Wir segeln und wandern durch die Welt

Kanaren zu den Azoren – 1083,6 Seemeilen

Ausschlafen, gemütlicher Morgen-Kaffee, letzte Handgriffe, die Persennig wird noch schnell geflickt. Danach gibt es ein deftiges Frühstück, Duschen und Leinen los. Start von Tazacorte am 02.07. um 13.00 Uhr bei eher ruhigen Wetterbedingungen. Klarer Himmel, Sonnenschein, anfangs nur mäßiger Wind. Vorbei geht es an der Piratenbucht und diversen Schluchten, die wir in den vergangenen 3 Wochen bereits zu Fuß erkundet haben.
Wir sind gut vorbereitet und freuen uns auf einen längeren Törn. Nach drei Stunden lassen wir den Schutz der Küstenlinie hinter uns und bekommen beständigen Wind mit 5 Bft. aus Nord-Ost. Großsegel und Genua auf backbord, die Windsteuer-Anlage wird eingehängt und hält Kurs.  Es läuft wie geschmiert. Geschwindigkeit 6 Knoten. Wir werden zunächst nicht hart am Wind segeln, um angenehmere Schiffs-Bewegungen zu haben. Die Übelkeit vom letzten Törn haben wir noch nicht vergessen. Walkabout benimmt sich ordentlich, liegt schön stabil in den Wellen. Ruhig und gleichmäßig ziehen wir dahin. Ein paar Delfine begleiten uns ein Stück, kurz bevor wir La Palma achteraus lassen. Von Seekrankheit ist kaum etwas zu spüren, wir fühlen uns richtig wohl an Bord. 🙂 Diesmal hatten wir einen perfekten Start. Sonnenuntergang gegen 22.00 Uhr, gigantischer Sternenhimmel. Das AIS zeigt während der ersten Nacht vier größere Schiffe an. Ein chinesischer Frachter von 250 Meter Länge kreuzt unseren Kurs in 4 Seemeilen Entfernung. Nicht zu übersehen. Alles völlig entspannt.
Auf unserem Kartenplotter sind immer noch unsere Wegpunkte seit dem Start im Juli 2011 eingezeichnet. Sogar in verschiedenen Farben, je nachdem, welche Passage damit markiert ist. So kann man heute noch erkennen, dass wir den Englischen Kanal, die Biskaya sowie das Gebiet um Kap Finisterre bereits dreimal durchfahren haben. Auch in Richtung rund um die kanarischen Inseln herum gibt es dichte Ansammlungen von bunten Kreuzchen. Mir gefällt’s – es sieht witzig aus und lässt Erinnerungen wach werden. 🙂

Der Schlaf-Wach-Rhytmus klappt bei mir noch nicht wie gewünscht, aber das wird sich bald einspielen. Unten im Salon kann man es bei diesen Bedingungen gut aushalten. Das Schiff liegt ständig leicht auf der Backbord-Seite, so dass man eingekeilt in der Seekoje gemütlich liegen und richtig entspannen kann. Das Wasser rauscht friedlich an der Bordwand entlang, kein Klappern in den Schapps stört, keine laute Geräuschkulisse im Rigg. Mir geht es so gut, dass ich sogar zu Beginn meiner Morgenwache um 4.00 Uhr früh schon Kaffee trinken mag. Das ist ein gutes Zeichen.
Es bleibt den ganzen nächsten Tag herrliches Segeln bei Bilderbuch-Wetter. Himmel und Wasser sind von tiefstem Blau, dazwischen ein paar weiße Wolken. Der Wind hat etwas nachgelassen. Bei voller Besegelung laufen wir mit 4,5 bis 5 Knoten Fahrt Richtung Nord-Westen. Es gibt nichts zu tun. Kein Schiffsverkehr, die Aries hält Kurs, kein Segelwechsel. Einfach nur Wache halten und die Ruhe genießen, so soll es sein auf einer längeren Passage. Alle 2 Minuten sendet unser AIS ein Signal aus. Sehr beruhigend. Wir sind 10 Jahre lang gut ohne AIS ausgekommen, aber jetzt möchte ich es nicht mehr missen.
Kaum Bewegung, das Lüftchen wird immer weniger und dreht in die falsche Richtung. Wir segeln inzwischen nur noch mit knapp 2 Knoten genau nach Westen. Nach 5 Stunden ist die Flaute durch. Der Wind kommt zurück, wenn auch nicht stark, aber immerhin bringt er uns mit 4 Knoten vorwärts.
Die zweite Nacht ist sehr dunkel, leichter Nieselregen. Nochmal eine Runde Ausguck draußen, dann mache ich die Tür vom Deckshaus zu und bleibe trocken. Habe mich um kurz nach Mitternacht hingelegt und bis 5 Minuten vor Vier tief und fest geschlafen. Geht doch – so muss das sein ! Den restlichen Schlaf holt man sich Häppchenweise während der anderen Freiwachen, mal eine Stunde hier, mal eine halbe Stunde dort.

