Wir segeln und wandern durch die Welt

Whitehall bis Helena

Dusche, kleine Hand-Wäsche, etwas Internet und Einkauf für die nächsten 5 Tage. Es gibt in Whitehall kein Gas für unseren Kocher. Thomas klappert alle in Frage kommenden Geschäfte ab, aber er bekommt die passende Kartusche leider nirgends. Dann müssen wir wohl nur mit dem angefangenen Gas weiterziehen und abwarten, wie weit es reicht. Die Luftmatratze von Thomas ist repariert, Flickzeug haben wir genügend dabei ( wiegt fast nichts ). Meine Uhr ist endgültig hinüber. Zuerst ist vor ein paar Tagen die eine Hälfte des Armbands abgerissen, und heute dann die andere Hälfte. Auch meine Stöcker sind inzwischen kaputt. An beiden Spitzen sind die Metall-Tips abgegangen, wahrscheinlich vom strammen Laufen auf der Straße. Das muss jetzt bis zum nächsten Stadt-Aufenthalt so gehen, in Helena wird es vielleicht repariert. Meine Wanderschuhe könnten demnächst Probleme bereiten. Nicht nur, dass die Sohle sich mehr und mehr ablöst. Jetzt ist an der Ferse die harte Innenschale aus Plastik gebrochen und sticht durch das Futter. Das ist spitz und gelegentlich sehr unangenehm, in manchen Positionen merke ich es dagegen überhaupt nicht. Die neuen Socken sind schon wieder durch. Ärgerlich, man sollte sie eigentlich direkt wieder zurückbringen.  Das Hühnerauge von Thomas schmerzt. Direkt in der ersten Pause wird die Druckstelle mit Moleskin abgepolstert, danach herrscht große Erleichterung. Dafür breitet sich bei mir auf dem Spann des linken Fußes eine Pilz-Erkrankung aus. Es juckt und brennt. Das kommt vom ständig feuchten Klima in den Wander-Schuhen. Öfter mal was Neues, aber nichts Schlimmes. Kenne ich schon seit dem AT 2012 und weiß, wie ich meinen Fußpilz behandeln muss. Anti-Fungal-Salbe gibt es rezeptfrei in jedem Supermarkt.
Noch einmal sehen wir eine tote Schlange auf der Straße. Die ist schon sehr vertrocknet und war wohl einmal grün mit Querstreifen. Die Montana-Sonne knallt uns auf die Köpfe. Es ist heiß und trocken. Die Vegetation ändert sich. Niedrige Kakteen bedecken den Boden dort, wo die Felder nicht bewirtschaftet und bewässert werden. Sehr gefährlich für die Luftmatratzen. Also gut aufpassen, wohin wir unser Zelt stellen. Ohrenbetäubendes Grillen-Zirpen um uns herum. Mitten in der Landschaft liegen dicke abgerundete Felsen, die hier „Boulder“ genannt werden. Die vor uns aufragenden Berge sind deutlich niedriger als die vorigen Gebirgszüge. Es liegt kein Schnee mehr auf den Gipfeln. Das bedeutet aber auch, dass kein Schmelzwasser mehr rinnt. Die Wiesen sind gelb-grau und verdorrt, Wasser wird zum Problem. Unsere Karten zeigen eine Quelle etwas abseits vom Trail. Dafür müssen wir uns querfeldein über ein verlassenes Feld schlagen. An der Position, wo wir eigentlich frisches Wasser erhofft haben, ist der Boden trocken und rissig. Es riecht leicht nach Schwefel. In der Nähe sollen heiße Quellen sein, hier wird das garantiert nichts mit kühlem Getränk. Zurück laufen wir natürlich nicht, sondern immer der Nase nach Richtung Norden. Oben auf dem nächstliegenden Hügel voraus haben wir Bahngleise gesehen. Über Felsen und durch Gestrüpp suchen wir uns den Weg hinauf. Die Schienen scheinen schon länger nicht mehr befahren zu sein, so hoch steht das Unkraut zwischen den Schwellen. Auf jeden Fall kann man dort ganz prima laufen, immer schön geradeaus ohne Höhenunterschied, bis wir wieder auf unseren Weg stoßen.

