Wir segeln und wandern durch die Welt

Kammweg Erzgebirge/Vogtland 2. Woche

So ein schöner Platz am Teich verleitet immer zum Trödeln, deswegen starten wir nach ausgiebigem Kaffeetrinken erst um 9.45 Uhr. Bereits eine Stunde später erreichen wir einen Ort, der über die Hauptstraße direkt hinein nach Tschechien führt. Schon wieder Pause, ein Bummel durch den Ort Potuccki mit anschließendem Mittagessen. Bis jetzt ein fauler Tag, aber am Nachmittag geben wir Gas. Südlich von Johann-Georgenstadt haben wir den Faden verloren und müssen irgendwie zurück zum Kammweg finden. Auf dem Wanderweg der Deutschen Einheit ( WDE ) laufen wir bis Weiters-Glashütte, wo der Kammweg kreuzt. Bis um 19.30 sind wir unterwegs, dann schmerzen die Füße. Ausnahmsweise finden wir nicht so bald einen passenden Zeltplatz und müssen unser Lager mitten im Dickicht aufbauen. Zu viel Urwald, zu viel Grün, das bedeutet „Mückenalarm“.

Wegen der stechenden Insekten stürzen wir am nächsten Morgen ohne Kaffee los. Nach nur 500 Metern kommen wir heraus aus dem Wald und entdecken auf einer sonnigen Wiese eine Bank mit Tisch und bunter Blumendecke. Das ist ja sehr nett – wie für uns gemacht. Kaffee, Frühstück und erst um 11.15 Uhr zurück auf der Strecke. Nach knapp 2 Stunden entdecken wir an einem Wander-Parkplatz eine Imbissbude. Schon wieder Pause, es gibt eiskalte Erfrischungsgetränke. Inzwischen befinden wir uns im Vogtland, das ist eine Region im Grenzgebiet von Bayern, Sachsen, Thüringen und Böhmen. Hinter Adorf verpassen wir den richtigen Weg und laufen eine ausgeschilderte Alternative zum Kammweg. Um 20.45 Uhr ist Feierabend. Wir sind 32 Kilometer weiter, und ich habe eine schmerzhafte Blase am kleinen Zeh.

Mittwoch brauchen wir weitere 2 Stunden, um wieder auf den Original-Kamm-Weg zu stoßen. Der Proviant geht zur Neige, wir müssen unbedingt etwas einkaufen. Durchqueren mehrere Dörfer, aber es gibt keine Läden. Bäcker, Metzger, überall nur heruntergelassene Rolläden. Selbst die Gaststätten, an denen wir vorbeikommen, sind geschlossen. Gegen Mittag Pause ohne Essen, nur mit Wasser. Wir halten Kriegsrat. In zwei Stunden fährt ein Bus in die nächste größere Stadt. Sollen wir etwa so lange hier warten, hinfahren, dann im Ort einkaufen und wieder zurückfahren ? Wären erst nach 19.00 Uhr wieder da, wo wir jetzt sitzen. Nein, das ist uns zu viel Aufwand, wir marschieren einfach weiter. Es wird mühsam. Wir schleppen uns bis nach Krebes, einer Häuseransammlung auf 6 km² Fläche. Nie gehört, nicht erwähnenswert. 😉 Aber eine Eisfahne in einem Fenster weckt unsere Aufmerksamkeit. Gibt es hier etwa einen Kiosk oder Außer-Haus-Verkauf ? Erst einmal setzen wir uns auf den zentralen Platz vor dem Haus. Kurioserweise steht dort ein Boot, eine schöne Jolle aus Mahagoni-Holz. Sehr merkwürdig, hier so mitten im sächsischen Binnenland direkt vor der Haustür. Ich entdecke eine weitere Blase am großen Zeh. Autsch ! Wir fragen nach Wasser und bekommen unsere Flaschen gefüllt. Darauf folgt eine Haus-Führung. Wenig später wird uns Grüner Tee angeboten. Ja, sehr gerne. Und zur Krönung des Nachmittags wird Kuchen dazu gereicht. Wir sind begeistert. Das passt gut, wo wir doch fast nichts mehr zum Essen im Beutel haben. So kommt es, dass wir jetzt einen Kontakt aus Krebes in unserem Adressbuch haben. Stefan ist ein Künstler und Lebenskünstler, ein Alt-Hippie, der uns mit spannenden Geschichten aus seinem Leben unterhält. Interessante Gespräche und das Angebot, im Theatersaal seines riesigen Hauses zu übernachten bzw. jederzeit dort wohnen zu dürfen. Das ist Trail Magic, wie wir sie sonst nur aus den USA kennen. Danke ! Nach dieser Stärkung mit Tee und Kuchen fällt es uns leicht, noch eine weitere Etappe zu laufen. Kaum steht unser Zelt am Rande eines Feldes unter tiefhängenden Ästen, da fängt es an zu regnen.

