Wir segeln und wandern durch die Welt

Lake Wales bis Lake Mary

Unser freier Tag ist gut gewählt. Montag Nachmittag zieht ein heftiges Gewitter durch. Landunter. Wir können froh sein, dass wir nicht unterwegs sind, sondern uns diese Wassermassen aus dem Zimmer ansehen dürfen. Im Supermarkt steht eine Personenwaage. Klar steigen wir da drauf, das wird spannend. Also nicht unser jetziges Gewicht ist interessant, sondern ob und wie viel wir in den nächsten Monaten verlieren. Der Abstand zwischen 1. und 2. Impfung passt, danach ist ein ganzer Ruhetag im Hotel geplant, und am Dienstag starten wir nur mit einer halben Distanz. Thomas quatscht ein paar Leute in der Nachbarschaft an und organisiert Jemanden, der uns zurück zum Trail bringt. Keine Lust zum Trampen, da wir auf dem Hinweg geschlagene 3 Stunden auf eine Mitfahr-Gelegenheit warten mussten. Ein Opa ohne Zähne fährt uns gerne. Er bekommt 40,- US$ auf die Hand und freut sich. Durch den gestrigen Regen hat es sich etwas abgekühlt, worüber wir froh sind. Durchschnittliche Tages-Tempetatur 19° Celsius, das nennen die hier „Kaltfront“. Sonne, leichter Wind, sehr angenehm. Wir laufen durch Prärie, wie schon im State Park, aber ohne dafür eine Genehmigung einholen zu müssen. Auf dem heutigen Abschnitt ist die Spur nicht mit dem Lineal gezogen. Saftiges Grün, Palmetto-Palmen zu beiden Seiten, soweit das Auge reicht. Der Weg ist matschig, dafür aber Natur pur und einsam. In regelmäßigen Abständen ist ein Streifen gerodet. Das sind Feuer-Barrieren, denn wenn es in der Prärie brennt, dann kann sich das Feuer nicht darüber hinaus ausbreiten. Thomas klettert auf einen Jäger-Hochstand. Unter dem Baum wohnt eine Schlange, die flink in die hohlen Metallröhre der Leiter verschwindet. An die Prärie schließt sich ein Waldstück mit urwüchsigen Bäumen an. Florida-Trail heute in schön, wir können gar nicht meckern. Feierabend bereits vor Sonnenuntergang, es lockt ein Zeltplatz auf weichem Laub.

Zu Beginn der dritten Etappe haben wir unseren Frieden geschlossen mit dem Florida-Trail. Er ist anders als „die großen Drei“, und das muss man einfach akzeptieren. Der Florida-Trail ist ein künstlich angelegter Wanderweg, erst 1983 offiziell als Long-Trail anerkannt. Ein Puzzle-Werk aus vielen Wanderwegen, die mit Straßen-Verbindungen aneinandergereiht wurden, kann uns nicht so begeistern. Dagegen sind der AT, CDT und PCT alte Traditionswege und entsprechen der Geologie des Landes. Sie folgen mit ihrem Verlauf so gut es geht dem Landschaftsbild. Dadurch fühlt sich eine mehrmonatige Wanderung eher wie ein harmonisches Ganzes an. Wir starten auf einem schmalen Korridor durch den Dschungel. Ein Vogel-Paradies, gerade früh am Morgen ist hier richtig was los. Vor uns liegt das Gebiet der „Three Lakes“. Pause machen wir am Jackson Lake. Ein junger Mann kommt uns von Norden nach Süden entgegen. Er nennt sich „Moondog“ und ist der erste Thru-Hiker, den wir treffen. Das Besondere an ihm ist sein Skateboard. Wir laufen uns auf dem Asphalt die Füße kaputt, während Moondog dort mit seinem Skateboard schnelle Meilen macht. Tolle Idee ! 🙂 Aber eher nichts für uns. 😉 Weiter geht es durch Prärie mit Palmetto-Palmen. Die meisten Sumpf-Passagen sind auf Brettern oder über Holzbrücken gut passierbar. Manchmal gibt es auch nasse Füße. Östlich von uns in einigen Kilometern Entfernung brennt es. Dunkle Rauchschwaden steigen gen Himmel. Es könnte auch ein absichtlich gelegtes Feuer sein, also eine gewollte Brand-Rodung. Einmal verlaufen wir uns kurz, zum Glück nicht weit, müssen nur einen Kilometer zurück. Beide nicht aufgepasst, weil wir uns gerade intensiv unterhalten haben. So schnell geht das. Eigentlich ist der Florida-Trail super markiert, aber es passiert eben trotzdem. Eine breite Fahrspur kreuzt unseren Weg. Daneben finden wir einen leeren Plastik-Behälter, den wir uns etwas näher anschauen. Ein Hirsch-Lockmittel, damit das Wild in der Nähe der Straße oder des Wander-Parkplatzes abgeknallt werden kann. Genau das benutzen Jäger, die zu faul sind, um sich zu bewegen und richtig auf die Pirsch zu gehen. Unfassbar für uns, aber irgendwie typisch für dieses Land. 😉