Es riecht nach Wild. Ein Stückchen weiter haben wir süßlichen Verwesungsgeruch in der Nase. Da muss irgendwo in der Nähe der Kadaver eines verwesenden Tieres liegen. Zum Abend hin wird es wieder schwierig, Wasser und einen guten Zeltplatz unter einen Hut zu bringen. Am Halfway Creek laufen wir vorbei, weil es uns noch zu früh ist. Später verlassen wir den Trail und biegen auf einen Seitenweg zu einer alten Mine, denn dort soll es laut unserer Karten einen kleinen Strom geben. Wir gehen den ganzen Weg bis zur Mine, kommen durch zwei Senken, aber alles ist knochentrocken. Mittlerweile haben wir es schon 20.30 Uhr. Schnell bauen wir das Zelt auf, dann klettert Thomas noch einmal den Hang hinunter, geht zurück und holt Wasser vom Halfway Creek. Natürlich hat er sein Bär-Spray dabei. Völlig durchgeschwitzt kommt er wieder, ist aber total begeistert von der wilden Landschaft. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, als er nach 20 Minuten mit Wasser zurück ist.

Die ganze Vielfalt der Insektenwelt ist um unser Zelt herum verteilt. Moskitos, Ameisen, Baum-Würmer und neuerdings auch viele Ohrenkneifer. Die Letzteren müssen wir gestern Abend aufgeschreckt haben, als wir den Boden umgewühlt haben, um unsere Fläche zu ebnen. Bereits morgens um 8.00 Uhr treffen wir die ersten Southbounder, ein junges und energiegeladenes Paar. Scy-Fi und Ben sind an der Kanadischen Grenze gestartet und auf dem Weg nach Mexiko, haben also noch mindestens 4000 Kilometer vor sich. Sie haben aber schon begriffen, dass man früh aufstehen und laufen muss, wenn man bei einem Longtrail ankommen will. Es ist total nett, wichtige Informationen auszutauschen und sich über die kommende Route zu unterhalten. Besonders freut uns natürlich, dass wir durch diese Begegnung Bestätigung bekommen. Wir sind auf dem richtigen Weg, obwohl es seit dem Start in Whitehall unheimlich viele Abzweiger gab.
Ein Falke sitzt nur 2 Meter über uns in einem Baum und macht ordentlich Spektakel. Er schimpft mit uns, weil wir so dicht vorbeilaufen. Seit Tagen schon haben wir keine Bären-Spuren mehr gesehen. Dafür gibt es hier wieder Elch-Köttel. Wir finden sogar eine abgestoßene Elch-Schaufel am Wegesrand, schön weiß von der Sonne gebleicht.
Passend zur Mittagspause erreichen wir den Zusammenschluss unserer Alternativ-Route mit dem alten Original-Trail. Ab hier sollte es wieder CDT-Zeichen in regelmäßigen Abständen geben.

Ab jetzt können wir mit unserer Guthook-App auf dem Handy arbeiten. Beim Vergleich mit unserem Kartenmaterial stellen wir fest, dass es eine Differenz von etwa 20 Kilometern gibt. Leider zu unseren Ungunsten …. Wir rechnen noch einmal nach, aber wir haben keinen Fehler bei der Planung gemacht. Irgendwo auf den Papierkarten fehlt ein Stück der Strecke. Das bedeutet, unsere Etappe wird etwa 20 Kilometer länger sein als gedacht. Macht nichts, wenn wir für 5 Tage Proviant eingekauft haben, dann reicht das Essen in der Regel auch für 6 Tage. Es könnte vielleicht knapp werden mit dem Gas. Kartoffel-Pürree aus der Tüte und Haferflocken kann man auch mit kaltem Wasser anrühren. Nicht lecker, aber es geht, und es füllt den Magen.
