Wir segeln und wandern durch die Welt

Lamb’s Marina bis Annapolis

Montag ist Memorial Day, ein wichtiger Feiertag in den USA. Für uns genau der richtige Moment, um wieder Fahrt aufzunehmen. Abschied von der „Familie“ in der Lamb’s Marina. Gegen Mittag drehen wir die letzte Runde. Larry kommt uns mit dem ohnehin schon günstigen Preis noch einmal mehr entgegen. Wir dürfen gerne nächstes Jahr wiederkommen. Glaube nicht, dass wir das möchten, außer für einen kurzen Besuch. Die Lamb’s Marina ist ein bisschen wie eine Sackgasse …. Endstation. Unser letzter Hafen sollte nicht im Sumpf liegen, den Lebensabend können wir uns in La Restinga auf El Hierro oder in Whangarei/Neuseeland viel besser vorstellen. Fred, Tom, Randy und Charly gehören hier zum Inventar und winken – nur Franny fehlt. 🙁

Start um 14.00 Uhr. Immer noch ist es sehr heiß, draußen weht ein lauwarmer Wind. Wir sind froh, dass wir endlich wieder unterwegs sind. Ich hatte schon ein bisschen Angst, dass wir hängenbleiben und die Walkabout Spinnweben ansetzt wie unser Briefkasten Slip No. 10. 😉 Etliche Schildkröten sonnen sich auf verrottenden Baumstämmen. Ein grauer Kranich fliegt auf. Einige Wasserschlangen schwimmen an der Oberfläche des Kanals. Den Wochenend- und Feiertags-Verkehr haben wir gut vermieden, die Leute sind jetzt alle auf dem Heimweg. Nur ein schneller Jet-Ski überholt uns hinter einer Kurve, das Geräusch war schon lange vorher zu hören. Der Dismal Swamp Canal ist sehr schmal. Wir müssen gut aufpassen, dass wir den im Wasser liegenden Bäumen ausweichen. Gleichzeitig sollte man nach oben schauen, damit wir nicht mit dem Mast bzw. den Antennen die überhängenden Baumkronen berühren. Schwimmen gehen möchten wir hier nicht, das ist ein ganz entscheidender Nachteil auf dem ICW. Wie einfach ist das auf den Kanaren oder Azoren, wenn man am Ende eines schweißtreibenden Tages mal eben kurz ins Wasser springen kann. 🙂 Nach gut vier Stunden Motorfahrt erreichen wir die erste Schleuse. Hier kommen wir heute nicht mehr weiter, geöffnet wird erst wieder um 8.30 Uhr. Die Walkabout hat schon ein bisschen Grund-Berührung, da können wir auch gleich den Anker fallen lassen. Nur 5 Meter Kette dazu, mehr geht nicht. Hoffentlich stecken wir morgen früh nicht im Schlick fest. Wenig Platz hier – beim Auswehen in Windrichtung landen wir beinahe mit dem Heck im Gebüsch. Wir erwarten eine ruhige Nacht vor der South Mills Lock. Kein Wind, keine Mossis, keine Menschen – was will man mehr ? 😉

