Loslassen vom Hotel fällt ( besonders mir ) immer schwer. Aber genug ausgeruht. Bis zum Mittag genießen wir den Luxus von Internet, Fernseher und Kaffee, der ständig nachgefüllt wird. Wir brauchen noch eine neue Gas-Kartusche aus dem Camping-Laden, dann ein letztes Mal durch den Supermarkt. Der Weg zurück zum Florida-Trail beginnt mit einem hässlichen Gang entlang des Highway. Es dauert vier Stunden, bis wir aus der Stadt bzw. den Vororten heraus sind. Kein Trail, sondern Straße und ausnahmslos durch schicke Wohngebiete. Die Krönung bildet eine Baustelle entlang der Autobahn, auf der wir am Rande gegen den Strom laufen. Feierabend-Verkehr, Rush Hour, Stau …. Einmal mehr stellen wir fest, dass wir nie irgendwo leben möchten, wo man auf ein Auto angewiesen ist. Wir lernen ein neues Verkehrsschild kennen : Bären kreuzen die Straße. 🙂 Tatsächlich soll es in dieser Region eine hohe Konzentration von Schwarzbären geben.
Um 18.00 Uhr können wir endlich wieder in die Natur eintauchen. Wir erreichen Seminole State Forest. Dort am Eingang lesen wir auf einem Schild, dass am Wochenende hier lustige Jagd-Spiele abgehalten werden. Glück gehabt, heute ist Donnerstag. Wir nehmen gleich zu Beginn an einem Teich volle Ladung Wasser und laufen eine halbe Stunde weiter. Ziel ist die Shelter, allerdings brennt dort ein Lagerfeuer. Zwei Frauen, Mutter und Tochter, haben sich bereits gut eingerichtet. Egal, wir zelten sowieso lieber, und Platz genug ist auf der Wiese hinter der Hütte. Nur knapp 20 Kilometer gemacht, aber als ersten „richtigen“ Lauftag zählen wir immer erst, wenn wir morgens auf dem Trail aufwachen.
Das Feuer vor der Shelter brennt schon wieder, als wir uns früh morgens verabschieden. Die beiden Damen sitzen dick vermummt mit Daunenjacke, Mütze, Schal und Handschuhen drum herum. Thomas startet mit kurzer Hose und T-Shirt. Ein schöner Weg, heute fast ausnahmslos durch’s Grüne. Nicht spektakulär, eher ein bisschen langweilig. Trotzdem genießen wir es, die Autos nur in großer Entfernung zu hören. Ein einziges Mal müssen wir eine vielbefahrenen Straße überqueren, sonst laufen wir auf einsamen Schotterweg oder im Wald. Zahlreiche Bären-Spuren, und die sehen eher nach ausgewachsenen Exemplaren aus. Schreckt uns nicht besonders, denn wir kochen nicht am Zelt und hängen unseren Proviantbeutel grundsätzlich immer draußen auf. Ein Wasser-Depot kommt wie gerufen, da wir an den letzten beiden Teichen naserümpfend vorbei sind. Zwei volle Kanister Wasser stehen noch da, so dass wir genug trinken und auch noch einen Liter mitnehmen können. Einmal verfransen wir uns, weil wir besonders schlau sein wollen. Müssen umkehren und einen Kilometer zurück. Kurz darauf nochmal dasselbe, wieder falsch gelaufen. Vielleicht sollten wir einfach nur den Markierungen folgen. 😉 Wir passieren einen interessanten Tunnel neben einem Wohnhaus. Jemand hat Spaß daran gehabt, einen Unterstand für die durchlaufenden Wanderer zu bauen. Es gibt drei Klappstühle, eine Mülltonne, Wasser, Küchenrolle, Desinfektionstücher, darüber ein Dach aus Palmwedeln und noch zusätzlich mit Plane abgedeckt. Schilder sagen „Herzlich willkommen“ und „Mach mal Pause“, natürlich auf englisch. 😉 Wir sind gerade nicht dran mit Ausruhen, aber bei Regen wäre das eine ganz tolle Option.
