Wir segeln und wandern durch die Welt

Waynesboro bis Glasgow

„Pink Moon“ am Himmel und das Murmeln des Baches ein paar Meter weiter hatten eine sehr entspannende Wirkung. Auf der Wiese in Waynesboro haben wir weich und warm geschlafen. Gemütliches Kaffeetrinken am Picknick-Tisch. Wir entscheiden uns dazu, heute schon wieder aufzubrechen. In der Bücherei haben wir eine Liste der Trail Angel bekommen, die hier in der Gegend die AT-Hiker unterstützen. Thomas nimmt Kontakt auf mit „Yellow Truck“ und bekommt ohne Zögern sofort eine positive Antwort. Damit ist unser Rückweg zum Trailhead am Rockfish Gap gesichert. In einem etwas weiter entfernten Baumarkt kaufen wir die richtige Gas-Kartusche für unseren Kocher. Derweil haben wir die Rucksäcke beim YMCA geparkt und außerdem die Powerbank zum Laden dort an die Steckdose gehängt. Mittags gehen wir noch einmal zum China-Restaurant und schlagen uns den Bauch richtig voll. Unser Trail Angel meldet sich, er kann uns erst um 14.00 Uhr statt der verabredeten 13.00 Uhr abholen. Macht nichts, kein Problem, dann essen wir eben eine Stunde länger. „All you can eat“  – sogar das Getränk wird ständig nachgefüllt, und das alles zum Festpreis. Währenddessen laden Handy und Powerbank, bis die Geräte fast voll sind. Sehr gut. Wir sind bereit für die nächste Etappe. 🙂

Schon kurz nach dem Loslaufen kommen uns drei Männer in Arbeitskleidung mit Schaufeln und Harke entgegen. Das sind die „Volunteers“ – die freiwilligen Helfer, die den Trail für uns instand halten. Nach den Winterstürmen gibt es viel zu tun. Wir bedanken uns bei den Männern und plaudern eine ganze Weile. Uns imponiert immer wieder, wie viele ehrenamtliche Helfer auf allen Ebenen es in den USA gibt. Nach 2,5 Stunden machen wir kurze Pause an der Paul Wolfe Shelter. Die ist geräumig, sauber, hell und freundlich. Direkt unterhalb der Schutzhütte fließt der Mill Creek. Jetzt im Frühling plätschert sehr viel Wasser in Kaskaden hinunter, über den dicksten Felsen stürzt sich sogar ein kleiner Wasserfall in die Tiefe. Hier könnte man es gut aushalten, aber es ist erst 17.00 Uhr, wir möchten weiter. Danach geht es richtig bergauf. Heute können wir es noch einmal wagen, in der Höhe zu zelten. Ab morgen sind drei Nächte nacheinander frostige Temperaturen angesagt. Und übermorgen, am Montag, ist eine 100 % ige Regen-Wahrscheinlichkeit in der Prognose. Das ist viel. 😉 Können wir nur hoffen, dass sich das Wetter zu unseren Gunsten entwickelt und nicht ganz so schlimm wird wir vorausgesagt. Eichhörnchen rascheln überall. Insgesamt acht Rehe kreuzen unseren Weg in der Abenddämmerung. Um 20.00 Uhr finden wir einen sehr schönen Platz am Abzweiger zu einem Aussichtspunkt. 1400′ Fuß Höhenunterschied vom Rockfish Gap bis zu unserem Nachtlager. Morgen früh sind es nur noch 340′ Fuß Aufstieg bis zum Gipfel des Saddleback Mountain. Spät los, aber trotzdem noch 18 Kilometer geschafft. Guter Tag. 🙂