Auch der dritte Tag verläuft völlig entspannt. Schlafen, Essen, Wachen ….. Zeit zum Studieren des Azoren-Wanderführers, Portugiesisch Lernen, Lesen. Es passiert einfach gar nichts. Keine anderen Schiffe, wir sind anscheinend alleine auf dem Ozean. Der Wind bleibt konstant, ruhige See. Wir segeln mit gleichbleibender Geschwindigkeit und genießen das Dasein. Komische Büschel von Pflanzen schwimmen im Wasser. Irgendeine Art von Seegras ? Wir wissen nicht, was das ist und fragen uns, wo es herkommen könnte. Der Meeresgrund liegt in 5000 Meter Tiefe unter uns, das nächste Land ist 600 Kilometer entfernt.
Funkkontakt mit unserem Wetterfrosch Henning hat geklappt. Er hat die Wetterkarten genau analysiert und rät uns, weiter nach Westen zu halten. Windsteuer-Anlage und Segel werden leicht verändert und damit der Kurs neu angepasst.
Nachts ist der Himmel ein riesiges Lichtermeer. Sternschnuppen fallen im 5-Minuten-Abstand, da könnte man stundenlang zugucken.

Ganz ohne Reparaturen geht es natürlich auch diesmal nicht. Thomas findet bei seiner morgendlichen Kontrollrunde eine Unterlegscheibe an Deck. Wo gehört die denn hin ? Schnell entdeckt er eine böse Überraschung, die unerkannt schwerwiegende Folgen hätte haben können. Der obere Bolzen des Beschlages, der den Großbaum am Mast hält, ist gebrochen. Oben der Kopf ist durchgegammelt, weggerostet, der Bolzen hätte nicht mehr lange gehalten. Thomas steht ungefähr 2 Stunden vorne am Mast, um den Schaden provisorisch zu reparieren, so gut es eben geht mit Bordmitteln. Letztendlich muss so ein Teil für uns geschweißt werden, weil nichts standardmäßig passt. Aber erstmal ist es ganz okay, da kann jetzt nichts mehr passieren. Zum Glück ist die See auch heute wieder friedlich. So ruhig, dass wir sogar zum Mittagessen unseren Tisch im Cockpit aufbauen und draußen essen. Premiere. 🙂 Es gibt Möhreneintopf, weil unsere Möhren jetzt schon außen schwarz und innen wie Gummi werden. Am Donnerstag, also vor 4 Tagen, im Supermarkt gekauft, wo sie gekühlt lagern. Wir haben keinen Kühlschrank, also muss Frisches schnell weg. Lecker ist es außerdem !
Zum Abend hin kreuzt ein 230-Meter-Frachter unseren Kurs mit Ziel Hamburg. Das erste Schiff in Sichtweite seit 3 Tagen.

Dunkle Nacht. Nur eine schmale Mondsichel steht achteraus am Himmel und spiegelt sich im Wasser. Kurz vor der Morgendämmerung segeln wir aus der Wolkendecke heraus und kommen doch noch in den Genuss eines Lichtermeeres über uns. Immer wieder phantastisch, die Sterne zu beobachten, während das Boot sich mühelos seinen Weg bahnt. 🙂
Wir machen anscheinend gerade einen Schlaf-Marathon. Die Bedingungen sind so gut, dass man es prima unten aushalten kann. Stabile Seitenlage, keine nervenden Geräusche, so dass man sich nur einmal bequem zurechtruckeln muss und dann sofort in Tiefschlaf fällt. So vergeht Tag um Tag und Nacht um Nacht. Welches Datum ist heute ? Wir haben schon den Überblick verloren, weil wir uns so Eins fühlen mit dem Boot und dem Meer. Alles fließt ineinander.
Tagsüber ist es uns fast zu heiß. Thomas kramt einen Ventilator aus seinem Geheimfach, bastelt einen passenden Stecker daran und hängt ihn im Salon über der Koje auf. Das Ding ist uralt und laut, aber es verschafft wenigstens der Freiwache etwas Erleichterung während des Tages. Ich sehne mich nach Regen für eine ausgiebige Dusche. Die paar Tropfen in der Nacht reichen nicht aus, also bleibt es bei Katzenwäsche mit dem Messbecher.