Die schönsten Lagerplätze entdecken wir immer zur falschen Zeit, so wie morgens um 11.00 Uhr oder heute Nachmittag um 15.00 Uhr, wenn es definitiv noch zu früh ist. Heute geht es nicht gut auf. Wir müssen einen breiten sumpfigen Kanal überqueren. Da liegen Baumstämme drin, auf denen balancieren wir auf die andere Seite. Etwas später fällt uns ein, dass wir hier unser Abendwasser nehmen müssen, da vor Einbruch der Dunkelheit nichts mehr kommt. Wir gehen zurück und füllen zwei Liter ab. Das Wasser sieht aus wie zu schwach geratener schwarzer Tee. „Murky“ sagt man dazu. Wir filtern es, aber die bräunliche Farbe bleibt. Egal, für’s Abendessen wird es gehen. Da kommt sowieso Erdnuss-Butter dran, damit fällt es dann gar nicht mehr auf. Erdnuss-Butter haben wir inzwischen wieder fest in unseren Speiseplan integriert. Die enthält sehr viel Nährstoffe, gute Kalorien, und wertet unsere täglichen 2-Minuten-Instant-Nudeln unheimlich auf. Der nächste Platz mit Picknick-Tisch ist zu weit entfernt, das schaffen wir heute nicht mehr. Die Sonne steht um 18.00 Uhr bereits tief, es wird gleich dunkel. Wir sind schon sehr nahe an einer Hauptstraße, auf der wir noch 5 Kilometer laufen müssten. Wald und Bäume gibt es zum Abend hin nicht mehr, dafür sumpfige Prärie. Wir suchen ein bisschen, bis wir ein etwas erhöhtes Stück Land finden, kochen und essen auf dem Boden sitzend. Nicht optimal, aber für ein paar Stunden Nachtruhe muss es reichen. Verkehrslärm und Kojoten-Geheule beim Einschlafen.

Berufsverkehr, Schulbusse und viele Lastwagen sind morgens um 7.30 Uhr unterwegs. Gürteltier, Adler, Waschbär, Opossum, Waschbär, Adler, Gürteltier …. Zum Glück dauert es nur eine Stunde, dann zweigt ein Weg ins Grüne ab. „Florida Forever“ heißt dieser Abschnitt. Am Eingang zum Trail sind einige Kanister Wasser deponiert. Sehr hilfreich, wir bedienen uns gerne. Wer in der Frühe vorne läuft, der hat das Problem mit den Spinnweben im Gesicht. Heute bin ich dran. 😉 Auf der Veranda des Visitor Centers ( wegen Pandemie geschlossen ) stehen einige Stühle. Wir finden diesen Platz sehr geeignet für unsere erste Pause und kochen Kaffee. Weiter geht es auf leicht matschigem Pfad. Vereinzelte Rehe springen durch die Prärie. Die scheinen dieses Revier zu mögen. Wilde Truthähne ein Stück voraus, da trippelt eine ganze Gruppe von 10 Vögeln. Die verschwinden allerdings um die nächste Kurve, noch bevor die Kamera im Handy startklar ist. Wir kommen an mehreren kleinen Seen vorbei, dicht zugewachsen mit Wasserpflanzen. Dort lugen hin und wieder die Köpfe von Alligatoren aus dem Wasser. Ein Tümpel liegt mitten auf unserem Weg, da müssen wir durch. Ich versuche, trockenen Fußes auf die andere Seite zu kommen, indem ich auf Baumstämmen balanciere und dicke Grasbüschel zum Drauftreten nutze. Thomas verspricht mir einen Heiermann, wenn die Schuhe trocken bleiben. Es gelingt mir nicht. Zwei tiefere Gräben sind zu durchwaten, das Wasser läuft in die Schuhe. Nachmittags durchqueren wir ein Jäger-Camp. Das hatten wir uns ganz anders vorgestellt. Die wohnen nicht in Zelten, sondern mindestens 30 Wohnmobile stehen hier. Zur Zeit wird fleißig Jagd auf Wildschweine gemacht. Wir dürfen es uns am Picknick-Tisch gemütlich machen und Wasser mitnehmen. Eine Dame, die offensichtlich irgendeine Funktion hat, bietet uns sogar an, das Badezimmer im Wohnwagen zu benutzen. Sehr nett. Warmes Wasser, wohlriechende Seife und Papiertücher zum Abtrocknen. Wir freuen uns über die unerwartete Möglichkeit zum Waschen von Händen und Gesicht. Ein Bekannter kommt mit zügigem Schritt näher, gerade als wir uns von den Jägern verabschieden. Es ist „Punisher“, den wir kürzlich beim Country Store kennengelernt haben. Zwischenzeitlich hat das junge Paar einige Tage bei der Familie verbracht, seine Freundin ist jetzt zu Hause geblieben. Wir laufen ein Stückchen gemeinsam, aber der ist uns zu schnell, er könnte unser Sohn sein. Hübsche Singvögel mit zitronengelbem Bauch begleiten uns ein Weilchen. Unser Zeltplatz ist noch 5 Kilometer entfernt, dafür brauchen wir in diesem Gelände 1,5 Stunden. Am „Jane Green Campsite“ teilen wir uns zum ersten Mal Tisch und Lagerplatz mit anderen Hikern. Das liegt daran, dass es die letzte legale Möglichkeit zum Campen ist, bevor wir morgen einen 50-Kilometer-Marsch entlang der Straße beginnen. Punisher hat sein Zelt bereits aufgebaut, außerdem der Holländer „Tin Man“ und „Orange Blazer“, der hier aus der Gegend stammt. Gesellige Runde beim Essen. Das sind wir gar nicht gewöhnt, aber es ist interessant. Alle sind schon um 18.30 Uhr im Zelt verschwunden, wie es sich für anständige Langstrecken-Wanderer gehört. Wir sind gut gelaufen, 36 Kilometer weiter – reicht.