Von da aus geht es lange, lange abwärts ins nächste Tal. Sehr spärlich besiedelt, eigentlich nur Farmland mit Stallungen, gelegentlich sieht man ein vereinzeltes Haus in der Ferne. Bis zum nächsten Wasser liegen jetzt 10 Kilometer auf einer einsamen Landstraße vor uns. 17.00 Uhr Gewittergrollen am Himmel. Schnell noch eine kurze Pause, dann fängt es bereits an zu tropfen. Der erste Regen seit einer Woche, da kann man nicht meckern. Die nächste Hügelkette wartet, es geht bergauf. Wir laufen zügig im Nieselregen, weil wir es noch vor der Dunkelheit bis zum Waldrand schaffen möchten. Ein Wagen vom National Forest Service kommt uns entgegen und hält an. Die nette Dame am Steuer fragt, ob bei uns alles okay ist. Ja, alles ist gut. Die machen sich hier ganz schön Sorgen um uns.

Der neue Morgen beginnt mit einem Ratespiel. Bereits nach 10 Minuten stehen wir an der ersten Weg-Gabelung. Kein Schild, kein CDT-Zeichen, nicht die kleinste Markierung, die uns weiterhelfen würde. Es geht in drei Richtungen, wir entscheiden uns für die rechte Spur. Eine Viertelstunde später kommt die nächste Kreuzung, an der wir ratlos sind. Wieder sehen wir absolut nichts, woran wir uns orientieren können. Dem Gefühl folgend nehmen wir noch einmal den rechten Abbieger. Bingo ! Einige Kurven weiter hängt endlich ein hölzernes CDT-Schild auf Augenhöhe an einem Baum und gibt uns Gewissheit. 🙂 Zwei Stunden nach unserem Start denken wir langsam über die Frühstückspause nach. Thomas schaut in seine Handy-App und schluckt …. Das nächste Wasser gibt es erst in 16 Meilen Entfernung, das sind fast 26 Kilometer. Kleiner Schock am Morgen. Aber wieder zurückgehen möchten wir ganz gewiss nicht. Das würde nämlich bedeuten, dass wir gegen 14.00 Uhr wieder an dieser Stelle stehen, allerdings mit Wasser. Nee, da laufen wir lieber voraus und haben Durst. Und es gibt heute mal keine Haferflocken zum Frühstück. Die schmecken sowieso nicht jeden Tag. Vielleicht stolpern wir ja auch unterwegs zufällig über ein Rinnsal, welches nirgends erwähnt ist. Der Trail ist zum Glück gnädig. Auf dem AT geht der Weg garantiert immer steil bergauf und über jeden Gipfel, der im Weg liegt. Da ist der CDT viel netter. Wir steigen nur einmal am Vormittag auf und laufen dann den Rest des Tages immer ungefähr auf derselben Höhe. Ein schmaler Pfad schlängelt sich mal auf der einen, mal auf der anderen Seite um die Hügel herum. Wir bleiben die meiste Zeit im Halbschatten der Bäume. Dazu weht ein schöner Wind, der für Abkühlung sorgt. Gut für uns, denn so hält sich der Durst in Grenzen.


Ein weiterer Southbounder kommt uns entgegen. Dan ist in Waterton an der kanadischen Grenze gestartet, genau das ist unser Ziel für die Beendigung des CDT. Auch seine Flaschen sind leer. Erste und wichtigste Frage in beiden Richtungen : „Wo ist das nächste Wasser ?“ Wir unterhalten uns sicherlich eine halbe Stunde über die Dinge, die vor uns bzw. vor ihm liegen. Besonders interessant sind die Tipps, die wir zum Umgang mit den Grenzposten bekommen. Schließlich möchten wir zu Fuß aus den USA herauslaufen, möchten nach Kanada einreisen und gleich danach wieder zurück in die USA. Bei wem müssen wir uns melden ? Wie bekommen wir einen Stempel in unsere Pässe ? Außerdem weiß Dan, dass es Wasser auf einem Seitenweg gibt, wenn wir einen Umweg von etwa einem Kilometer auf einer Nebenstraße machen. Das ist sehr gut, dann sind es also „nur“ 13 Meilen oder 21 Kilometer ohne Wasser.