Heute genau vor zwei Jahren waren wir in den USA und sind im Yellowstone Nationalpark gestartet, um die letzte Etappe des CDT zu beenden.
Vor einem Jahr sind wir einige Wochen in Deutschland gewandert, auf dem Kammweg und Goldsteig zu Fuß von Dresden bis nach Passau. Die Einreise-Beschränkungen der Pandemie erfordern Flexibilität. So lernen wir neue Orte kennen, die wir auf unserer Reise in all den Jahren noch nicht besucht haben. An den Azoren sind wir bereits drei Mal vorbei gesegelt, auch Madeira haben wir bisher immer links liegen gelassen. La Palma kannten wir ebenfalls noch nicht und haben diese grüne Insel jetzt 3 Wochen lang ausgiebig erkundet. Wir sind frei, wir können trotz Corona reisen, wir sind privilegiert.
Inzwischen hat sich alles gut eingespielt, wir genießen die Bord-Routine. Keine Termine, keine Nachrichten, kein Internet. Unser Leben hat sich entschleunigt. Der Wind ist mal da und mal nicht – das Azorenhoch. Wir bummeln langsam unserem Ziel entgegen. Thomas sieht es ganz pragmatisch : „Jeder Tag in der Marina kostet Geld.“ Also keine Eile. Hier geht es uns gut, kein Stress, wir sind bestens versorgt und können kein Geld ausgeben. Es ist wie „Urlaub auf dem Boot“.
So könnte es ewig weitergehen. Wir lieben die Nachtwachen. Durchweg ruhige See, kein Schiffsverkehr, keine Kurswechsel. Da muss man nicht nonstop Ausschau halten, sondern kann nachts so richtig Party machen. Beim Lesen wird uns jetzt nicht mehr übel, daher kommt nach Einbruch der Dunkelheit gerne das E-Book mit Beleuchtung zum Einsatz. Kein lauter Wind, keine nervenden Geräusche im Rigg, auf die man lauschen muss. Es passiert einfach nichts, und das ist gut so. Bei solchen Bedingungen kann man die Aufmerksamkeit ruhig etwas abschweifen lassen. Ohrstöpsel rein und Lieblingsmusik vom MP-3-Player hören, lautstark singen oder tanzen ….. Alles ist erlaubt, Niemanden stört’s, der Partner schläft sowieso. 😉

Mittwoch ist es um 7.00 Uhr früh immer noch stockfinster. Kein bisschen Mond zu sehen, keine Sterne, dichte Wolkendecke. Ab 9.00 Uhr steigt die Sonne auf. Eines unserer Luxusprobleme ist die brütende Hitze. Den ganzen Tag herrscht absolute Flaute. Die Segel sind unten, es geht nicht vorwärts. Das Luk im Salon haben wir zugehängt, damit keine Sonne hineinscheinen kann. Bunte Tücher vor den Fenstern im Deckshaus und eine lichtundurchlässige Plane über dem Cockpit sollen etwas Schatten spenden. Das klappt nur bedingt, denn ohne Segel dümpelt die Walkabout in den Wellen hin und her, legt sich mal auf die eine und mal auf die andere Seite. Die Sonnenstrahlen finden ihren Weg, heizen das Boot auf und lassen den Schweiß bei uns rinnen. Wir nehmen ein ausgiebiges Bad auf dem Vorschiff mit mehreren Eimern Salzwasser vorweg, Einseifen, dann gibt es für Jeden zum Abspülen einen Liter Süßwasser aus der Flasche. Der Ozean schimmert in tiefstem Blau. Da schwimmen wieder diese Pflanzenteile. Einige Büschel holen wir an Deck, um sie uns genauer anzuschauen. Da ist richtig Leben drin : Krill, kleine Krebschen, Muscheln, Schnecken. Außerdem sind viele Fische zu sehen, gar nicht so klein übrigens. Aus Nord-Osten rollt eine leichte Dünung heran, die Walkabout hebt und senkt sich ganz sachte. Unsere Angel hängt draußen. Am 5. Tag und bei null Wind wäre heute doch eine perfekte Gelegenheit für gebratenen Fisch zum Abendessen. Aber wir sind keine guten Angler, es dient eigentlich nur zum Zeitvertreib. Danach legt Thomas sich hin zum Mittagsschlaf, und ich hole ein paar Näh-Arbeiten heraus, um in meiner Flauten-Wache etwas Nützliches zu schaffen. Wir stehen …. und das schon seit Stunden. Hier herrscht außerdem ständig 0,5 Knoten Gegenströmung. Seit dem Mittags-Etmal sind wir tatsächlich 6 Seemeilen zurück getrieben. Abendessen findet wieder draußen statt, sehr zivilisiert am Tisch. Es gibt keinen Fisch, sondern Ravioli aus der Dose. Das macht auch weniger Arbeit. Abends gehen wir noch eine Runde auf Deck spazieren, Beine vertreten sozusagen. Gucken den dicken Fischen zu, wie sie schnell verschwinden und sich im Schatten unter unserem Rumpf verstecken. Dann Abruf der e-mails : Von Henning kommt nichts Gutes bezüglich des Wetters. Die Flaute bleibt, morgen gibt es auch noch keinen Wind, und übermorgen soll es dann aus Nord-Ost, also von vorne wehen. Marita und Erik, die mit ihrer Marik bereits seit einem Monat in Santa Maria liegen, berichten von einem 3-tägigen Blues-Festival, welches am kommenden Wochenende stattfinden wird. Die Karten sind limitiert, ob sie uns welche besorgen sollen ? Ja, sehr gerne. Aber dann dürfen wir jetzt nicht länger bummeln, weil wir auf den Azoren zunächst in Quarantäne müssen. Sonntag wird wahrscheinlich gar nichts passieren wegen der Einklarierung, dann könnten erst am Montag die Offiziellen auf’s Boot kommen, ein PCR-Test muss gemacht werden, 48 Stunden dauert es bis zum Ergebnis ….. Um 21.00 Uhr starten wir die Maschine und motoren durch die schwarze Nacht.

