freude ! Wie toll ist das denn ? Gleich zweimal Trail Magic an einem Tag. 🙂 Vielen Dank an die Menschen, die wissen, was wir leisten und was wir am dringendsten benötigen ! Wasser ist das wichtigste Gut auf dem Continental Divide Trail. Wir kochen direkt bei den Kanistern neben dem Highway, denn das nächste sichere Wasser ist wiederum 21 Kilometer entfernt.

Es gibt Nudeln mit Erdnussbutter. Was sonst ? 😉 Ein Auto hält auf dem Parkplatz bei den Wasserbehältern. Zuerst denken wir, das ist der edle Spender. Der Mann steigt aus und gibt sich als Mountain-Biker zu erkennen, der sich die Route hier ansehen möchte, bevor er sie mit dem Rad fährt. Wir unterhalten uns eine Weile, dann kommt die alles entscheidende Frage : „Möchtet ihr ein Bier ?“ So ein Angebot können wir natürlich nicht ablehnen. Der Typ geht kurz an seinen Kofferraum und kehrt mit  4 Dosen Bier aus der Kühlbox zurück. Obercool ! 🙂 Wasser ist lebenswichtig, aber ein überraschendes Bier wird auch gerne genommen. Eine Dose trinken wir direkt zum Essen. Bent Nale, das ist ein in Montana gebrautes Bier, etwas stärker, für mich schmeckt es irgendwie aromatisiert. Es haut uns sofort in den Kopf. Jeder nimmt eine Dose PBR mit für später. Pabst Blue Ribbon ist ein ganz normales Lager-Bier, welches wir eigentlich immer kaufen. Gut und günstig.

Wir raffen uns noch einmal auf und laufen ein Stück weiter. Beschwingter Aufstieg bis auf den nächsten Grat. Oben auf der Ebene finden wir einen wunderschönen Zeltplatz auf Waldboden unter gesunden Bäumen. Wir beschließen den Tag um 21.00 Uhr mit unserem Feierabend-Bier.
Trink-Bilanz heute : Jeder 2 Pötte Kaffee vor dem Start. 1 Liter mitgenommen für den Weg bis zum Stemple Pass. 1 Liter dort in der Frühstückspause getrunken. 1 Liter mitgenommen für den Weg bis zum Flesher Pass. Wieder 1 Liter sofort dort getrunken. Thomas etwa das Doppelte an Wasser, denn er ist das bessere Kamel. 😉 Weitere 3 Liter haben wir in unsere Flaschen abgefüllt und mitgenommen für morgen. Möglich gewesen ist das nur durch die Unterstützung dieser hilfsbereiten Menschen, die regelmäßig ihr Wasser-Depot pflegen und auffüllen. Zusätzlich haben wir 2 Dosen Bier geschenkt bekommen und brav geleert. Unser Flüssigkeits-Haushalt ist trotz Hitze und Anstrengung im grünen Bereich.
Kaum sind wir im Zelt, da donnert und blitzt es am Himmel. Unser Nachmittags-Gewitter hat sich verspätet, dafür kommt es am Abend umso heftiger. Sehr hell, sehr laut, sehr nah. Man kann die Sekunden zwischen Blitz und Donner nicht zählen, weil es so schnell aufeinander folgt. Das Zelt ist eigentlich permanent hell erleuchtet, es kracht ununterbrochen am Himmel. Das Gewitter hat sich über uns festgesetzt und bewegt sich lange nicht von der Stelle. Wir fürchten nicht gerade um unser Leben, aber wir sind doch eine Stunde sehr wach und aufmerksam, ob irgendwo in der Nähe ein Blitz einschlägt oder ein Feuer ausbricht. Der Regen prasselt heftig auf’s Dach, aber diesmal haben wir gut vorgesorgt. Wir fallen sofort in Tiefschlaf, sobald sich das Unwetter entfernt.