Pünktlich fertig. Wir denken, wir haben alles richtig gemacht, und doch lässt der Schleusenwärter uns vor der Brücke versauern. Schon 10 Minuten vor Arbeitsbeginn läuft der Motor, die Leinen liegen bereit. Das Schleusen klappt wunderbar. Ein kleines Stück dahinter folgt eine Autobrücke, die manuell geöffnet werden muss. Auf der gegenüberliegenden Seite warten schon ein Motorboot und ein Segler auf Einlass, denn für die nach Süden fahrenden Boote beginnt die Schleusenzeit eine halbe Stunde später. Klingeln ertönt, auf der Straße halten die Autos an, die Brücke geht hoch. Unsere Ampel steht auf rot. Im Leerlauf rutschen wir punktgenau bis zum Stopp-Licht und hängen uns nur mit einer kurzen Leine an den Dalben. Nichts passiert. Der Schleusenwärter antwortet auf Anruf per Funk nicht. Wir warten. Dann machen plötzlich die beiden Boote voraus die Leinen los und kommen uns entgegen. Unsere Ampel ist immer noch rot. Irgendwas ist da falsch gelaufen. 😉 Ich werde den Verdacht nicht los, dass man uns vergessen hat und aus Versehen das grüne Licht für die Entgegenkommer geschaltet hat. Unser Mann an der Brücke steigt in sein Auto und fährt zurück zur Schleuse, durch die wir gerade gekommen sind, um die Anderen zu bedienen. Er ruft uns zu, dass wir bis 11.00 Uhr warten müssen, bevor es weitergeht. Nein, damit sind wir gar nicht einverstanden. Nach kurzer Diskussion erklärt sich der Herr bereit, gleich noch einmal für uns zu öffnen. Die rote Ampel vor der Brücke sei kein Stoppzeichen, sondern soll ein Navigationslicht sein. Komisch nur, dass sowohl auf backbord als auch an steuerbord ein rotes Licht leuchtet. Deutsche fahren in der Regel nicht bei „rot“. Klassisches Missverständnis. Hätte der Schleusenwärter doch nur mit uns geredet ! Wir waren fast auf Augenhöhe und hätten auch ohne Funke miteinander kommunizieren können. Experten wie wir sind solche Binnenzeichen nicht gewohnt. 😉 Auf dem offenen Ozean gibt es keine Ampeln, auf Norderney übrigens auch nicht. Mit einer Stunde Verzögerung sind wir durch und tuckern langsam durch den Dismal Swamp Canal. Es wird immer enger. Erste Berührung mit den Wanten an einem überhängenden Zweig. Ein unsichtbarer Baumstamm klopft von unten an den Rumpf. Konzentration ist gefragt, und immer schön in der Mitte bleiben. Moskitos, Bremsen und Libellen schwirren heute mehr als gestern. Wir fahren mitten durch den Sumpf, die Insekten-Plage wird wohl erst im offeneren Wasser aufhören. Vorerst hilft nur lange Kleidung und zwei Paar Socken an den Füßen. Die zweite Brücke öffnet auf Anruf sofort. Gegen Mittag passieren wir die Grenze von North Carolina nach Virginia, dieses Mal nicht auf dem Trail, sondern auf dem Wasserweg.

Nichts los hier. Nur ein kleines Motorboot kommt uns entgegen und drückt sich dicht an den Rand, um zu warten. Sehr nett. 🙂 Die haben keinen Mast und müssen nicht aufpassen, dass sie sich die Antennen abrasieren. Wahrscheinlich auch weniger Tiefgang als unser Boot, wir haben wirklich nicht viel Platz zum Ausweichen. Um 15.00 Uhr machen wir vor der nächsten Brücke fest. Hier müssen wir eine Stunde warten, Deep Creek Lock öffnet erst um 16.00 Uhr wieder. Zeit genug, um kurz von Bord zu gehen und an der Tankstelle ein Eis zu kaufen. Wieder blinken zwei rote Lichter. Am Ufer steht aber ein unmissverständliches Schild : Nur bei „Grün“ fahren  Der Schleusenwärter erscheint überpünktlich und winkt uns freundlich zu. Inzwischen haben sich zwei weitere Segler und ein Motorboot in die Warteschlange eingereiht. Unser Mann an der Brücke bzw. Schleuse scheint seinen Job zu mögen. Er gibt ganz klare Anweisungen, so dass Jeder sofort versteht, was zu tun ist. Super freundlich und gut gelaunt spricht er mit jedem Boot, hat dabei immer einen Scherz auf den Lippen. Er weist uns sogar auf einen Weißkopf-Seeadler hin, der gegenüber in einer Baumkrone sitzt und das emsige Treiben beobachtet. Was für ein Gegensatz zu dem muffeligen, nicht über Funk ansprechbaren Schleusenwärter der South Mills Lock ! Alles klappt wie am Schnürchen.