Nachts hört man den Verkehr bis zum Zelt. Kaffee läuft bereits um 4.00 Uhr. Wir wollen früh los, um möglichst viel vor der Mittagshitze zu schaffen. Draußen ist es kalt und feucht. Mit Taschenlampe stolpern wir eine Viertelstunde durch den Wald. Dann beginnt die Strecke, die wir am liebsten schon hinter uns hätten. Unser Marathon entlang der Straße, 50 Kilometer insgesamt, wovon es die erste Hälfte über keinen Schatten geben soll. Aufgabe Nr. 1 : heile über die Interstate auf die andere Seite zu kommen. Vier Fahrspuren nebeneinander, außerdem müssen wir über drei Leitplanken klettern. Wir machen damit nichts Ungewöhnliches oder Verbotenes. Nein, das ist der Florida-Trail. 🙁 Dieser Abschnitt gehört dazu, wenn man das ganze Ding von Anfang bis Ende laufen möchte. Wir marschieren ganz links am Rande, der Verkehr kommt auf unserer Spur entgegen. Thomas hält die Lampe Richtung Boden, damit die Autofahrer nicht geblendet werden. Abzweiger von der Interstate in die Deer Park Road nach einer Stunde. Immer noch Asphalt, aber deutlich weniger Verkehr und etwas entspannter. Es wird langsam hell.

Links steht ein kaputter Wagen auf dem Grünstreifen. Die Vorderfront ist dermaßen demoliert, dass man das Innenleben des Motorraums sehen kann. Da muss es ordentlich gescheppert haben. Ungefähr 100 Meter weiter liegt ein Reh am Straßenrand, welches wohl gerade erst sein Leben ausgehaucht hat. Keine äußeren Verletzungen, das Tier liegt scheinbar unversehrt da. Reh tot, Auto kaputt, die Kollision ist für beide Seiten schlecht ausgegangen. 🙁  Entlang dieser endlosen Straße gibt es ausschließlich Farmland. Da ist eine Ranch, zu der ausgedehnte Weiden gehören, auf denen Rinder grasen. Dann eine riesige Farm, die Zitrusfrüchte produziert. Orangen- und Zitronenbäume stehen in gerader Linie, ellenlange Reihen und mehrere Kilometer weit. Ein Wagen mit Anhänger hält an, darin sitzt ein Farm-Arbeiter. Er fragt, ob wir den Florida-Trail laufen, ob wir mitfahren möchten und ob wir Wasser brauchen. Dann schenkt er uns drei Blut-Orangen von seiner Ladefläche und dazu zwei eingeschweißte Riegel „Beef Jerky“ Das ist getrocknetes Fleisch vom Bison, teures Zeug, sehr beliebt bei Hikern wegen des hohen Protein-Gehalts. Tolle Sache ! 🙂 Eine Brücke führt über einen schmuddeligen Fluss. Der ist voll mit Wasserpest und Müll, dazwischen guckt der Kopf eines Alligators heraus. Gut, dass wir dieses Wasser nicht nehmen müssen. Es gibt auf der ganzen langen Strecke zwei Wasser-Depots, das wissen wir aus unserer App auf dem Handy. Freunde des Trails oder ehemalige Wanderer stellen ein paar Kanister Wasser an versteckter Stelle hin, damit man auf diesen 50 Kilometern nicht mehr schleppen muss als nötig.