Viele Stunden laufen wir in Hanglage auf etwa zwei Drittel Höhe unter den Gipfeln. Der Deerlodge Forest besteht wirklich aus Wald, wir bewegen uns ausschließlich zwischen hohen Bäumen. Die sind ungewöhnlich lang und schlank. Sie stehen dicht an dicht und streben nach der Sonne. Viele sind nur im oberen Bereich grün bewachsen. Ich nenne diese langen Lulatsche „Spargel-Bäume“. Sehr viele sind nackt und tot, dem Käfer-Schädling zum Opfer gefallen. Die Bäume wiegen sich mit dem Wind hin und zurück. Dabei entsteht ein unheimliches Knacken und Knirschen, weil sich die Stämme aneinander reiben. Ein komisches Gefühl ist das, wenn man zwischen diesen schwankenden Stangen auf engem Waldweg läuft, während eine Windböe die oberen Hälften der Stämme in Bewegung setzt. Besser gut hingucken und notfalls zur Seite springen …. Thomas findet eine wunderschöne Feder auf dem Trail. Die ist einfach makellos – sehr sauber, dunkle Streifen auf weiß, fast wie Tigermuster, und samtweich wie eine Daune.

Nach 8 Stunden ohne Wasser erreichen wir die von Dan benannte Kreuzung, an der wir unsere Rucksäcke abstellen und auf die Suche nach einem Bach gehen. Nicht schwierig zu finden, wenn man es weiß. Endlich gibt es die langersehnte Pause zum Auffüllen des Flüssigkeits-Haushalts. Frisch gestärkt geht es an die letzte Etappe. Bereits um 19.00 Uhr haben wir 38 Kilometer im Sack und machen früh Feierabend an einer „Piped Spring“. Das ist eine Quelle, die direkt aus dem Boden kommt und hier durch ein Plastikrohr in eine Badewanne geleitet wird. Sauber und eiskalt, dieses Wasser müssen wir nicht behandeln. Als Zugabe gibt es ein erfrischendes Fußbad in der Wanne. Astreines Wasser im Überfluss, Zeltplatz gleich daneben, besser geht es nicht. Trotz unserer langen Durststrecke war es ein sehr schöner und entspannter Tag.

Die Nacht in 2500 Meter Höhe ist kalt, wenn gleichzeitig ein frischer Wind weht. Heuschnupfen-Attacke in der Mitte der Nacht, die mich die nächsten zwei Stunden wegen triefender Nase nicht wieder einschlafen lässt. Zelten auf einer grünen Wiese ist anscheinend nicht so optimal. Morgens meckert uns ein Eichhörnchen wach. Deutliche Pfotenabdrücke einer großen Raubkatze sind im Schlamm um die Badewanne herum abgedrückt, eventuell war ein Puma zu Besuch an der Wasserstelle. Der Weg ist steinig, aber immer noch gut. Wir sehen einen Haufen Bären-Kot, der wohl eher vom Schwarzbären als vom Grizzly stammt. Als Ziel für die Frühstückspause haben wir uns eine Quelle in etwa 10 Kilometern Entfernung ausgesucht. Das Laufen geht einfach und schnell, die Wasserquelle finden wir allerdings nicht. Nachdem wir bereits lange über die gedachte Zeit gelaufen sind, schauen wir auf’s Handy und stellen fest, dass wir bereits 5 Kilometer zu weit sind. Da waren wir wohl etwas zu schnell. Auch gut, dann nehmen wir eben das nächste Wasser, es sind nur zwei Stunden weiter. Es geht den ganzen Tag sanft hinauf und hinunter.