Weiter geht es über eine Sandpiste. Ganz deutlich sind die Pfoten-Abdrücke von Bären zu erkennen. An einem großen Anwesen der Boy Scouts verlassen wir den Wald. An einer Art Rezeption wartet eine streng aussehende Dame auf die Anmeldungen der kleinen Pfadfinder. Uns kommen mehr als ein Dutzend dicker Familienkutschen entgegen. Freitag abends gegen 18.00 Uhr werden die Sprösslinge anscheinend zum Wochenend-Spaß im Pfadfinder-Camp abgegeben. Paisley, ein 500-Seelen-Dorf, liegt fast auf dem Trail. Der Abstecher lohnt sich auf jeden Fall. Eine gute Pizzeria ist die erste Anlaufstelle, danach kaufen wir Lebensmittel für zwei weitere Tage ein. Im Laden lächelt mich ein alter Mann so herzlich an, dass die Sonne aufgeht. 🙂 Der sieht ähnlich heruntergekommen aus wie wir, in Deutschland würde man ihn für einen Obdachlosen halten. Aber weit gefehlt, er hat sogar ein Auto. Im Dunkeln verlassen wir den Ort, neben uns hält ein Wagen, und der alte Herr fragt aus dem Fenster heraus, ob er uns mitnehmen kann. Wir lehnen dankend ab. Ja, wohin denn auch ? Wir möchten nur ein bisschen Abstand zu den Häusern und suchen uns dann einen Platz im Wald. Es soll sehr kalt werden am Wochenende.
Während der Nacht wurde in unserem Waldgebiet geschossen. Das Geballer ganz in der Nähe macht mich ein bisschen nervös. Aber dann erscheint es mir doch sehr unwahrscheinlich, dass ein Jäger auf unser Zelt in Tarnfarben schießt. Eigentlich sind wir kaum zu erkennen im Unterholz, solange wir nicht draußen herumlaufen. Irgendwann hören die Schüsse auf, es kehrt wieder Ruhe ein. Morgens früh kann man unsere Atemwolken sehen. Der Himmel ist gritzegrau. Keine Moskitos – die sind wohl alle erfroren oder haben sich sehr tief in ihre Löcher verkrochen. Wir haben unser Zelt gestern im Dunkeln direkt neben dem Weg aufgestellt. Ein Wanderer läuft vorbei und ruft uns zu : „Happy Trails !“ Das Wasser für den Kaffee braucht ewig, bis es heiß ist. Tiefst-Temperatur 2° Celsius, das ist schon ungewöhnlich kalt, aber zum Laufen genau richtig. Es graupelt ein bisschen, jedoch nicht genug, um nass zu werden. Unser erster Tag im Ocala Forest ist ausgesprochen schön. Abwechselnd wandern wir auf weichem Laub, Sandboden oder Kiefernnadeln. Dazwischen gibt es immer mal wieder längere Passagen auf Bretterstegen. Schief und krumm, dafür passen sie sich perfekt an die Natur an. Alles auf dem Trail, was neu aussieht oder von Menschenhand bearbeitet ist, stört eher als dass es nützt. Nur ein einziges Mal müssen wir eine große Straße überqueren. Dort stehen einige Wasser-Kanister, leider sind alle leer. Macht nichts, es ist sowieso zu kalt zum Trinken. Heute genießen wir die unverfälschte Natur im Ocala Forest. Uns gefällt es sehr gut. 🙂 Gegen Mittag kommt uns der Wanderer von heute früh noch einmal entgegen. Stramme Leistung, wir treffen ihn nach etwa 8 Meilen, sein Spaziergang muss also mindestens 25 Kilometer lang sein. Wir unterhalten uns eine ganze Weile, denn „Ashes“ ist auch schon auf dem AT gelaufen. Eine Stunde später spricht uns ein junger Mann an, der ebenfalls sehr interessiert ist an unseren Long-Trails. Stehenbleiben und nochmal quatschen, obwohl es dafür eigentlich zu frisch ist. Die Mittagspause fällt aufgrund der Temperatur sehr kurz aus. Wir laufen den ganzen Tag mit Daunenjacken und Handschuhen bzw. dicken Socken über den Händen. Eine ganz besondere Libelle sitzt an einem frisch gefällten Baumstamm. Sie ist groß und schwarz und hat zwei völlig symmetrische Flügelpaare, sehr filigran und hübsch. Das Insekt lebt noch, bewegt sich aber keinen Millimeter, ist wahrscheinlich auch in Kältestarre gefallen.