Nichts passiert, alles ist trocken geblieben während des sintflutartigen Regens. Wir hatten das Zelt tiefer abgespannt, beide Seitenflügel des Eingangs geschlossen und meinen Rucksack anders gelegt. Selbst das Zelt selbst ist morgens um 6.00 Uhr bereits wieder getrocknet. Soweit alles gut. Wir sind voll motiviert, der Weg vor uns sieht vielversprechend aus.
Im Süd-Westen entdecken wir eine dunkle Rauchsäule, die senkrecht in den Himmel steigt. Da brennt es, wahrscheinlich durch einen Blitz-Einschlag in der vergangenen Nacht.

Zunächst steigen wir weiter auf. Dann kommt ein scharfer Rechts-Abzweiger ohne Beschilderung. Jemand hat aus Stöckern einen großen Pfeil auf dem Boden gelegt. Sehr gut, da gibt es wohl keinen Zweifel über die Richtung. Es ist auch die einzige unklare Stelle, ansonsten ist der Weg schön einfach und selbsterklärend. Es geht weiterhin immer wunderbar über alle Bergrücken, auf schmalem Pfad immer in der Höhe bleibend. Montana präsentiert sich mit seiner unglaublichen Weite. Richtig toll, grandiose Aussicht bis zum Horizont. Immer mehr Berge und Täler breiten sich vor uns aus, soweit das Auge reicht. Mittendrin schlängelt sich ein schmaler Pfad um die Hänge, das ist unser CDT.
Neben dem Weg gackert ein Schneehuhn. Es ist gut getarnt, das Federkleid der Saison entsprechend in den Farben des Waldbodens. Ein Falke kommt von der Seite angeschossen und steigt links von uns in die Lüfte. Und wir schrecken ein paar Rebhühner auf, die empört in die Höhe flattern. Die Huckleberries ( Heidelbeeren ) sind reif. Dicke blaue Früchte, die an niedrigen Sträuchern wachsen und sehr wohlschmeckend sind, nur leider wird man davon nicht satt. Neben der Straße entdecken wir Johannisbeer-Sträucher wie im heimischen Garten. Allerdings hängt dort keine einzige essbare Beere. Entweder ist Jemand vor uns hier gewesen, um zu ernten, oder diese Sträucher tragen einfach keine Früchte. Das erste Wasser gibt es heute an einer Quelle vor dem Roger Pass. Eigentlich sollte man es aus einem Bach weiter unten nehmen, aber wir entdecken die Stelle, an der es aus dem Berg tröpfelt. Dieses Wasser müssen wir nicht behandeln, es ist sauber und eiskalt. Bis zum nächsten Wasser sind es jetzt wieder 15 Kilometer weiter, allerdings nur, wenn man 1,5 Kilometer Umweg auf einer Seitenstraße läuft, die nicht zum CDT gehört.
Um 15.00 Uhr beginnt es in der Ferne zu donnern. Dazu kommt ein heftiger Wind auf, der uns oben auf dem Grat angenehme Abkühlung bringt. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass er die dunklen Wolken wegfegt. Das Gewitter zieht weiter, wir bleiben erstmal verschont.
Am Nachmittag ist die Rauchsäule hinter uns noch bedrohlicher geworden. Das Feuer hat sich anscheinend ausgebreitet. Wir laufen nach Norden, vor uns ist zum Glück noch alles klar.
Viel Bären-Kot auf dem Weg. Heute sehen wir gleich 8 Haufen von Grizzly-Bären, die anscheinend schon länger liegen. Das sieht nach einem „Big boy“ aus. Unsere Theorie dazu : Vielleicht verbringen die Grizzlys hier in der Gegend den Winter und das Frühjahr, wandern aber im Sommer weiter nach Norden, wo die Berge jetzt erst schneefrei werden. Schwarzbären gibt es offensichtlich auch wieder vermehrt.
Ganz überraschend verläuft unser Trail an einem Hang durch ein Fichten-Wäldchen zwischen jungen grünen Bäumen, die uns Schatten spenden. Das ist mal eine nette Abwechslung. Es duftet wunderbar nach Harz und Fichtennadeln. Noch einmal müssen wir uns über einen Hügel kämpfen. Diesen Aufstieg auf den Green Mountain hätten wir uns gerne gespart, denn so langsam haben wir genug. Dann folgt noch ein fieser Abstieg, es geht steil über rutschiges Geröll bis ins Tal. Bin ziemlich alle, als wir endlich unten ankommen. Und sehr durstig …. Am Lewis & Clark Pass ist die besagte Kreuzung, von dort führt eine Schotterstraße zu unserem Feierabend-Wasser. Thomas läuft die 1,5 Extra-Kilometer und kommt nach einer halben Stunde mit voller Ladung wieder. Inzwischen habe ich das Nachtlager hergerichtet, so dass wir es uns gemütlich machen können.