Wir amüsieren uns über ein Kaninchen, welches regungslos etwa zwei Meter neben dem Pfad hockt und so tut, als sei es unsichtbar. Es ist von hellbrauner Farbe, wie alle Kaninchen hier, genau angepasst an den Erdflecken, auf dem es sitzt. Wir bleiben mehrere Minuten ruhig stehen und beobachten das Tier. Es ist anscheinend zur Salzsäule erstarrt, nicht eine Regung, noch nicht einmal die Augen blinzeln. Tolle Tarnung, die nur bei uns Menschen nicht so gut wirkt. Ein Schneehuhn im braun-weißen Sommerkleid gackert neben uns im Gebüsch. Es ist kein bisschen aufgeregt, anscheinend gibt es gerade keinen Nachwuchs in der Nähe. Wir beobachten den Kampf einer Ameise mit einer grünen Raupe, die etwa fünf mal so groß ist. Die Ameise attackiert immer wieder die Raupe, diese wird zusehends schwächer. Kurz gelingt es der Raupe, sich ein paar Zentimeter zu entfernen, dann ist die Ameise wieder da und fällt erneut über sie her. Ein Kampf wie David gegen Goliath – und David gewinnt. Irgendwie grausam, diesem Spiel auf Leben und Tod zuzusehen, aber das ist wohl so in der Natur. Ein weiteres beeindruckendes Beispiel liefern uns zwei kleine Singvögel, die in der Luft einen ausgewachsenen Falken jagen. Wahrscheinlich ist der Raubvogel dem Nest oder den Jungen zu nahe gekommen. Gemeinsam sind die Winzlinge so stark und so zornig, dass sie den viel stärkeren Falken in die Flucht schlagen.

Auf der rechten Seite des Weges erstreckt sich der Cottonwood Lake. Wir möchten gar nicht näher heran, denn er liegt mitten in einem Sumpfgebiet. Hellgrüne Halme und Schilf, wahrscheinlich wimmelt es dort von Moskitos. Wir eilen vorbei. Da wissen wir noch nicht, dass wir diesen See heute zweimal sehen werden. Gleich dahinter gibt es einen Abzweiger. Ein schmaler Pfad links führt nach oben, ein orange-roter Pfeil zeigt nach rechts zu einem deutlich breiteren Weg. Im weiteren Verlauf gibt es dort orange-farbene Markierungen an den Bäumen. Den nehmen wir, marschieren einfach los, ohne es weiter in Frage zu stellen. Es geht abwärts – wie schön. Und schnell sind wir …. Aber irgendetwas stimmt nicht. Der Stand der Sonne passt nicht zur Uhrzeit, wir laufen in die falsche Richtung. Erst nach einer Stunde kontrollieren wir unsere Position und machen lange Gesichter. Falsch ! 🙁 Wir drehen sofort um, damit wir uns nicht noch weiter verzetteln. Zurück zum See, etwa 5 Kilometer. Wir beeilen uns, dummerweise geht es immer nur bergauf. So ein Mist ! Endlich stehen wir wieder am Cottonwood Lake und nehmen eine Abkürzung steil die Böschung hinauf zum CDT. Um 17.00 Uhr sind wir auf dem richtigen Trail und haben die Sonne links von uns. So ist es gut, die Welt ist wieder in Ordnung. Auch dieser Pfad führt stetig nach oben. Tatsächlich laufen wir zum Ende des Tages noch über den Thunderbolt Mountain, der 2620 Meter hoch ist. Das braucht doch kein Mensch ! Wo wir doch am Nachmittag ganze 10 Kilometer in gut 2,5 Stunden umsonst gemacht haben ! Ärgern und Aufregen nützt nichts, wir schalten die Lauf-Maschinen an und ziehen durch bis zu unserem Feierabend-Wasser. Das waren dann 5 Stunden ohne Pause, muss man nicht öfter haben. Insgesamt haben wir dieselbe Distanz wie gestern zurückgelegt, 38 Kilometer, nur leider nicht alles auf dem CDT in Richtung Norden.