Am Farles Lake gibt es eine Wasserpumpe , doch die wurde leider außer Betrieb genommen. Ein Auto hält an, während wir mit unseren leeren Flaschen, Tasse und Wasserfilter zum Ufer gehen. Zwei junge Paare steigen aus und bieten uns Trinkwasser sowie eine Flasche Energy-Drink an. Fein. 🙂 Das reicht natürlich nicht, zum Kochen und für den Morgen-Kaffee holen wir trotzdem noch Wasser aus dem See. Nette Leute, aber für mehr als ein kurzes Gespräch ist es zu kalt. Sie steigen wieder ein und fahren weg, wir belagern einen Picknick-Tisch. Roter Vogel im Baum neben uns, er leuchtet auffällig durch das Grün. So einen haben wir noch nie gesehen …. Kochen, Essen und Abspülen dauern knapp eine Stunde, danach sind wir beinahe eingefroren. Wir marschieren noch drei Kilometer weiter um den See und bauen in Windeseile unser Zelt auf. Um 18.30 Uhr liegen wir im Schlafsack. Kältester und bester Tag bisher auf dem Florida-Trail. 🙂
Aufstehen kostet etwas Überwindung. Die Nacht-Temperaturen sind bis unter den Gefrierpunkt gefallen. Bedeutet für uns, dass wir schnell unterwegs sind und wenig Pausen machen. Der Wald wird ein bisschen dichter. Keine Markierungen, aber ein klarer Pfad, richtig naturbelassen. Wir laufen durch eine Allee von Orangen-Bäumen. Die wachsen hier einfach wild am Wegesrand und sind reif zum Ernten. Weißer Sand mit Blätterwerk durchmischt, richtig schön zu laufen. Das Besondere am Ocala Forest ist, dass es sogar ein bisschen auf und nieder geht. Bisher war es nur flach und langweilig in Florida. Heute kann man das Gelände beinahe „hügelig“ nennen. Auf jeden Fall ist der Trail auf dieser Etappe sehr abwechslungsreich. Und wir sind schon deutlich länger als sonst in der Natur. Die nahen Straßen hört man allerdings trotzdem, ebenso die penetranten Schüsse der Sonntags-Jäger. Wir müssen die SR40 überqueren. In unserem Handsbuch steht ganz deutlich : „Gefahr !“ Auf der anderen Seite beim Eingang zum Trail gibt es ein großes Alarm-Schild. Hier wird ausdrücklich vor Bären-Aktivitäten gewarnt. Spuren sehen wir überall entlang des Weges, aber es hat sich uns noch kein Bär gezeigt. Überhaupt scheinen sich die Tiere des Waldes wegen der aktuellen Kältewelle zurückgezogen zu haben. Noch nicht einmal die Eichhörnchen, die sonst munter von Baum zu Baum hüpfen, sind zu sehen. Mittags geht es in die Juniper Prärie Wilderness.
Ein zitronengelber Vogel liegt tot auf dem Weg. Laien-Diagnose : Erfroren. 🙁 Die sind sonst 20° mehr gewohnt. In unserer Mittagspause sitze ich im Schlafsack auf dem Boden. Wir trinken heißen Kakao. Das Wasser dafür kommt aus dem Bach „Whispering Creek“. Es ist hellbraun wie Tee. Unser Sawyer-Wasserfilter ist leider kaputt. Kurz nacheinander sehen wir zwei blaue Vögel. Die sind genauso blau wie der gestrige Vogel knallrot war. Und wir entdecken ein merkwürdiges Insekt, eigentlich sind es sogar zwei übereinander : Streifen-Stabheuschrecken. Das erwachsene Weibchen hat eine Körperlänge von 7 bis 8 Zentimetern. Die Männchen sind mit ungefähr 4 Zentimetern deutlich kleiner. Die männlichen Stab-Heuschrecken begatten nur ein einziges Weibchen, von dem sie sich dann den Rest ihres Lebens herumtragen lassen. Witzige Einfälle hat die Natur ! 😉 Im Laufe des Tages sehen wir gleich drei solcher Doppel-Packs auf dem Trail.