Nachts ein paar heftige Regenschauer. Elektrischen Autopiloten gibt es nicht auf der Walkabout, deswegen sitzen wir am Steuerrad im Deckshaus. Ausguck draußen zeigt mal wieder Nichts. Also Tür zu, damit es nicht hineinregnet, gemütlich machen und den Kurs halten. Die Fensterscheiben und unsere Solar-Paneele werden schön sauber. Morgens früh zeigt sich eine dichte dunkle Wolken-Wand voraus, aber immer noch absolut kein Wind. Dafür gibt es kurz nach Sonnenaufgang einen kräftigen Regenbogen zu sehen, der sich weit über den Himmel spannt und im Meer endet. Langsam kräuseln sich die Wellen, und ein laues Lüftchen wird spürbar. Um 9.00 Uhr heißt es : Großsegel hoch. Dazu setzen wir die Fock am inneren Vorstag und die halbe Genua auf backbord, alles möglichst dicht. So schaffen wir es, mit 340°-350° einen halbwegs vernünftigen Kurs zu fahren. Wir haben schon wieder Wasser in der Backskiste. Woher kommt das ? Ruhige Bedingungen während der gesamten Fahrt, wir haben kein Seewasser übergenommen. Mögliche Erklärung : Eine undichte Stelle im Kühlwasser-System des Motors, ein Schlauch leckt oder Ähnliches. Unter Segeln ist kein Wasser eingedrungen, es kann also eigentlich nur mit der Maschine zusammenhängen. Im Moment ist das kein großes Problem, alle paar Stunden wird das Wasser aus der Bilge abgepumpt, solange der Motor läuft. Auf jeden Fall geht es demnächst auf die Suche nach der Ursache. Das Boots-Leben ist nicht langweilig. 😉
Am Nachmittag wird es etwas rumpeliger. Es bläst mit 4 Windstärken aus Nord-Nord-Ost, genau da wollen wir hin. Kurs hart am Wind, mehr als 320° schaffen wir nicht. Dabei sind wir eigentlich zu langsam, das Boot stampft sich immer wieder in die Wellen ein und wird aufgestoppt. Vorbei ist es mit der Gemütlichkeit. Sämtliche Segel-Kombinationen werden ausprobiert, rauf und runter, dicht oder weiter offen gefahren …. Optimal läuft das alles nicht. Abendessen gibt es diesmal nicht am Tisch, sondern die Suppe wird in einem hohen Plastikbehälter serviert und auf dem Schoß balanciert. Egal – trotzdem ein herrlicher Segeltag.