Hinter der Schleuse wird unser Weg immer schmaler, windet sich in engen Kurven. Das Echolot spinnt, es zeigt Wassertiefen, die einfach unmöglich sind. Zack – plötzlich sitzen wir fest. Ich habe unser Boot in den Schlick gefahren. Wir versuchen das übliche Gerödel mit Vollgas vorwärts und Rückwärtsgang und Verlagern des Gewichts, aber es funktioniert alles nicht. Walkabout bewegt sich keinen Millimeter. Unser Plotter bietet die Funktion der Gezeitenanzeige, dort schauen wir in die Tabelle. Auf dem James River, dem großen Fluss in der Nähe, ist um 17.00 Uhr Niedrigwasser. Na, herzlichen Glückwunsch ! Da haben wir uns ungefähr eine Viertelstunde vor dem tiefsten Wasserstand festgefahren. Kann dauern, bis wir wieder frei kommen. Eigentlich könnte man gleich an dieser Stelle den Anker werfen und übernachten. Apropos …. eine Idee entsteht. Wir schmeißen das Dingi über die Reling. Thomas lässt den Anker herunter, dazu noch 25 Meter Kette. Sehr viel Gewicht, welches unser Beiboot fast zum Sinken bringt. Damit paddelt er in Richtung Mitte, in der Hoffnung, dass er unser Schiff mit Hilfe des Ankers wieder ins tiefere Fahrwasser ziehen kann. Es klappt ! Unser Bug lässt sich drehen, wir kommen frei. Schwitzige Angelegenheit, aber der Erfolg gibt uns recht. Nach einer Stunde Stillstand fährt die Walkabout wieder. Vor uns liegen drei Brücken, deren Höhen und Öffnungszeiten uns nicht ganz klar sind. Wir sind ja nicht so die Über-Planer. 😉 Lieber heute keine Annäherung, sondern erst morgen bei Tagesbeginn. Wir kehren um und tuckern zurück bis zur letzten Schleuse, wo wir gegen 18.00 Uhr erneut den Anker werfen. Den ganzen Tag über brütende Hitze. Die Reste der Suppe von gestern können wir über Bord kippen, in weniger als 24 Stunden leider schlecht geworden. Abends um 19.00 Uhr zeigt das Thermometer 36°, während der Nacht sind es immer noch 23°, also kaum eine Abkühlung. Puh …. !

Ab 5.00 Uhr morgens wird es schon wieder unangenehm heiß im Schiff. Wir sind früh am Start. Schon nach einer halben Stunde können wir diesen engen Kanal verlassen und fahren auf dem Haupt-Fahrwasser des ICW in Richtung Norfolk. Geschäftiges Treiben herrscht hier, Arbeits-Fahrzeuge pendeln hin und her, mehrspurige Fahrbahnen zu allen Seiten. Zunächst ragen zwei Autobahn-Brücken vor uns auf. Die Höhenangabe der älteren Brücke finden wir in unseren Unterlagen, die neuere ist eindeutig größer. Es sollte passen. Trotzdem sieht es knapp aus, wir haben Angst um unsere Antennen. Meine Güte, was ist das aufregend ! So viel Nervenkitzel braucht kein Mensch am frühen Morgen. Motorboote flitzen unbeirrt um uns herum, während ich Mühe mit der Orientierung habe. Wo ist jetzt das richtige Fahrwasser ? Wo müssen wir durch ? Über uns verlaufen die Autobahnen und produzieren einen unglaublichen Lärmpegel. Diese Hektik und dieser Verkehr sind nichts für mich. Ich bin gestresst. Thomas hat gestern richtig entschieden. Wie gut, dass wir nicht gegen Abend an dieser unübersichtlichen Stelle waren. Die nächste Hürde auf unserem Weg ist die Gilmerton Bridge. Eine Eisenbahn-Brücke, die eigentlich immer geöffnet sein soll, schließt sich gerade vor uns. Wir müssen zwei Züge abwarten. Es dauert. Während dieser Zeit funkt Thomas mit dem Brückenwärter und meldet uns an. Eine halbe Stunde stehen wir im Leerlauf, bis endlich der Verkehr oben angehalten wird. Die gesamte Brücken-Konstruktion hebt sich. Auch hier der Hinweis, dass man nur bei „grün“ fahren darf. Klar. 😉 Direkt darauf folgt eine Tender-Brücke, welche bereits geöffnet ist und genügend Höhe für uns bietet. Noch zweimal muss die Walkabout sich ducken, dann sind wir anscheinend durch. Erst 10.00 Uhr morgens, und eigentlich habe ich genug von der Aufregung. 😉

