Samstag, 09. September. Die Unlust steht uns Beiden ins Gesicht geschrieben. Eigentlich möchten wir gar nicht los. Bei diesem harten Klima fällt es ungleich schwerer, die Gemütlichkeit der warmen Stube zu verlassen, das Kaminrohr vom Ofen abzubauen und in die Schwerwetter-Klamotten zu steigen. Aber es nützt ja nichts. Überwintern wollen wir hier nicht. Und mit jedem Tag, den wir länger verbummeln, schreitet der Herbst voran. Das Wetter wird zunehmend schlechter, ein Tief jagt das nächste. Das letzte Drittel der Nord-West-Passage liegt vor uns, das sind etwa 1100 weitere Seemeilen in arktischen Gewässern.
Wir starten gegen Mittag. Vor uns liegt das ausgeprägte Delta des Mackenzie Rivers. Ein weites Gebiet mit flachem Wasser und vielen Hindernissen im Weg. Wir fahren zunächst unter Maschine, um den Muschelbänken und Krabbenkörben besser ausweichen zu können. Stundenlang zeigt unser Echolot eine Tiefe von nur 3,50 bis 4,50 Meter an. Sowas sollte man nicht mit zu viel Wind angehen, aber bei uns sind die Bedingungen gerade noch okay. Wir legen erst einmal keinen Wunschkurs an, sondern halten den Bug weg von der Küste, damit wir möglichst bald heraus aus diesem Flachwasser sind. In der elektronischen Seekarte sind komische Bildchen eingezeichnet. Da gibt es grüne Flecken, künstliche Inseln, die Pingos, Öl- und Gas-Plattformen, Gefahrentonnen und einige Wracks. Außerdem immer mal wieder die Zeichen für gefährliche Strömungen und Strudel. Hochkonzentriert sind wir damit beschäftigt, das Boot aus dieser Küstenzone zu bringen. Am frühen Abend ist es geschafft. Steuerbord von uns liegt noch ein größeres Sperrgebiet, danach sind wir klar von Untiefen und kartographierten Gefahren. Inzwischen hat der Wind ordentlich zugenommen. 6-7 Windstärken aus Ost, genau wie vorhergesagt. Diese Richtung können wir gut gebrauchen, wir wollen vorwärts kommen. Hatten wir zuerst noch Großsegel und Genua stehen, so können wir ab jetzt ganz einfach nur mit der Genua Geschwindigkeit machen. Klar, bequem ist das nicht. Mit Wind platt von achtern rollt das Schiff wieder von einer Seite zur anderen. Alles klappert, was sich irgendwie bewegen kann. Etwas nervig, aber das ist der Preis für schnelle Fahrt auf Kurs. Wir werden nicht meckern und klagen, sondern freuen uns darüber, dass wir auf dieser freien Strecke richtig segeln können. Läuft gerade super. 🙂
Zum Ende dieses ersten Tages können wir einen ganz besonderen Sonnenuntergang beobachten. Viele Stunden lang sind breite Streifen verschiedener Rot-Töne am Himmel zu sehen. Positives Zeichen ? Auf jeden Fall sind wir sehr optimistisch, was diese letzte große Etappe betrifft. Und danach brauchen wir dringend Urlaub. 😉
Die Nacht über bleibt uns der frische Wind erhalten. Grobe See. Kurz und hackig sind die Wellen. Einige Brecher treffen uns von der Seite und werfen das Schiff aus dem Ruder, aber die meiste Zeit läuft Walkabout schön gleichmäßig vor dem Wind. Die Geräusche der in der Dunkelheit anrollenden Brecher sind eigentlich viel schlimmer als das, was sie wirklich anrichten.
Bei Tageslicht sieht die Beaufort See grau und aufgewühlt aus. Das kann uns nicht besonders erschrecken, denn wir haben ein starkes Schiff. Der Blick nach draußen erinnert sehr an Winter auf der Nordsee. Die Beaufort See ist anstrengend und hat ihre Tücken. Aber wir finden es gar nicht so schlimm hier. Fühlen uns heimisch in diesem Gewässer. Alte Schule : Nordsee-Segeln mit einem kleinen Boot. Wir sind während der gesamten Nord-West-Passage noch nicht so entspannt unterwegs gewesen wie hier auf offener See. Und wir sind guter Dinge, denn jeder Tag in Bewegung bringt uns dem Ende näher.