Nur eine Stunde nach dem Start stehen wir auf dem Gipfel des Humpback Mountain mit 3626′ Fuß Höhe. Auf der anderen Seite steigen wir gleich wieder hinunter. Es folgen kleine Anstiege, Abstiege und Gegenanstiege. Ein besonders schöner Abschnitt liegt vor uns, die Cedar Cliffs. Hier verläuft der Weg über zwei Kilometer auf kompaktem Fels entlang der Klippen. Immer wieder laden Vorsprünge mit offenem Blick ins Tal zum Staunen und Fotografieren ein. Die Temperaturen sind heute noch mild. Frühlings-Stimmung. Wir entdecken unsere Lieblingsblumen auf dem Appalachian Trail : Ladyslipper. Die gibt es in allen möglichen Farben. Heute sind die Ladyslipper zunächst einmal in weiß und zart-rosa aufgeblüht. Dunkelbraune Samenkapseln, wie wir sie im Januar in Florida kennengelernt haben, liegen auf dem Waldboden. Die Natur in Virginia wacht also ungefähr drei Monate später auf als im Süden der USA. Mittags wird das Terrain holprig …. und Steine pflasterten unseren Weg …. große und kleine, lose und feste, runde und spitze Steine. Zwischendurch liegen dicke Baumstämme quer über dem Weg. Meistens steigen oder klettern wir hinüber, manchmal ist aber auch Drunterdurch im Limbo-Stil nötig. Dabei stören die Rucksäcke und Stöcker natürlich gewaltig, die werfen wir einfach voraus. Schnelles Vorwärtskommen ist ausgeschlossen. Man muss schon sehr aufpassen, wo man hintritt.

Nach drei Stunden sind wir froh, dass der Pfad ebener wird. Es geht in die George Washington Wilderness. Wir erklimmen einen kleinen namenlosen Hügel und machen Pause an der Maupin Field Shelter. Danach folgt der anstrengendste Teil des Tages, ein knackiger Aufstieg zum „Three Ridges Mountain“ in 3870′ Fuß Höhe. Wir steigen 5 Kilometer bergauf und denken mehrmals, dass wir endlich oben sind. Von wegen – drei Gipfel mit drei fantastischen Aussichten zu drei verschiedenen Richtungen. Ab 18.00 Uhr wird es merklich kühler. Wir beeilen uns, denn vor uns liegen noch mehr als 5 Kilometer bergab. Wegen der winterlichen Wetterprognose und dem angesagten Starkregen möchten wir diese Nacht lieber nicht im Zelt verbringen, sondern haben die Harpers Creek Shelter als Ziel anvisiert. Die liegt knapp 2000′ Fuß tiefer, was ja eigentlich gut ist, weil die Temperaturen in der Nacht unter den Gefrierpunkt sinken sollen. Aber da müssen wir erst einmal ankommen, also heißt es, noch einmal die Zähne zusammenbeißen und weiter. Ein schmaler Pfad über Felsen und loses Geröll, es geht beinahe senkrecht nach unten. Die Knie lassen grüßen. Nach zwei Stunden haben wir eigentlich genug davon. Echt mühsam, denn man muss furchtbar aufpassen. Konzentration und Trittsicherheit sind gefragt. Zum Ende des Tages hin ist das doppelt anstrengend, da darf man nicht unachtsam werden. Langsam stolpern wir voran, der Weg bis zur Shelter dauert viel länger als geplant. Wir kommen erst nach 20.00 Uhr an, gerade so mit dem letzten Tageslicht. Glück gehabt ! Wir sind alleine, zumindest jetzt noch. Draußen weht inzwischen ein scharfer Wind. Bei diesem Sauwetter wird hoffentlich Niemand mehr unterwegs sein. Wir kochen das Übliche 😉 und richten uns gemütlich ein. 