Vor uns liegt jetzt der breite Elizabeth River. Es kommt uns fast vor wie offenes Wasser. Man braucht nicht mehr ständig auf die Tiefen achten, die Augen müssen nicht länger wie gebannt auf den Plotter starren. Wir können uns einfach entlang der roten und grünen Tonnen nach Norden hangeln. Die meisten Fahrzeuge sind stark motorisiert und düsen in ausreichend Abstand vorbei. Der Himmel ist diesig, wahrscheinlich vom Smog der großen Städte. Ein leichter Fahrtwind ist zu spüren, sehr angenehm nach der stehenden Schwüle im Dismal Swamp Canal. Wir denken über’s Segeln nach …. Vielleicht morgen. Die Chesapeake Bay ist die größte Flussmündung in den USA. Diese südwärts zum Atlantik hin verlaufende Bucht bietet genügend Raum zum Segeln. Fehlt nur noch der richtige Wind. Unterwegs sehen wir Pelikane und einen Delfin. 🙂 Das Wasser wird klar, vorbei ist es mit der dreckigen Brühe. Um 18.00 Uhr fällt der Anker auf 3 Meter Wassertiefe vor New Point Comfort. So schnell kann man gar nicht gucken, wie wir unsere Badeleiter herunterlassen. Zusätzlich werfen wir noch eine lange Leine mit Fender achteraus. Diese dient uns zum Festhalten, denn die Strömung ist erstaunlich stark. Wir genießen das kühle Bad. Sauberes Wasser zum Waschen, danach auf Deck in der Sonne trocknen lassen. Herrlich erfrischend. 🙂 Unser Motor ist den ganzen Tag mit kleiner Drehzahl gelaufen und hat uns 40 Seemeilen weiter bis in die südliche Chesapeake Bay gebracht.

Unruhige Nacht. So ein Geschaukel sind wir ja gar nicht mehr gewöhnt. Walkabout rollt am Anker hin und her, dazu klatscht das Wasser im randvollen Tank bei jeder Bewegung laut gegen den Deckel. Morgens sind wir voll motiviert und machen alles zum Segeln bereit. Persenning weg, Windsteueranlage auspacken und montieren, innen wird alles seefest verstaut. Nur leider spielt der Wind nicht mit. Es weht lediglich ein leichter Hauch aus Nord-Ost, also von vorne. Da muss der Jockel wieder ran. Zum Glück hat unser Volvo Penta nur einen Verbrauch von 2 Litern Diesel in der Stunde. Segeln wäre trotzdem schöner. Wir freuen uns jetzt schon auf die nächste längere See-Passage zu den Azoren. Die Sonne macht uns fertig, morgens um 9.00 Uhr ist es bereits viel zu heiß. Wir schmieren uns Lichtschutz-Faktor 50 ins Gesicht. Bin froh, dass wir hoch Richtung Norden fahren. Delfine begleiten uns ein Stück des Weges. 🙂 Mittags erster Versuch, wir setzen die Segel. Immer noch wenig Wind, die Aries tut sich schwer. Alles ist ein wenig sperrig, wie immer nach einer langen Standzeit. Es dauert eine ganze Weile, bis wir zufrieden sind mit den Einstellungen. Ab 17.00 Uhr läuft die Walkabout endlich wie gewünscht. Eine Stunde später sieht der Himmel rundum gruselig aus. Es könnte Gewitter geben. Das Großsegel wird geborgen, kurz darauf holen wir auch die Genua ein und starten die Maschine. Nicht zu früh, denn im nächsten Moment fetzt der Wind los. Eine Wasserhose voraus, der Ozean wird vom Sturm aufgepeitscht. Da möchten wir nicht hineinfahren, erst einmal nehmen wir das Gas wieder zurück. Müssen dabei auf eine kleine Insel mit Leuchtturm aufpassen, die wir gerade eben erst auf backbord knapp passiert haben. Wasserhosen sind kleine Tornados über dem Meer. Solche Wirbelstürme sind räumlich eng begrenzt und können Durchmesser bis zu 200 Metern erreichen. Dabei wird durch die enormen Windgeschwindigkeiten Wasser aufgewirbelt und teilweise auch hochgesogen. In Wasserhosen werden in extremen Fällen Windgeschwindigkeiten bis 300 Kilometer pro Stunde gemessen. Wir haben so ein Phänomen einmal in Patagonien live und aus der Nähe erlebt. Sehr unheimlich, wir halten respektvollen Abstand. Es donnert am Himmel. Thomas klemmt die Funk-Antenne ab. Kurz darauf Blitz und Donner in immer schnellerer Folge. Das Gewitter ist direkt über uns und bringt sehr viel Wind mit. Wir stellen den Hauptschalter der Batterie ab, nun sind alle Geräte aus. Die Segel sind sowieso schon unten, wir können nur die Richtung ändern und einigermaßen bequem ablaufen. Leider fahren wir zurück, auf der anderen Seite um den Leuchtturm-Felsen herum. Immer wieder zucken Blitze über den Himmel. Wie gut, dass wir die Tür schließen und trocken im Deckshaus sitzen können. Regen prasselt auf’s Dach. Etwa zwei Stunden dauert das schlimmste Unwetter, dann steuern wir dorthin, wo es etwas heller zu werden scheint. Geht gar nicht gut, weil der Wind inzwischen gedreht hat. Walkabout läuft nur 1,5 Knoten gegen Wind und Strom. So würden wir bis zum anvisierten Ankerplatz noch mindestens drei Stunden brauchen. Kurze Diskussion, dann entscheiden wir uns anders und fahren weiter zurück. Diesmal hilft die Strömung, wir schaffen eine Distanz von 5 Seemeilen in einer Stunde. Kurz vor 22.00 Uhr erreichen wir flacheres Wasser und machen Feierabend. Die letzten Stunden waren anstrengend genug. Ankeralarm und AIS bleiben an. 50 Seemeilen insgesamt, davon 5 Stunden unter Segeln.