Noch eine Überraschung auf dieser langweiligen Etappe : Ein Auto kommt von hinten, hält neben uns an, und ein bekanntes Gesicht schaut aus dem Fenster. Punisher, mit dem wir letzte Nacht noch den Platz geteilt haben, verteilt mit seiner Freundin Bopit Bear Geschenke. Beide sind bereits zusammen auf dem  AT gewandert und kennen den Begriff der „Trail Magic“ nur zu gut. Jeder bekommt eine kalte Cola, die wird uns wiederbeleben. Schließlich haben wir um 11.00 Uhr schon über 20 Kilometer geschafft. Dazu gibt es – sehr zu meiner Freude – Kinder Bueno. Die haben wir unterwegs noch nie geschenkt bekommen, das ist etwas ganz Besonderes. 🙂 Wir tauschen : Thomas bekommt mein Beef Jerky, ich nehme dafür gerne seinen Kinder Bueno. Super Idee, wir freuen uns total über das unerwartete Wiedersehen und diese Aufmunterung. 🙂 Am Vormittag waren wir so fleißig, dass wir uns mittags eine extra lange Pause erlauben, in der wir all die Leckereien verzehren. Die Blut-Orangen schmecken einfach köstlich. Unser Zelt wird zum Trocknen auf einer Wiese aufgebaut, Thomas hält ein Mittagsschläfchen in der Sonne.

Danach müssen wir abbiegen in die Nova Road, was sich leider als eine breitere Straße mit schnell fließendem Verkehr entpuppt. Weitere 12 Kilometer auf dieser bleiben …. macht gerade nicht so viel Spaß. Ein Stückchen die Böschung hinunter liegt ein nagelneues Treppengeländer aus Aluminium. Es ist uns ein Rätsel, wie man so ein 2-Meter-Teil von der Ladefläche verlieren kann, ohne es zu merken. Wir tragen das Ding hoch und versuchen es aufzustellen. Klappt aber nicht, es bleibt einfach nicht stehen. Also legen wir das Geländer näher an den Straßenrand, damit es leichter zu sehen ist. Vielleicht fahren die Handwerker ja noch einmal zurück, um es zu suchen. Die nächste Abzweigung wird dann wieder eine Interstate sein – noch schlimmer. Auf der gesamten Strecke darf man nicht zelten, aber da pfeifen wir drauf. Die jungen Leute, die nur halb so alt sind wie wir, die schaffen 50 Kilometer am Tag. Wir streiken. Rest dann morgen. Die Organisatoren dieses Trails sollen den Kram bitte einfach mal selber laufen. Wir finden einen versteckten Platz hinter Bäumen, wo wir von der Straße aus nicht gesehen werden und nicht auf Privat-Gelände sind.

Wer sehr früh aufsteht und 40 Kilometer läuft, der ist auch abends entsprechend müde. So kommt es, dass wir schon gegen 19.00 Uhr einschlafen, obwohl unser Zelt nur 5 Meter Abstand zur Straße hat. Eine halbe Stunde morgens früh auf der Nova Road, danach verläuft unser Weg 10 Kilometer entlang der SR520. Das ist eine vierspurige Schnellstraße mit einem schmalen Grünstreifen dazwischen. Natürlich ohne Gehweg, sowas gibt es hier nicht. Unfassbar viel Verkehr, wir ziehen die Köpfe ein und laufen, so schnell wir können. Es stinkt nach Verwesung. In der Mitte zwischen den Fahrbahnen entdecken wir bald das erste Opfer. Ein stattlicher Panther liegt da. Es war mal ein sehr schönes Tier. 🙁 Weiter geht die Reihe der Verkehrstoten mit zwei Waschbären, einem Reh und einem weiteren Panther. Die ganzen anderen Kleintiere möchte ich gar nicht mehr aufzählen. Es ist wirklich deprimierend. Dazu noch die Geräuschkulisse und der Müll, der sich am Rande der Fahrbahn sammelt. Kein Schatten, kein Pausenplatz, nur schnell durch. 🙂 Nach 2,5 Stunden haben wir es geschafft. Die verhasste Straßen-Lauferei ist erstmal vorbei. Endlich zurück in die Natur. Vorher dürfen wir uns noch an einem Wasser-Depot bedienen. Gute Gelegenheit zum Kochen unseres Haferflocken-Frühstücks. Eine schmale Wegspur führt zu einem Schild. Dort steht, dass man eine bestimmte Nummer anrufen soll, wenn man hier durch möchte. Jetzt geht dieser Quatsch wieder los. 😉 Der nächste Abschnitt beginnt damit, dass wir einen Kilometer durch knietiefes Wasser müssen. Danach ein offenes Feld, der prallen Sonne ausgesetzt, und dann geht es ab zwischen die Bäume. Ein schmaler Pfad im Mischwald, zwischen Palmetto-Palmen und hohen Kiefern hindurch.