Thomas hat seit einigen Tagen Schmerzen im unteren Rückenbereich. Wir vermuten, dass die vom neuen Rucksack kommen, weil der sich noch nicht gut an den Körper angepasst hat. Ausnahmsweise nimmt er schon in der Frühe eine Ibuprofen, deren Wirkung wahrscheinlich bis zum Abend anhalten wird, weil wir nur selten Schmerzmittel einnehmen.
Wir haben unser Nachtlager an einer Stelle eingerichtet, die ringsum von verkohlten Bäumen gesäumt ist. Hier muss es vor langer Zeit ordentlich gebrannt haben. Vielleicht sogar im Jahr 2017, als wir auf dem CDT unterwegs waren ? Auf jeden Fall scheint es ein riesiges Feuer gewesen zu sein, so großflächig wie alles verkohlt ist. Stundenlang laufen wir durch dieses von Feuer vernichtete Gebiet, wo sich allerdings bereits die jungen Bäumchen durchsetzen.
Im Süd-Westen ist kein Rauch mehr zu sehen. Das Feuer hinter uns scheint gelöscht zu sein. Dafür sehen wir sehr eindrucksvoll, was passiert, wenn der Blitz einschlägt. Schon von Weitem ist ein schwarzer Kreis zu erkennen, ganz oben auf dem Grat, auf dem wir gerade laufen. Neben dem Weg ist eine kreisrunde Fläche von etwa 5 Metern Durchmesser total verkohlt. Da wird deutlich, was für eine Energie in die Erde geht, wenn sich ein Blitz entlädt. Die Felsen sehen hier ganz anders aus. Steine von roter Färbung und sehr schwer, dünne Platten mit scharfen Kanten wie Schiefer. Auf jeden Fall kann man damit hervorragend Steinmännchen bauen.
Eine einzige Abzweigung liegt heute auf unserer Strecke. Dort bleiben wir kurz stehen, um in die Karten zu schauen und uns zu orientieren. Ein Weg führt abwärts zum Alice Creek Trail, aber wir müssen natürlich bergauf. Ich habe meine Stöcker an der Ecke stehen gelassen. Es fällt mir zum Glück schon nach etwa 500 Metern auf. Umdrehen, die Dinger schnappen und bergauf wieder zurück. Thomas hole ich nicht mehr ein, der hat jetzt fein seine Ruhe. Bisher war ich direkt hinter ihm gelaufen und habe ihn zugetextet, aber nun ist er weit voraus. Hätte schlimmer sein können, wenn ich den Verlust erst später bemerkt hätte. Im Jahr 2017 in der Red Desert habe ich meine Stöcker einmal morgens beim Lagerplatz liegengelassen und es erst abends bemerkt. Die Wüste ist flach, ich habe sie einfach nicht gebraucht. Da lagen dann mehr als 30 Kilometer dazwischen, nochmal zurück und wieder her wären 60 Extra-Kilometer gewesen. Das macht natürlich kein Hiker, ganz abgesehen davon, dass der Proviant für die Etappe dann nicht gereicht hätte.
Es ist schon erstaunlich, wie weit sich bunte Sommerwiesen in dieser Höhe ausbreiten. Unzählige Blumen blühen in rot, blau, gelb, lila, orange und weiß. Das ist ein sehr hübscher Anblick, für meinen Heuschnupfen allerdings eher suboptimal.