Wir haben ein kleines Haustier. Beim abendlichen Zähneputzen haben wir sie im Dunkeln herumflitzen sehen : die Shelter-Maus. Niedliches Tierchen. Der ist bestimmt kalt, und zu Fressen gibt es auch noch nicht viel in dieser Hiker-Vorsaison. Thomas legt eine Scheibe Brot für unseren Gast auf den Boden. Es dauert keine Minute, da kommt das Mäuschen angerannt und entdeckt sofort das Futter. Wir haben die ganze Nacht Ruhe. Unsere Maus liegt wahrscheinlich pappsatt in irgendeiner Ecke. In der Frühe ist das Brot gut angeknabbert, aber noch nicht aufgefressen. Seit halb 4 regnet es heftig, die Tropfen prasseln laut auf’s Dach. Wir sind froh, dass wir es bis hierhin geschafft haben und nicht im Zelt absaufen. Gute Entscheidung. 🙂 Wir drehen uns noch mehrmals um, verkriechen uns in die Schlafsäcke. Da drin ist es warm und dunkel. Um 9.00 Uhr früh werden wir geweckt, weil ein durchnässter Wanderer ankommt. Zwei weitere Männer folgen kurz darauf. Alle Drei sind Thru-Hiker auf dem Weg von Süden nach Norden. Letzte Nacht haben sie auf einem Campsite etwa eine Stunde entfernt gezeltet. Kurzer Wetter-Check, die Amis auf dem Trail haben Internet-Zugang. Das Wetter bleibt gruselig. Inzwischen ist der Regen in Graupel übergegangen, dann folgt leichter Schneefall, der mit Schnee-Regen endet. Die nächste Nacht wird noch kälter sein als die letzte. Morgen-Toilette, Beratung und Neu-Organisation, dann stapfen die drei Männer wieder los. Sie wollen zur Shelter, an der wir gestern Pause gemacht haben, 5 Kilometer steil bergauf, über den Gipfel des „Three Ridges Mountain“ und 5 Kilometer wieder hinunter. Ist zu schaffen, nass sind sie sowieso. Und wahrscheinlich haben sie genauso wenig Lust auf fremde Gesellschaft wie wir. Unsere Schutzhütte bietet Platz für 6 Personen, 5 Leute mit nassen Sachen zum Aufhängen ist da schon eng. Es wird weiß draußen. Wir haben beschlossen, dass wir den Tag hier bleiben und den Regen bzw. Schnee aussitzen werden in der Hoffnung, dass es morgen trockener ist. Die Höchst-Temperatur am Tage ist mit 5° angegeben, das lädt auch nicht gerade zum Jubeln ein. Wir haben einen satten Aufstieg vor uns liegen. Da kann man ruhig kalt starten und wird durch die Anstrengung wahrscheinlich schnell auf Betriebs-Temperatur kommen. Heute also erstmal Kälte und Langeweile in der Harpers Creek Shelter. Wir haben alles an Kleidung angezogen inklusive Regensachen als letzte Schicht. Wir üben uns in Geduld, beobachten Eichhörnchen und Vögel aus dem Schlafsack heraus. Kaffee und heiße Schokolade machen es ganz erträglich. Um 18.30 Uhr kommt Leben in die Bude. Zwei junge Frauen, Anfang 20, trudeln triefend nass ein. Sie sind so froh, dass sie die Shelter erreicht haben, wie wir gestern waren. Die Mädels sind Schwestern und nur für einen kurzen Trip von zwei Nächten unterwegs. Bei diesem Wetter – ich fasse es nicht ! Witzig und spritzig sind die Beiden, stören uns überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil : Nach diesem bewegungs- und ereignislosen Tag ist diese Abwechslung richtig nett.