Total zerzauste Bäume säumen unseren Weg. Oft müssen wir uns ducken, um unter den gebogenen Stämmen hindurch zu turnen. Unser Ziel für’s Abendessen ist ein großer gebührenpflichtiger Campingplatz. Dorthin führt eine Sandpiste, die ebenfalls gesäumt ist mit windschiefen Bäumen. Wie durch ein Spalier laufen wir unter diesen Bögen hindurch. Das letzte Sonnenlicht scheint hindurch und erzeugt eine tolle Stimmung.
Zunächst füllen wir unsere Flaschen an einer Pumpe und wundern uns über die Schilder. Kein Trinkwasser. Spülen ist verboten, man darf sich auch nicht waschen. Ja, wofür soll denn dann dieses Wasser gut sein ? Zum Blumengießen ? 😉 Wir nehmen es natürlich trotzdem, denn wir haben Tropfen zum Behandeln. An einem Picknick-Tisch breiten wir unseren Kocher und den Proviant aus. Nebenan auf der Parzelle wohnen nette Leute. Der Mann hat sofort erkannt, dass wir zu Fuß ankommen und fragt, ob er uns etwas gesundes Essen schenken darf. Na, klar, sehr gerne. Wir haben doch immer Hunger. 😉 Nach ein paar Minuten kommt er zu uns an den Tisch mit einer großen Tüte Walnüssen, Cashew-Kernen, selbst getrockneten Apfelscheiben und einer Tafel Nuss-Schokolade. Das ist ja der Wahnsinn ! Wir freuen uns riesig über die leckeren Extra-Kalorien. Wir unterhalten uns eine Weile und erfahren, dass der Mann schon 70 ist und seit zwei Wochen mit seiner Frau im Zelt wohnt. Vogel-Beobachtung ist sein großes Hobby, deswegen kann er uns auch ohne zu zögern die Namen der farbigen Vögel nennen. Roter Kardinal und Blau-Häher. Später kommt unser Nachbar noch einmal herüber und schenkt uns ein ganzes Dreieck Parmesan-Käse. Einfach nur so. Für uns ist es wie Weihnachten. Trail Magic vom Feinsten. 🙂 Wir laufen noch ein Stündchen weiter durch die Hopkins Prärie. Es ist wieder bitterkalt, so dass wir eigentlich auf einen geschützten Platz zwischen Bäumen hoffen. Finden wir aber leider nicht, denn der Pfad führt immer um einen See herum, ziemlich offen. Nun ja, im Dunkeln muss man einfach nehmen, was man bekommen kann. Wir sind richtig begeistert vom Ocala Forest. Zweiter Tag in Folge : Daumen hoch ! 🙂
Nachts jaulen die Kojoten lange und laut. Es muss ein ganzes Rudel sein, das da den Mond anheult. Kälter darf es nicht werden, dann ist unsere Ausrüstung nicht mehr gut genug. Das Wasser in unseren Flaschen ist gefroren. Eine dünne Eis-Schicht bedeckt das Zelt. Wir bleiben etwas länger liegen als gewöhnlich. Es tropft von oben, als es anfängt zu tauen. Nicht gemütlich, also auf und los. Der Pfad führt immer weiter durch das Seen-Gebiet, immer am Waldrand entlang. Zwei Rehe stehen völlig bewegungslos nur wenige Meter entfernt, eine Mutter mit ihrem Kitz. Die beiden sind kaum auszumachen, so gut getarnt. Das Fell hat die goldgelbe Farbe der Prärie, und das Gras reicht höher als ihre Köpfe. Uns kommt ein älterer Wandersmann entgegen, der nach vielen Meilen auf Long-Trails aussieht. „Pop-Tart“ ist schon auf allen bekannten Trails in den USA gelaufen, aber nie von Anfang bis Ende. Er sucht sich immer nur die Sahne-Stückchen zur richtigen Jahreszeit aus. Nach 5 Kilometern erreichen wir einen Abzweiger nach Salt Springs. Weitere 5 Kilometer, dann haben wir das Dorf erreicht, wo wir unseren Proviant aufstocken möchten. Spätes Frühstück oder frühes Mittagessen in einem gutbürgerlichen Restaurant, wo die Einheimischen essen gehen. Gut und günstig. Ganz nebenbei können wir unsere Elektro-Geräte an der Steckdose laden. Der Weg hinaus aus dem Ort entpuppt sich als unerwartet schön. Hübsche Häuser, sehr individuell angemalt, bunte Briefkästen, originelle Deko. Liebevoll gepflegte Gärten mit prächtigen Pflanzen, Kinder-Spielgeräten, ein paar entspannte Hunde. Das Ganze nicht zu protzig, angenehme Wohlfühl-Atmosphäre. Das Wohngebiet ist direkt an einem See gelegen. Hölzerne Bootsstege, Seerosen und flanierende Kraniche runden die Idylle ab. Der Sandhill Crane, ein weißer Kranich mit auffallend rotem Kopf, ist weit vertreten. Wir sehen die großen stolzen Vögel immer nur als Paar, es scheinen treue Seelen zu sein. Der Kanada-Kranich lebt monogam.