Das Gute am gestrigen Gewitter ist eine minimale Abkühlung. Zumindest in der Nacht fühlte es sich so an, wir haben relativ gut geschlafen. Der erste Blick hinaus zeigt unzählige Spieren in der Nähe, die vermutlich ein Gebiet mit Fischernetzen markieren. Die haben wir gestern Abend nicht gesehen, auch unsere elektronische Seekarte gibt keinen Hinweis außer der abnehmenden Wassertiefe. Hier im Dunkeln küstennah fahren ist also nicht ratsam. Morgens stecken wir nur kurz den Bug Richtung Norden hinaus ins tiefere Wasser. Der Wind ist noch zu stark und kommt direkt auf die Nase. Macht keinen Sinn. Das bringt uns weder mit Motor noch unter Segeln weiter. Wir kehren um, noch weiter auf unserer Kurslinie von gestern zurück. Fühlt sich schon besser an. Überall treiben Plastikflaschen an der Oberfläche, die Reusen oder Krabbenkörbe markieren. Im Slalom fahren wir um die Hindernisse herum. Einige Tonnen-Makierungen gibt es auch, aber die verwirren uns mehr als dass sie nützen. Viele Abzweiger, kleine und größere Wasserwege, die wie verzweigte Adern vom Hauptarm abgehen. Der Waterway Guide 2021, den uns Mary-Ann und Paul in der Lamb’s geschenkt haben, leistet gute Dienste. In diesem nautischen Ratgeber lesen wir auch, dass diese Ecke besonders unangenehm werden kann. Ja, das haben wir inzwischen gemerkt. 😉 Wir schauen uns verschiedene Optionen an, wo wir bis morgen unterschlüpfen können. Zunächst fahren wir ein Stück auf dem Great Wicomico River. Wind komischerweise von vorne und Gegenströmung, wir kommen nur langsam voran. Weiter als 5 Seemeilen können wir den Fluss sowieso nicht hinauf, weil dort eine feste Brücke sowie Starkstrom-Kabel in 54′ Fuß Höhe den Weg versperren. Das sind 16 Meter, das versuchen wir besser nicht. Noch einmal drehen wir um und biegen ein in den Towles Creek, hier läuft die Strömung mit. Komisches Revier, da ist unser heimisches Wattenmeer aber leichter zu durchschauen. Dieser schmale Abzweiger führt nach Reedville. Den Wasserturm kann man sehen, und wo ein Wasserturm, da ist auch ein Ort. Denken wir wenigstens …. Landgang, das wird spannend …. Oder auch nicht. 😉 In der Mitte des Fahrwassers haben wir ungefähr 3 Meter unter dem Kiel, links und rechts wird es ganz schnell flach. Der Towels Creek erweitert sich zu einer idyllischen Lagune und endet hier. Sackgasse. Kein Wind, unglaublich ruhig ist es, da haben wir wirklich guten Schutz gefunden. Wir ankern auf 2 Meter Tiefe. Es gibt Pfannkuchen zur Stärkung, danach wird das Dingi über Bord gelassen. Wir machen am Steg des Restaurants fest, was leider geschlossen hat. Die einzige Tankstelle im Ort ist anscheinend auch schon länger nur eine leere Fassade. Selbst die Tore der Freiwilligen Feuerwehr sehen aus, als wären sie seit Jahren nicht mehr bewegt worden. Es gibt kein Geschäft, kein Café, keine Internet-Verbindung im Dorf. Ein älterer Herr läuft beim Altersheim herum. Ein anderer Mensch kommt aus dem Gebäude der amerikanischen Legionäre, leider für die Öffentlichkeit geschlossen. Selbst der Automat für kalte Getränke wurde längere Zeit nicht gewartet und gefüllt. Wir haben genügend passende 1-Dollar-Noten, aber alle Sorten sind ausverkauft. Dann eben nicht. Auf einem Grundstück fegt ein Mann mit einem Puste-Sauger das Laub von seiner perfekt sauberen Terrasse. Den Friedhof haben wir gefunden, ist aber auch nicht so spannend. Also es gibt in Reedville wirklich nichts, was das Anhalten oder Aussteigen lohnen würde. Sehr ruhig hier, sehr gepflegt, sehr spießig. Langweilig. Schlapper Nachmittag, wir paddeln zurück zur Walkabout und schlagen irgendwie die Zeit tot. Nach einem kurzen Mittagsschläfchen kümmern wir uns um die Windsteueranlage. Die Aries läuft nicht rund, und das schon seit Mitte unserer letzten Atlantik-Überquerung. Bei diesen Ententeich-Verhältnissen bietet es sich an, das gute Stück von außenbords genauer zu untersuchen.  Thomas nimmt sie auseinander, soweit das vom Dingi aus möglich ist. Natürlich verliert er eine wichtige Schraube ins Wasser. War klar. 😉 Zusammenbau mit verschiedenen Einstellungen, es braucht mehrere Versuche. Währenddessen mache ich den Handlanger, gebe Werkzeug an, ziehe mal hier und mal dort. Zum Schluss wird die Windsteueranlage ordentlich geputzt und geschmiert. Auf der nächsten Segel-Passage wird sich zeigen, ob sich der Aufwand gelohnt hat.