Immer wieder gibt es sumpfige Passagen. Manchmal kann man den Matsch umgehen, ein anderes Mal sind die Pfützen knöcheltief. Egal, die Schuhe und Strümpfe sind sowieso nass. Keine Straße ist mehr zu hören, keine Menschen zu sehen. Sehr schön, so gefällt uns das schon besser. Wir haben etwa zwei Drittel dieses Gebietes durchwandert, als wir die ersten Schüsse hören. Es ist Jagd-Saison. Immer öfter fallen die Schüsse, und es hört sich schon ziemlich nahe an. Wir beschließen, dass wir aus Sicherheitsgründen bei der nächsten Möglichkeit den Trail verlassen und auf eine Straße ausweichen, wenn die Knallerei nicht aufhört. Kurz darauf kreuzt eine Fahrspur unseren Weg, der Trail führt geradeaus auf der anderen Seite zurück in den Wald. Wir lesen auf einem Schild „Safety Zone“. Das bedeutet, dass in dem vor uns liegenden Gebiet nicht gejagd und geschossen werden darf. Sehr beruhigend, hoffentlich halten die Jäger sich daran. Ein Kilometer abseits des Trails liegt Christmas. Ein Weiler mit etwa 1000 Einwohnern, die überwiegend in Mobil-Heimen wohnen. Schwarze Enten watscheln über die Straße, diese Art ist im östlichen Nordamerika heimisch. Komische Menschen, düstere Stimmung, viel zu viele Verbotsschilder, hohe Zäune mit extra Stacheldraht, Video-Überwachung und böse Hunde. Große Plakate mit Slogans, die so gar nicht zu unserer Gesinnung passen. Christmas ist kein angenehmer Ort, wir laufen schnell durch. Ziel ist ein Lebensmittel-Laden, wo wir Cheeseburger und Pizza essen sowie einen kleinen Einkauf für die nächsten zwei Tage machen. Wenigstens dort sind die Leute nett. Wir dürfen unsere Power-Bank an der Steckdose laden und bekommen Wasser zum Mitnehmen in unsere Flaschen gefüllt. Um 19.00 Uhr stehen wir vor einem Tor mit einer geschlossenen Schranke für Autos, Fußgänger können an einer Seite durch. Die nächsten 8 Kilometer liegt Seminole-Gebiet vor uns. Auch dafür braucht man eigentlich ein spezielles Permit, aber aus Gesprächen mit den anderen Wanderern wissen wir, dass die Florida-Trail-Hiker nicht alle paar Meilen um eine neue Erlaubnis ersuchen. Wir gehen einfach rein und sind froh, diesem Dorf mit seinen negativen Schwingungen den Rücken zu kehren. Im Eifer des Gefechts verlaufen wir uns noch im Dunkeln. Falscher Abzweiger, wir kommen an einen See, der da nicht hingehört. Umkehren und ein kleines Stück zurück. Mit Hilfe unserer Stirnlampen finden wir den Trail und bauen unser Zelt an der Fish Hawk Campsite auf. Sehr feuchter Untergrund, aber das Zelt ist sowieso noch nass.