Eiskalte Nacht, aber immerhin hat es aufgeklart. Morgens früh um 7 Uhr sind die jungen Frauen bereits weg. Keine Unterhaltung, wir haben nur ein bisschen Knistern und Rascheln aus deren Ecke gehört. So lieb und so leise ! Trail Magic : ein Apfel und eine Banane in unseren Schuhen. 🙂 Auf dem Three Ridges Mountain liegt Schnee. Auch die vor uns liegenden Gipfel sind weiß. Die Luft prickelt auf der Haut. Zunächst führt unser Weg bergab. Was soll das denn ? Ich bin gar nicht begeistert, denn es liegen wirklich genug Höhenmeter vor uns. Wir steigen tief hinunter bis zum Tye River, überqueren den Fluss auf einer stabilen Hängebrücke und beginnen dann erst mit dem Aufstieg zum „Priest“. Volle Flaschen müssen wir nicht hochtragen. Überall sprudelt Wasser aus dem Berg, auch wenn es gar nicht eingezeichnet ist. Wir wandern mit unseren alten Unterlagen aus dem Jahr 2012, müssen allerdings bei der Planung die Zeilen und Entfernungs-Angaben „umdenken“, weil wir ja diesmal von Norden nach Süden wandern. Etwas Gehirn-Jogging ganz nebenbei. 😉 Von 970′ Fuß am Tye River geht es bis auf 4063′ Fuß, das sind mehr als 1000 Höhenmeter Unterschied. Je weiter wir aufsteigen, umso bizarrer wird die Landschaft. Die Äste sind mit Eis ummantelt und hängen tief herunter, weil sie so schwer geworden sind. Ganze Baumstämme sind mit einer glatten Eisschicht überzogen. Das sieht aus, als wenn der Künstler Christo sie mit Klarsicht-Folie eingepackt hat. Was für ein tolles Winter-Wunderland ! Bei jedem Schritt knirscht und knackt es unter unseren Füßen. Eiszapfen hängen von den Bäumen. Klare, frostige Umhüllung, in der grüne Pflanzenteile eingebacken sind. Kleine Kunstwerke zum Staunen. Der Schnee glitzert zur Mittagszeit. Die vereisten Bäume blinken und funkeln in der Sonne, als wenn dort unzählige Lichterketten hängen. Unfassbar schön ! Man muss allerdings achtgeben, dass man nichts abkriegt, wenn der Wind die Bäume schüttelt. Ein Schwarzbär kommt in etwa 20 Meter Entfernung von rechts, kreuzt vor uns den Trail und verschwindet links zwischen den Bäumen. Er sieht total kuschelig aus, ist auch noch nicht ganz ausgewachsen. Vermutlich ein Jungtier vom letzten Jahr, ein- oder höchstens zweijährig. Das ist ja nun fast nicht zu toppen ! Wir sind überglücklich, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Wandern in dieser Märchen-Landschaft, die Sonne scheint, und dann läuft ein Bär so nahe vorbei, als wären wir ein Teil seiner Natur. 🙂