Unser Abstecher nach Salt Springs hat sich gelohnt, aber wir verschwinden auch gerne wieder in den Wald. Die Sonne wagt sich hervor und wärmt ein bisschen, zumindest da, wo die Strahlen hinkommen. Eine Schlange hat sich ziemlich weit hervorgewagt und liegt mitten auf dem Trail. Hübsches Tier, grau-weiß mit schwarzen Flecken. Sie scheint nicht besonders agil zu sein, wahrscheinlich sind die Temperaturen nicht optimal. Ein komischer Wurm-Fortsatz an der Schwanzspitze bewegt sich hektisch, sonst zeigt sie keine Regung. So etwas haben wir noch nie gesehen. Wir vermuten, dass es ein Trick der Natur ist, damit Fressfeinde getäuscht werden. Beim nächsten Internet-Zugang sind wir schlauer : Zwerg-Klapperschlange, ausschließlich im Süd-Osten der USA heimisch. Klein, nur etwa 50 Zentimeter lang, aber giftig. Der gelbe Auswuchs am Hinterteil ist eine kleine Schwanz-Rassel.
Kurz vor der Feierabend-Zeit zweigt ein Camping-Gelände für Wohnmobile und Wochenend-Urlauber neben unserer Spur ab. Wir möchten das auschecken und hoffen, dass wir dort Wasser bekommen. Die erste Familie versteht nicht so richtig, worum es uns geht. Die sitzen ums Lagerfeuer herum und spielen mit einem Skorpion. Ob es auf dem Gelände eine Wasserpumpe gibt, das wissen sie nicht. Sehr merkwürdig. Dann treffen wir ein Ehepaar mit einem sehr freundlichen Hund. Wir kommen ins Gespräch, fragen nach Wasser und bekommen sofort unsere Flaschen gefüllt. Alle sind mit dem Auto hier, entweder mit dickem Reisemobil oder PKW mit Wohnwagen, jeder hat Trinkwasser in großen Mengen dabei. Wir sind froh, denn so müssen wir nicht abends noch zum See hinunter. Kaum wieder zurück auf dem Trail, da beginnt ein ausgebranntes Gebiet. Der Untergrund ist schwarz von Ruß. Das Feuer muss ungefähr ein Jahr her sein, denn es sprießt schon wieder zartes Grün. In dieser trostlosen Umgebung möchten wir unser Zelt nicht aufstellen, zumal die Überreste der Bäume überhaupt keinen Schutz bieten. Wir marschieren schnellen Schrittes noch eine Stunde weiter, bis wir einen Platz mit Sand und Kiefernnadeln finden. Der Wetterbericht für die nächste Woche ist grottenschlecht. Morgen sind bis zu 90 % Regen-Wahrscheinlichkeit angesagt, Nachtfrost und bis Minus 7° Celsius am nächsten Wochenende. 🙁
Während der Nacht fängt es an zu regnen. Thomas legt von außen einen Poncho über das Zelt. Beides ist alt und nicht mehr wasserdicht, aber in Kombination wird es uns eine Weile trocken halten. Aufstehen und Start bei leichtem Regen, aber wir sind gut vorbereitet. Haben unsere Unterlagen gründlich studiert und eine Schutzhütte entdeckt, die eigentlich zu weit entfernt liegt. Kaum realistisch, dass wir es bis dorthin schaffen, aber wir wollen es versuchen. Der Ocala Forest ist gleichbleibend schön, leider sind wir bald durch. Nach zwei Stunden erreichen wir einen Staudamm und die Rodman Recreation Area. Das ist ein Naherholungs-Gebiet, wo sich viele Angler vergnügen. Für uns ein sehr willkommener Pausenplatz mit Picknick-Tischen, Toilette, fließend Wasser und Mülltonnen. Danach ist erstmal Ende mit Wald. Unser Weg führt nun über einen hohen Deich, immer geradeaus, einfach zu laufen. Am Nachmittag stehen wir vor einem hohen Gitterzaun, es ist alles verriegelt und verrammelt. Dort müssen wir eine Schleuse passieren, um auf die andere Seite des Kanals zu gelangen. Die „Buckmann Lock“ kommt uns vor wie ein Hochsicherheits-Trakt. Es gibt mehrere Tore im Gitter, die mit dicken Ketten und Vorhängeschlössern versperrt sind. Überall verwirrende Schilder, die wir nicht unbedingt verstehen. An einem Gitter hängt eine Kuhglocke zum Läuten, allerdings so leise, dass das Geräusch kaum wahrzunehmen ist. An anderer Stelle ist eine Klingel