Knapp 30 Kilometer müssen wir bis zur nächsten guten Wasserquelle zurücklegen. Deswegen starten wir von Lordsburg aus voll beladen mit neuem Proviant und 8 Litern Wasser auf dem Rücken. Erstmal kein Spaß …. Stundenlang marschieren wir über eine karge Ebene mit braunen vertrockneten Grasbüscheln und Kakteen. Manchmal wird der Trail unterbrochen durch Stacheldraht-Zäune, wo wir drüber klettern oder uns unten hindurch quetschen müssen. Lordsburg hinter uns in der Ferne scheint nicht kleiner zu werden, aber auch die Berge vor uns wollen einfach nicht näher kommen. Etliche große Hasen und eine Antilope kreuzen unseren Weg. Ein einzelnes dünnes Bäumchen lädt zur Mittagspause ein. Temperatur 30 Grad im Schatten. Termitenhügel neben dem Trail, die Tierchen wirken sehr geschäftig. Ein ausgeblichenes Skelett von einem Rind liegt gut erhalten im Sand. Und wieder blühen mitten in der öden Landschaft ganz unscheinbare Kakteen in leuchtenden Farben. Am Nachmittag zieht sich der Himmel zu. Wir sind bereits seit 10 Tagen in den USA, heute sehen wir hier die ersten Wolken. Der Wind legt kräftig zu und verursacht hohe Sandwirbel in der Wüste. Hinter uns verschwindet Lordsburg in einer riesigen Staubwolke. „Dust devil“ nennen die Einheimischen dieses Phänomen, das sind kleinräumige Luftwirbel. Von nun an geht es langsam aber stetig hinauf. Die Landschaft ändert sich so nach und nach. Die Büsche werden höher, ab und an liegen ein paar Felsbrocken am Wegesrand. Unsere für den Abend anvisierte Wasserstelle ist eine intakte Windmühle. Zusätzlich ist daneben noch eine Solarpaneele montiert. Beides können wir schon von Weitem erkennen. Es gibt auf jeden Fall gutes Wasser. Wir packen uns wieder voll, 8 Liter insgesamt, und wandern noch ein Stündchen weiter. Mitten auf dem Trail liegt ein dicker, dunkler Haufen. Bärenkacke – in New Mexico gibt es Schwarzbären. Die gefährlicheren Grizzlys sind noch weit entfernt. Inzwischen sind wir richtig in den Bergen angekommen. Wir steigen auf einem schmalen Pfad langsam immer höher an und haben erste Rundum-Blicke auf die umliegenden Berge. Auf der anderen Seite geht es gemächlich in Serpentinen wieder abwärts. Sehr schön, denn so kommen wir aus dem schlimmsten Wind heraus. Schließlich beenden wir diesen Tag nach 33 Kilometern auf einem Lagerplatz in 2200 Metern Höhe. Es könnte vielleicht kühler werden in der Nacht. Während des Abendessens hören wir entferntes Donnergrollen am Himmel, dazu 2 – 3 Regentropfen.
Kein Regen in der Nacht, kalt war es auch nicht. Allerdings sind mehrmals heftige Sturmböen durch unser Zelt gefegt und haben die Wände wackeln lassen. Am Morgen erreichen wir nach nur 8 Kilometern eine Schotterstraße, an der wir Trail Magic vorfinden. Mehrere Kanister Wasser stehen dort bereit, um den Durst der Wanderer zu stillen. Aber das Beste : Es gibt frisches Obst. Wir können noch zwei Bananen und zwei Orangen ergattern, die einfach köstlich schmecken. Danach führt uns der CDT immer höher hinauf in die Berge. Wir sehen richtige Bäume, zuerst nur vereinzelt, aber später stehen sie in Gruppen, so dass man schon fast von Wäldchen sprechen kann. Die Bäume spenden uns Schatten, dazu weht ein heftiger Wind in der Höhe. Manchmal blasen uns die Böen fast aus der Spur. Zum ersten Mal schwitzen wir nicht in New Mexico. Eine Gila-Krustenechse klettert ganz nahe dem Trail über die Felsen. Das ist schon das zweite Exemplar dieser Sorte, die ganz typisch für den Gila National Forest sind. Und wir haben ein Paar dicker Rinder aufgeschreckt. Die kräftigen braunen Tiere galoppieren vor uns davon. An einem Wander-Parkplatz vor dem Burro Peak erleben wir nochmal sehr großzügige Trail Magic von Genie, einer zauberhaften Person. Viele Kanister mit kostbarem Trinkwasser, eine Kühlbox voller kalter Getränke, Brot, Käse, Schinken, Senf und verschiedene Sorten Obst. Eine halbe Avocado für uns und Erdbeeren ! Außerdem gibt es dort noch eine Tasche mit Fertiggerichten zum Mitnehmen, Müsli-Riegeln und anderen Snacks. Am Baum hängt Küchenrolle, Desinfektionsmittel sowie eine große Mülltüte, die auch immer gern angenommen wird. Wir finden sogar Bier in der Kühlbox. Das trinken wir aber nicht am Nachmittag, sondern nehmen für Jeden ein Feierabend-Bier mit. Danach machen wir uns gut gestärkt an den weiteren Aufstieg. In 2530 Meter Höhe beenden wir diesen spannenden Tag. Die einzige gerade Fläche ist mit Kuhfladen verunziert, immerhin gut durchgetrocknet. Thomas fegt den Platz. Immer noch haben wir sehr viel Wind. Es wird Zeit, abends die Daunenjacken auszupacken. Mein nagelneuer Rucksack ist schon kaputt. Nach nur gut einer Woche auf dem Trail habe ich bereits einen 3 Zentimeter langen Riss im Bezug. Da hat wohl irgendein Stachel-Gewächs richtig tief hineingeschnitten. Mit Klebeband von innen und außen ist das Problem schnell behoben.