Der Wind nimmt während der Nacht zu – und kommt tatsächlich von vorne. Wir bekommen in den letzten Tagen also noch eins auf die Nase. Schon als ich um 4.00 Uhr früh geweckt werde, da fühlen sich die Schiffs-Bewegungen ganz anders an. Das Boot läuft unruhig und hopst manchmal in den kurzen Wellen. Aufstehen, Anziehen, Zähneputzen ….. klappt alles ohne blaue Flecken. Ich schaffe es sogar, mir meinen Morgenkaffee zu bereiten und mit der vollen Tasse in der Hand die Stufen vom Salon ins Deckshaus zu klettern, ohne einen Tropfen zu verschütten. Na, dann ist es ja gut, kann ja nicht so schlimm sein draußen !
Ein Frachter von 250 Meter Länge passiert in 5 Seemeilen Abstand. Ziel : Houston / USA. Hey – da wollen wir auch hin. Zunächst dieser Umweg über die Azoren, aber im Dezember sollten wir dort sein.
Immer noch sind wir 200 Seemeilen von Santa Maria entfernt, Geschwindigkeitsrekord wird das diesmal wieder nicht. Freitag Vormittag wechseln wir auf den anderen Bug, um in spitzem Winkel zurück zur Kurslinie zu kommen. Sofort werden wir deutlich schneller, das scheint die Schokoladenseite zu sein. Innen neigt sich jetzt alles, was nicht gesichert ist, nach rechts. Außen gurgelt es gleichmäßig an der Bordwand entlang, ein angenehmes Geräusch. Ein handiger Wind von 5-6 Beaufort treibt die Walkabout voran, allerdings nicht auf dem kürzesten Wege. Immer noch weht es kräftig aus Nord-Ost, und wir kreuzen in langen Schlägen gegenan. Kochen und Abwaschen werden zur besonderen Herausforderung. Aus der Toilette spritzt einem ein Schwall Wasser entgegen, wenn man den Deckel zum falschen Zeitpunkt öffnet. Das sind so die Feinheiten, an die wir uns erst wieder gewöhnen müssen. Wir segeln hart am Wind, und uns geht es gut dabei. Es macht so richtig Spaß, endlich wieder auf See zu sein. Wir lesen um die Wette. Thomas ist immer schneller als ich ( genau wie beim Essen 😉 ). Er schafft es, während einer Passage ungefähr doppelt so viele Bücher zu lesen. Die Windsteuer-Anlage quietscht. Gerade als ich mich achteraus beuge, um die Rollen zu schmieren, da bekomme ich eine unverhoffte Welle ins Kreuz. Kurzer Aufschrei meinerseits, denn ich stehe da nackt, so hat man an jedem einzelnen Tropfen Spaß. Das Wasser ist nicht wirklich kalt, aber die Dusche kommt unerwartet. Thomas steht derweil im Niedergang und lacht, dann sieht er zu, dass er schnell nach unten verschwindet. 😉 Uns geht es einfach phantastisch. Wir schlafen tief und fest, essen gut, haben viel Zeit miteinander oder auch alleine. Das Segel-Virus hat uns wieder gepackt. Wir möchten mehr, weiter, länger unterwegs sein. Den ganzen Tag über sind wir anscheinend alleine auf dem Ozean. Nur ein paar Seevögel lassen sich blicken.

Es ist merklich kühler geworden. Zum ersten Mal während dieser Reise beginne ich meine Morgenwache um 4.00 Uhr mit einer dünnen Jacke und Socken. Ein beißend fischiger Geruch liegt in der Luft. So riecht es in La Restinga, wenn man im Hafen zwischen den Fischerbooten schwimmt. Hier können es eigentlich nur Ausscheidungen vom Walfisch sein, die in einer großen Lache auf dem Meer treiben. Mit Kissen eingekeilt, Kaffeetasse und Kekse dabei, kauere ich mich in die Ecke beim Steuerrad. Eigentlich möchte ich noch gar nicht ankommen. Muss doch noch mein Buch zu Ende lesen, an Land komme ich nicht dazu. 😉
Immer noch Wolken und Wind voraus – stramm aus Nord. Wir bolzen Richtung Azoren. Es geht viel besser als erwartet, nur eben nicht schnell. Der Schiffsverkehr hat zugenommen. Das Leben an Bord ist etwas anstrengender geworden, aber immer noch schön. Die Wellen tragen weiße Schaumkronen. Herrlich, diese wilde Natur draußen, wenn man die Nase in den Wind hält ! Durchweg gute Laune – was will man mehr ?
Gegen 20.00 Uhr zeigt uns der Kartenplotter, dass sich ein großes Schiff von backbord nähert. Wir gucken uns die Augen aus, aber gegen die Sonne und in der aufgewühlten See sehen wir lange Zeit nichts. Eine halbe Stunde später zieht ein Frachter vorbei, sehr imposant mit 270 Meter Länge und in nur knapp 2 Seemeilen vor unserem Bug. Ich bin froh, dass ich diese Begegnung nicht im Dunkeln habe. Da wirkt es viel bedrohlicher, weil die Entfernung der Lichter schlecht einzuschätzen ist. Im Hellen gar kein Problem, dann sieht man sofort, ob das Treffen klar geht.