So viel Ruhe und Idylle können wir nicht lange aushalten. Es gibt nur einen Kaffee zum Wachwerden. Ankerauf, erstmal weg hier. Greifvögel haben mächtige Vogelnester auf den Spitzen der Seezeichen gebaut. Ganz schön schlau, denn da bleiben sie sicher ungestört. 🙂 Wir folgen unserer alten Kurslinie zurück bis zur Felseninsel mit Leuchtturm. Starke Strömung bremst die Walkabout. Mehrmals werden wir überholt, das passiert uns auf dem Trail nicht so leicht. Mit 36 PS sind wir für unsere 10 Tonnen Gewicht eher untermotorisiert. Der gewaltige Potomac River ergießt sich nach mehr als 600 Kilometern in die Chesapeake Bay. Dadurch wird das Geschehen zwischen Reedville und dem Landzipfel „Point Lookout“ stark beeinträchtigt. Kurz vor dieser breiten Fluss-Mündung hat uns vorgestern das Gewitter erwischt. Brauchen 3,5 Stunden bis zu dem Punkt, an dem wir abgedreht sind. Braune Pelikane sind auf der Jagd. Wasser-Fontänen spritzen hoch, wenn die massigen Vögel sich aus der Luft hinabstürzen und abtauchen, um einen Fisch zu angeln. Am Nachmittag wird alle 10 Minuten ein „PAN PAN“ der Küstenwache über Funk durchgegeben. Es wurde ein unbemanntes Segelboot in der Bucht aufgefunden, welches gestern von Annapolis gestartet sein soll. Der Freizeit-Kapitän ist anscheinend über Bord gegangen und wird vermisst. 🙁  Wir beenden unseren Tag um 18.30 Uhr vor Little Cove Point. Das Wunderbare auf dem ICW ist, dass wir eigentlich immer alleine ankern können. Die Amis bevorzugen anscheinend den Luxus einer Marina mit Swimming-Pool. Kostet 70,- Dollar aufwärts pro Nacht. Nein, danke. 😉 Es ist noch früh genug, um eine Runde baden zu gehen. Danach gibt es ein Festessen, denn wir haben etwas zu feiern. Unser drittes Enkelkind hat heute gesund und munter das Licht der Welt erblickt. 🙂