Wir steigen volle vier Stunden auf bis zur Priest Shelter. Pause unterwegs ist schlichtweg unmöglich wegen der Temperaturen. Drei tote Mäuse liegen direkt vor der Hütte. Das ist weniger schön. Innen ist es dunkel und schmutzig. Normalerweise gebietet die Shelter-Etikette, dass man nicht mit dreckigen Wanderschuhen den Boden betritt, auf dem geschlafen wird. Außerdem sollte der Letzte die Hütte ausfegen. Hier nicht. Im Buch finden wir seltsame Einträge und negative Kommentare aus den letzten Tagen. Schlechtes Karma. 🙁 Nützt nichts, wir müssen essen und trinken. Dafür breiten wir unsere Iso-Matten aus, nachdem wir den Platz gefegt haben. Außerdem holen wir unsere Schlafsäcke für die Mittagspause heraus, anders ist es nicht auszuhalten in dieser Höhe. Heiße Schokolade vorweg zum Aufwärmen. Das Nutella ist gefroren. Die Erdnuss-Butter lässt sich so gerade noch streichen. Nach dem Mittagessen gibt es ausnahmsweise noch eine Tasse Kaffee. Wir brauchen Flüssigkeit. Und wir haben Hunger ! Es kommt uns so vor, als benötigen wir zur Zeit noch mehr Kalorien als sonst. Wahrscheinlich, weil unsere Körper ständig gegen das Frieren anheizen müssen. Der Proviant wird knapp, das kann man jetzt schon sehen. Wir kaufen sowieso immer recht sparsam ein, weil wir nicht so viel schleppen möchten. Dazu noch dieser ungeplante Schlechtwetter-Tag gestern in der Hütte, an dem wir ganz normal gegessen haben, aber kein Stück vorwärts gekommen sind. Aber keine Panik, vielleicht ergibt sich noch irgendwas. Notfalls müssen wir etwas schneller laufen und mehr Meilen machen, damit wir einen Tag früher herauskommen. Nach der Priest Shelter beginnt ein sehr schöner Weg über die Ridgeline. Mehrere Kilometer bleiben wir in dieser Höhe, haben nur ein leichtes Auf und Ab. Thomas entdeckt einen aufgehängten Beutel etwas weiter unten am Hang. Bei näherer Untersuchung stellt sich heraus, dass es sich um Bären-sicher aufgehängte Vorräte handelt. Wir schauen uns um, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Besitzer in der Nähe ist. Es hat in der Nacht geschneit, da müsste man sonst Spuren oder einen Zeltplatz erkennen. Da hat ein Wanderer seinen prall gefüllten Futtersack vergessen ( ist uns auch schon passiert ). Darin befinden sich Medikamente, mehrere kleine Flaschen Olivenöl und Saucen, Beef Jerky, ein Dutzend Packungen Kekse und eine große Tüte Kartoffelchips. Warme Essen fehlen, vielleicht war da schon Jemand vor uns dran. Das ist garantiert nicht der Proviant eines Thru-Hikers. Einige Sachen sind bereits im Sommer letzten Jahres abgelaufen. Da kann man wohl davon ausgehen, dass diese Sachen schon länger dort oben zwischen den Bäumen hängen. Bei uns passt das jetzt gerade gut, weil wir so knapp sind mit Essen. Niemand wird verhungern, wenn wir uns etwas mitnehmen. Drei Packungen Kekse und das Beef Jerky wandern in meinen Rucksack. Thomas zieht den Beutel, der immer noch zu mehr als Dreiviertel voll ist, wieder hoch. Ein wunderbarer Tag, besser könnte es fast nicht sein. 🙂 Wer hätte das gestern erwartet ? Den Abstecher zum Spy Rock über einen Seitenweg sparen wir uns. Ich war schon zweimal dort oben, es ist ein Felsen mit schöner Aussicht, aber nicht bei diesem kalten Wind. Ab 17.00 Uhr wird der Schnee unter unseren Füßen hart. Es friert schon wieder. Gegen 18.30 Uhr erreichen wir die Seeley-Woodworth Shelter, welche bereits mit drei Leuten besetzt ist. Eigentlich wollten wir nur im Schutz der Hütte kochen und danach noch etwas weiter. Aber immer wieder fallen dicke Eisbrocken und Äste auf das Dach, während Thomas unterwegs zum Wasserholen ist und ich den Kocher heraussuche. Das hört sich nicht nach einer entspannten Nacht im Zelt an, es könnte sogar gefährlich sein. Ich schaue mir die Truppe etwas genauer an : eine ältere Dame, ein Mann im mittleren Alter und eine junge Frau. Die sehen „normal“ aus, die Gesellschaft scheint ganz okay zu sein. Alle Drei haben den gestrigen Tag im Hotel in der Stadt verbracht, es gibt also keine aufgehängten nassen Klamotten. Die Shelter wird mit 6 Plätzen angegeben, mit uns sind es 5 Personen. Wir werden zum Bleiben eingeladen und legen uns nach kurzer Überlegung in die Mitte.

Bitterkalt war es, die bisher kälteste Nacht auf dem Trail. Alle haben gefroren, auch wenn die anderen Wanderer bessere Schlafsäcke hatten als wir. Furchtbare Nacht, aber auch die ist schließlich um. Draußen vor der Hütte ist der Boden total vereist. Sehr glatt, so dass man zur Toilette den Hang hinauf besser mit festen Schuhen und Stöckern geht. Thomas nimmt immer seine Tasse als Maß, wenn er Kaffeewasser für uns Zwei kochen möchte. Diesmal bilden sich nach dem Umschütten in den Topf sofort Eiskristalle in der Tasse. Es muss also noch deutlich unter Null Grad sein. Niemand hat bei diesen Temperaturen so richtig Lust zum Loslaufen, aber um 8.30 Uhr ist die Shelter leer. Unsere drei Mitbewohner verabschieden sich und biegen nach Norden auf den AT. Wir sind die ersten, die heute die Spur in Richtung Süden legen. Zwei Stunden lang kein Entgegenkommer. Direkt zu Beginn ist der Schnee hart, stellenweise ist der Trail glatt. Es fallen noch faustgroße Eisstücke von den Bäumen. Die dicken Brocken sind wohl alle während der Nacht hinunter gekommen.