Wilder Ritt durch die Nacht ! Inzwischen haben wir ungünstige 7 Windstärken aus Nord-Ost. Wir knüppeln mit gerefftem Groß und der kleinen Fock gegenan. Eine Schlechtwetter-Front jagt die nächste. Links und rechts und achtern ist der Himmel sternenklar. Vor uns jedoch sieht man immer nur schwarze Wolkenwände, die Regen und heftige Böen in sich haben. Genau darauf fahren wir zu, das ist ja eigentlich auch Quatsch. 😉 Walkabout bekommt ordentlich Schläge, verhält sich dabei großartig und liegt stabil in den Wellen. Ich gehe erst gegen 1.00 Uhr in die Koje, weil wir uns das stürmische Treiben noch eine Weile gemeinsam anschauen und beraten. Eine Stunde später werde ich wach, weil mir kalt ist. Monatelang haben wir nur unter einem dünnen Laken gelegen und geschwitzt. Jetzt fröstele ich und denke darüber nach, die Bettdecken heraus zu holen. Das Klima ändert sich also tatsächlich. Um 3 Uhr früh werde ich nochmal unsanft aus dem Tiefschlaf gerissen, weil ich höre, wie Thomas die Bilge lenzt. Mitten in der Nacht und bei diesem Sauwetter ….. Was bedeutet das denn ? Muss ich mir jetzt Sorgen machen ? Auf jeden Fall fährt mir erstmal der Schreck in die Glieder, ich bin schlagartig hellwach. Durch die starke Schräglage und die Schlingerbewegungen hat sich das ganze Wasser aus dem Motorraum auf der Backbord-Seite gesammelt und platscht dort bereits von unten gegen die Bodenbretter. Nicht schön, aber auch kein Grund zur Beunruhigung. Das Salzwasser muss natürlich wieder raus, dann im Hafen gründlich mit Süßwasser gespült und wieder abgepumpt werden. In der zweiten Nachthälfte beruhigt sich der Zauber etwas, nur noch 5-6 Beaufort Grundwind mit Tendenz eher aus Osten.

Wachwechsel morgens um 8.00 Uhr. Wir fahren eine Wende, um uns mit dem nächsten Schlag weiter nach Osten zu arbeiten. Dabei entdeckt Thomas einen etwa 10 Zentimeter langen Riss im unteren Teil der Fock. Den habe ich vorher nicht bemerkt, es ist auch erst seit einer halben Stunde hell. Oder aber es ist gerade eben beim Manöver passiert …. egal. Das kann man mit Segel-Tape provisorisch reparieren, wenn es nicht noch schlimmer wird. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten : Abfallen auf einen schonenderen Kurs, einfach unser Ziel ändern und zunächst eine andere Azoren-Insel besuchen, die Fock ganz wegnehmen oder den unteren Teil einreffen. Während wir überlegen, was zu tun ist, da gibt es einen lauten Knall, und das Vorsegel ist entzwei, ein langer Riss geht quer hindurch. Das war’s dann, da gibt es jetzt nichts mehr zu flicken. Das Ding muss runter und ab in den Müll. Es ist schon ein Kreuz mit diesen alten Lappen. Ruhe werden wir damit wahrscheinlich erst haben, wenn alle Segel durch neue ersetzt sind. Viel ist nicht mehr übrig aus dem alten Bestand. Bei gemütlichen Kaffee-Fahrten mit leichten Winden wäre die alte Segel-Garderobe wahrscheinlich noch ein paar Jahre okay gewesen. Aber schonende Gangart liegt uns nicht so. Bei uns werden die Dinge beansprucht, das Material muss funktionieren und Einiges aushalten. Da gibt es natürlich auch Verluste – wir nennen das „natürliche Selektion“. Test nicht bestanden, also weg damit, ohne lange zu trauern. Wir setzen ein klitzekleines Stück der Genua zum gerefftem Groß, ändern den Kurs geringfügig und fahren damit sogar gemütlicher als vorher weiter. Der Kurs führt jetzt direkt nach Norden, Santa Maria liegt aber im Nord-Osten. Genau daher weht der Wind …..