Zu Beginn war die Nacht richtig kalt, so dass wir unser wärmendes Inlett vom Schlafsack vermissen. Aber das haben wir aussortiert und im Paket vorausgeschickt nach Chama. Upps – Chama liegt noch über 1000 Kilometer weit voraus. Nachdem wir unsere lange Unterwäsche angezogen haben, wird es so gemütlich im Zelt, dass wir gar nicht mehr aufstehen mögen. 12 Stunden Schlaf ! Beim Start fühle ich mich etwas kurzatmig. Das wird wohl an der dünnen Höhenluft liegen. Je weiter wir ansteigen, umso mehr machen die Laubbäume einem niedrigen Nadelwald Platz. Wir befinden uns im Gila National Forest. Unser erster Gipfel ist der Jacks Peak mit knapp 8000 Fuß Höhe, nur einen Kilometer weiter überschreiten wir den Gipfel des noch höheren Burro Peak, immerhin schon auf 2700 Metern. Von dort führt unser Weg allmählich bergab. An einer Gabelung lassen wir unsere Rucksäcke liegen und laufen 1,5 Kilometer bis zur Wasserstelle. Diese macht ihrem Namen alle Ehre. „Mud Springs“ bedeutet so viel wie Schlamm-Quelle. Eine dünne Schleimschicht schwimmt oben drauf, Pflanzenteile, Insekten und ein paar Vogelfedern. Aber gefiltert schmeckt das Wasser wunderbar, viel besser als das Stadt-Wasser aus der Leitung, welches meistens ordentlich gechlort ist. Unser Trail führt uns immer tiefer bis in den Deadman Canyon hinab. Dort unten gibt es sogar fließendes Wasser, ein dünnes Rinnsal in der Mitte der Schlucht. Plötzlich sehen wir in ca. 20 Metern Entfernung ein Wildschwein voraus. Gleich darauf ein weiteres, dann noch zwei Jungtiere. Zunächst denken wir an Vater und Mutter mit Kindern. Aber es tauchen immer mehr Wildschweine vor uns auf. Schließlich ist links und rechts und voraus ein ganzes Rudel von 10-12 Tieren unterschiedlicher Größe versammelt. Sie sind nicht besonders scheu. Solange wir stehenbleiben, interessieren sie sich nicht für uns Menschen. Erst als wir langsam weiterlaufen, da stellen sie ihre Nackenborsten hoch und springen in alle Richtungen davon. Nach der Durchquerung des Deadman Canyon folgen wir einer sandigen Piste. Der Himmel ist tiefblau, keine Wolke zu sehen. Kurz darauf entdecken wir eine Schlange, die sich auf der Fahrbahn in der Sonne räkelt. Sie ist ca. 1 Meter lang, braun mit hübscher Musterung, ganz ähnlich wie eine Klapperschlange gezeichnet. Sie hat einen schmalen Kopf und runde Augen, ist also ungiftig. Giftschlangen haben einen dickeren, dreieckig geformten Kopf und Schlitzaugen. Ein Auto kommt uns entgegen. Der Fahrer hält an und begrüßt uns mit den Worten : „Es ist ein langer Weg bis nach Canada. “ Wir fragen, was das wohl für eine Schlange ist. Der Mann im Jeep bezeichnet sie als “ Bald Snake“ oder „Gulf Snake“. Dann wünscht er uns viel Glück auf dem langen weiteren Marsch.
Ein diebischer Vogel hat während der Nacht unseren Topfschwamm gestohlen. Und das, obwohl ich den mit einem Stein beschwert hatte …. Essen kann man Topfschwämme nicht, also findet der wahrscheinlich Verwendung beim Nestbau. Es sind nur noch 20 Kilometer entlang einer Straße bis nach Silver City. Direkt neben dem Highway erscheint uns eine Pause nicht besonders attraktiv. Deswegen laufen wir einfach 3 Stunden stramm durch bis zum Ortseingang, wo wir ein leckeres mexikanisches Frühstück einnehmen. In Silver City finden am Wochenende die „Trail Days“ statt, das ist ein Festival speziell für die CDT-Hiker.
Es werden eine Menge Vorträge angeboten zu den Themen Navigation, Ausrüstung und Sicherheit in dieser unwirtlichen Gegend. Des Weiteren gibt es allgemeine Veranstaltungen zur Geschichte und aktuellen Situation auf dem CDT. Vorführungen zu Ausrüstungs-Gegenständen, Geschichten und Erfahrungsberichte von ehemaligen Thru-Hikern, eine Verlosung sowie die Happy Hour in der örtlichen Brauerei runden das Programm ab. Zwei Tage voller Informationen und Geselligkeit unterbrechen unsere sonst recht einsame Wanderung.
Wir brauchen neue Heringe für unser Zelt. Der trockene Boden hier ist so hart, dass bereits 4 von 8 Heringen das Zeitliche gesegnet haben. Und natürlich einen neuen Topfschwamm …. und eine Gas-Kartusche zum Kochen…. und eine Packung Blasenpflaster. Kein Problem, denn Silver City ist mit 10500 Einwohnern schon ein größeres Städtchen und hat sogar zwei Läden, in denen man Camping- und Hiking-Ausrüstung kaufen kann.
Ungefähr 260 Kilometer haben wir bisher zurückgelegt. Uns geht es gut, und wir sind sehr glücklich mit der Aussicht, viele Monate draußen in dieser grandiosen Natur zu verbringen. 🙂