Sehr interessant sind mannshohe weiße Blüten, die in Gruppen zusammen am Wegesrand stehen. Naja, vielleicht nicht ganz mannshoch, aber ein 1,50 Meter kleiner Mensch würde dazwischen verschwinden. Bärengras nennt sich diese Pflanze, die tatsächlich bis zu 1,80 hoch wachsen kann.

Ganz unten im Tal liegt rechts von uns ein tiefgrüner Bergsee. Wir sind durstig, aber da kommen wir nicht ran. Viel zu steil. Einer der anstrengendsten Berge heute ist der Red Mountain mit 2860 Metern Höhe. Gerade als wir völlig ausgesetzt seinen Bergrücken überqueren, da knallt die Sonne erbarmungslos. Ansonsten ist es eher diesig, leichte Wolkenbildung, es weht ein frischer Wind. Der nächste See ist unser. Das Wasser ist ganz flach, auch nicht grün, aber wir haben dort einen perfekten Pausenplatz mit Felsen zum Sitzen. 17 Kilometer nach dem Start gibt es endlich genug zu trinken, eiskalt und lecker aus der Quelle, die den See speist.

Frisch gestärkt geht es danach wieder stetig aufwärts. Von oben blicken wir auf den Bighorn Lake. Das ist ein Bergsee, der auf 2500 Metern Höhe gelegen ist, zu allen Seiten von hohen Bergen eingerahmt. Der See erscheint nicht grün, sondern blau, das Wasser ist für uns unerreichbar. Wir bleiben eine Weile auf dem Pass stehen, um die schöne Aussicht zu genießen. Dabei entdecken wir ein neues Feuer hinter uns. Dichter schwarzer Rauch steigt auf, viel breiter und auch näher als die Rauchsäule gestern. Man kann sogar erkennen, dass gelbe Flammen lodern. Das ist schon ein heftiger Waldbrand, ziemlich genau süd-östlich von uns gelegen. Wir sehen jetzt bereits das vierte Feuer in einer Woche, und dabei fängt die Brand-Saison gerade erst an. Der Weg führt weiter beständig auf und nieder, genau wie die vergangenen Tage seit Helena. Um 16.00 Uhr grummelt es schon wieder, dunkle Wolken ballen sich hinter uns zusammen. Vielleicht zieht das Gewitter ja vorbei ? Wir befinden uns gerade hoch auf dem Bergkamm, als es anfängt zu tröpfeln. Aus Wind wird Sturm, der uns fast von der Kante bläst. Wir sehen zu, dass wir vorankommen.

Mit dem Gewitter im Nacken sind wir sehr schnell. Endlich beginnt der Abstieg, wir hasten hinunter. Jeder Meter tiefer bedeutet mehr Sicherheit. Wir nehmen uns noch nicht einmal die Zeit, in die Regenkluft zu wechseln. Das machen wir erst später, als wir schon unten im Tal angekommen sind. Es geht immer weiter hinunter. Ein schmaler Pfad führt in eine enge Schlucht neben einem Bach. Sehr gut, keine Gefahr. Anscheinend findet das Gewitter sowieso eher neben uns statt. Wir bekommen nur viel Wind und Regen ab, das Donnern und Blitzen bleibt in ausreichender Entfernung. Kurze Überlegung, ob wir Schluss machen und das Zelt aufstellen sollen. Aber wir beschließen, einfach weiter zu laufen bis zu unserem gedachten Tagesziel. Nach 2 Stunden ist das Unwetter vorbei, nur die Gräser und Bäume machen uns weiterhin nass. Die letzte Etappe führt der CDT in dichten Wald. Über Serpentinen geht es Kurve für Kurve immer weiter hinunter, das sind insgesamt mehr als 1000 Meter Abstieg. Gegen 20.00 Uhr erreichen wir den Blacktail Creek, an dem wir den Tag beenden möchten. Heute gab es insgesamt nur zweimal Wasser, am See für die Mittagspause und das nächste dann erst hier am Fluss. Kochen, Essen, Abwaschen, Abendtoilette klappt ohne Regen. Kaum liegen wir im Zelt, da pläddert es wieder los.