montiert, die nicht funktioniert. Wir kommen uns ziemlich blöd vor, aber wir finden den Trick einfach nicht, wie man eingelassen wird. Außerdem hat die Schleuse nur bis 15.00 Uhr Betriebszeit. Wir sind noch nicht zu spät ( Zufall ! ), denn es ist gerade 14.30 Uhr. In unserer App auf dem Handy finden wir die Telefonnummer des Schleusenwärters. Der muss uns ja eigentlich schon lange gesehen haben, denn wir sind den Gitterzaun bereits in beide Richtungen abgegangen, ohne einen Durchgang zu finden. Der Schleusenwärters fragt als erstes, ob wir Mitglieder in der Florida Trail Assoziation sind. Ja, sind wir. Durchgang anscheinend nur für Mitglieder. Dann erzählt er uns, wir sollen zum Doppeltor nach Westen gehen, einen Zahlencode eingeben und „Sesam öffne dich“. Okay, es klappt, wir sind endlich drin und gehen durch. Der Schleusenwärter macht Feierabend. Auf der anderen Seite gibt es überdachte Picknick-Tische, die bei diesem feuchten Wetter erneut zur Pause einladen. Wir lernen „Mischa“ kennen, der in der anderen Richtung unterwegs ist. Demnächst möchte er auf den AT. Mischa hat die deutsche Sprache studiert, außerdem kann er russisch. Er gibt uns einen guten Ratschlag für das vor uns liegende Stück. Der Weg, den er gekommen ist, liegt aufgrund des Regens knöcheltief unter Wasser. Mischa hat eine andere Route gefunden, auf der die Füße trocken bleiben. Wir sind froh über den Tipp, denn nasse Schuhe bei niedrigen Temperaturen sind wirklich unangenehm. Inzwischen haben wir uns wegen der Wetterlage dazu entschieden, dass wir es bis zur Schutzhütte schaffen wollen. Um 17.00 Uhr haben wir immer noch 10 Kilometer vor uns. Es regnet und ist kalt, deswegen laufen wir nur noch, so schnell wir können. Einmal müssen wir eine vierspurige Schnellstraße überqueren, die SR20. Sehr viel Verkehr, gefährlich, so steht es in unserem Buch. Es dauert ziemlich lange, bis wir eine Lücke im fließenden Verkehr finden, um auf die andere Seite zu rennen. Die letzten beiden Stunden des Tages komme ich ordentlich ins Jammern. Füße tun weh, mein rechter Knöchel schmerzt, die Schultern sind total verspannt. Zwei Stunden im Dunkeln, und gerade die haben es in sich. Es raschelt seitlich im Gebüsch. Wir schrecken ein Gürteltier auf, das offensichtlich abends auf Nahrungssuche ist. Sein Panzer leuchtet silbern, als wir es mit unserer Taschenlampe anleuchten. Der Pfad im Wald wird immer schmaler und läuft auf Bretterstege zu. Vor uns liegt ein tiefer Sumpf und ein Boardwalk, der uns ewig lang vorkommt. Zwei etwa 10 Zentimeter breite Holzbretter nebeneinander genagelt, darüber ist Gitterdraht gespannt wegen der Rutschgefahr. Auf der rechten Seite gibt es ein primitives Geländer, nur ein Holzbalken, an dem man sich festhalten kann. Dieser Boardwalk scheint nicht aufzuhören, tatsächlich hat er aber nur etwa einen Kilometer Länge. „Hoffman’s Crossing“ ist das schwierigste und technisch anspruchsvollste Stück bisher auf dem Florida-Trail, da sind wir uns einig. Wir machen es im Dunkeln, mit Regen, auf glitschigem Holz, mit Taschenlampe in der Hand, nachdem wir schon 9 Stunden auf den Beinen sind. Das Timing hätte wirklich etwas besser sein können. Bin froh, als wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben, obwohl auch der rutschig und mit Baumwurzeln durchsetzt ist. Einmal verlaufen wir uns kurz, müssen ein kleines Stückchen zurück. Immer noch auf der Suche nach dem Abzweiger, der zur Schutzhütte führt. Wir sind dran vorbei gelaufen, der wäre schon bei Tageslicht kaum zu sehen. Es geht über eine versteckte Brücke, total morsch, vier Bohlen fehlen. Noch gut ein weiterer Kilometer Umweg über eine Spur, die sich durch den Urwald windet und kaum als solche zu erkennen ist. Sehr schmal, alles zugewachsen, verregnet, matschig. Endlich entdecken wir das Shelter-Zeichen und erreichen 10 Minuten später die Hütte. 