Spät abends erfolgreiche Kakerlaken-Jagd. In unsere selbstgebastelten Fallen haben sich bisher nur Fliegen verirrt. Vor dem Zubettgehen sehe ich eine Cucaracha über den Boden huschen und unter der Spüle verschwinden. Dort befinden sich zwei ausgesägte Löcher für die Tret-Pedale der Wasserpumpen. Schnell eine Ladung Insektenspray in die Öffnungen gesprüht – das braune Krabbeltier kommt heraus und versteckt sich im offenen Schrank zwischen Wasserfiltern und Schläuchen.  Auch dort kommt großzügig Spray hinein. Das gefällt der Kakerlake gar nicht, anscheinend ist sie auch schon etwas benommen. Sie krabbelt heraus, nicht mehr ganz so schnell und zielstrebig. Entlang der Sitzpolster im Salon kann Thomas sie mit dem Elektroschläger endgültig erledigen. Er sagt : „Meine Güte, was ist die groß geworden !“ 😉 Falls es denn dieselbe war, die wir vor einer Woche nicht erwischt haben.

Um 5.00 Uhr ist die Nacht vorbei. Der Wind hat zugelegt und auf Nord-Ost gedreht. Auflandig. Viel Schwell. Walkabout tanzt am Anker. Früher Aufbruch ist angesagt, bevor wir hier seekrank werden. Wind von vorne, ein bisschen Gegenströmung, die Wellen bremsen uns aus. Ein mühsames Unterfangen. „Alles Käse“ würde Anneke von der GusAnne dazu sagen. 😉 Nur im Schneckentempo kreuzen wir auf die andere Seite der Chesapeake Bay in der Hoffnung auf Windschutz.

Die Dringlichkeitsmeldungen der Küstenwache gehen weiter. Der über Bord gegangene Segler wird immer noch vermisst. Da ist wohl nicht mehr viel Hoffnung auf ein gutes Ende, es sei denn, er hat sich ganz bewusst abgesetzt. Ein Schiff im Potomac River funkt „MAYDAY“. Die Antwort der Coast Guard geht an „Sailing Vessel under Stress“. Ein anderes Motorboot ist auf Felsen gefahren. Es meldet sich ein Segler, der den Havarierten mit Leinen gesichert hat und auf professionelle Unterstützung wartet. Wir hören noch eine weitere Bitte um Hilfeleistung mit. Wieder ein Segler, der irgendein Problem hat. Es ist eine Menge Verkehr, viel los hier am Wochenende. Die Küstenwache ist im Dauer-Einsatz. Gegen Mittag haben wir uns endlich freigestrampelt und laufen mit 4 Knoten Richtung Norden. In einiger Entfernung von unserer Kurslinie entdecken wir einen leblosen Körper, blass und aufgequollen. Gar nicht schön, besonders wenn man eine menschliche Leiche im Wasser vermutet. 🙁 Wir halten darauf zu. Da schwimmt eine tote Schildkröte auf dem Rücken. Der Körper hat sicherlich einen Meter Durchmesser, die schlappen Extremitäten treiben zu allen Seiten und lassen das unheimliche Ding noch größer wirken. An der linken Seite kann man einen langen Schnitt erkennen. Wahrscheinlich ist die Schildkröte in die Schraube eines dieser superschnellen Flitze-Boote geraten. 🙁

Den ganzen Nachmittag lang fahren wir auf eine gigantische Brücke zu, die nicht näher zu kommen scheint. Sie verbindet den westlichen und östlichen Teil Marylands, die durch die Chesapeake Bay fast vollständig voneinander getrennt sind. Außergewöhnlich gute Sicht, es sind noch etwa 20 Seemeilen Entfernung. Umso langweiliger verlaufen die Stunden, bis wir Annapolis endlich erreicht haben. Ein Treffen mit Danny von der „SY Keeper“ ist geplant. Er war unser Steg-Nachbar in Morehead City, also nach 6 Wochen Ozean-Überquerung unser erster netter Kontakt. Außerdem möchte Thomas noch einmal zu Bacon Sails, um ein paar Dinge für die Walkabout zu kaufen, auch die haben ihren Sitz in Annapolis. Bis zum Abend hin brabbelt das Funkgerät auf Kanal 16. Wir sind froh, als wir die Kiste endlich ausstellen können. Um 19.00 Uhr erreichen wir unseren Ankerplatz in der Whitehall Bay. Hier liegen wir geschützt auf 3 Meter Wassertiefe, direkt vor der Chesapeake Bay Bridge. Das ist ein aus zwei Hängebrücken bestehendes Bauwerk, 7 Kilometer lang, 115 Meter hoch, 5 Fahrspuren, ca. 74.500 Fahrzeuge am Tag. Kein Wunder, dass dieses Teil schon Stunden vorher in Sichtweite war.