Während der Nacht ist irgendein kleines Tierchen unter unserer Bodenplane gekrabbelt. Natürlich haben wir kein Futter im Zelt, noch nicht einmal Kekskrümel für hungrige Nager. Aus Schaden wird man klug : 1998 in unserem ersten gemeinsamen Camping-Urlaub hat uns eine Ratte zwei Löcher in das nagelneue Zelt gefressen, weil wir etwas Brot in der Tasche hatten.
Es muss sehr viel geregnet haben, aber innen sind wir komplett trocken geblieben. Sehr gut. 🙂 Bereits vor 8.00 Uhr früh sind wir zweimal mit voller Montur durch den Fluss gelaufen. Der Dearlodge River ist nur knietief. Nach 5 Tagen werden so die Füße endlich einmal wieder sauber. Natürlich haben wir bei der Wasserknappheit in den letzten Tagen nichts zum Füße-Waschen verschwendet. Es gibt viele Abbieger ohne Zeichen, an denen man sich verlaufen könnte. Auf den Holzschildern stehen die Namen der Trails in alle Richtungen, nur der Continental Divide wird nicht erwähnt. Wie gut, dass es Wanderer gibt, die vor uns dasselbe Problem hatten und mitgedacht haben. Mit schwarzem Edding ist das CDT-Symbol aufgemalt, ein Pfeil zeigt, wo es weitergeht. So einfach wird vielen Hikern geholfen. Das Hühnerauge von Thomas macht wieder Probleme. Blödes Ding. Es muss in der ersten Pause mit Moleskin abgepolstert werden, danach geht es ohne Schmerzen weiter. Jetzt gibt es schon Nudeln zum Frühstück. Beide Tüten Haferflocken sind leer bis auf einen kleinen Rest. Auch die Zwischendurch-Snacks werden langsam knapp. Wir hoffen, dass wir es morgen bis Augusta schaffen werden.
Unser Pfad verläuft den ganzen Vormittag über an einem schmalen Hang oberhalb des Flusses. Das Wasserproblem ist wohl erst einmal gelöst. Thomas rennt fast in zwei Schneehühner hinein. Eins davon flüchtet sofort. Das andere scheint gar nicht ängstlich zu sein. Es bleibt auf einem umgestürzten Baum sitzen, obwohl wir höchstens einen Meter daneben stehen und uns leise unterhalten. Das Gefieder ist wieder ein Meisterstück der Tarnung. Die Farben, ja selbst das Muster der Federn, sind der Baumrinde angeglichen. Der Vogel sitzt direkt neben dem Weg und ist dabei total unauffällig. Wir sehen mehrere Stellen mit Elch-Kötteln zu beiden Seiten des Weges, die großen Tiere lassen sich aber weiterhin nicht blicken. Dafür liegt da ein skelettierter Elch-Schädel etwas abseits, sehr dekorativ für alle Vorbeikommer auf einem Holzbrett präsentiert. Unser Trail windet sich in schmaler Spur einen Hügel hinauf. Oben geht es mehrere Kilometer lang durch eine Schneise aus jungen Kiefern. Zwischen dem frischen Grün stehen kahle Baumstämme, die vom Käfer vernichtet wurden. Die nackten Stämme ohne Äste sehen etwas gruselig aus. Sehr hoch, 20-25 Meter lang und dünn ragen sie wie graue Lanzen in die Luft. Neben diesen toten Bäumen und den Kiefern-Frischlingen liegt der Waldboden voll mit vermodernden Stämmen aus noch älterer Zeit. Sehr schön, zu sehen, wie die Natur sich selber hilft und wieder aufforstet. Wir befinden uns sozusagen in einem 3-Generationen-Wald.