Himmlische Ruhe in der Nacht, völlige Stille und Frieden am Morgen. Es ist wirklich erstaunlich, wie unterschiedlich sich das Leben auf dem Trail präsentiert. Schon kurz nach dem Start kommen wir an eine Kreuzung, über die wir uns seit Tagen den Kopf zerbrechen. Unsere elektronische Karte auf dem Handy zeigt an diesem Wegpunkt ein gelbes Verkehrsschild in Dreiecks-Form mit Ausrufezeichen. Als Bemerkung lesen wir dort ganz klar „Rechts“. An dieser Gabelung stehen und hängen so viele CDT-Zeichen, dass man sie nicht übersehen kann. Warum sollte man das in Frage stellen ? Aber es gibt zahlreiche Kommentare der CDT-Hiker, die fast alle davon abraten, dieser Route zu folgen. Demnach ist der Rechts-Abbieger voll daneben, man sollte lieber geradeaus gehen. Da sieht man ganz deutlich den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wir entscheiden uns dafür, dass wir den Leuten glauben, die es wissen müssen. Deswegen ignorieren wir die offiziellen Anweisungen und laufen geradeaus auf den etwas zugewachsenen Pfad. Der Bison Mountain Trail ist keine schlechte Wahl, ein guter Weg in schöner Landschaft ohne Gemeinheiten. Wir sind jetzt im Helena National Forest, auf der Zielgeraden zu unserem nächsten Ruhetag in der Hauptstadt. Etwa in der Mitte der Wanderung entdecken wir ein verwittertes Zeichen an einem Baum. Dieses ist tatsächlich der alte CDT. Inzwischen wurde die Route wegen der Sturmschäden an den Bäumen auf die andere Seite des Bison Mountains verlegt. Es geht sanft auf und ab bis zum Ontario River, wo wir ein Angler-Paar treffen, die hier am Fluss ihr Wochenende verbringen. Nach kurzer Unterhaltung füllen wir unsere Wasserflaschen und marschieren ein Stück weiter, um die Mittagspause etwas abseits in Ruhe zu genießen. Es dauert nicht lange, da fährt das Paar mit einem Geländewagen an uns vorbei. Sie rumpeln über dicke Steine und durch tiefe Bodenrillen aufwärts. Kaum zu glauben, dass sich das Auto hier hochkämpfen kann. Später überholen wir den Wagen zu Fuß. Eine breite Furche im Geröll war wohl doch zu tief, es geht nicht vorwärts und nicht rückwärts. Natürlich bieten wir unsere Hilfe an, aber der Mann meint, der Wagen sei zu schwer zum Anschieben. Er versucht, den Graben mit Steinen aufzufüllen und so eine Fläche zu schaffen, wo die Reifen wieder packen können. Eine stramme Arbeit bei dieser Mords-Hitze, aber vielleicht eine gute Idee.Wir wünschen „Good luck !“ und steigen weiter auf. Oben auf dem Pass angekommen bleiben wir einen Moment stehen, um uns über den weiteren Weg zu beraten. Wir hören Motoren-Geräusch, die haben es tatsächlich geschafft. Die Beiden stoppen noch einmal kurz, um uns eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Wieder lehnen wir dankend ab. Morgen früh wären wir sehr froh, wenn uns Jemand bis nach Helena fährt, aber jetzt gerade nicht. Thomas erzählt von unserer Mission der fortlaufenden Schritte. Diese Schotterstraße ist Teil vom CDT, deswegen müssen wir die Strecke zu Fuß machen. Es ist 13.00 Uhr, und wir haben noch weitere 27 Kilometer vor uns. Eigentlich liegen wir gut in der Zeit. Der Proviant wird langsam knapp, Gas wird nur noch sehr sparsam angestellt, das Handy muss dringend an eine Steckdose. Es gibt keine Zeichen, keine Hinweise. Wir laufen lange ohne Gewissheit, dass es der richtige Weg ist. Dann entdecken wir ein selbstgemachtes Holz-Schild mit einem Pfeil, der deutlich nach rechts weist. Dort steht ein Stromkasten mit einem CDT-Symbol, welches mit schwarzem Marker von irgendwelchen mitdenkenden Wanderern aufgemalt wurde. Sehr nett – da gibt es wohl keine Zweifel mehr. Die schmale Spur, die bergauf in den Wald führt, ist kaum zu erkennen. Da hätte man sonst leicht dran vorbeilaufen können. Am Hang gegenüber sehen wir schwarz verkohlte Bäume, es qualmt noch. Da hat es kürzlich erst gebrannt. Geht das denn jetzt schon los ? Eigentlich hatten wir erst frühestens im August damit gerechnet, so hatten es uns Einheimische erzählt. Im September 2017 tobten gleichzeitig 70 Waldbrände in den USA. Damals war sogar der Zugang zur Kanada-Grenze, dem Endpunkt des CDT, zeitweise gesperrt. Solche Feuer können unseren Weg noch sehr behindern, weil eventuell Umleitungen erforderlich werden oder der Weg sogar völlig unpassierbar wird.