Geweckt werden wir in aller Frühe vom lauten Geräusch eines Mähdreschers auf dem Feld. Es regnet immer noch. Schnell packen wir unser Zeug zusammen und wollen verschwinden. Aber was ist das ? Am Zelt, an den Rucksäcken, den Handschlaufen der Stöcker krabbeln schwarze Insekten. Ohrenkneifer-Alarm ! Die haben sich wohl über Nacht einen trockenen Platz gesucht. Da kamen unsere Rucksäcke, die draußen stehen, wohl gerade recht. Besonders im Rucksack von Thomas tummelt sich geschätzt eine Hundertschaft der schwarzen Tierchen. Auch bei mir herrscht ein ziemliches Gekrabbel, allerdings haben auf meiner Seite nur ein paar Dutzend den Weg ins Innere gefunden. Wir packen komplett aus und kippen den Inhalt unserer Rucksäcke auf den nassen Weg, um wenigstens den Großteil der Ohrenkneifer los zu werden. Was bleibt uns Anderes übrig ? Mehrmals ausschütteln, alle Beutel kontrollieren, und es kommen immer noch welche zum Vorschein. Das ist echt fies am frühen Morgen, so eine unangenehme Überraschung braucht kein Mensch. Nach diesem nervigen Start in den Tag kann es eigentlich nur noch besser werden. Wir passieren den Drei-Freistaaten-Stein. An dieser Stelle treffen Sachsen, Bayern und Thüringen zusammen. Dann kommen wir in den 50-Einwohner-Ort Mödlareuth, der 23 Jahre lang durch eine Mauer getrennt wurde. Das Museum erzählt die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung. Den Eintritt sparen wir uns, denn auch auf dem Freigelände davor gibt es viel zu sehen und auf den Tafeln zu lesen. Das Beste aber ist : Um 11.00 Uhr macht die Gaststätte „Zum Grenzgänger“ auf. Wir haben noch nicht gefrühstückt. Der Proviant ist wirklich alle, wir hatten noch nicht einmal Kaffee oder Kekse am Morgen. Jetzt ist unser Hunger-Problem gelöst. Es gibt ordentlich Kalorien in Form von hausgemachten Käse-Spätzle, dazu Salat und Kaffee. Nachmittags erreichen wir Hirschberg, endlich ein größerer Ort, in dem wir einkaufen und uns eine Unterkunft suchen möchten. Es gibt jedoch kein freies Zimmer, deswegen trocknen wir unser Zelt auf einer Wiese und marschieren weiter. Immer noch kommen Ohrenkneifer zum Vorschein, obwohl wir bereits mehrmals ein- und ausgepackt haben. Lästig !
Entlang der Saale führt ein sehr schöner Wanderweg bis nach Blankenstein. Kurz vor dem Endziel biegen wir auf einen wenig begangenen Seitenweg ab und bauen unser Lager im hohen Gras neben einer Weide auf. Frösche quaken, eine Eule schreit in der Nacht.

Kaum geschlafen, meine Augen tränen, die Nase ist zu – Heuschnupfen. Die Nacht war nicht sehr erholsam. Wir sind schon früh auf den Beinen und eine halbe Stunde später bereits in Blankenstein, auch „Drehkreuz der Wanderer“ genannt. Hier endet der Kammweg, aber wir hatten uns mehr davon versprochen. Der Ort gefällt uns gar nicht. Viele Wanderer und Radfahrer stehen herum, alle sind hektisch und laut. Die Tourist-Info hat geschlossen. Am CoOp lungern unangenehme Menschen mit Bierdosen und Flachmännern herum. Wir sehen zu, dass wir schnell weiter kommen, laufen lieber noch eine Stunde aufwärts und machen dann eine lange Pause am Wiedeturm.

Zeit haben wir mehr als genug. Die Wehwehchen sind auch fast verheilt. Deswegen überlegen wir, dass wir auch die Strecke vom Ende des Kammweges bis zum Beginn des Goldsteiges zu Fuß zurücklegen möchten. Dafür haben wir kein Kartenmaterial, diesen Weg müssen wir uns selber suchen. Wir laufen eine lange Etappe auf dem Pilgerweg Via Porta, einen Teil der Strecke auf dem Fränkischen Gebirgsweg, folgen dem Wanderweg der Deutschen Einheit (WDE) und dem Jean-Paul-Weg. Schätzungsweise 70 Kilometer sind wir auf der Verbindung unterwegs, dafür brauchen wir knapp 3 Tage. Damit folgen wir unserer Philosophie der „connecting footsteps“, die wir bisher auf all unseren longtrails umgesetzt haben.

Ohne weiteren Aufenthalt in Blankenstein machen wir uns auf den Weg nach Marktredwitz, wo der Goldsteig seinen Anfang hat. Beide Handy-Akkus sind leer, wir brauchen dringend Strom. Im Ort Selwitz finden wir eine nette Pizzeria, in der wir zwar keine Pizza essen, aber dafür zwei Radler trinken und während dieser Stunde an die Steckdose dürfen. Danach spazieren wir beschwingt noch ein paar Stunden weiter. Auf einem Feld voraus können wir einen Fuchs mit wunderschön rot-braunem Fell beobachten. Ansonsten gab es an Tieren bislang herzlich wenig zu sehen. Ein paar Rehe, Hasen, Kaninchen, harmlose Schlangen, Frösche, eine Eule. Langer Tag, wir sind erst um 21.30 Uhr im Zelt.

Es wird dringend Zeit zum Aufklaren. Wir brauchen eine Dusche und müssen unsere Sachen auswaschen. Im Ort Münchberg finden wir in der  Pension Café Dora ein ansprechendes Zimmer zum guten Preis. In sauberer Umgebung entdeckt Thomas insgesamt 4 Zecken an seinem Körper.

Nach einem ausgiebigen Frühstück im Café Dora starten wir erst gegen 11.00 Uhr bei Regen. Eine Stunde später wird es am Himmel heller, am Nachmittag sogar noch richtig schön. Ein Biergarten liegt auf unserer Route, der wird doch immer gerne genommen. Radler und Mascarpone-Torte stärken die Lebensgeister. Der weitere Verlauf führt uns zum Granit-Labyrinth. Einen Teil unserer selbstgesuchten Strecke wandern wir auf dem Jean-Paul-Weg, wo an jeder Bank philosophische Gedanken auf Schautafeln zum Besten gegeben werden.
70 Kilometer in knapp 3 Tagen, Marktredwitz ist schneller erreicht als gedacht. Nun liegt der Goldsteig vor uns, wir rechnen für die Strecke bis nach Passau mit etwa 4 Wochen.