Montag 21.00 Uhr Option andere Insel. Santa Maria befindet sich inzwischen mehr als querab. Die Entfernung zum Hafen beträgt weniger als 50 Seemeilen. Einen letzten Versuch unternehmen wir noch, mittels einer Wende auf den anderen Bug unser Ziel zu erreichen. Es scheint nicht besonders effektiv zu sein, denn wir fahren beinahe zurück und verschenken mühsam erkämpfte Seemeilen. So wird das noch ewig dauern, wenn wir weiterhin unsere Haken schlagen und dabei die 3-fache Strecke zurücklegen. Für uns bleibt diese kleine Insel scheinbar unerreichbar, denn der stramme Nord-Ost bleibt uns beständig erhalten, er soll sogar noch weiter zunehmen. Wir haben keine Lust mehr, gegen den Wind zu bolzen. Es geht doch so viel einfacher, wenn wir den Kurs ändern. Dann fahren wir eben woanders hin. De Azorengruppe hat 9 bewohnte Inseln zu bieten. Vorerst stellen wir Segel und die Windsteuerung Richtung Faial ein. Aber eigentlich ist es auch völlig egal, welche Insel wir zuerst besuchen. Mal sehen, wohin der Wind uns bringen wird. Zunächst genießen wir die Ruhe an Bord. Der Wind scheint nicht mehr so wütend zu sein, die Wellen kommen von hinten. Das Leben auf der Walkabout wird nach dem Kurswechsel viel gemütlicher. Trotzdem bin ich etwas enttäuscht. Adé, Blues-Festival. 🙁 Ich habe noch ein Weilchen daran zu knabbern, dass wir unser Wunschziel nicht ansteuern können. In meinem Sturkopf sind „Aufgeben“ oder „Umkehren“ eigentlich nicht vorgesehen. Aber die Vernunft siegt. Man wird ja älter und weiser 😉 . Santa Maria dann eben ein anderes Mal, Marita und Erik laufen uns nicht weg.

Steuerbord von uns liegt der Lichterschein von Sáo Miguel, der größten Insel des Archipels. Unser AIS zeigt ein Signal dicht hinter uns. Ein kleines Schiff, Kurslinie exakt wie unsere, läuft zwischen 5 und 6 Knoten, also wahrscheinlich ein Segler. Das könnte die Pitch-Kin-Dim sein, die auf dem Trockendock in La Restinga neben uns gestanden hat. Wir wissen, dass die schwedische Yacht heute von Santa Maria losgefahren ist, um nach Faial zu segeln. Das Boot bleibt die ganze Nacht in unserer Nähe, immer ungefähr mit einer halben Seemeile Abstand parallel zur Walkabout. Anscheinend haben die uns auch gesehen. Thomas versucht, sie anzufunken, bekommt aber keine Antwort. Vielleicht segeln wir ja gemeinsam nach Faial, der Kurs liegt gut an.
Endlich sind wieder Tiere zu beobachten, seit wir zwischen den Inseln der Azoren-Gruppe segeln. Am späten Vormittag begleitet uns eine große Anzahl von Delfinen. Sie schwimmen ganz nahe neben dem Boot und spielen mit der Walkabout. Hellgrau mit weißem Bauch, relativ klein und schlank. Es gibt mehr als 40 Arten von Delfinen, diese können wir nicht genau identifizieren. Gelbschnabel-Sturmtaucher fliegen um uns herum, tauchen ins Wasser und steigen mit Beute im Schnabel wieder auf. Achtern am Heck ist die Rolle mit unserer Schleppleine montiert. So langsam kehrt der Appetit auf „richtiges Essen“ zurück. Funkkontakt mit Lars von der Pitch-Kin-Dim um 13.00 Uhr. Himmel bedeckt, leichter Regen, das soll uns wohl die nächste Zeit begleiten. Dieser Kurs ist der richtige. Wind aus Ost, unser neues Ziel liegt im Nord-Westen. 190 Seemeilen Distanz, seit wir auf Höhe von Santa Maria abgebogen sind. Wunderbares Segeln mit Wind von hinten. Einziger Nachteil : Walkabout rollt von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Nudeln und Reis klappern in ihren Plastikeimern lustig vor sich hin, sogar das Tackern der Schrauben in den Sortierkasten stört die Stille. Nur mit der Genua auf backbord geht es schnell und schonend in Richtung Faial. Wahrscheinlich müssen wir zum Ende des Tages sogar bremsen, damit wir nicht bei Nacht in den Hafen von Horta einlaufen.
Gegen 20.00 Uhr stehen wir etwa 30 Seemeilen süd-östlich der Insel Pico und wenden auf Steuerbord-Bug, damit wir nicht „über Land“ fahren. Kurz vor Mitternacht kommt uns ein Frachter entgegen. Das Ding ist laut AIS 200 Meter lang und passiert in nur 1,5 Seemeilen Abstand. Ein helles Licht ganz vorne, eine Leuchte am Heck, dazwischen nichts,  nur dunkel. Die Farben der Positionslichter sind nicht zu erkennen. Sieht ziemlich gruselig aus und viel näher, als es in Wirklichkeit ist. Kühl ist es in unserer vorerst letzten Nacht auf See. Wir brauchen Pullover und Wolldecke während der Nachtwache, damit es gemütlich bleibt. Die Orientierung ist ganz leicht, wir folgen einer langen Kette von Lichtern. In ausreichendem Abstand geht es parallel zur Küste an der Südseite der Insel Pico entlang. Mit Beginn der Morgendämmerung ändern wir ein letztes Mal den Kurs und segeln im Hellen das letzte Stück Richtung Hafen. Die Spitze des Pico ragt scharf aus den Wolken hervor. Der höchste Berg Portugals sieht sehr beeindruckend aus und möchte vermutlich bestiegen werden. Noch einmal tauchen Delfine neben unserem Boot auf, dunkelgrau und kräftig. Große Tümmler vermuten wir, die werden bis zu 4 Meter lang und 300 Kilo schwer. Tolles Begrüßungs-Komitee ! 🙂