Unruhige Nacht. Sehr viel Wind. Immer wieder wackeln die Baumkronen bedenklich in den Böen. Äste, Kiefernzapfen, vertrocknete Palmwedel fallen mit lautem Krachen nach unten. Ich finde die Geräusche beunruhigend und hoffe, dass nichts Schweres auf unserem Zelt landet. Morgens sieht der Himmel gar nicht gut aus, da kommt eine dicke Regenfront auf uns zu. Schaffen es gerade noch, das Zelt abzubauen und alles Wichtige in unseren Rucksäcken zu verstauen. Zum Glück haben wir einen überdachten Picknick-Tisch, auch wenn einige Löcher und Spalten im Gebälk etwas durchlässig sind. Bis 9.30 Uhr bleiben wir sitzen, trinken Kaffee, warten auf Besserung. Sieht nicht so aus, also los. Es gießt in Strömen. Nach einer halben Stunde sind wir trotz Regenjacke und Poncho bis auf die Haut durchnässt. Unsere Ausrüstung ist ultra-leicht und schon ein paar Jährchen alt, die hält so einem stundenlangen Regen nicht stand. Ein weißer Kranich steht auf dem Weg, gar nicht scheu. Handy ist wasserdicht weggepackt, also gibt es kein Foto. Ein halbes Dutzend schwarzer Rinder laufen uneingezäunt herum. Ob die wohl den Seminole-Indianern gehören ? Der Trail steht komplett unter Wasser. Das Laufen ist mühsam, ähnlich wie zu Beginn im Big Cypress Sumpf. Anfangs versucht man noch auszuweichen und den Modder am Rande zu umgehen, aber immer wieder versinken wir bis über die Knöchel. Die Schuhe laufen voll, außerdem setzen sich unangenehme Schlammklumpen innen fest. Auch im nächsten Abschnitt wird es nicht besser. Der sintflutartige Regen hat ganze Arbeit geleistet. Der Weg wäre eigentlich so breit wie eine Fahrspur, das Wasser hat sich darin angesammelt. Es sieht aus, als wenn ein breiter Fluss vor uns liegt. Knietief stapfen wir durch, mehrere Stunden geht das so. Die Innensohlen meiner Schuhe wellen sich und drücken unter den Füßen. Das geht so nicht weiter, es kann üble Probleme beim Laufen verursachen. Ich bleibe stehen und nehme die Sohlen heraus. Ein Stück weiter geht es über eine Brücke, kurz darauf müssen wir auf einer Holztreppe über Stacheldraht klettern. Dabei merke ich, dass ich meine Stöcker nicht mehr habe. Wahrscheinlich stehen sie da, wo ich die Sohlen aus den Schuhen genommen habe. Thomas läuft zurück, es ist zum Glück nicht weit. Wilde Orangen stehen zwischen Palmetto-Palmen und Kiefern. Wir pflücken uns zwei Orangen ab für später, im Moment kann man einfach nicht anhalten.

Hinter uns wird geschossen. Nicht einmal, nicht zweimal, sicher ein Dutzend Schüsse hintereinander. Mir ist gar nicht wohl bei dem Geballer. Thomas stimmt ein lautes Liedchen an und singt ein paar Strophen. Ruhe ist. Kein Schuss mehr zu hören. Um 15.00 Uhr stoppt der Regen. Pause. Endlich raus aus den nassen Klamotten. Zunächst ziehen wir uns komplett um, dann gibt es heißen Kakao zum Aufwärmen. Danach liegt erneut Sumpf vor uns. So ein Mist. Ich dachte, das hätten wir hinter uns gelassen. Einmal rutsche ich aus und falle in den Bach, volles Programm nach vorne. Sitze mit dem Hintern so richtig im Matsch. Stöcker, Hände, Arme, Poncho, Jacke, alles nass und modderig. Es riecht nicht gut. Ich versuche, wenigstens den Rucksack zu retten, indem ich ihn hinten hochhalte. Dann rappel ich mich wieder auf, Schlamm tut ja nicht weh. Die Hose ist von oben bis unten schwarz.

Schon wieder wird geballert. Jagdsaison und Wochenende. Diesmal sind die Schüsse links von uns zu hören, viel näher als uns lieb ist. Auf See oder beim Wandern sind wir in gesundem Maße vorsichtig, aber auf dem Florida-Trail vom Auto überfahren oder von einem Jäger erschossen zu werden, das wäre wirklich zu blöd. Thomas fängt an, sich überlaut mit mir zu unterhalten, damit der Schütze merkt „Hey – hier sind Menschen.“ Und siehe da, es herrscht sofort Ruhe, kein Mucks mehr zu hören. Was darauf schließen lässt, dass es sich nicht um einen organisierten Jäger, sondern eher um ein illegales Schießen gehandelt hat. Drei Kilometer Straße am späten Nachmittag. Wir laufen durch eine Villengegend, tolle Anwesen stehen hier. Schicke Häuser, gepflegte Gärten mit altem Baumbestand. Garagen für mehrere Autos daneben, ein Häuschen für’s Personal, manchmal sogar noch eine Pferdekoppel mit Reitplatz dazu. Hier wohnen sehr reiche Leute. Aber das Beste ist : Zäune ohne Stacheldraht, einfach nur aus Holzlatten, niedrige Hecken, manche Tore stehen sperrangelweit offen. Statt böser „Keep Out“- Schilder heißt es in der Curryville Road „Welcome“. Hier wohnen nette Menschen, selbst die Hunde kläffen freundlich und wedeln mit dem Schwanz. Das ist schön, tut richtig gut nach der düsteren Atmosphäre gestern Abend in Christmas.

Ein Wagen hält neben uns an. Der Fahrer fragt das Übliche : woher, wohin, wie viele Meilen usw. Er ist schwer beeindruckt und schenkt uns eine Flasche Honig der Region, bevor er sich mit vielen guten Wünschen verabschiedet. Unser Ziel ist die Wiley Dykes Campsite. Eigentlich hätten wir das Wasser für Abendessen und Kaffee aus dem Bach davor schöpfen müssen. Beim Übergang von Straße zum Trail steht ein Karton mit mehreren Gallonen Trinkwasser. Super ! Schöner Zeltplatz auf Laub, unsere nasse Kleidung haben wir in den Bäumen aufgehängt.