Wir kochen beim letzten Wasser, an einer hässlichen Straße mit Baumfäll-Arbeiten. Es sind noch 2 Packungen Instant-Nudeln und etwas Kartoffelpüree-Pulver da. Vor uns liegen jetzt weitere 20 Kilometer ohne Wasser. Jeder nimmt nur einen Liter zum Trinken mit. Dann geht es mit letzter Energie über einige Hügelkuppen. Viel Sonne, wenig Schatten, viel Schweiß. Wir laufen bis um 20.00 Uhr. Zum Abendessen gibt es den letzten Snickers-Riegel und ein paar Erdnüsse. Insgesamt 40 Kilometer unter den Sohlen, das ist schon annähernd Marathon-Distanz. Bleiben für morgen früh lediglich 3 Kilometer bis zum MacDonald Pass, von wo wir per Anhalter nach Helena möchten. Näher dran an die Straße muss man nicht, denn wir können bereits den Verkehr und gelegentlich einen Zug hören. Thomas hat zwei kleine Blasen am Fuß, die behandelt werden müssen. Ich habe Hornhaut-Schwielen an den Außenseiten, nicht schick, aber schmerzfrei. Mit dieser Bilanz sind wir sehr zufrieden, denn wir haben in den letzten beiden Wochen lange Etappen von 170 bzw. 160 Kilometern zurückgelegt, ohne Motel-Aufenthalt, nur mit einem halben Tag Pause auf einem ziemlich primitiven Campingplatz in Whitehall.

Wie immer sind wir früh wach. Frühstück fällt aus, denn der Futterbeutel ist leer. Kaffee gibt es auch nicht, weil wir kein Wasser haben. Also einfach nur Zelt abbauen, packen und schnell den kleinen Rest bis zur Straße laufen. Es ist so schön morgens im Wald, tolle Stimmung, angenehm kühl. 🙂 Bereits um 7.00 Uhr verlassen wir den Helena National Forest, stehen am MacDonald Pass und halten den Daumen raus. Es ist noch nicht viel los, kaum Verkehr, ziemlich einsame Gegend. Nach einer guten halben Stunde hält ein Wagen. Der Fahrer ist ein komischer Typ. Er lebt in Helena, kennt sich also gut aus. Aus irgendwelchen Gründen möchte er uns nicht zum Walmart bringen, sondern insistiert auf ein Motel in der Innenstadt. Angeblich steigen dort alle Hiker ab, weil günstig und zentral gelegen usw. Ich weiß nicht, ob der Mann dort Prozente bekommt für seine Vermittlung. Thomas fragt mich nach meinen Wünschen, mehrmals sagen wir deutlich, dass wir zum Walmart möchten, aber unser Fahrer setzt uns vor „seinem“ favorisierten Motel ab. Auch gut, wir gehen erstmal hinein an die Rezeption und fragen …. Preis ist okay, wenn auch nicht supergünstig. Check Inn wäre erst um 15.00 Uhr, jetzt ist es gerade 8.00 Uhr. Zunächst suchen wir uns ein nettes Café zum Frühstücken mit freiem Internet. Kaffee bis zum Abwinken, man zahlt nur einmal. Dieser „coffee refill“ ist eines der Dinge, die wir in den USA so lieben. Buchen dann ein Zimmer im selben Motel, wo wir September 2017 unsere Reise gen Norden beendet haben. Dort war es nett, sauber, günstig, und es liegt in der Nähe zum Walmart. Bis dahin sind es etwa 5 Kilometer Entfernung vom Zentrum, kein Problem zu Fuß.