Wasserwirbel und Turbulenzen zeigt die Seekarte an. Wir meiden diese Gebiete nach Möglichkeit und merken nicht viel davon, der Seegang läuft sowieso kreuz und quer. Eisiger Schnee-Regen. Von einem Moment zum nächsten stecken wir in dichtem Seenebel. Die Arktis ist wirklich ein raues Gebiet und gestattet keine Unaufmerksamkeit. Wir sind hier nur zu Gast.
Montag um 6.00 Uhr in der Frühe liegt „Demarcation Point“ querab. Landeinwärts steht ein Monument als Markierung. Davon sehen wir nichts, aber die US-Flagge liegt schon bereit. Lautlos und unauffällig überfahren wir die unsichtbare Grenze zwischen Kanada und den USA. Welcome to Alaska ! 🙂
Zwei Tage und Nächte konnten wir mit strammem Ostwind wunderbar segeln, dann ist es vorbei. Gegenwind. Noch nicht so stark, aber laut Vorhersage mit zunehmender Tendenz. Wir kreuzen. Das verlängert unseren Weg, die Geschwindigkeit ist auch nicht berauschend. Alternative wäre nur, in einer Ankerbucht auf bessere Bedingungen zu warten, aber das bringt uns kein Stück voran. Kreuzseen. Wir stampfen gegen Wind und Wellen, haben dabei aber noch eine Rest-Dünung vom West der vergangenen Tage. Ab und zu kracht ein Brecher von achtern gegen das Heck. Grauer Nebel-Tag. Kalt. Die Leinen sind angefroren.
Während der letzten Nacht hat die Windsteueranlage plötzlich geklappert. Ungewöhnlichen Geräuschen muss sofort nachgegangen werden. Beim genaueren Hinsehen hat Thomas festgestellt, dass sich eine Hülse losgeruckelt hat. Kein Wunder bei dieser Dauer-Belastung – knapp 6000 Seemeilen seit dem Start von Santa Cruz auf La Palma am 27. Mai. Der Käpt’n hat die Hülse zurück an ihren Platz gebracht, eine Schraube fest gedreht, aber nicht zu fest und fertig. Eine E-Mail an Peter Förthmann in Hamburg wurde sofort beantwortet. Peter hat uns bestätigt, dass es kein Problem mit „seinem Baby“ gibt. Alles richtig gemacht. Die Windsteueranlage hat ihre Arbeit wieder übernommen und läuft tadellos. Wir lieben unsere Windpilot.
Hin und her, hin und her. Langer Schlag, kurzer Schlag. Wir kreuzen immer noch und kommen dabei auf unserer Linie mühsam Zentimeter für Zentimeter weiter. Der Wind hat etwas zugenommen, die Wellenhöhe ist gestiegen. Manchmal zeigt der Plotter nur 2,5 Knoten an „Geschwindigkeit“. Thomas weiß, wie sehr mich das frustriert und sagt : Nicht hingucken ! 😉 Vielleicht hilft das ja. Heute Nacht, morgen über Tag und die darauf folgende Nacht bleibt es bei Gegenwind 5 Bft. aus West. Aber wir kämpfen weiter. Ein halbes Etmal ist besser als gar kein Etmal. Hagel prasselt auf die Scheiben vom Deckshaus. Später geht er über in Schnee. Dem Anschein nach wird es jetzt Winter. Nichts wie weg hier.
Hart am Wind und mit Motor-Unterstützung schieben wir ordentlich Lage. Aufrecht gehen im Schiff ist nicht möglich. Wir tasten uns an der Wand entlang vom Steuersitz zur Schlafkoje und 4 Stunden später wieder zurück. Aber auch Gegenwind-Lagen gehen vorbei. Mehrmals täglich fordern wir den aktuellsten Wetterbericht via Iridium Go an. Der Zeitraum für eine stimmige Vorhersage wird immer kürzer, die Tiefdruckgebiete laufen jetzt schneller durch. Gute Wetterfenster sind rar. Zum Glück blockiert kein Eis auf unserem Weg. Eine Sorge weniger. Wir müssen uns nur Gedanken um den Wind und die zum Teil starken Strömungen machen. Ganz schlechtes Etmal : Wir sind 80 Seemeilen in 24 Stunden gesegelt, seit dem gestrigen Wegpunkt allerdings nur 50 weiter auf unserem Kurs. Noch 150 Seemeilen bis zu meinem nächsten Angstgegner : Cape Barrow, das ist der nördlichste Punkt der USA. Dort heißt es vermutlich erst einmal wieder „Abwarten“, bis es grünes Licht für die nächste Etappe gibt. Bis nach Point Hope sind es dann weitere 300 Seemeilen ohne die Möglichkeit zum Unterschlüpfen. Kein Ankerplatz auf der weiteren Strecke, das möchten wir nur angehen, wenn das Wetter für 3 Tage passend ist. Es schneit schon wieder.