20.00 Uhr, wir sind total alle. Mein Knöchel ist angeschwollen und leicht blau. Knapp 40 Kilometer, davon die letzten 4,5 Stunden ohne Pause. Aber wir sind froh, dass wir es geschafft haben. Und wir sind alleine, können es uns also richtig gemütlich machen. Die Schutzhütte nennt sich „Rice Creek Hilton“. Unten befindet sich ein Raum mit Tisch und Bänken, dort wird ausgepackt und gegessen. Eine Holzleiter führt hoch in den Spitzboden, wo geschlafen wird. Noch während der Abendmahlzeit fängt es heftigst an zu regnen und hört auch die nächsten Stunden nicht mehr auf. Was für ein Glücksgefühl !
Die ganze Nacht hindurch hat es auf das Blechdach unserer Hütte geprasselt. Bei diesem Starkregen wären wir binnen zwei Stunden mit unserem Zelt abgesoffen. Total gemütlich ist es auf dem Dachboden, lange nicht so eine ruhige und warme Nacht gehabt. Also war es wohl die richtige Entscheidung, sich bis in den späten Abend zu quälen. Aber doch ein bisschen zu viel. Es rächt sich, denn mein Knöchel schmerzt immer noch beim Auftreten. Auch Thomas ist nicht ganz gut dabei, ihn zwickt es in der Wade. Wir verlassen unser gemütliches Heim erst gegen 10.30 Uhr. Der Wald ist nass. Wir sind trocken. Zunächst geht es genauso weiter, wie es gestern aufgehört hat. Matschig, glatt, rutschig, Wurzeln und Baumstümpfe auf dem Weg. Nur eine halbe Stunde, dann treten wir aus dem Wald heraus und folgen viele Kilometer einem kombinierten Fahrrad- und Fußweg. Blöder Verkehrslärm, denn wir laufen fast neben der Interstate, nur durch einen schmalen Grünstreifen getrennt. Die Pflanzenwelt hat durch die frostigen Nächte einen ordentlichen Schlag abbekommen. Die Spitzen der Palmetto-Palmen sind gelb und haben jede Festigkeit verloren. Die Farne im Unterholz sind ganz braun. Andere Sträucher hängen schlapp herunter. Kräuter haben schwarze Blätter bekommen. Ein kleiner grüner Salamander liegt leblos auf dem Weg, außerdem eine tote Maus. Beide offensichtlich nicht überfahren, scheinbar unversehrt, vielleicht erfroren. Der Tag bleibt grau. Die Luft ist sehr feucht, aber eigentlich verhält sich der Regen gnädig. Manchmal werden wir für eine halbe Stunde nass, sobald es aufhört, trocknen wir wieder. Am Nachmittag wandern wir durch den Etoniah Creek State Forest. Drei Rehe springen in einiger Entfernung vor uns her. Drei Truthähne rennen mitten auf dem Trail, die sind schneller als wir. Beide haben wir Probleme beim Laufen, unterschiedliche Schmerz-Stellen an den Beinen. Deswegen machen wir heute nur einen kurzen Tag. Bloß nichts übertreiben, und morgen oder übermorgen geht es zum Ausruhen ins Hotel. Beim Aufbauen des Zeltes fällt ein toter Salamander heraus, den haben wir wohl gestern früh aus Versehen mit eingewickelt. Er muss sich im Vorhang des Eingangs versteckt haben, denn wir schütteln das Zelt immer gründlich aus, legen es gerade auf den Boden und falten dann wie Bettwäsche. Keinen Salamander gesehen. Dummerweise war das Zelt wegen unserer Nacht in der Shelter auch noch länger als sonst zusammengerollt. Das Tierchen hätte eigentlich noch leben können. 🙁
Ich merke während der Nacht, dass sich mein Fuß nicht richtig erholt. Deswegen beschließen wir, dass wir die nächste Möglichkeit zum Aussteigen wahrnehmen. Es dauert nicht lange, dann ist das Waldstück zu Ende. Weiter geht es über 10 Kilometer entlang der Straße. Ich laufe in Crocs, die halbhohen Wanderschuhe verursachen mir Schmerzen. Thomas kann es etwas besser, aber auch nicht richtig gut. Viel passiert nicht unterwegs. Zwei nette Briefkästen, die ein Foto wert sind.