Es wird gar nicht richtig dunkel während der Nacht. Wir befinden uns in der Nähe von Orlando, der Lichtschein der großen Stadt erleuchtet den Himmel. Kein weiterer Regen, so dass die Klamotten morgens nur noch etwas feucht sind und damit auch wieder leichter. Besonders schöner Tag ! Vielleicht liegt es daran, dass es gestern von früh bis spät nur kalt und mühsam war. Heute geht es uns richtig gut, wir marschieren voll motiviert los. Schon bald nach dem Start treffen wir einen „Volunteer“, einen freiwilligen Helfer, der sich um diesen Abschnitt des Trails kümmert. Der Mann läuft ganz früh am Morgen seinen Bezirk ab, um zu gucken, wie der Zustand des Weges nach Sturm und Regen ist. Tolle Sache, ohne die Freiwilligen wären alle Trails nur halb so gut. Wir danken ihm für seine ehrenamtliche Arbeit, dafür dass er die Wege ordentlich in Schuss hält. Er bedankt sich dafür, dass wir den Florida-Trail laufen. Viel ist hier wirklich nicht los. Nettes Gespräch. Vor uns liegt eine fantastische Passage durch Sumpfgebiet.

„Boardwalk“ ist das Stichwort. Bretterstege in ungefähr einem halben Meter Höhe über den tiefsten Wasserlöchern sind eine große Erleichterung. Kilometerweit laufen wir über diese Holzplanken, jeweils zwei Holzbretter nebeneinander, hoch genug, um die Füße trocken zu behalten. Das macht Spaß, und wir sind froh, dass es nicht so wie gestern weitergeht. Manchmal ist die Spur unter Wasser und matschig, ohne dass es Bretterstege gibt. Das wird dann wohl gestern vom starken Regen geflutet sein. Mit Balancieren und viel Gehampel schaffen wir es, kein neues Wasser in die Schuhe zu bekommen. Ansonsten sanfter Pfad auf Laub, manchmal eine Brücke über einen Bach. Sehr schön. 🙂 Immer näher kommen wir in Richtung Stadt, der Pfad wird trockener. Wir durchqueren ein Gebiet, in dem es erst kürzlich gebrannt haben muss. Das Wanderwege-Netz ist hier fein ausgebaut. Hunde werden ausgeführt, Spaziergänger, Radfahrer. Diese Strecke ist für uns wunderbar zum Laufen, gut für schnelle Meilen. Wir sind ganz nahe an einer Großstadt, aber davon merkt man hier im Wald gar nichts. Was für ein großartiges Nah-Erholungsgebiet ! Wir sind völlig begeistert vom Weg, der eigentlich nur als schmale Spur im Urwald verläuft. Dichtes Grün zu allen Seiten, mehrere Flussläufe mit Sandstrand, etliche Brücken führen über’s Wasser. Gezähmte Natur. Eine gewaltige Cypresse weckt unsere Aufmerksamkeit. Sie steht mitten im Sumpf, links von unserem Laufsteg. Dieser Baum hat einen enormen Umfang, er muss also uralt sein. Cypressen können bis zu 4000 Jahre alt werden. Solche Ausmaße haben wir noch nie gesehen, obwohl wir schon tagelang von diesen Bäumen umgeben waren.

Dann gibt es noch einmal einen tollen Boardwalk, der mit einer langen Holzbrücke endet. Zur Mittagszeit marschieren wir in Oviedo ein. Auf einem Boardwalk-Podest laufen wir um einen See herum. Wir haben schon 20 Kilometer unter den Füßen. Ab jetzt geht es mitten durch die Stadt auf einem kombinierten Fahrrad- und Fußweg weiter. Gepflegte Gärten, schöne Häuser und nette Menschen, so könnte man unseren weiteren Weg von Oviedo bis Winter Springs beschreiben.