Und noch ein weiteres halbes Etmal : 75 Seemeilen in 24 Stunden abgesegelt, aber nur 60 voran in Richtung Cape Barrow. Warten am Ankerplatz hätte uns nicht so weit gebracht. Geduld ist gefragt, dieses Zauberwort haben wir schon öfter gehört. 😉
Drei Tage und zwei Nächte Gegenwind ist wirklich genug. Irgendwann wird es wieder heller draußen. Wind und Wellen beruhigen sich. Das ist übrigens immer so, auch wenn man es in der jeweiligen Situation nicht glauben will. 😉
Es folgen einige Stunden Flaute. Der Motor bringt uns weiter. Klare Sicht, kein Wölkchen am Himmel, die Sonne scheint. Sehr gut für die Moral der Mannschaft. 🙂 Leider haben wir zu wenig dieser Schönwetter-Momente, ganz anders als im Werbeprospekt versprochen wurde. 😉
Am Nachmittag setzt Thomas den Spinnaker-Baum. Das hat er lange nicht gemacht, aber jeder Handgriff sitzt. Der Wind hat inzwischen komplett gedreht. Er weht als laues Lüftchen aus Ost, also direkt von achtern. Mit der ausgebauten Genua auf Steuerbord und dem weit geöffneten Groß an backbord segeln wir Schmetterling. Der Wind soll zunehmen während der Nacht. Das könnten wir gut gebrauchen. Wir sind gespannt.
Abends erreicht uns eine E-Mail von Victor Wejer, dem Kenner der Region und Berater der kleinen Segelboote. Ihm ist sehr daran gelegen, dass er alle seine Schützlinge sicher durch die Nordwest-Passage geleitet. Heute der dringende Appell des Kanadiers : Wir sollen uns beeilen, damit wir Nome bis spätestens Mittwoch erreichen. Für nächsten Donnerstag ist ein schwerer Sturm in der Bering See angekündigt. Den haben wir auch in der Vorhersage gesehen, allerdings erst einmal abgetan mit dem Gedanken „ist ja noch weit weg“. Aber wenn Victor uns persönlich eine Warnung schickt, dann muss es wirklich heftig kommen. Beeilen ist leichter gesagt als getan, die kleine Walkabout hat ihre Limits. Wir rechnen und stecken den besten Kurs ab, vergleichen mit den Wetterdaten und rechnen wieder ….. Es könnte so ganz knapp passen, wenn wir Gas geben und nichts dazwischen kommt. Also Vollzeug und los, ein paar unbequeme Tage stehen uns bevor.
Eigentlich habe ich ja gar keine Lust auf so eine Hetze. Die letzten 700 Seemeilen sollen wir auch noch gegen die Zeit kämpfen, wo wir uns doch schon seit Wochen immer beeilen mussten. Können wir nicht einfach ganz normal weiterfahren und die Reise in unserem Tempo beenden ? Eigentlich hatte ich gedacht, wir würden bei Point Barrow in der Lagune ankern, noch einmal den Ofen anheizen und Schlaf nachholen. Dann die nächste Etappe bis Point Hope, wo wir gemütlich auf ruhiges Wetter warten könnten und danach die letzten 300 Seemeilen in Angriff nehmen. Aber nein, einfach rausschleichen geht hier wohl nicht. Viel Wind ist angesagt, das kommt natürlich unserem Zeitdruck zu Gute. Schnell werden wir sein. Aber die Nord-West-Passage bleibt ungemütlich bis zum Schluss.
Eine frühere Ankunft hat natürlich auch ihren Reiz. Umso eher sind wir hier raus. Ich habe keine Lust mehr. Segel-müde könnte man das nennen. Die Saison war nur kurz, allerdings kommen schon 8000 Seemeilen seit Ende Mai zusammen. Letztes Jahr auf unserer Passage von den Azoren in die USA und wieder zurück sah die Bilanz ganz ähnlich aus : 7840 Seemeilen in 4 Monaten. Ruhig schlafen werden wir erst wieder, wenn wir in sicheren Gewässern sind, alle Leinen festgemacht an einem richtigen Steg. Wir suchen einen guten Platz für die Walkabout und machen dann erstmal eine Weile Urlaub vom Boot.