Fjorden ist heute an der Tagesordnung. Etwa ein Dutzend Mal durchqueren wir Flüsse und Bäche. Eine zartblaue Schmetterlings-Wolke fliegt jedes Mal auf, wenn wir nahe an den Uferrand treten. Fluss-Querungen waren ein fester Bestandteil des Trails in Maine und auch im Yellowstone, aber das ist lange her. Wir sind überrascht, denn damit hatten wir in Montana nicht gerechnet. Wir befinden uns jetzt im Lewis & Clark National Forest. Das aktuelle Gebiet nennt sich Scapegoat Wilderness. Hier im Tal gibt es Wasser satt. Wir folgen einem zugewachsenen Pfad bis zum Straight Creek, der uns bis morgen begleiten wird.
Ein idyllisches Tal mit jungen Birken tut sich auf. Dazwischen schlängelt sich der Fluss in weißem Kiesbett. Der CDT ist sowas von schön und abwechslungsreich, dass er bei uns in der Hitliste aller Longtrails unbestritten die Nummer 1 ist. Am Nachmittag kommen wir in eine Gegend, wo es vor längerer Zeit furchtbar gebrannt haben muss. Eine riesige Fläche ist verkokelt, ein ziemlich trauriger Anblick. Alle Bäume sind hinüber und stehen oder liegen rußgeschwärzt ohne Äste in der Landschaft. Neue Bäumchen sind noch nicht nachgewachsen, nur Unkraut und Stachelgebüsch wuchern bereits wieder. Vielleicht war dieses auch eines der bösen Feuer voraus, als wir 2017 unseren CDT abgebrochen haben. Wir müssen unbedingt recherchieren bzw. die Einheimischen fragen. Mehrere Stunden wandern wir durch die toten Stämme. Leider nimmt uns diese abgebrannte Wüste auch jede Chance auf Schatten. Thomas flucht über die gnadenlose Sonne, der wir völlig schutzlos ausgeliefert sind. Da wünscht man sich doch fast schlechtes Wetter oder wenigstens ein klitzekleines Gewitter, das etwas Abkühlung bringt. Soll aber wohl heute nicht sein.

Das oder die Feuer hinter uns können wir nicht mehr beobachten, weil wir gestern zu tief abgestiegen sind. Auch darüber werden wir uns informieren, sobald wir in der Zivilisation sind und Internet haben.
Unser Zeltplatz liegt direkt oberhalb des Straight Creek. Es erfordert eine abenteuerliche Kletteraktion die steile Böschung hinunter, um ans Wasser zu kommen. Beide nutzen wir die Gelegenheit für ein erfrischendes Fußbad, ich außerdem, um meine Beine im eiskalten Wasser zu kühlen. Dummerweise habe ich mir heute einen Sonnenbrand geholt, obwohl ich nur 3 Stunden in kurzer Hose gelaufen bin. Besonders die Hinterseiten der Waden und die Kniekehlen schmerzen. Abends gibt es für Jeden die doppelte Ration Nudeln, weil wir einen Tag schneller herauskommen als geplant. Die Erdnussbutter ist damit nun auch leer. Früh aufgestanden, noch bei Tageslicht ab in den Schlafsack. Wieder sind wir mehr als 30 Kilometer gelaufen, das ist jetzt schon der 5. Tag in Folge. Dafür haben wir es morgen nicht mehr weit bis zur Straße. Die Brille von Thomas ist hinüber, ein Bügel abgebrochen. Eigentlich ein guter Zeitpunkt, denn in Augusta wird es wohl Ersatz für die kaputte Lesehilfe geben. Das Rauschen des Flusses unter uns ist das beste Schlafmittel.