Gegen 11.00 Uhr setzt sich die Sonne durch und wärmt ein bisschen. Tut gut. 🙂
Nachmittags liegen zwei bemerkenswerte Gipfel auf dem Weg : Der „Cold Mountain“ mit 4022′ Fuß bietet eine tolle Aussicht, so als ob halb Virginia unter unseren Füßen liegt. Nach einem kurzen Abstieg geht es gleich wieder hinauf zum Bald Knob mit 4059′ Fuß Höhe. Wir sind absolut begeistert, dass wir beide Berge mit schönem Wetter überschreiten. Im Abstieg wandern wir auf der gegenüberliegenden Hangseite, das Landschaftsbild ändert sich. Keine Felsen, sondern ein schmaler Pfad durch Laubwald ohne Laub. Es folgen grüne Wiesen, die beinahe aussehen wie Weideland. Und die ersten Blümchen sind zurück. Je tiefer wir steigen, umso bunter wird es. Zarte Knospen, weiße und rosa Blüten an den Bäumen, lila Veilchen, gelbe Dotterblumen und eine neue Sorte Ladyslipper. Wir laufen wieder in den Frühling hinein. Einziger Wermutstropfen : 15 Meilen kein Wasser, das sind 24 Kilometer. Heute haben wir falsch gepokert, als wir nichts von der Shelter mitgenommen haben. Es gibt tatsächlich keinen Bach und keine Quelle vom Start am Morgen bis zum Kochen um 16.30 Uhr. Wir können Eiswürfel lutschen. Naja, nicht ganz, aber wir schlagen Eiszapfen von den Felsen ab und füllen die in unsere Flaschen. Sie schmelzen fast gar nicht. Ohne Wasser und in Ermangelung von Pausen-Snacks laufen wir fast 5 Stunden durch und kommen so richtig weit. Wir haben 1000 Höhenmeter im Abstieg zu bewältigen. Eigentlich steigen wir viel lieber auf. Zum Schluss verläuft der Weg mehrere Kilometer östlich und südlich um einen Staudamm herum. Um 20.00 Uhr finden wir einen einsamen Platz auf dichtem Laub, wo wir sicherlich hervorragend schlafen werden. Glatte 20 Meilen geschafft, das sind 32 Kilometer inmitten hoher Berge. Das war einfach wieder ein rundum gelungener Tag. So ist Virginia. 🙂 Landschaftlich umwerfend, mal rau und mal lieblich, auf jeden Fall anstrengend. Ganz bewusst ausgewählt, denn wir strengen uns gerne an.