Und eine junge Frau, die ihre Pflanzen auf der Terrasse in Wolldecken einpackt wegen der bevorstehenden Frost-Nächte. Dort, wo der Florida-Trail von der Hauptstraße abzweigt, möchten wir in den nächsten Ort trampen. Nochmal 15 Kilometer Straße mit Humpelfuß macht keinen Sinn. Wir stehen eine Stunde und halten den Daumen raus. Kein Auto hält an, uns wird kalt ohne Bewegung. Laufen gerade wieder los und sind noch nicht weit, da hält ein Wagen mit zwei Frauen. Am Steuer sitzt eine junge Frau mit grünen Strähnen im Haar, rauchend. Auf dem Beifahrersitz ihre ältere Mutter, etwas ungepflegt. Das Auto ist von innen und außen schmutzig. Aber nett sind sie, richtig cool, denn sie räumen ihren Kram in den Kofferraum und machen eine halbe Rückbank für uns frei. Abgesetzt werden wir in Keystone Heights an einer Tankstelle. Dort gibt es kein Hotel, aber einen Imbiss mit guter Küche und netter Bedienung. Thomas fragt das Mädel hinter der Theke, ob es eine Möglichkeit weiß, wie wir in den Ort Starke kommen. Sie würde uns fahren, wenn wir warten, bis sie um 15.00 Uhr Feierabend hat. Genial ! Jetzt noch schnell das Zimmer buchen, damit sind unsere Ruhetage gesichert. Gleichzeitig decken wir zwei frostige Nächte ab, denn Minus 7 Grad sind kein Spaß im Zelt. Kimberley, eine Begegnung, die unseren Tag erhellt. 🙂 Was für eine bemerkenswerte Person ! 30 Jahre jung, 4 Kinder, davon ist das älteste autistisch. Trotzdem arbeitet sie täglich bis 15.00 Uhr. Und diese vielbeschäftigte Frau sagt spontan zu, dass sie uns fahren wird. Die Logistik ist schwierig. Sie muss zu Fuß nach Hause, aber das Auto ist nicht da. Ihr Bruder bringt sie dorthin, wo der Ehemann mit dem Wagen ist. Sie muss Überzeugungsarbeit leisten, um zu erklären, warum sie Fremde nach Starke bringen will. Noch eben schnell die Betreuung der vier Kinder sicherstellen, gegen 16.00 Uhr holt sie uns vor dem Imbiss ab. Wir dachten schon, das wird nichts, da ist etwas dazwischen gekommen …. Während der Fahrt unterhalten wir uns angeregt. Kimberley ist wirklich eine ganz besondere Frau, wir würden uns gerne länger mir ihr unterhalten. Wir möchten ihr 20,- US$ für ihren Aufwand geben, aber das lehnt sie rigoros ab. Auch unser Argument, dass sie das Geld für ihre Kinder nehmen soll, zieht nicht. Kimberly fährt uns einfach nur so, weil sie helfen möchte. Tausend Dank ! Solche Erlebnisse bleiben in Erinnerung und machen den Trail zu etwas Besonderem. 🙂