Wilde Orangen, Bananen, Mandelbäume und Bambus, der fast bis in den Himmel wächst. Friedliche Atmosphäre, alles sehr idyllisch. Winter Springs ist ein künstlich aus dem Boden gestampfter Ort, von ehrgeizigen Architekten am Reißbrett erschaffen. Hier leben überwiegend gut betuchte Senioren in ihrer Seifenblase, insgesamt hat die Stadt bereits knapp 40.000 Einwohner. Aufgeräumte Parks, viele Bänke zum Ausruhen, künstlich angelegte Seen, Springbrunnen und weiterer Schicki-Micki-Kram. Nichts für normale Menschen, nichts für uns. Wir essen in einem vietnamesischen Restaurant zu Abend, laden dort eine Stunde lang unsere Elektro-Geräte und laufen dann hinein in die Dunkelheit. Der fließendeVerkehr neben unserem Fahrrad-Fußweg gibt Licht. Außerdem ist Vollmond, es wird also gar nicht richtig dunkel. Knapp zwei Stunden weiter finden wir einen geheimen Abzweiger in den Wald. Die Spur ist so schmal, dass man sie nur entdeckt, wenn man die genaue Position kennt. Spring Hammock Campsite ist ein versteckter Platz auf einer Strecke, wo das Zelten sonst verboten ist. Die Organisatoren des Florida-Trails haben eine ebene Fläche extra nur für Thru-Hiker reserviert. Man sollte eigentlich vorher anrufen und reservieren, aber das sparen wir uns. Heute wieder 36 Kilometer gelaufen, ich habe eine neue Blutblase am Fuß.

Es sind nur noch etwa 8 Kilometer bis nach Lake Mary. Die müssen wir uns gut einteilen, denn Check-In ist erst ab 15.00 Uhr. Wir trinken Kaffee an einer Tankstelle, danach gibt es ein kleines Frühstück bei Subway. Auch dieser Ort wirkt auf uns wie eine Kunst-Stadt. Die Häuser sehen alle gleich aus, wie mit Lego gebaut, es gibt sie in diversen Größen und Preisklassen. Hohe Mauern umgeben die verschiedenen Eigentümer-Gemeinschaften. Wir sehen kaum Menschen auf der Straße, die bleiben alle unter sich in ihren schicken Wohnblöcken. Ententeiche und Springbrunnen, Golf-Platz, gepflegte Urlaubs-Idylle wie im Kurpark eines Sanatoriums. Sieht nicht so aus, als wenn hier normale Leute arbeiten oder zur Schule gehen. Eigentlich ganz nett, aber irgendwie wirkt es nicht echt. Das Einkaufszentrum in der Nähe bestätigt unseren Eindruck. Die Preise im Supermarkt sind nicht von dieser Welt …. Wir bereuen es schon ein bisschen, dass wir nicht in der Nähe vom Walmart gebucht haben. Aber unser Hotel „La Quinta“ ist wirklich super. Alles funktioniert, WLAN läuft, freundliches Personal, Frühstück ist auch gut. Nach zwei Waschgängen ist unsere Kleidung wieder gesellschaftsfähig. Thomas baut für eine halbe Stunde das Zelt auf der Wiese neben dem Hotel auf, damit es trocken wird. Damit ruft er gleich drei Leute auf den Plan, die das höchstverdächtig finden. Ja, in dieser wohlgeordneten Stadt passt Jeder auf, dass in der Nachbarschaft kein Unfug passiert. 😉 Der nette Rezeptionist, der uns in Empfang genommen hat, rückt die Dinge ins richtige Licht. So bleibt sogar noch Zeit zum Flicken. Schon wieder müssen unzählige Löcher geklebt werden. Einen starken Regenguss bei Nacht werden wir nicht mehr trocken überstehen. Das Zelt ist echt gar, wir werden uns ein neues kaufen müssen.

Lake Mary bekam 2007 die Auszeichnung „Viertbester Platz, um in Amerika zu leben“. Das passt zu unseren Eindrücken. Sauber, ordentlich, fast steril, sehr sicher. Es scheint einfach alles verboten zu sein, was Spaß macht. Die Bevölkerung besteht zu 85 % aus Weißen, der kleine Rest setzt sich aus allen anderen ethnischen Gruppen zusammen. Durchschnittliches Einkommen 7.000,- US$, in der Statistik enthalten sind natürlich auch alle Kinder und Pensionäre. Übrigens ist Lake Mary seit unserer Einreise in den USA der erste Ort, in dem Mund-Nasen-Schutz getragen wird, sowohl im Hotel als auch im Supermarkt oder an der Tankstelle. Wir befinden uns immer noch im Großraum Orlando, jetzt ungefähr auf Meile 380. In 3 Wochen sind wir mehr als 600 Kilometer gelaufen. Ein Drittel vom Florida-Trail liegt hinter uns. Bisher haut es uns nicht um, aber wir sind auch verwöhnt von tollen Eindrücken. Die nächste Etappe soll ausgesprochen schön sein, sie führt durch den Ocala National Forest.

2 Kommentare zu “Lake Wales bis Lake Mary

  1. Misha

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    Misha

    1. 871385 Autor des Beitrags

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      we are a little bit old-school and don’t have Instagram. Facebook : Frauke Müller-Schwenty or Thomas Walkabout.
      We want to say „thank you“ for your good advice. We made it through the day with dry feet. Hiked on until 8 p.m. and stayed dry at the shelter.
      Happy trails,
      Skipper and Walkabout