Nach dem Aufstehen laufen wir etwa eine halbe Stunde immer tiefer nach unten ins Tal. Auf einer Hängebrücke überqueren wir den Pedlar River. Von da an geht es nur noch bergauf, wie immer, wenn der AT eine große Straße überquert. Anfangs ist es noch sehr kühl, aber wir kommen bald ins Schwitzen. Ein blau-weiß-schwarzer Vogel hockt in den Büschen. Es ist ein „Tree Swallow“. Sehr hübsch, so einen haben wir noch nie gesehen. Pause bereits um 11.00 Uhr, weil es gerade an dieser Stelle Wasser gibt und danach sehr lange nicht mehr. Beim Robinson Gap setzen wir uns an den Waldrand, genau dort, wo der Trail auf eine Schotterstraße trifft. Zwei Autos fahren vorbei, während wir essen und heißen Kakao trinken. Beide Wagen halten an. Beide Fahrer fragen, ob es uns gut geht, ob alles okay ist, ob wir Wasser brauchen. Sehr fürsorglich. Genau das lieben wir. Die Hilfsbereitschaft auf und entlang des AT ist unbeschreiblich groß. 🙂 Komisches Wetter heute : kalt, warm, kalt, warm. Wir begegnen einer Frau, die gerade zum dritten Mal ihre Kleidung wechselt, wie sie uns erzählt. Der Rucksack lehnt an einem Felsen, und auf dem Stein liegt ein Affe. Jetzt ist es endlich an der Zeit, unseren ständigen Begleiter vorzustellen. „Aap“ stammt ursprünglich aus Marburg und ist schon seit Beginn unserer Reise im Jahr 2011 mit uns unterwegs. Aap ist bereits über den Atlantik und über den Pazifik gesegelt, hat Kap Hoorn umrundet und ist bis nach Neuseeland auf der kleinen Walkabout mitgereist. Bei guten Bedingungen auf See war er tagelang an der Reling festgebunden, um auf den Ozean zu schauen. Später ist unser Maskottchen dann mit der schwarzen Walkabout in die nächste Runde gestartet. Auf einen Trail haben wir ihn noch nie mitgenommen. Ausnahmsweise darf er auf dieser 5-wöchigen Wanderung dabei sein. Laufen mag Aap gar nicht, also tragen wir ihn abwechselnd und füttern ihn durch. 😉

Ein toter Maulwurf liegt mitten auf dem Weg, vermutlich ist er beim letzten späten Wintereinbruch erfroren Diese Tierchen sehen sehr niedlich aus. Schade. 🙁 Ein weiterer Aufstieg zum Gipfel des Bluff Mountain auf 3372′ Fuß Höhe. Hier steht der Gedenkstein des kleinen Ottie Powell, der im Alter von 4 Jahren aus seiner Kindertagesstätte verschwunden ist und hier oben tot aufgefunden wurde. Tragische Geschichte, die uns schon 2012 sehr bewegt hat. 🙁

Bis 15.00 Uhr am Nachmittag geht es mehr oder weniger bergauf, auf jeden Gipfel folgt ein weiterer kleiner Gipfel. Kurzer Schauer am Nachmittag, der kommt völlig unerwartet. Es regnet etwa 10 Minuten in dicken Tropfen, genauso schnell werden wir wieder trocken. Vom letzten Berg aus haben wir freien Blick auf den James River, der sich über 660 Kilometer quer durch Virginia schlängelt. Wieder laufen wir 4,5 Stunden ohne Pause durch. Kein Wasser und keine Pausen-Snacks. Die Zivilisation lockt. Hoch aufgestiegen bedeutet immer, dass es einen heftigen Abstieg gibt. Steil und schwierig über Geröll, so präsentiert sich die erste Stunde bergab. Gar nicht gut, vier Knie schreien auf. Am letzten Abzweiger haben wir die Wahl zwischen zwei Richtungen. Anscheinend ist die Wegführung in den letzten 10 Jahren geringfügig verändert worden. Wir wählen den „Blue Blaze“ Trail und haben es nicht bereut. Dieser wird anscheinend wenig begangen, denn wir treffen keinen einzigen Menschen. Zunächst laufen wir knöcheltief durch raschelndes Laub. Es ist vom Vorjahr, erst kürzlich von der Schneedecke befreit und in der Sonne getrocknet. Das Laub wird immer tiefer und tiefer, schließlich reicht es hoch bis über die Knie. Fühlt sich toll an und knistert lustig. Was für ein Spaß ! 🙂

Dieser Abstieg verläuft ganz geschmeidig in Serpentinen bis zur Straße, an der wir nach Glasgow trampen möchten. Ich schaffe es nicht einmal, auf die Uhr zu sehen. Wir stehen noch gar nicht richtig in Position, da hält schon ein Auto an. Ein netter Mexikaner nimmt uns wie selbstverständlich mit und setzt uns vor der öffentlichen Wiese ab, auf der wir unser Zelt aufbauen. Eine knappe Stunde später sitzen wir im einzigen Restaurant des 1100-Seelen-Dorfes. Pizza geht immer. 😉 In genau drei Wochen möchten wir in Damascus zum Trail Days Festival ankommen.