Ich drehe ungefähr 5 Ehrenrunden zwischen ankernden Yachten im Vorhafen der Marina Horta, bis endlich eine Sprechfunk-Verbindung zustande kommt. Leider gibt es keinen Quarantäne-Steg für ankommende Segler. Wir müssen im Vorhafen ankern. Das ist blöd, auf jeden Fall ein bisschen lästig. Für diesen kleinen Ärger entschädigt ein warmes Willkommen durch einen jungen Mann, der mit weißem Schutzanzug gekleidet im Dingi längsseits geht. Er versteht sich als Dienstleister und bietet seine Hilfe an, ob Einkauf, Liefer-Service oder was auch immer. Natürlich gratis, einfach nur so aus Gastfreundschaft. Zitat : “ Horta ist der beste Hafen der Welt“. Der notwendige PCR-Test wird leider erst morgen durchgeführt. Das Ergebnis kann bis zu 48 Stunden dauern. Erst bei negativem Resultat bekommen wir einen Liegeplatz am Steg und dürfen an Land. Bis dahin müssen wir an Bord der Walkabout ausharren. Statt warmer Dusche gibt es also nur ein Bad im Vorhafen mit anschließender Süßwasser-Spülung an Deck. Unseren gesammelten Müll werden wir noch nicht los, die Schmutzwäsche muss noch ein paar Tage länger schmutzig bleiben. Essen und Trinken haben wir genug, nur leider nichts Frisches mehr. Die Leckerchen sind ausgegangen, aber dafür schmeckt es dann in ein paar Tagen umso besser. Da wird der Supermarkt-Besuch zum Fest. 🙂

Direkter Weg von Tazacorte bis nach Santa Maria wären ca. 700 Seemeilen gewesen. Wir haben etwas mehr daraus gemacht, weil wir gerne segeln. Sind schon in unserem früheren Leben an einem freien Tag mal eben zwei Inseln weiter bis nach Langeoog zum Pipimachen und gleich wieder zurück. Oder mit Njörd rund Norderney ohne Landgang, einfach nur so zum Spaß. Die zurückgelegte Strecke entspricht etwa einem Drittel der Passage, die wir im November Richtung USA vor uns haben. Ein guter Test, der bewiesen hat, dass wir mit unseren Verbesserungen auf dem richtigen Weg sind. Es hat sich alles bewährt, was wir inzwischen eingerichtet bzw. schon mehrmals verändert haben. Wir sind sehr zufrieden. Inzwischen haben wir die 6000- Seemeilen-Marke mit diesem Boot überschritten. Mit der kleinen blauen Walkabout hatten wir von 2011 bis 2017 mehr als 25000 Seemeilen zurückgelegt. Da müssen wir jetzt wohl noch ein paar Jahre tüchtig segeln ! 😉 Pläne haben wir genug im Kopf, Auslands-Krankenversicherung gerade neu für die nächsten 5 Jahre abgeschlossen. Segeln und Wandern im Wechsel, so soll es weitergehen.

2 Kommentare zu “Kanaren zu den Azoren – 1083,6 Seemeilen

  1. Steinfisch

    Nach den tragischen Nachrichten der Naturkatastrophe in Deutschland ist euer Reisebericht für mich eine große Sonntagsfreude! Herzlichen Dank dafür!

    Weiterhin alles Gute wünscht euch Ingrid

    1. 871385 Autor des Beitrags

      Danke, liebe Ingrid.
      Ja, das ist wirklich tragisch mit den Hochwasser-Opfern. Wir können zwar keine Nachrichten sehen, aber natürlich verfolgen wir das Welt-Geschehen per Internet.
      Thomas sagt, ich schreibe zu viel und zu ausführlich. 😉 Aber sehr gerne, und ich freue mich, wenn es dir gefällt.

      Herzliche Grüße aus Horta !