Helena ist die Hauptstadt des US-Bundesstaates Montana, mit ca. 28.000 Einwohnern so ziemlich die größte City, die wir auf unserer diesjährigen Wanderung zu sehen bekommen. Wir vertreiben uns die Zeit bis zum Check-Inn mit einem langen Besuch beim Ausrüster, da wir nun schon einmal in der Innenstadt sind. Dort wartet der nagelneue Rucksack von Osprey auf Thomas. Lebenslängliche Garantie auf alle Produkte – einfach unglaublich.

Wir beschäftigen mehrere Mitarbeiter, die uns bestmöglich unterstützen. Zwei Stunden später hat Thomas einen neuen Rucksack, mein Brustgurt ist repariert, meine Walking-Stöcker haben neue Spitzen. Damit ist die Liste der zu reparierenden Sachen fast vollständig abgehakt. Bleiben nur noch einige Näh-Arbeiten, die wir später gemütlich im Zimmer erledigen können. Zufällig geraten wir an einen abgesperrten Straßenzug und können bei einer bunten Parade zuschauen. Es gibt geschmückte Pferde zu sehen, schnelle Sportwagen, Oldtimer, lustige Motto-Wagen wie beim Karneval, etwas Politik …. Jeder bekommt eine amerikanische Flagge zum Wedeln in die Hand gedrückt, für die Kinder werden Süßigkeiten verteilt. So ganz erschließt sich uns der Sinn dieser Parade nicht, obwohl wir einige Leute fragen. Aber macht ja nichts, es ist unterhaltsam, und wir haben viel Zeit.


15.00 Uhr Gewitter, Regen und Sturm. Eine Stunde später knallt die Montana-Sonne bereits wieder unerbittlich. Hitzschlag-Gefahr. Abends um 19.00 Uhr sind es 30° Celsius draußen. Wir sind froh, dass wir nicht laufen müssen. 🙂 Es brennt immer noch oder schon wieder im Nord-Westen. Betroffen sind ein Teil des Helena National Forest, aber auch der südliche Zipfel der Bob Marshall Wilderness, die vor uns liegt, ist in Gefahr. Letzte Nacht war das Feuer einigermaßen unter Kontrolle, ist aber in der Hitze des Tages wieder aufgelodert.
Wir haben uns eine topografische Karte vom Glacier and Waterton Lakes National Park gekauft. Nach Allem, was wir darüber gehört haben, könnte das Ende eine der schönsten Etappen des gesamten CDT werden. Thomas hat seine Wanderschuhe reklamiert, weil die bereits nach zwei Monaten auf dem Trail stark beschädigt sind. Ohne großes Theater bekommt er von Keen den vollen Preis erstattet. Das ist nicht das erste Mal, dass er aus Kulanz ein Paar neue Schuhe umsonst kaufen kann. Toller Service
! Die Firma Keen unterstützt damit großzügig die Long-Distance-Hiker und hat ein bisschen gute Werbung verdient. Eine neue Armbanduhr habe ich auch, natürlich aus dem Walmart. Unsere Abholung ist für Montag um 11.00 Uhr organisiert. Ein Hiker-Freund, den wir über Facebook gefunden haben, bietet seine Fahrdienste an. Unsere nächsten beiden Etappen werden vom gesamten CDT die längsten ohne Stopp sein.