Gestern Abend konnte man es zwischen den Bäumen und um unser Zelt herum knacken hören. Wahrscheinlich ein Hirsch oder ein Elch, der auf der Durchreise zum Wasser gewesen ist. Bereits sehr früh am Morgen haben wir eine unheimliche Begegnung. Ein Mann mit Hund kommt uns entgegen, aber der läuft nicht, sondern er schleicht über den Trail. Der Mann schleppt sich dahin, er sieht aus wie ein Geist, total blass. Er trägt einen grauen Woll-Umhang über seinem Kopf, hat kein Gepäck dabei. Das Alter kann man überhaupt nicht schätzen, so zwischen 40 und 60, auf jeden Fall nicht besonders alt. Uns kommt es vor wie eine Erscheinung, nur der Hund ist real.  Wirklich sehr merkwürdig. Nach einem kurzen „Guten Morgen“ sind wir dran vorbei und kommen überhaupt nicht klar mit diesem Typen. So sieht Einer aus, der zum Sterben in den Wald geht. 🙁  Grund genug für uns, einmal mehr über den Sinn des Lebens nachzudenken. Wir wissen, dass wir privilegiert sind, weil wir das machen können, was wir gerade tun. Uns geht es gut, wir sind gesund, all unsere kleinen Wehwehchen erscheinen unwichtig. Die Scapegoat Wilderness ist zu Ende, endlich erreichen wir die Bob Marshall Wilderness. Hoffentlich kommen wir gut durch, ohne dass ein Feuer uns den Weg versperrt.

Die Aussicht auf ein Restaurant, einen Lebensmittel-Laden sowie ein Zimmer mit Dusche und Bett verleihen uns Flügel. Wie immer, wenn ein Aufenthalt in der Zivilisation lockt, sind wir zügig unterwegs. Zudem ist es morgens noch angenehm kühl, das perfekte Wanderwetter. Wieder einmal denken wir darüber nach, dass es sich lohnt, den Wecker sehr früh klingeln zu lassen. Bereits gegen 9.00 Uhr haben wir den Trailhead erreicht, müssen aber noch einige Kilometer entlang einer staubigen Straße laufen, um Aussicht auf ein Auto zu haben. Einige Wochenend-Camper fahren vorbei, Wohnmobile und Wagen mit Anhänger halten jedoch einfach nie an. Dafür stoppt schon bald ein Vater, der mit seinen beiden Kindern unterwegs ist. Die Beiden sind echt niedlich, ein Junge und ein Mädchen, so 5-6 Jahre alt und total aufgeregt. Haben bereits mit Papa ein Feuer gemacht, um ihren Speck zum Frühstück zu grillen. Die Augen der Kinder glänzen, während sie erzählen – einfach süß. Die kleine Familie fährt nur bis zum Woods Lake, wo sie das Wochenende mit Angeln und Kajak fahren verbringen. Das sind immerhin 10 Kilometer weiter und bringt für uns den Vorteil, dass wir mehr Verkehr haben. Stehen noch knapp eine halbe Stunde, dann hält der nächste Wagen. Ein Anglerpaar, sehr nett, aber eigentlich haben sie gar keinen Platz im Auto. Die möchten nur einen von uns mitnehmen, Thomas lässt mir den Vortritt. Ach was – hinten wird ein bisschen geräumt, Platz geschaffen, es geht doch. Wir quetschen uns mitsamt Rucksäcken, Stöckern und Wanderschuhen in den Kofferraum, Tür geht gerade noch zu. Wir freuen uns, dass wir so gut weggekommen sind. Insgesamt sind es 50 Kilometer bis nach Augusta auf einer schlechten Schotterstraße, die Fahrt dauert also mehr als eine Stunde. Unterwegs sehen wir einige Rehe am Rande und mehrere Hasen. Außerdem einen Falken, der auf einem Felsen sitzt, offensichtlich kurz vor dem Start in die Luft. Ansonsten eher nichts, totale Einsamkeit, etwas Farmland, unbeschreibliche Weite, keine Wohnhäuser auf dem langen Weg vom Trailhead bis nach Augusta.

Der CDT südlich vom Flesher Pass wurde vor 3 Tagen wegen Feuer gesperrt, genau einen Tag, nachdem wir dort durch sind ( am 2. Wasser-Depot ).